ÜBER DAS WESEN DER EHE
von
Léon Bloy
(Auszüge aus: "Briefe an seine Braut" Salzburg - Leipzig,2 1936, S.119-139)
27. November 1889, vier Uhr morgens.
Würdest Du glauben, Liebste, daß ich für gewöhnlich in Verlegenheit
bin, wenn ich Dir schreibe? Und doch ist mein Herz voll von Dir, ich
bin in einem unaufhörlichen seelischen Rausch. Ich brauche nur Dein
liebes Bild in mir hervorzurufen, so erfüllt mich ein Schwärm
göttlicher Gefühle und Gedanken. Aber zu gleicher Zeit sinde ich mich
vollkommen unfähig, alledem Ausdruck zu verleihen. Heute morgen bin ich
eigens mit der Absicht aufgestanden, Dir einen großen Brief zu
schreiben, irgend etwas Großartiges, ein Meisterstück, etwas, was vor
Deinen Augen wie Licht und Feuer flammt und mir selber ein inwendiger
Trost sein könnte. [...]
Ah, wie gab es mir einen Stoß, als ich Dich traf vorgestern abend. Wie
warst Du schön, mein Lieb, wie vornehm im Gang und der großen Haltung
einer Lady, und was bin ich stolz, von Dir geliebt zu sein! Du liebfst
mich: hinreißender Gedanke, den ich körperlich püre wie eine
Stichflamme, die sich in mein Herz hineinfrißt . . . Ich habe einen
Augenblick der Freude erlebt, die um so heftiger war, weil ich sie
niemals erhoffte, Du hast ja bemerken müssen, daß ich, gleichfsam
erstickt von seligem Staunen, gar nicht mehr wußte, was ich Dir sagen
sollte. Freilich, daß wir fast im selben Augenblick noch uns trennen
mußten, das läßt mich das tiefe Elend unserer Lage grausam spüren. Zwei
Menschen, die füreinander geschaffen sind und einander so notwendig
brauchen, und jeder geht nach seiner Seite, in die Nacht, in den Regen,
in die Kälte, in die Einsamkeit. Wahrhaftig, ich hab' es äußerst
notwendig, daß Gott mir seine heilige Geduld schickt, denn ich trage
eine schwere Bürde.
Du erzählft mir, was Fräulein X. gefaselt hat. Nun, mein armes Lieb, das gibt Dir einen Vorgeschmack
von den Dummheiten und Blödsinnigkeiten, die Dich erwarten, wenn einmal
Deine Liebe zu mir und Deine Heiratsabsichten bekanntssind. Es ist
sicher, daß die X. Zuneigung zu uns haben, auf den Kopf gefallen sind
sie auch nicht, sie gehören mit zum Besten, was Du hier antreffen
wirst. Nach ihnen kannst Du Dir eine Vorstellung von den andern machen.
Diese Art Leute wird sich niemals mit usferer geistigen Welt aussöhnen.
[...]
Und mein Geschick, glaub es nur, ist ein außerordentliches Geschick.
Kluge und weise Leute werden kommen und Dir raten, gescheiter zu sein
als nur so. Wäre es nicht unsinnig, in den Gedankengang Ereignisse
einzubeziehen, die nicht geschehen sind and darum auch nicht gefchehen
k o n n t e n, so könnte ich mir solgendes ja schon vorstellen: Du
hättsft anstatt meiner irgendeinen Mann getroffen, der wäre nicht
gerade dumm gewesen, nicht gerade übel, nicht gerade arm, nicht gerade
unempsindlich gegen den Reiz Deiner Persönlichkeit, dieser Mann also
hätte Dir einen hochehrsamen Antrag gemacht, und Du hättest ihn
schließlich geheiratet, einfach weil Du das Heiratsgeplänkel satt hast,
weil Du irgendwo anständig Unterkommen willst und im eignen Heim
Frieden und Ruhe erhoffft.
Und dann hättest Du, verheiratet ohne innern Antrieb, sondern lediglich
aus Gehorsam gegen das, was Du für den Willen Gottes hieltest, Deine
neuen Pflichten so gut wie möglich, das heißt mit einer innerlich
kalten Gewissenhaftigkeit erfüllt - wie hunderttausend andere.
Und was für Pflichten, Jeanne! Die Selbsthingabe ohne Liebe - weißt du,
was das bedeutet? Das bedeutet eine fürchterliche Störung der wahren
Ordnung.
Über dieses Thema, sag' ich Dir, hab' ich massenhaft Gedanken.
Angfterregende Gedanken, die, wie mir scheinen möchte, gar noch keiner
vor mir gehabt haben kann. Diese Gedanken werden doch wohl wesentlich
von den im Christentum gründenden Sozialgesetzen beeinflußt sein,
meinst Du, nicht wahr? Du meinst also: Die Ehe, wie sie nun einmal ist,
so wie sie seit Jahrhunderten auf dieser Welt betätigt wird als
Institut zur Eindämmung der Ausschweifungen und als Ordnung der
Fortpflanzung unseres fluchbeladenen Geschlechts, die Ehe als eine von
Gott geheiligte Verbindung zweier Wesen, denen ich sogar den guten
Willen nicht abspreche - sie mögen miteinander die adligste Gesinnung
und die heldischste Selbstverleugnung mitbringen und dransetzen, um ein
gottgegebenes Gesetz zu erfüllen, auch das sei zugegeben -, Du meinst
also, diese Ehe müsse mir als eine der ehrwürdigsten und heiligsten
Wirklichkeiten erscheinen. Nun wohl, ich sage nein, tausendmal nein,
aus meinem innersten Wesen heraus muß ich bekennen, daß diese Ehe, von
der F r a u aus gesehen, mir untragbar und ungeheuerlich erscheint,
wenn nicht die Liebe dazukommt. Vom Manne aus gesehen, ist es ja ganz
anders, das wirst Du schon noch verstehen, Du mußt es verstehen, denn
zugleich mit meiner Person wirst Du auch meine Gedanken heiraten
müssen.
Was ich Dir hier auf eine sehr flüchtige und durchaus ungenügende Art
sage, ist außerordentlich wichtig, es rührt an die göttlichsten und
ewigsten Dinge, die es gibt. Nur ein einziges Beispiel: Wenn es nie ein
Weib gegeben hätte, das dem H e r r g o t t i h r e J u n g
f r ä u l i c h k e t o p f e r t e, so hätte der
Welterlöser nicht auf die Welt kommen können.
Das Wohl und Wehe der Menscheit ruht ganz und gar auf der Frau. Ein
armes Geschöpf, das aus Verzweiflung in den Abgrund der Prostitution
hineingerät, verdient grenzenloses Mitleid, aber eine Jungfrau, die
sich zu einer V e r n u n f t h e i r a t hergibt, begeht ein
Verbrechien, das sie im Rang unter die Prostituierten stellt, jawohl,
klastertief unter die gemeinsten Huren, ein Verbrechen, das die
gefallenen Engel erzittern macht.
Dieses leichtfertige, geist- und herzensarme Ding, welches, um dem
Familienjoch zu entlaufen, um als Frau Soundso angeredet zu werden oder
um seine Kleider und Putz und Schmuck und noch viel jämmerlichere
Dinge leichter zu bekommen, dem ersten besten Kerl, der sich als ihr
Gatte betitelt, den m ö g 1 i c h e n Tabernakel eines Gottes
ausliefert - dieses Mädchen macht die Dritte göttliche Person weinen,
es hält vielleicht für tausend Jahre länger den geduldigen
Christusheiland an seinem Kreuze fest, von dem herabzusteigen er sich
eben anschickte, es entmutigt die Geister von oben und macht die
Geister von unten rasen, es schiebt allen Gefangenen den Riegel vor,
vermehrt das Seufzen der Kreatur und bringt die Sterbenden zur
Verzweiflung. Ein Glück, daß der zu Tod gemarterte Heiland um Gnade bat
für die, die "nicht wissen, was sie tun". Denn wie sollte man sonst die
Bitterkeit gewisser Dinge und Gedanken ertragen?
Um ihren wahren Beruf zu erkennen, haben die Frauen nur ein einziges
Zeichen, aber ein sehr zuverlässiges. Es ist die Liebe, so wie Du sie
für mich empsindest, mein Herz. Durch solch eine Liebe wird alles klar
und der Wille Gottes offenkundig. Die Frauen sind sichtlich für die Ehe
geschaffen, selbst wenn sie, zu Leidensbräuten bestimmt, den Erwählten
ihres Herzens niemals ehelichen könnten.
Alle Frauen, die ich in meiner Heimat habe kennenlernen können, alle
ohne Ausnahme haben eine Überzeugung, die wohl allgemein sein muß; die
menschliche Natur ist sich überall gleich, sie schöpft überall aus
demselben Untergrund von Vorahnungen und lebt vom selben Kapital von
Dummheiten. Das ist diese Überzeugung: Sie, die Frauen, hätten ein G e
h e i m n i s , das für jeden Mann unfaßbar sei. "In der Frau werden
Sie sich niemals auskennen, weil in ihr etwas ist, was Sie nicht
greifen und fassen können." Tasfendmal habe ich das hören müssen, und
dazu manchmal von recht dummen Frauen. Arme Dinger, die sicherlich in
peinliche Verlegenheit kämen, sollten sie über ihr famoses Geheimnis
sich selber Rechenschaft geben, es müßte denn sein, daß sie
irgendwelche unsauberen oder albernen Geschichten im Kopfe haben, was
am wahrscheinlichsten ist. Lächerlich ist das alles, und doch haben sie
rech, ohne es zu wissen. Würde aber einer versuchen, das verschlossene
und Gott gehörende Geheimnis ihnen zu eröffnen, so würden sie kein Wort
davon verstehen und den Rätsellöser als Narren auslachen.
Bossuet, der den Ruhm hat, ein absoluter Geist zu sein, sagt, daß jeder
Irrtum eine verderbte Wahrheit ist. Das kommt darauf hinaus, daß kein
Gemeinplatz, mag er auch noch so dumm und widrig aussehen, ganz und gar
verächtlich ist. Im Anfang dieses Jahrhunderts unterstand sich ein
Franzose mit einem großen Namen (er wollte sogar von Karl dem Großen
abstammen), der Herzog von Saint-Simon nämlich, eine Sekte, eine R e l
i g i o n zu gründen, die ganz hervorragende Geister verführte
und eine ziemlich große Zahl berühmt gewordener Männer zu ihren
Anhängern rechnete. Ich möchte keine fünf Minuten für diese Ausgeburt
geistigen Hochmuts verlieren, die in einem unaussprechlichen Schmutz
aus- und unterging. Aber etwas Erstaunliches war dabei: nämlich der
Kult der unbekannten Frau, welche die Welt erlösen sollte und darum von
jedermann allüberall gesucht werden mußte. Welch seltsames Zeugnis!
Ja, sie wird seit Jahrhunderten unter einem weltumirrenden Seufzen
erwartet, erwartet selbst von denen, die etwas ganz anderes zu erwarten
und zu suchen glauben. Die Ersehnte der Völker wird unter allen
sinnbildlichen Namen der geheimnisdunklen Begierden angerufen, unter
denen die alte Menschenseele taumelt. Im tiefen Grund der Wirklichkeit
ist es immer nur sie, die wir selbst unbewußt heraufbeschwören. Der
Reichtum, die Freude, der Ruhm, die Macht, die Tugend und auch das
Laster, kurz alles, was heiß vom Menschengeschlecht erstrebt werden
kann, drückt symbolisch den ewigeinzigen Durst der Kreaturen aus, die
zum Zeugen und zum Leiden verurteilt sind.
Nicht der Mensch allein ist gefallen im Paradies. Die ganze Schöpfung,
deren Vertreter er war, ist mit ihm gefallen. Darum hat alles Seine
Erlösung nötig und ruft auf seine Weise nach dem Befreier. Erinnerst Du
Dich an den Psalm 148 und vor allem an das großartige Lied der drei
Jünglinge im Feuerofen aus dem Buch Daniel, wo jegliche belebte und
unbelebte Kreatur zum Lobpreis Gottes aufgerufen wird?
In der köstlichen Legende des heiligen Kolumban, des Apostels des
grünen Irland, wird erzählt, er habe als Jüngling durch die Brandung
des Atlantischen Ozeans hindurch von weither die Schreie der kleinen
Kinder gehört, die ihn aus dem Mutterleib heraus nach Hibernien riefen.
Ich könnte weinen vor Bewunderung, so schön ist das. Müßte man diese
Geschichte nicht mit allem Nachdruck auf den Heiligen Geist beziehen,
auf den Paraklet, auf dieses unausdenkbare Wesen, das von allem unter
ungestümen Seufzern herbeigesehnt wird, weil ihm die Wiederherstellung
des Ganzen, die Rettung des Ganzen, die Durchlichtung des Ganzen, die
Verherrlichung und Erfüllung des Ganzen obliegt? [...]
Es gibt für die Frau, welche für diese Zeit und v o r l ä u f i
g der untergeordnete Mensch ist, nur zwei Daseinsmöglichkeiten,
die erhabenste Mutterschaft oder die Existenz als Vergnügungsmittel,
die reine oder die unreine Liebe. Mit andern Worten: die Heiligkeit
oder die Prostitution, das Leben der ersten oder der zweiten Magdalena.
Zwischen beiden gibt es nur die a n s t ä n d i g e F r a
u, das heißt das Weibchen des Bürgers, des heillos Verworfenen, den
kein Opfer loskaufen kann. Eine Heilige kann in den Schmutz fallen und
die Hure ins Licht steigen, aber dies blöde Viehzeug ohne Hirn und
Herr, das man eine "bessere Frau" nennt und das seinerzeit in Bethlehem
dem Gottkind die Gastfreundschaft verweigerte, leidet an der ewigen
Ohnmacht, seinem Nichts durch Fall oder Aufstieg zu entrinnen. Aber
alle haben sie das eine gemeinsam, daß sie ohne weiteres mit einer
vorgefaßten, aber selbstsicheren Meinung überzeugt sind von ihrer
Würde, die Ausspenderinnen der Freude zu sein. "Causa nostrae
laetitiae! Janua coeli!" - "Ursache unserer Freude! Pforte des
Himmels!" (Muttergotteslitanei.) Gott allein mag wissen, wie diese
heiligen Vorstellungen sich in den nachdenklichen Köpfen der reinsten
Frauen spiegeln und was dabei aus ihrer geheimnisvollen Physiologie
miteinfließt.
Ich, der ich nur an die absoluten Ideen glaube, ich pfeife auf alle
bekannten Pfschologien und gehe schnurstracks auf diese ungeheuerliche
Behauptung los, die mir alles erklären zu können scheint: Jede Frau
ist b e w u ß t o d e r u n b e w u ß t
davon überzeugt, daß ihr Geschlecht das Paradies ist. "Plantaverat
autem Dominus Deus paradisum voluptatis a principio . . . " - "Aber
Gott der Herr hatte von Anfang an einen Lustgarten gepflanzt" (Gen. 2,
8).1 Kein Gebet, keine Bußübung, kein Martyrium haben genügsam
beschwörende Kraft, dieses unschätzbare Kleinod zu erlangen, ein
Kleinod, das sich nicht einmal mit dem Diamantengewicht der Nebelflecke
bezahlen ließe. Daraus ist zu ermessen, was sie gibt, wenn sie sich
gibt, und welchen Gottesraub sie unternimmt, wenn sie sich verkauft.
Komisch so eine Idee, so komisch, daß einem davon schiwindlig wird,
gewiß. Aber ich möchte daraus einen etwas unerwarteten Schluß ziehen.
Nämlich: Die Frau hat recht, solch lächerliche Dinge zu glauben und zu
behaupten. Grenzenlos recht hat sie, denn dieser Teil ihres Körpers ist
der Tabernakel des lebendigen Gottes gewesen, und niemand ist imstand,
dem s o l i d a r i s c h e n, auf alles Weibtum übergreifenden
Charakter dieses bestürzenden Mysteriums Grenzen zu setzen.
Aber jetzt hast Du die Nase voll, nicht wahr? [...] Wann werden wir uns
wiedersehen, Du meine Vielgeliebte, meine sanfte Trösterin, Du mein
einziger Schatz? Aber ach, ich wage nicht einmal, sehr auf dieser Bitte
zu bestehen, denn bald, morgen schon, werde ich mittellos sein wie ein
Bettler, und ich weiß nicht, auf welche Weise ich Dich empfangen soll.
Und doch hätte ich Dich so bitter nötig, mein guter Engel. Ich drücke
Dich in meine Arme.
Léon Bloy.
***
2. Dezember 89.
Meine liebe, goldige Jeanne!
Gott sei's gedankt, daß Du heut abend kommen willst, ich hab' richtiges
Heimweh nach Dir. Es war ein trostloser, garstiger Tag gestern. Ich
will Dir trotzdem heut morgen noch schreiben, um vor Deiner Ankunft
meine Gedanken in Ordnung zu bringen. Es soll zwischen uns keinen
ungeklärten Punkt, kein trennendes Mißverständnis geben, und ich glaube
mich besser schriftlich als mündlich erklären zu können.
Ich erinnere mich nicht mehr recht meines Briefes, manche Stellen darin
sind natürlich zu schnell und zu summarisch geschrieben. Wenn ich von
einer Idee erfüllt bin, geschieht es oft, daß ich sie aus mir entwerfe
und entrolle mit mehr Leidenschaft als Pädagogik, anders ausgedrückt,
daß ich mehr für mich als für andere schreibe und gar nicht bemerke,
daß manche Punkte, die mir durchaus klar sind, für andere erst ins
Licht gerückt werden müßten.
Jedenfalls muß mir ein Zerstreuungsfehler dieser Art in meinem letzten
Schreiben unterlaufen sein, da Du daraus etwas zu entnehmen scheinst,
was mir weltweit fernsteht. Da kannst Du aber ganz ruhig sein, Liebste,
ich will versuchen, deutlicher zu sein, Du wirst dann sehen, daß mein Ideal durchaus das Deine ist.
Ja, ich erinnere mich, in der Tat gesagt zu haben, daß, vom Manne aus
gesehn, die Sache sich grundverschieden darstelle. Ich hab' es gesagt
und sage es noch einmal, unbedenklich. Nur ist da, Geliebte, eine
Verwirrung entstanden, an der zweifelsohne die allzu große Flüchtigkeit
meines Gedankenausdrucks schuld ist. Ich habe gar nicht sagen wollen,
daß der Mann, wenn er ohne Liebe heiratet, keine häßliche, keine
scheußliche Tat begeht. Ich denke im Gegenteil, daß man sich nicht
leicht einen entehrenderen und niederträchtigeren Handel vorstellen
kann.
Ich habe in meinem Brief nicht eigentlich die Ehe im Auge gehabt. Diese
ist ein hocherhabenes Sakrament, dessen tiefer Sinn auf eines der
Mysterien der Dreieinigkeit hindeutet, ist ein Geheimnis, das ohne
fürchterliches Sakrileg seiner nicht spotten läßt. Der peinliche
Irrtum, der Dich in meinen Worten an eine andere Theorie glauben ließ,
kommt halt daher, daß ich mit einem so reinen Mädchen wie Du nicht bis
ans Ende meiner Gedanken gehen wollte . . .
Jenes echt w e i b l i c h e G e f ü h l, das man die Scham
nennt, ist der Frau in besondrer Weise zugeeignet, so wie das Gefühl
der Unabhängigkeit und Freiheit die eigentliche Wesensgabe des Mannes
ist. Das Schamgefühl der Frau ist gleichsam der Widerhall der
mannestümlichen Freiheit, aber ein Widerhall, der durch ihr Geschlecht
hindurchgegangen ist . . .
Als ich schrieb, das sei für den Mann nicht von derselben Bedeutung, da
konnte ich in der Logik des Gedankenzusammenhangs lediglich den
physiologischen Akt im Auge haben, wie ihn die Selbsthingabe bedingt
auch außerhalb der Ehe; und was Dich auf die rechte Spur hätte bringen
sollen, ist das Wort "Prostitution", das in meinem Brief ständig
wiederkehrt. Wenn die Frau die Selbsthingabe ohne Liebe in der Ehe
vollzieht, so ist das eine so gottesschänderische Abscheulichkeit und
Ekelhaftigkeit, daß im Vergleich mit ihr der Zustand der Prostituierten
aus Not und Verzweiflung schon eher der Heiligkeit der himmlischen
Heerscharen ähnelt - und das ist alles, was darüber gesagt werden kann
und muß. Tut es der Mann, so ist und bleibt das immer noch eine
Ruchlosigkeit, welche die Sterne aufheulen machen müßte. Nur ist das
Attentat in diesem Fall von andrer Art, weil Frau und Mann nicht
dieselbe Sache zu geben und zu verlieren haben.
Aber noch einmal, ich hatte nicht die göttliche Einrichtung der Ehe im
Auge. Ich betrachtete ganz einfach in einer von jeder sakramentalen
Idee absehenden Weise i n s i c h einen Akt,
dem in der Menschheit eine ungeheure Bedeutung zukommt, und ich sagte
oder wollte sagen, daß der Geschlechtsakt an sich den Mann und die Frau
sehr unterschiedlich angehe und interessiere. [...]
Und jetzt muß ich Dich lassen, um mein Feuer anzuzünden. Ich bin ganz
erfroren, und ich fühle, daß mich die Kälte gehindert hat, Dir so gut
zu schreiben, wie ich gewollt hätte - obwohl mich dieser Brief schon
mehrere Stunden gekostet hat.
Auf heute abend, und das wird ja bald sein.
Dein Léon Bloy.
Anm. d. Red.: Léon Bloy
heiratete seine Jeanne (Molbech) im Frühjahr 1890. Eine seiner Töchter
war mit Prof. Othon Tichy, einem bedeutenden tschechischen Komponisten
verheiratet, dem Prof. Lauth in EINSICHT III (8)28f einen schönen
Nachruf widmete. H.H. Dr. Katzer war mit ihm eng befreundet.
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