QUELLEN DER KIRCHENMUSIK
von
H.H. Dr.theol. Otto Katzer
Tief ergriffen lausche ich dem Gang der Synagogalmusik zu. Inbrünstige
Sehnsucht nach dem Messias hebt sich zum Himmel empor, die zulet zt
fast in einen Schrei der Verzweiflung mündet: M A R A N A T H A , unser
Herr, komm!
"Der Engel Gabriel ward von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa mit
Namen Nazareth zu einer Jungfrau, die verlobt war mit einem Manne
namens Joseph, aus dem Hause Davids. Der Name der Jungfrau war Maria.
Der Engel traf bei ihr ein und sprach: 'Sei gegrüßt, du Gnadenvolle!
DER HERR IST MIT DIR! ( . . . ) Fürchte dich nicht, Maria; denn du hast
bei Gott Gnade gefunden. Siehe du wirst empfangen und einen Sohn
gebären. Dem sollst du den Namen Jesus geben. Er wird groß sein und der
Sohn des Allerhöchsten genannt werden. Gott der Herr wird ihm den Thron
seines Vaters David geben, und er wird herrschen über das Haus Jakob in
Ewigkeit, und seines Reiches wird kein Ende sein. ( . . . ) Der Heilige
Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich
überschatten. Darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird,
Sohn Gottes genannt werden.' Da sprach Maria: 'Siehe, ich bin die Magd
des Herrn; mir geschehe nach deinem Wort'" ( l ) UND DAS WORT IST
FLEISCH GEWORDEN!
"Hirten hielten auf freiem Felde Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat
ein Engel des Herrn zu ihnen, und die Herrlichkeit des Herrn umstrahlte
sie. Und sie fürchteten sich sehr. Der Engel aber sprach zu ihnen:
'Fürchtet euch nicht! Seht, ich verkünde euch eine große Freude, die
allem Volke zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der
Heiland geboren, der Messias und Herr.' ( . . . ) Alsbald gesell e sich
zu dem Engel eine große himmlische Heerschar, die Gott lobte und sang:
'Ehre ist Gott in der Höhe und auf Erden Friede den Menschen seiner
Huld.'"(2) "Es gibt noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wollte man
das im einzelnen niederschreiben, so könnte, glaube ich, die ganze Welt
die Bücher nicht fassen, die man schreiben müßte ! "(3) "0 ihr
Unverständigen und von langsamer Fassungskraft, um alles zu glauben,
was die Propheten verkündet haben! Mußte der Messias nicht dies leiden
und so in seine Herrlichkeit eingehen?"(4) "Als das Pfingstfest kam ( .
. . ) alle wurden mit dem Heiligen Geiste erfüllt. Sie begannen in
fremden Sprachen zu reden, wie der Heilige Geist ihnen das Wort dazu
verlieh! " ( 5 ) "IM ANFANG WAR DAS WORT, UND DAS WORT WAR BEI
GOTT, UND DAS WORT WAR GOTT!
Bevor wir zu unserem eigentlichen Thema kommen, müssen einige Sachverhalte geklärt sein:
Im Worte ist das Leben in seinem ewigen Dreiklang des Guten, Wahren und
Schönen. Es ist Licht der Menschen, das in der Finsternis des Lebens
jeden Menschen erleuchtet. Es ist Quelle von allem erschaffenen Sein,
welches, insofern es das ist, was es "ist" (das Schlechte ist Mangel,
also ein NichtVorhandensein, des entsprechenden Guten!), den Dreiklang
des Guten, Wahren und Schönen aufweist. Daß es nur wenige sind, die ihn
vernehmen, ändert an der Tatsache nichts, wie auch die Pracht einer
Wiese im Frühling nicht dadurch verloren geht, weil ein Blinder sie
nicht sieht. Wir leben inmitten einer wunderbaren Symphonie der
Schöpfung, welche uns jederzeit mit Freuden erfüllen würde und zum
Preis an ihren Schöpfer anspornen möchte, wenn nur unser Sein stets im
Dreiklang und auf den Dreiklang gestimmt bliebe. Erleben wir diese also
nicht; dann ist es höchste Zeit, unser Gewissen zu ersorschen. Es kann
auch sein, daß Gott uns auf die Probe stellt! Im Büchlein der ewigen
Weisheit von Heinrich Seuse lesen wir die Worte: "Verberge ich mich und
ziehe das Meine aus der (menschlichen) Seele ab, so wirst du erst inne,
wer ich bin; wer aber bist du." Die Übertragung in die moderne Sprache
raubt viel von der ursprünglichen Innigkeit: "Alle die wile liep" bi
liebe ist, so enweis liep nit, wie liep liep ist, swenn aber liep von
liep gescheidet, so emphindet erst liep, wie liep liep waz." - (Solange
der Liebende mit dem Geliebten weilt, ermißt er dessen Liebe nicht;
sind aber beide getrennt, so wird sich der Liebende erst des anderen
Liebe bewußt.)/(6) .Wir werden noch im Kapitel über die musikalische
Beurteilung der Übersetzungen darauf zurückkommen müssen, daß die
Sprache etwas mehr ist als bloße Buchstabensetzerei: nämlich eine
Symphonie von unaussprechlicher Schönheit und Tiefe.
Hiermit kommen wir auch zur zweiten Sache, dem gesprochenen Worte
Christi. Welchen Wohlklang mußte Seine Stimme nur aufweisen! Wenn wir
bedenken, daß ER, als das ewige WORT, alles mit einem Worte erschaffen
hat, dann gewinnen wir einen, wenn auch unserer allseitigen
Beschränktheit entsprechenden Einblick in die Macht des Wortes des
Gottmenschen. Wie machtlos dem gegenüber erscheinen die Worte der
Menschen, welche glauben, daß erst ihre Anhäufung der Sprache Gewicht
verleiht! Dies zeigt sich erst recht im geschriebenen Wort, welches in
gewissen Dingen das Gesprochene nie, oder nur äußerst unvollkommen, oft
irreführend, ersetzen kann. Das geschriebene Wort ist nämlich einer
Partitur gleichzustellen, die uns sehr viel sagt, aber bei weitem nicht
alles. Es ist die Aufgabe des vorführenden Künstlers in den Geist des
Geschriebenen einzudringen. Darin äußert sich seine Kunst, wie weit ihm
das gelingt. Der Leser wird nun schon leicht einsehen, warum die
heilige Kirche das Wort Gottes nur von Gott geweihten Personen (und das
auch nur noch unter ganz gewissen Bedingungen) lesen läßt. "Die
menschliche Stimme erkennen wir fast unfehlbar aus einem Tongewirr
heraus und auch die Stimmen verschiedener Menschen lassen sich in Bälde
oder sosort unterscheiden. Diese Eigenschaft beruht auf strukturellen
Verschiedenheiten im Bau des Stimmorgans"(7), und noch anderen
Ursachen, welche die spezifische individuelle Klangfarbe beeinflussen
können. (Wir werden bei der Betonung noch darauf zu sprechen kommen.)
Toscanini widmete sein ganzes Leben dem Studium von Beethoven, um ihn
zu dirigieren können. Wie muß erst recht da der Priester sein ganzes
Leben ausopfern, um das Wort Gottes verkündigen zu können. Von Christus
könnte wohl der Teufel am besten eine Rede halten, venn er es wollte,
kann aber mit keinem Worte Christus predigen! Es genügt nämlich nicht,
nur in den Bereich des Natürlichen einzudringen. Da wir es beim Worte
Gottes in erster Linie mit der Übernatur zu tun haben, muß der
Vortragende fähig sein, in diese einzudringen, soweit es ihm von Gott
gestattet wird. Daß dies ohne eine äußerste Herzensreinheit, oder
wenigstens einer aufrichtigen Sehnsucht nach ihr, nicht möglich ist,
sollte allen begreiflich sein. Analog verhält es sich auf allen
Gebieten der darstellenden Künste. So sagt Michelangelo im Gespräch mit
dem Portugiesen Franzisko de Hollanda: "Ein gutes Gemälde ist nichts
anderes als ein Abglanz der Vollkommenheiten der Werke Gottes und eine
Nachahmung seines Malens; eine Musik und eine Melodie schließlich, die
nur ein vornehmer Geist, und auch dieser nur mit Anstrengung
auszudenken vermag. Darum ist ein solches Malen so selten, daß (fast)
niemand es ausführen noch begreifen kann. Das verehrungswürdige Antlitz
des Heilands einigermaßen annehmbar wiederzugeben, ist ein so
schwieriges Unternehmen, daß es nicht genügt, wenn ein Maler ein großer
und kundiger Meister ist. Vielmehr bin ich der Ansicht auch sein
Lebenswandel müsse rein und womöglich heilig sein, damit der Heilige
Geist seine Gedanken lenke. ( . . . ) Geistliche und weltliche
Würdenträger sollten daher nur die besten Künstler in ihren Reichen und
Gebieten die Milde und Demut des Erlösers oder die Reinheit der
Jungfrau Maria nebst den Heiligen malen lassen. (...) Schlecht gemalte
Bilder zerstreuen und vernichten die Andacht, wenigstens bei solchen,
welche nur wenig davon besitzen, während Bilder, welche mit frommem
Sinne gemalt sind, sogar die weniger Frommen und zur Andacht geneigten
zu andächtiger Betrachtung und zu Tränen bewegen und mit ihrem ernsten
Ausdrucke Ehrfurcht und Scheu einflößen."(8)
Mehr als ein Gemälde sagt das Wort, weshalb ihm die größte
Aufmerksamkeit zu widmen ist. Das Gegenteil aber sindet statt: ein
jeder glaubt, geeignet zu sein über göttliche Dinge zu reden. (Sie zu
malen, das wagen nur wenige!) Die Ursache liegt darin, daß die meisten
Menschen wenig oder nichts Religiöses erleben, ja man könnte sagen, je
weniger sie erleben, um so mehr sprechen sie darüber, so oder so für
oder gegen!"Allmächtiger im Walde", ruft Beethoven aus, "ich bin selig,
glücklich im Wald: jeder Baum spricht durch dich. 0 Gott, welche
Herrlichkeit! In einer solchen Waldgegend, in den Höhen ist Ruhe, Ruhe
ihm zu dienen. Ist es doch, als ob jeder Baum zu mir spräche auf dem
Lande: heilige, heilig! Im Walde Entzücken! Wer kann alles ausdrücken!
Wenn ich dann und wann versuche, meinen aufgeregten Gefühlen in Tönen
eine Form zu geben - ach, dann sinde ich mich schrecklich getäuscht:
ich werfe mein besudeltes Blatt voll Verdruß auf die Erde und bin fest
überzeugt, daß kein Erdgeborener je die himmlischen Bilder, die seiner
aufgeregten Phantasie in glücklicher Stunde vorschwebten, durch Töne,
Farbe oder Meißel darzustellen im Stande sein wird.
Was ist das alles gegen den großen Tonmeister oben - oben - oben - und
mit recht allerhöchst, wo hier unten nur Spott damit getrieben wird -
die Zwerglein allerhöchst!? Wenn ich am Abend den Himmel staunend
betrachte und das Heer der ewig in seinen Grenzen sich schwingenden
Lichtkörper, Sonnen oder Erden genannt, dann schwingt sich mein Geist
über diese so viel Millionen entfernten Gestirne hin zur Urquelle, aus
welcher alles Erschaffene strömt und aus welcher ewig neue Schöpfungen
entströmen werden.
Ja, von oben muß es kommen, das, was das Herz treffen soll; sonst sinds
nur Noten, Körper ohne Geist. Was ist Körper ohne Geist? Dreck oder
Erde. Der Geist soll sich aus der Erde erheben, worin auf eine gewisse
Zeit der Götterfunke gebannt ist, und ähnlich dem Acker, dem der
Landsmann köstlichen Samen anvertraut, soll er aufblühen und viele
Früchte tragen und also vervielfältigt hinauf zur Quelle emporstreben,
woraus er geflossen ist. Denn nur durch beharrliches Wirken mit den
verliehenen Kräften verehrt das Geschöpf den Schöpfer und Erhalter der
unendlichen Natur - Höheres giebt es nichts, als der Gottheit sich mehr
als andere Menschen nähern und von hier aus die Strahlen der Gottheit
unter das Menschengeschlecht verbreiten. "(9)
Musik und Gesang erweist sich als die schöpferische Höchstleistung des
Menschen. Nie dürfen wir aber vergessen, daß das gesprochene Wort ihre
erste Stufe bildet. Welches war wohl das erste Wort, welches aus dem
Munde des ersten Menschen erklang? Erklang, also klangvoll war! War es
nicht VATER? Eine ehrfurchtsvolle, anbetende Symphonie, die allein von
dem "Vater unser" unseres Heilandes übertroffen wurde!
Wenn wir betonen mußten, daß das Wort Gottes, wenn es vorgetragen wird,
sich aus dem Erlebnis gestalten muß, ist hiermit klar gesagt, daß beide
Gebiete aus welchen es stammt, das Übernatürliche und Natürliche, voll
erfaßt werden müssen, soweit es für einen Menschen überhaupt erreichbar
ist. Für den Priester mehr als für den Dichter und Tondichter gelten
die mahnenden Worte des tschechischen Literaturkritikers Salda: "Seid
aufrichtig bis auf das äußerste, und lüget dort nichts vor, wo ihr
nichts erlebt. Wenn ihr nicht religiös denkt, wenn ihr nicht religiös
lebenskräftig schafft, dann sprechet keinen Buchstaben von diesen
Worten aus, sonst würdet ihr nur die religiöse Fäulnis vermehren, die
sowieso schon so groß i s t , daß nicht nur die Erde, sondern bereits
auch der Himmel von ihr angegriffen ist!"(lo)
Es schaudert einem förmlich wenn man so manche gelehrte Bibelkritik in
die Hand bekommt, aber noch mehr, wenn man einen Vortrag aus diesem
Gebiete hört! Welch ein Gerassel und Geprassel von leeren Worten! Wie
oft nur wird da das Wort mißbraucht, was noch abscheulicher ist: das
Wort Gottes; ja der Name Gottes selbst!
"Einmal im Jahre", erzählt eine chasichsche Parabel, "zu einer
bestimmten Stunde, pflegten die vier größten Heiligkeiten
zusammenzukommen. Das war am Versöhnungstage, wenn der Hohepriester
nach dem allerheiligsten Orte kam und da den Namen Gottes aussprach.
Und da dieser Augenblick unermeßlich heilig und fruchtbar war, war er
zugleich der gefährlichste, sowohl für den Hohenpriester, als auch für
das gesamte Volk Israel. - Wenn in diesem Augenblick dem Hohenpriester
- was Gott verhüten möge - ein sündiger oder fremder Gedanke gekommen
wäre, so wäre die Welt vernichtet worden.
Jeder Ort, an dem ein Mensch den Blick zum Himmel erhebt, ist dem
Allerheiligsten des Tempels gleich. Jeder Mensch, den Gott nach seiner
Gestalt geschaffen hat, ist wie ein Hoherpriester, jeder Tag des
Menschenlebens ist ein Versöhnungstag und jedes Wort, das ein Mensch
aufrichtig ausspricht, ist wie der Name Gottes. Darum zieht jede Sünde
und jedes Vergehen eines Menschen den Sturz der Welt nach sich."(11)
Das mag vielen etwas überspitzt vorkommen, aber schlägt uns in
Anbetracht des weltweiten Mißbrauches des Wortes, nicht das Gewissen?
Ist es nicht unser Ich, welches aus allen unseren Reden hervorklingt?
Gerade dieses müssen wir aber vergessen, wenn wir das Wort Gottes
erfassen wollen.
(Fortsetzung solgt)
ANMERKUNGEN:
(1) Luk. 1,26-38.
(2) Luk. 2,8-14.
(3) Joh. 21,25.
(4) Mark. 24,27.
(5) Apostg. 2,1-4.
(6) Heinrich Seuse, Deutsche mystische Schristen, Kap.9,S.242, Patmos, Düsseldorf 1966.
(7) Dr. Seb. Killermann, Stimme und Sprache, S.55, Pustet, 19lo(Sammlung Kirchenmusik).
(8) zitiert bei Joseph Schnitzer, Savonarola 11,834. Ernst Reinhard, München 1924.
(9) Beethovens Denkmal im Wort, von Richard Benz, S. 75ff, Piper, München.
(10) F.X. Salda, Studie o umenÌ a basnÌcÌch, S.35, Melantrich, Prag.
(11) Thieberger, Jüdisches Fest, Jüdischer Brauch. S.19/', Chasichsche Parabel An-ski. |