Vor 50 Jahren:
Weihnachtsbotschaft Papst Pius' XII.
an die Gläubigen und die Völker der ganzen Welt vom 23. Dez. 1956
Weihnachtswunsch
Das unerschöpfliche Weihnachtsgeheimnis will wiederum den Erdenkindern
kundgetan werden, die, heute vielleicht mehr denn je, nach Wahrheit und
Sicherheit dürsten. Der geheimnisvolle Schimmer, der in der Heiligen
Nacht von der armseligen Wiege des Sohnes Mariens ausstrahlte, und die
Engelchöre, die den Frieden kündeten, werden in den Herzen wieder zum
Leben erweckt durch den Glanz und die Melodien der heiligen Riten und
richten erneut an die heutige, durch so viele fehlgeschlagene
Hoffnungen enttäuschte Menschheit die Enladung von oben, im Geheimnis
Gottes die Klarheit und in der Liebe, Gottes das Leben zu suchen.
Könnten doch alle Menschen die himmlische Einladung annehmen und mit
der vertrauenden Aufrichtigkeit der Hirten, denen zuerst das
Weihnachtsgeheimnis geoffenbart wurde, zueinander sagen: "Laßt uns nach
Bethlehem eilen und schauen, was geschehen ist und was der Herr uns
kundgetan hat!" (Lk 2, 15) Das heutige Geschlecht, wie die anderen, die
ihm vorausgegangen und denen weder die Qual der nicht-erkannten
Wahrheit noch die Not furchtbarer Ereignisse erspart blieben, würde
dann von der Wiege des Erlösers heimkehren Gott preisend und lobend,
weil auch für es Christus der einzige Retter ist.
Dies sei also, geliebte Söhne und Töchter, ist der Weihnachtswunsch,
den Unser Vaterherz, betrübt, aber nicht niedergeschlagen, euch
entbieten möchte in diesem Jahr, in dem dräuende Stürme von neuem die
Friedenszeichen am Horizont verwirrten. Den schon wieder entsetzten
Menschen, die in der Nacht Ausschau halten nach einem Streifen von
Licht und Helle, zeigen Wir die göttliche Wiege von Bethlehem, von wo
noch die Botschaft der sicheren Hoffnung widerhallt: "Erunt prava in
directa, et aspera in vias planas", "was krumm ist, soll gerade, was
uneben ist, soll ebener Weg werden" (Lk 3, 5).
Der Widerspruch, der die Menschheit von heute bedrückt
Ohne Zweifel lastatet der Druck eines offensichtlichen Widerspruchs auf
der Menschheit des 20. Jahrhunderts und verletzt sie sozusagen in ihrem
Stolz: auf der einen Seite die erwartungsvolle Zuversicht des modernen
Menschen, des Schöpfers und Zeugen der "zweiten technischen
Revolution", die glaubte, eine Welt der Fülle an Gütern und Leistungen,
eine Welt frei von Armut und Unsicherheit schaffen zu können, auf der
anderen Seite die bittere Wirklichkeit der langen Jahre von Not und
Trümmern mit der daraus folgenden, in den letzten Monaten noch
verschärften Furcht, es werde nicht gelingen, auch nur einen
bescheidenen Anfang dauerhafter Eintracht und Befriedung zustande zu
bringen. Etwas ist also im Gesamtgetriebe des modernen Lebens nicht in
Ordnung, und ein wesentlicher Irrtum muß an seiner Wurzel nagen. Aber
wo verbirgt er sich? Wie und von wem kann er verbessert werden? Mit
einem Wort: wird es dem Menschen von heute gelingen, den beängstigenden
Widerspruch, dessen Urheber und Opfer er ist, vor allem innerlich zu
überwinden?
Haltung der Christen im gegenüber...
Die Christen sind überzeugt, ihn überwinden zu können, indem sie, fest
auf dem Boden der Natur und des Glaubens stehend, ebenso mutig wie
reiflich die in Frage kommenden Werte, und zwar an erster Stelle die
inneren Werte überprüfen. Ihr Realismiis, der sich auf das gesamte
Dasein erstreckt und die Erfahrungen der Vergangenheit nicht übersieht,
gibt ihnen die Überzeugung, daß sie sich nicht in ungünstigeren
Verhältnissen befinden als ihre Vorfahren, diesen ist es in gleicher
Weise gelungen, im Glauben die Gegensätze ihrer Zeit innerlich zu
überwinden. Sie sind überzeugt: gerade der heutige Widerspruch bietet
den Beweis für den tiefen Riß zwischen dem Leben und dem christlichen
Glauben, und dieses Übel gilt es vor allem zu beheben.
... und die Haltung der Menschen ohne Religion
Sehr verschieden ist hingegen die Meinung nicht weniger anderer, die
zwar erbittert sind über den Widerspruch, aber nicht daran wollen, auf
den Traum von der Allmacht des Menschen zu verzichten; sie möchten auch
jene Werte einer Überprüfung unterziehen, die nicht in ihrer Gewalt
liegen, die sich der Herrschaft der menschlichen Freiheit entziehen,
wie die Religion und das Naturrecht. Kurz, sie denken und lehren, daß
der abgründige Widerspruch unserer Zeit vom Menschen selbst, ohne Gott
und ohne Religion, behoben werden kann. Er kann es freilich nicht - so
sagen sie -, solange der moderne Mensch, in einem Schöpfer und Geschöpf
der technischen Epoche, auf seinem neuen Weg nicht bis zum Letzten
geht. Er muß - so fügen sie hinzu - bestehen auf dem begonnenen Werk
der Ausdehnung seiner Macht über das Sein, ohne sich Grenzen zu
stecken, und ohne Rücksicht auf die Religion und auf die sich aus ihr
ergebende Anschauung über Mensch und Welt. Im Stehenbleiben auf halbem
Weg, gewissermaßen, als im Suchen nach einem Ausgleich zwischen
Religion und technischem Denken sehen sie den Fehler in der Grundlage
und die Wurzel des heutigen Widerspruchs. Mit anderen Worten: sie
verzichten auf die Einladung des Himmels, sich nach Bethlehem zu
begeben, wo der Mensch, nur dort, verstehen lernen kann, "was geschehen
ist und was der Herr uns kundgetan hat", nämlich unsere allumfassende,
totale und objektive Wirklichkeit.
Doch der Mensch der "zweiten technischen Revolution" kann den Ruf
Gottes nicht zurückweisen, ohne damit den Widerspruch und seine Folgen
zu verschärfen. Die Einladung zur Wahrheit und die Verheißung des
"Friedens auf Erden" gilt auch für ihn. In Anbetung gebeugt vor der
Wiege des Gottmenschen, wird er die ganze Wahrheit und folglich den
Einklang seines Universums sehen. Im menschgewordnen Sohn Gottes wird
er gewiß die Würde der menschlichen Natur erkennen, aber auch deren
Grenzen, er wird erkennen, daß der tiefe Sinn des Menschenlebens und
der Welt nicht auf berechenbaren Formeln und Gesetzen beruht, sondern
auf der freien Tat des Schöpfers, er wird sich davon überzeugen, daß er
nur dann wahrhaft "Licht" und "Leben" besitzt, wenn er sich an die
Wahrheit bindet wie an etwas Absolutes, das in seiner Fülle zum ersten
Male in Bethlehem aufleuchtete. Über diese dreifache Erkenntnis wollen
Wir jetzt mit euch reden.
I. Würde und Grenzen der menschlichen Natur
Erkenntnis und Bejahung
Der erste Schritt zur innerlichen Überwindung des heutigen Widerspruchs
geht aus von der Erkenntnis und Bejahung der menschlichen Wirklichkeit
in ihrem ganzen Umfang. Auf dem Weg zur Besitznahme dieser Wahrheit,
auf dem das antike Denken nur mit Mühe vorwärtskam, bewegt sich der
Gläubige ungehindert, da der Glaube ihm die Bahn freimacht: er nimmt
die Vorurteile und Hemmungen weg, wie etwa das Mißtrauen des Skeptikers
oder die Engbrüstigkeit des Rationalisten, die jedes Vorankommen zum
Licht behindern. Frei im Geiste und für jede mögliche Größe
aufgeschlossen, braucht der Christ sich nur zur Wiege von Bethlehem zu
neigen, um die Wahrheit über die menschliche Natur zu erfahren, die,
wie in einer sichtbaren Synthese, im neugeborenen Sohne Gottes
zusammengedrängtist. Der Ursprung, das Wesen, die Bestimmung und die
Geschichte des Men-schen sind gebunden an dieses Kind, schon an die
Tatsache seiner Geburt in unserer Mitte. Seine kindlichen Laute sind
gleichsam die Erzählung unserer Geschichte, und ohne Kenntnis der
letzteren bliebe die Natur des Menschen ein undurchdringliches Rätsel.
Kraft und Schwäche der Menschennatur
Vor der Krippe des Erlösers erkennt der Gläubige in der Tat die
ursprüngliche, aus Gnade geschenkte und nicht geschuldete Güte und
Kraft des Menschen im Paradiesesglück; er denkt aber auch nach über
seine Schwäche, die sich zuerst in der Sünde der Ureltern äußerte und
dann die schmerzliche Erbschaft war, die ihn, zusammen mit dem
unablässigen Fluß anderer Verfehlungen, begleitete den ganzen
nachfolgenden Lauf entlang auf einer ihm gewissermaßen feindlich
gewordenen Erde.
Die Erbschuld
Über seine Macht nachsinnend, weiß der Christ: die Herrschaft des
Menschen über die Dinge und Kräfte der Natur wäre, wiederum durch
göttliche Gnade, an sich nur zur Wohltat und nicht zur Gefahr für die
menschliche Gesellschaft ausgeübt worden, und deren Geschichte hätte,
ebenfalls aus Gnade, ihren Anfang genommen ohne Bedrückung durch Not
und Elend, vielmehr in der freien Entfaltung der Kräfte und unter
günstigen Voraussetzungen für den weiteren und höchsten Fortschritt.
Dennoch weiß der in Anbetung vor dem neugeborenen Sohn Gottes Stehende
auch, daß die Erbschuld und ihre Folgen den Menschen nicht der
Herrschaft über die Erde beraubten, wohl aber der Sicherheit in ihrer
Ausübung; gleichfalls weiß er, daß mit dem auf die erste Schuld
gefolgten Verfall weder die Fähigkeit noch die Bestimmung des Menschen,
Geschichte zu gestalten, zerstört wurden, daß aber sein Weg sich
hinziehen würde als mühsames Voranschreiten unter einer Mischung von
Vertrauen und Angst, von Reichtum und Elend, von Aufstieg und Absinken,
von Leben und Tod, von Sicherheit und Ungewißheit, bis zur letzten
Entscheidung an den Toren der Ewigkeit.
Das Werk der Erlösung
An der Krippe des neugeborenen Sohnes Gottes entdeckt der Gläubige
nicht nur seine Vergangenheit und den gegenwärtigen Stand seiner
Natur, er lernt auch seine neue Bestimmung, das Werk einer unendlichen
Liebe, verstehen, und wie er die verlorenen Höhen wiedergewinnen kann.
Er weiß ja, daß in jener Wiege der menschliche und göttliche Retter
liegt, sein Erlöser, der inmitten der Menschen erschienen ist, um die
tödlichen durch die Sünde ihren Seelen zugefügten Wunden zu heilen, um
die Würde der göttlichen Kindschaft wiederherzustellen und die Kräfte
der Gnade zu verleihen, damit sie, wenn nicht immer äußerlich, doch
wenigstens innerlich die allgemeine durch die Erbsünde hervorgerufene
und durch die persönliche Schuld erschwerte Unordnung überwinden.
Die Würde der menschlichen Natur und ihre Grenzen
Auch die innere Überwindung, zu der die göttliche Gnade unerläßlich
ist, vollbringt der Christ durch das Wissen um die wahre, durch
Christus erlöste menschliche Natur, ihre Würde und ihre Grenzen.
Seht ihn am Werk und schaut, wie er sich dieses Wissens zu bedienen
versteht als der "Wahrheit, welche die Menschen frei macht" (vgl. Joh
8, 32), als eines festen Halts im Leben, auch wenn schwierige oder gar
tödliche Umstände ihre äußere Überwindung verhindern. In Lagen
versetzt, die andere häufig zur Empörung gegen das Leben selbst zu
verleiten pflegen, wird der Christ nichts von Gott verlangen noch
wünschen, was er nicht der absoluten Weisheit und Güte des göttlichen
Wollens unterordnete. Und während er es vernünftig und recht findet,
daß Gott nicht verpflichtet sei, die beste aller möglichen Welten zu
schaffen, schöpft er Trost aus dem Gedanken, daß der gleiche Gott als
liebevoller Vater sich das Maß der Gnade und der anderen Hilfen für die
Menschen nur von der unendlichen Heiligkeit und Gerechtigkeit seines
immer wohlwollenden Willens vorschreiben läßt, dessen Absicht es ist,
daß alle Menschen in Freiheit ihr ewiges Ziel erreichen können.
Wie wird dann der Gläubige sich verhalten müssen angesichts des
bedrückenden Widerspruchs, der auf der modernen Welt lastet und von dem
Wir soeben sprachen? Obgleich er sich im glücklichen Besitz aller zu
dessen Beherrschung im eigenen Inneren geeigneten Elemente befindet,
könnte er doch nicht, noch dürfte er sich davon entbunden halten, auch
zu dessen äußerer Lösung beizutragen. Deshalb weird es erste Pflicht
des Christen sein, den modernen Menschen dahin zu bringen, daß er die
menschliche Natur weder mit systematischem Pessimismus noch mit
unbegründetem Optimismus betrachte, wohl aber die wirklichen Ausmaße
ihrer Macht erkenne. Er wird außerdem bei allen, welche die "zweite
technische Revolution" miterleben, sich um Verständnis bemühen dafür,
daß sie einer Befreiung von der Last der Religion nicht bedürfen, um
den Widerspruch zu überwinden, ja ihn überhaupt nicht mehr zu
empfinden. Im Gegenteil, gerade die christliche Religion rückt den
Widerspruch in jenes Licht, welches das Wahre vom Falschen zu trennen
und allen, die unter seinem Druck leiden, den einzigen Ausweg zu bieten
weiß, ihm ohne Erschütterung und Zusammenbruch zu entgehen.
Falsche Auffassung von der Sünde und ihre Folgen
Um dieser Pflicht in erleuchteter Liebe nachzukommen, ist es dem
Christen dienlich, ganz greifbar die nichts weniger als realistische
Auffassung des sog. modernen Menschen von der Sünde zu kennen. Jene,
die in ihrer Weltanschauung den Begriff der Erbschuld und persönlichen
Sünde mit ihren Folgen nicht dulden, können doch wieder die
Erfahrungstatsache nicht übersehen, daß der Mensch auch für sittliches
Versagen anfällig ist. Nun schreiben sie die verderbten Neigungen
ausschließlich einer krankhaften Anlage, einer funktionellen Schwäche
zu, die an sich heilbar seien. Und sie versichern, es werde zu einer
vollkommenen Heilung der gegenwärtigen, Unzulänglichkeiten kommen,
sobald die Gesetze vollständig bekannt seien, denen der Mensch in
seinen Beziehungen zur Umwelt und bis in die Tiefen seiner Seele
unterworfen, ist.Man braucht darum - so fügen sie bei - nurauf den Tag
zu warten, da aus der vollen Kenntnis des inneren Mechanismus des
Menschen die Heilkunst erwachsen wird, die seine krankhaften sittlichen
Anlagen zu heilen imstande ist. Wie die heutige Mächtigkeit über die
Außenwelt, die Frucht der vertieften Erkenntnis der sie beherrschenden
Gesetze, jede Konstruktion technisch möglich macht, so liegt kein Grund
vor, an einem gleichen Erfolg bei Regulierung der sittlichen Struktur
des Menschen zu zweifeln. Warum sollte - so fragen sie - ausschließlich
der Mensch die einzige hoffnungslose und unüberwindbare
Fehlkonstruktion sein?
... im Begriff des Verbrechens und der Strafe...
Aus einer solchen Verfälschung der Wirklichkeit ergeben sich heute
schon bedauernswerte Folgen. Die allgemein beklagte weichliche
Erziehung, die übertriebene Nachsicht gegenüber dem Verbrechen, das
Schweigen zur Schuld und die Abneigung vor dem Begriff der Strafe,
selbst der gerechten, sind die unmittelbaren Folgen von einem
Menschenbild, in dem alles an sich gut ist und alles Versagen so
behaupten sie - nur daher kommt, daß man den Menschen den
Funktionszusammenhängen, denen er mit seiner Umwelt untersteht, nicht
richtig anzupassen weiß.
...in den Fragen des gesellschaftlichen und staatlichen Lebens
Dasselbe Schema wenden die gleichen Verfechter auch auf die Fragen des
gesellschaftlichen Lebens an. Gegenüber den beängstigenden Problemen
der modernen Demokratie ist - nach ihrer Ansicht - nicht das Gewissen
und das sittliche Bewußtsein der Menschen zur Rechenschaft zu ziehen,
wohl aber ihr einstweiliges konstruktives Unvermögen, ein Unvermögen,
das einerseits wieder ein Ergebnis der Unwissenheit und der Weigerung
ist, mit dem Gutsein des Menschen, das schließlich allen eignet, ernst
zu machen. Darum werden - so fügen sie bei - mit einer sich immer mehr
vertiefenden Kenntnis der Naturgesetze, die den Menschen und seine Welt
beherrschen, die guten Eigenschaften aller zur Geltung kommen, und die
Zuständigkeit und Verantwortung wird sich auf viele, ja eigentlich auf
alle verteilen. Wie soll man sich nun aber trotzdem verhalten gegenüber
dem Versagen, welches das gesellschaftliche und staatliche Leben
aufweist: Anonymität der Macht, Vermassung, unsicheres Gleichgewicht
der Kräfte, die in der Gesellschaft im Spiel sind? Die Anhänger des
sogenannten Realismus versichern, es werde zur Ausmerzung solchen
Versagens genügen, den Grundsatz der persönlichen Verantwortung und des
Gleichgewichts der Kräfte in den gewissermaßen maschinellen und rein
funktionellen Zusammenhang gesellschaftlichen Lebens
hineinzukonstruieren. Und sie wiederholen: Wie dem verbreiterten Wissen
um das Gesetzmäßige und Funktionelle der Außenwelt die kühnsten
technischen Leistungen folgten, so wird auf dem Gebiet des sozialen
Gefüges eine vermehrte Kenntnis der seinen Mechanismus ordnenden
Gesetze genügen, um zur Bildung einer vollkommenen Gesellschaft zu
gelangen.
Der wahre christliche Realismus
Aber sind wirklich Erwartungen zu rechtfertigen, gegründet auf eine
Auffassung, die sich zwar selbstbewußt als realistisch ausgibt, die
aber beweist, daß sie die menschliche Natur überhaupt nicht kennt? Ist
es wirklich wahr, das ihre sogenannte Anfälligkeit für das Böse weiter
nichts ist als ver-besserungsfähige Defekte eines gesetzmäßigen
Ablaufs, nichts anderes als Schäden an einer Maschine oder einem
Apparat, die sich durch fortgeschrittenes technisches Wissen beheben
lasgen! Wahrheitsgemäß zugegeben, daß der Mensch in viele natürliche
Abläufe und Funktionszusammenhänge hineingestellt ist - er bleibt doch,
im Gegensatz zum Stoff, zur Pflanze und zum Tier, über ihnen, und bei
allem Wissen um ihren Sinn und ihre Bedeutung wird er immer ihr Herr
sein, der sie in freier Ursächlichkeit so oder so in den Lauf der
Ereignisse einschaltet. Der Mensch beherrscht jene Abläufe und
Zusammenhänge, weil er vor allem ein geistiges Wesen ist, eine Person,
Subjekt freien Tuns und Lassens und nicht nur Knotenpunkt im Ablauf
jener Naturvorgänge. Darin liegt seine Würde, aber auch seine
Begrenzung. Deshalb ist er fähig, das Gute, aber auch das Böse zu tun,
fähig, alle die Möglichkeiten und positiven Anlagen seines Seins zu
verwirklichen, aber auch sie zu gefährden. Nun, gerade dieses Risiko,
das wegen der hohen Werte, um die es geht, im 20. Jahrhundert sehr
weite Ausmaße angenommen hat, schafft und erklärt den von den
Zeitgenossen aufgezeigten beängstigenden Widerspruch. Es gibt kein
anderes Mittel zu seiner Überwindung als die Rückkehr zum wahren, dem
christlichen Realismus: er umfängt mit der gleichen Sicherheit die
Würde des Menschen, aber auch seine Grenzen, die Fähigkeit zur
Selbstbeherrschung, aber auch die Wirklichkeit der Sünde.
Der falsche Realismus in seinen Anwendungen: in der privaten und öffentlichen Sittlichkeit, auf dem Gebiet der Erziehung ...
Nicht so jener falsche Realismus, auf dessen verhängnisvolle
Anwendungen, die eine und die andere, Wir hindeuten möchten. Es ist
klar, daß er die private und öffentliche Sittlichkeit in ihrer Wurzel
bedroht, da er ja die Begriffe Gewissen und Verantwortung ihres ganzen
positiven Wertes entkleidet und den Begriff freier Wille schwächt.
Ebenfalls schädlich sind die Folgen auf dem Gebiet der Erziehung, wie
schon jetzt da hervorzuheben ist, wo sie den mehr oder minder
verhüllten Einfluß des falschen Realismus zu spüren bekommt: Schulen,
die sich überhaupt keine oder höchstens eine untergeordnete
erzieherische Aufgabe stellen; Eltern, denen es moralisch unmöglich
gemacht ist, die Kinder durch Beispiel und Führung richtig zu erziehen,
dies alles ist noch mehr der Grund des heute offen beklagten Versagens
der Erziehung als die auch nicht zu übersehenden Fehler und Vergehen
der Kinder selbst. Wie der reief Mensch, so müßten Erzieher und Kinder
in der Vorbereitung auf das Leben zurückkehren zum Bekenntnis der
Wirklichkeit der Sünde und der Gnade, sie dürften aber nicht hinhören
auf das Gerede von bloßer, medizinisch u. psychologisch heilbarer
Anfälligkeit.
... und im Aufbau der heutigen 'Demokratie
Eine noch umfangreichere Anwendung findet der falsche Realismus im
Aufbau der heutigen Demokratie, ihre Unzulänglichkeit will man, wie
Wir andeuteten, ableiten von bloßen Baufehlern der Institutionen, die
der noch mangelhaften Kenntnis der Naturvorgänge und der
Funktionszusammenhänge des gesellschaftlichen Mechanismus zuzuschreiben
seien. Nun hängen auch der Staat und seine Form ab von der sittlichen
Beschaffenheit der Bürger, besonders heute, wo der moderne Staat, im
Hochgefühl seiner technischen und organisatorischen Möglichkeiten,
leider zu sehr dazu neigt, dem einzelnen die Sorge und Verantwortung
für sein Leben durch öffentliche Einrichtungen abzunehmen. Eine so
angelegte moderne Demokratie wird darum überall fehlschlagen, wo sie
sich nicht mehr an die sittliche Verantwortung der einzelnen Bürger
wendet oder wenden kann. Aber selbst wenn sie es wollte, wäre sie nicht
mehr imstande, es mit wirklichem Erfolg zu tun - denn sie fände
nirgends mehr ein Echo, wo der Sinn für das wahre Wesen des Menschen,
das Bewußtsein der Würde der Menschennatur und ihrer Grenzen im Volke
nicht mehr lebendig sind. Man sucht das gutzumachen durch große
Reformen des Institutionellen, nicht selten auch, noch in zu großem
Ausmaß oder auf falscher Grundlage; die Verbesserung der Institutionen
ist aber nicht so dringend wie die der Sitten. Diese wiederum kann nur
durchgeführt werden auf der Grundlage des wahren Wesens des Menschen,
und dieses lernt man mit frommer Demut an der Krippe von Bethlehem
kennen. Auch im Leben der Staaten haben die sittliche Kraft und
Schwäche der Menschen, Sünde und Gnade einen entscheidenden Anteil. Die
Politik des 20. Jahrhunderts kann es nicht leugnen, sie kann aber auch
nicht dulden, daß man im Namen eines durch die Tatsachen nicht
gerechtfertigten Laizismus darauf besteht, den Staat von der Religion
zu trennen.
II. Die freie Tat und die menschliche Wirklichkeit
Der zweite Irrtum des sogenannten realistischen Denkens, der dem
heutigen - Widerspruch zugrunde liegt, besteht in dem Anspruch, eine
vollständig neue Gesellschaft zu gründen, ohne Rücksicht auf die
geschichtliche Wirklichkeit des Menschen, und ebensowenig auf seine sie
bestimmenden freie Tat oder auf die Religion die diese Freiheit nährt
und sich für sie einsetzt. Unmoglich alle Folgen dieses Irrtums
vorauszusehen, die unmittelbarste wird aber die Vernichtung der bereits
so schwankenden und dabei von der Welt heiß ersehnten Sicherheit sein.
Die drei wesentlichen Werte: geschichtliche Wirklichkeit, freie Tat und
Religion - ihre Ablehnung durch das "realistische" Denken
Die Ablehnung der drei Werte - geschichtliche Wahrheit, freie Tat und
Religion - Ballast, der das Schiff des modernen Fortschritts auf seiner
Fahrt hemmt und behindert, ist eine Folge der von Uns angedeuteten
Äußerung jenes realistischen Denkens, das für die Macht des Menschen
keine Grenzen zuläßt, auf alles die technische Methode anwendet und
volles Vertrauen auf das technische Wissen setzt.
Der Mensch als unabhängiger Schöpfer einer neuen Gesellschaft nach technischem Verfahren
Das Vorrecht der Menschheit des gegenwärtigen technischen Zeitalters -
so behauptet man - besteht in der Möglichkeit, die Gesellschaft mit
Hilfe jenes fortschrittlichen technischen Wissens immer wieder neu
aufbauen zu können, ohne sich von der Vergangenheit belehren lassen zu
müssen. Sie würde sogar mit ihren Vorurteilen aller Art, besonders aber
der religiösen, das Vertrauen schwächen und seine schöpferische Kraft
dämpfen. Der moderne Mensch, dessen sich wohl bewußt und stolz darauf,
in dieser Welt wie in einem Haus zu leben, das er, und zwar er allein,
erstellt, spricht sich die Aufgabe des Schöpfers zu. Das, was früher
einmal war, interessiert ihn nicht und behindert ihn nicht. Die ganze
Welt wird für ihn zu einem Laboratorium, in dem er nach streng
mathematischem Zusammenhang immer wieder die Naturkräfte neu verbindet,
dosierend verteilt, das Geschehen gestaltet und vorausbestimmt.
Zweifellos stellen sich dabei noch Rückschläge ein, es gibt noch Fälle,
in denen die Natur dem Willen und den Plänen des Menschen zu
widerstehen scheint und auf ein Ganzes hinweist, das nur auf Kosten
ernster Folgen, wenn nicht gar von Katastrophen, in letzte Teile
zerlegt werden kann.
Es ist darum kein Wunder, daß der moderne Mensch in der Berührung mit
dem sozialen Leben handelt wie ein Techniker, der nach Zerlegung der
Maschine in ihre allerletzten Bestandteile sich anschickt, sie nach
eigenen Plänen wieder aufzubauen. Da es sich aber um gesellschaftliche
Realitäten handelt, stößt sein Bestreben, ganz neue Dinge zu schaffen,
auf ein unüberwindliches Hindernis, nämlich die menschliche
Gesellschaft selbst mit ihren durch die Geschichte geheiligten
Ordnungen. Das gesellschaftliche Leben ist tatsächlich ein Etwas, das
allmählich geworden ist unter vielen Schwierigkeiten und wie durch
aufeinander folgende Schichten der aufbauenden Beiträge der vergangenen
Geschlechter. Nur wenn die neuen Fundamente auf diese festen Schichten
gelegt werden, ist es möglich, wieder etwas Neues zu schaffen. Die
Herrschaft der Geschichte über die gesellschaftliche Realitäten der
Gegenwart und der Zukunft ist einfach unantastbar, sie kann auch von
dem nicht außer acht gelassen werden, der darangehen will, sie zu
verbessern und den neuen Zeiten anzupassen. Aber die vorgeblichen
Realisten richten in der Absicht, um jeden Preis den Widerstand der
geschichtlichen Wirklichkeit zu brechen, ihre Zerstörungswut gegen die
Religion: sie ist nach ihnen schuld, die Vergangenheit und insbesondere
deren minderwertigste Formen geschaffen zu haben und am Leben erhalten
zu wollen, schuld vor allem, das gesellschaftliche Denken des Menschen
in absoluten und darum unveränderlichen Formen festzulegen. Sie bildet
mithin ein Hindernis auf dem Weg in die Zukunft und ist darum zu
beseitigen.
Das Christentum vor der Gegenwart und der Zukunft der menschlichen Gesellschaft
Ohne Zweifel anerkennt und achtet die christliche Religion die
Herrschaft der Geschichte über Gegenwart und Zukunft der menschlichen
Gesellschaft; denn alles, was echte Realität ist, kann der gläubige
Mensch nicht leugnen noch zurückweisen. Er weiß, daß nicht ein sich mit
mechanischer Notwendigkeit abspielender Vorgang die Grundlage der
menschlichen Wirklichkeit und Gesellschaft bildet, sondern die freie
und stets gütige Tat Gottes wie das freie Tun der Menschen, ein Tun,
beseelt von Liebe und Treue überall dort, wo die Menschen sich an
Gottes Ordnung halten. So wird in der Krippe von Bethlehem der tiefe
Sinn der Geschichte des Menschen, seiner Vergangenheit und seiner
Zukunft, wirklich körperhaft und umfängt seine, wenn auch traurige
Gegenwart, welche der Christ zu meistern bereit ist, in der tröstlichen
Überzeugung, sicher und geborgen zu sein.
Die Sicherheit und ihre Grundlegen
Die Sicherheit! Die lebendigste Sehnsucht der Mitmenschen! Sie erbitten
dieselbe für die Gesellschaft und ihre Einrichtungen. Die vorgeblichen
Realisten dieses Jahrhunderts haben aber bewiesen, sie nicht geben zu
können, gerade weil sie sich an die Stelle des Schöpfers setzen und zu
Herren der Schöpfungsordnung machen wollen. Statt dessen lehren die
Religion und die Wirklichkeit der Vergangenheit, daß die
gesellschaftlichen Grundformen, wie Ehe und Familie, Gemeinde und
berufliche Gemeinschaft, soziale Verbundenheit aus persönlichem
Eigentum Kernzellen bilden, welche die Freiheit des Menschen und damit
seine Aufgabe in der Geschichtt sichern. Sie sind darum unantastbar,
und ihr wesentlicher Inhalt darf keiner willkürlichen Überprüfung
unterzogen werden.
Die menschliche Gesellschaft und ihr wahrer und höchster Ordner
Wer wirklich Freiheit und Sicherheit sucht, muß die Gesellschaft ihrem
wahren und höchsten Ordner zurückerstatten und sich überzeugen, daß ihm
nur der Begriff der von Gott abgeleiteten Gesellschaft in Ausführung
seiner wichtigsten Unternehmen Schutz gewährt. Der theoretische oder
auch der praktische Atheismus derer, welche die Technologie und den
mechanischen Ablauf des Geschehens vergötzen, wird schließlich
notwendig zum Feind der wahren menschlichen Freiheit, denn er verfährt
mit dem Menschen, wie mit den leblosen Gegenständen im Laboratorium.
Diese Überlegungen liegen viel weniger außerhalb der Wirklichkeit und
fern von ihr, als es scheinen mag. Wir wünschen darum, sie möchten dort
beachtet werden, wo man an die Hebung der wenig entwickelten, der
sogenannten Notstandsgebiete denkt. Die Sorge um Verbesserung der
bestehenden und für eine Hebung empfänglichen sozialen Einrichtungen
ist sicher lobenswert, aber es wäre ein Irrtum, unter dem Einfluß der
Technik und der modernen Organisation den Menschen aus allen
Überlieferungen herauszureißen. Wie aus ihrem Naturboden gerissene und
in ein ungünstiges Klima versetzte Pflanzen würden diese Menschen sich
grausam isoliert fühlen und dann vielleicht Ideen und Strömungen zum
Opfer fallen, die im Grunde keiner wollen kann.
Harmonie zwischen der Dynamik der Reformen und der Statik der
Überlieferungen, dem freien Handeln und der Geborgenheit in der
Gesellschaft
So ist die Achtung vor dem Ergebnis der Geschichte das Zeichen des
echten Willens zur Reform und die Gewähr für deren glücklichen Erfolg.
Das gilt für die Geschichte, das Reich jener menschlichen Wirklichkeit,
in dem sich der gesellschaftliche Mensch nicht nur mit den Kräften der
Natur, sondern ebenso mit sich selbst zu befassen hat. Verantwortlich
wie er ist vor denen, die waren, und vor denen, die sein werden, wurde
ihm der Auftrag zur unaufhörlichen Formung des Zusammenlebens, wo
Entwicklung und Dynamik durch persönliches, freies Tun ist, ohne aber
die Geborgenheit in und mit der Gesellschaft aufzuheben, wo anderseits
immer ein gewisser Bestand an Überlieferung und Statik sich findet, um
die Geborgenheit sicherzustellen, ohne jedoch von seiten der
Gesellschaft das freie Tun der Persönlidikeit auszuhöhlen.
Auf solche Weise wirkt der Mensch seine Geschichte, daß heißt er
arbeitet zusammen mit Gott zur Verwirklichung eines Geschehens, das
seines Träges und zugleich auch des Schöpferplanes würdig ist. Es ist
eine ebenso hohe wie schwierige Aufgabe, die nur der glücklich wird
durchführen können, der begreift, was Geschichte und Freiheit bedeuten,
er wird dabei die innere Kraft der Reformen mit der Statik des
Überkommenen, das freie Tun mit der Geborgenheit in der Gemeinschaft in
Einklang bringen. Der Christ, der vor der Krippe von Bethlehem in die
Knie sinkt, begreift ganz ihre Notwendigkeit und ihren Ernst, von der
gleichen Krippe aber empfängt er Licht und Kraft, die hohe Aufgabe
würdig zu erfüllen.
III. Die unbedingte Wahrheit - Licht und Leben des Menschen
Die Freiheit und die persönliche Verantwortung, Gesellschaftlichkeit
und gesellschaftliche Ordnung, der wohlverstandene Fortschritt sind
also menschliche Werte, weil der Mensch sie verwirklicht und Nutzen aus
ihnen zieht, aber auch religiöse und göttliche Werte, wenn man auf
ihren Ursprung sieht.
Gegensätze auf religiösem Gebiet
Man hat nun in der modernen Zeit die innere Grundlage dieser Werte von
der Gesellschaft her, auch im Westen, im Namen des Laizisnus, der
eingebildeten Selbstgenügsamkeit des Menschen, zu Bruch kommen lassen
und der Vergessenheit überantworten wollen. So ergab sich die
eigenartige Situation, daß nicht wenige Männer des öffentlichen Lebens,
selbst ohne lebendiges religiöses Empfinden, um des Gemeinwohls wegen
jene fundamentalen Werte verteidigen wollen und verteidigen müssen, die
doch nur in der Religion und in Gott ihren Bestand haben.
Die vorgeblichen Realisten erkennen eine solche Behauptung nicht gern
an, ja sie werfen der Religion nun erst recht vor, sie setze in
religiösen Streit um, was nur Zwiespalt auf politischem und
wirtschaftlichem Gebiet sei. In lebhaften Farben malen sie den
Schrecken und die Grausamkeit der alten Religionskriege aus, um
glaubhaft zu machen, die heutigen Gegensätze zwischen West und Ost
seien demgegenüber harmlos, es brauche nur ein bißchen mehr praktischen
Sinn auf beiden Seiten, um zu einem Ausgleich wirtschaftlicher
Interessen und konkreter politischer Machtverhältnisse zu kommen. Die
Berufung auf unbedingte Werte fälscht - so sagen sie - in unglücklicher
Weise den wirklichen Stand der Dinge, hetzt die Leidenscbaften auf und
erschwert den Weg zu einer praktischen, und vernünftigen Einigung.
Schädliche Bestrebungen
Wir Unserseits haben als Haupt der Kirche für die Gegenwart wie in
früheren Fällen vermieden, die Christenheit zu einem Kreuzzug
aufzurufen. Wir können jedoch volles Verständnis verlangen dafür, daß
die Menschen dort, wo der Glaube ein lebendiges Erbe der Vorfahren ist,
den Kampf, der ihnen vom Feind ungerechterweise aufgezwungen ist, auch
als einen Kreuzzug auffassen. Was Wir aber angesichts des Versuchs
bestimmte schädliche Bestrebungen zu verharmlosen, für alle erklären,
ist, daß die Auseinandersetzung um absolute Werte des Menschen und der
Gesellschaft geht. Bei Unserer großen Verahtwortung können Wir es nicht
geschehen lassen, daß dies von Zweideutigkeiten vernebelt werde.
Gespräche und Begegnungen
Mit tiefem Bedauern müssen Wir diesbezüglich beklagen daß von
bestimmten, Katholiken, Geistlichen und Laien einer Verneblungspolitik
Vorschub geleistet wurde zum Zweck einer von ihnen selbst nicht
gewollten Wirkung. Wie kann man sich noch der Einsicht verschließen,
daß dies der Zweck jenes ganzen unehrlichen Treibens ist, das unter dem
Namen von "Gesprächen" und "Begegnungen" läuft? Wozu übrigens beraten
ohne eine gemeinsame Sprache, oder wie ist eine Begegnung möglich, wenn
die Wege auseinandergehen, das heißt, wenn man in der einen der
Parteien hartnäckig die gemeinsamen absoluten Werte ablehnt und leugnet
und damit jede "Koexistenz in der Wahrheit" unerreichbar macht? Schon
aus Achtung vor dem christlichen Namen sollte man aufhören, jenen
Machenschaften Hilfe zu leihen; denn nach der Mahnung des Apostels ist
es unvereinbar, sich an den Tisch Gottes und an den seiner Feinde zu
setzen (vgl. 1 Kor 10, 21). Und wenn es, ungeachtet der schmerzlichen
Bezeugung eines Jahrzehnts von Grausamkeit, noch unentschiedene Geister
gäbe, so müßte das kürzlich vergossene Blut und die Hinschlachtung
vieler, von einem gemarterten Volke geopferter Menschenleben sie
endlich überzeugen. Es sei dennoch notwendig - so bemerkt man -, die
Brücken nicht abzubrechen, sondern vielmehr die gegenseitigen
Beziehungen aufrechtzuerhalten. Aber hiefür genügt voll und ganz das,
was die verantwortlichen Staatsmänner und Politiker tun zu müssen
glauben an Fühlungnahme und Beziehungen um des Friedens der Menschheit
willen und nicht für Sonderinteressen. Es genügt das, was die
zuständige kirchliche Autorität unternehmen zu müssen erachtet, um die
Anerkennung der Rechte und der Freiheit der Kirche zu erreichen.
Die Ursache des Friedens
Wenn die traurige Wirklichkeit Uns zwingt, mit deutlicher Sprache den
Stand der Streitfrage festzustellen, so kann niemand ehrlicherweise Uns
den Vorwurf machen, als würden Wir die Versteifung der einander
gegenüberstehenden Fronten fördern, und noch weniger, daß Wir Uns
irgendwie von jener Friedensmission entfernt hätten, die sich aus
Unserem apostolischen Amt ergibt. Würden Wir schweigen, so müßten Wir
weit mehr das Urteil Gottes fürchten. Wir bleiben fest der Sache des
Friedens verbunden, und Gott allein weiß, wie sehr Wir wünschten, ihn
voll und froh mit den Engeln der heiligen Weihnacht verkünden zu
können. Doch gerade um ihn vor den gegenwärtigen Bedrohungen zu retten,
müssen Wir darauf hinweisen, wo die Gefahr lauert, welches die
Machenschaften seiner Feinde sind und was sie als solche erkennen läßt.
In gleicher Weise hat der neugeborene Sohn Gottes, der die unendliche
Güte selbst ist, nicht gezögert, klare Trennungslinien zu ziehen und um
der Wahrheit willen in den Tod zu gehen.
Wjr sind überzeugt: Auch heute, gegenüber einem Feind, der entschlossen
ist, irgendwie allen Völkern eine besondere und unerträgliche
Lebensform aufzuwingen, kann nur die einmütige und starke Haltung aller
die Wahrheit und das Güte Liebenden den Frieden retten, und sie wird
ihn retten. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu wiederholen, was in
einer ähnlichen Lage geschah in den dem zweiten Weltkrieg
vorausgehenden Jahren, als jede der bedrohten Nationen, und nicht bloß
die kleineren, sich zu retten suchte auf Kosten der anderen, indem sie
sich deren gleichsam als Schild bediente und geradezu aus der Not der
anderen sehr fragwürdige wirtschaftliche und politische Vorteile zu
ziehen suchte. Das Ende war, daß alle zusammen vom Weltbrand überrannt
wurden.
Die Solidarität Europas als eines der Mittel zum Weltfrieden
Eine konkrete Forderung dieser Sunde, eines der Mittel, um der ganzen
Welt den Frieden und eine ergiebige Erbschaft an Gutem zu sichern, eine
Kraft, die gleichfalls die Völker Asiens und Afrikas, den Mittleren
Orient und Palästina mit den Heiligen Stätten umfaßt, ist daher die
Festigung der Solidarität Europas. Diese aber erstarkt nicht, solange
nicht alle angeschlossenen Nationen begreifen, daß die politischen und
wirtschaftlichen Niederlagen der einen, auf lange Sicht, in keinem
Teile der Welt wahre Gewinne für die anderen werden können. Sie
erstarkt nicht, hinsichtlich der Bildung der öffentlichen Meinung, wenn
in der Stunde der gemeinsamen Gefahr die Kritik des Vorgehens der
einen, selbst wenn in sich gerechtfertigt, von den anderen unter so
einseitigen Gesichtspunkten geübt wird, daß man zweifeln kann, ob
überhaupt noch irgendein Band der Solidarität besteht. Niemals kann man
eine gute Politik machen mit dem bloßen Gefühl, noch weniger die wahre
Politik von heute mit den Gefühlen von gestern und vorgestern. Unter
solchem Einfluß wäre es nicht möglich, richtig zu urteilen über eine
Reihe beachtenswerter Fragen wie Militärdienst, Waffen und Krieg.
Der Militärdienst, die Waffen und der Krieg
Die heutige Lage, die nicht ihresgleichen in der Vergangenheit hat,
sollte doch allen klar sein. Es besteht wahrlich kein Grund mehr, zu
zweifeln über die Absichten und Methoden, die hinter den Panzerwagen
stehen, wenn sie mit Gerassel, Tod und Verderben speiend über die
Grenzen einbrechen, um zivilisierten Völkern eine von diesen
ausdrücklich verabscheute Lebensform aufzuzwingen, wenn man, die Etappe
möglicher Verhandlungen und Vermittlungen gleichsam überspringend, mit
der Anwendung der Atomwaffen droht, um konkrete Forderungen
durchzusetzen, sie mögen berechtigt sein oder nicht. Es ist
offensichtlich, daß unter, den gegenwärtigen Verhältnissen sich in
einer Nation der Fall ergeben kann, daß, nachdem jeder Versuch, den
Krieg zu beschwören, ohne Erfolg geblieben ist, eben der Krieg, um sich
wirksam und mit Hoffnung auf einen günstigen Ausgang gegen ungerechte
Angriffe zu verteidigen, nicht als unerlaubt betrachtet werden könnte.
Wenn also eine Volksvertretung und eine Regierung, mit freiem Wahlrecht
erkoren, in äußerster Not und mit den rechtmäßigen Mitteln äußerer und
innerer Politik Verteidigungsmaßnahmen treffen und die nach ihrem
Urteil notwendigen Verfügungen ausführen, so verhalten sie sich
gleichfalls in einer nicht unsittlichen Art, und folglich kann sich ein
katholischer Bürger nicht auf das eigene Gewissen berufen, um sich zu
weigern, die Dienste zu leisten und die Pflichten zu erfüllen, die
gesetzlich festgelegt sind. Hierin wissen Wir Uns in voller
Übereinstimmung mit Unseren Vorgängern Leo XIII. und Benedikt XV.; sie
haben niemals jene Pflicht verneint, haben aber das hemmungslose
Wettrüsten und die sittlichen Gefahren des Kasernenlebens tief
bedauert, und sie haben, wie auch Wir es tun, auf die allgemeine
Abrüstung als wirksame Abhilfe hingewiesen (vgl. Leos XIII. Ep.
"Praeclara gratulationis" vom 20. Juni 1894, in Leonis. XIII Acta vol.
XIV, Romae 1895, S. 216, Arch. degli Affari Eccl. Straord. Nota del
Card. Gasparri, Segr. di Stato di Benedetto XV al Primo Ministro del
Regno Unito della Gran Bret. e d'Irlanda, 28. Sept. 1917).
Die sittlichen Richtlinien und Forderungen des Gewissens
Es gibt also Fälle und Augenblicke im Leben der Nationen, in denen nur
die Besinnung auf höhere Grundsätze klar die Grenzen bestimmen kann
zwischen Recht und Unrecht, zwischen Erlaubtem und Unsittlichem und wo
nur sie die Gewissen angesichts schwerwiegender Entschlüsse zu
beruhigen vermag. Es ist daher tröstlich, daß in bestimmten Ländern
anläßlich der augenblicklichen Erörterungen die Menschen vom Gewissen
und seinen Forderungen sprechen. Sie zeigen, nicht vergessen zu haben,
daß das soziale Leben insoweit sich vor dem Chaos bewahrt, als es sich
von absoluten Richtlinien und von einem absoluten Ziel führen läßt,
damit verurteilen sie mittelbar jene, die glauben, sie könnten die
Fragen des menschlichen Zusammenlebens lösen auf der Grundlage guter
äußerer Formen und mit einem praktischen Blick, der zu handeln sucht,
je nachdem in den einzelnen Fällen das Interesse und die Macht es
nahelegt. Wenngleich das grundlegende Programm der Vereinten Nationen
sich die Verwirklichung der absoluten Werte im Zusammenleben der Völker
zum Ziele setzt, so hat die jüngste Vergangenheit doch gezeigt, daß es
dem falschen Realismus gelingt, in nicht wenigen ihrer Mitglieder die
Oberhand zu gewinnen, auch wenn es sich darum handelt, die Achtung vor
eben diesen, offen mit Füßen getretenen Werten der menschlichen
Gesellschaft wiederherzustellen. (...)
Der Friedenswille
Der Friedenswille: höchster Vorzug des freien Menschen, unschätzbarer
Schatz des gegenwärtigen Lebens, ist er Frucht des Mühens der Menschen,
aber auch ein kostbares Geschenk Gottes! Der Christ weiß es, denn er
hat es gelernt an der Wiege des neugeborenen Sohnes Gottes. Auf dessen
Wahrheit und Gebote, höchste absolute Werte, ist jede Ordnung
gegründet, von ihnen wird sie gehütet und fruchtbar gemacht in Werken
des Fortschritts und der Kultur.
Das Licht und das Leben des Weihnachtsgeheimnisses - Die Hilfsmaßnahmen für das unterdrückte Ungarn
Man gestatte Uns schließlich eine letzte Ermahnung. Lebhaft tröstet Uns
der Gedanke an das ergriffene und hochherzige Verhalten gegenüber dem
unterdrückten Ungarn von seiten aller Unserer geliebten Söhne, der
Hilfsorganisationen, ganzer Nationen und auch der anständigen Presse.
Wir sind auch überzeugt, daß alle edlen Herzen nicht aufhören werden,
zu beten und sich zu opfern, um die traurige Lage jenes gemarterten
Volkes zu erleichtern. Es gibt schon viele auf Erden, die in den
umstürzenden Ereignissen der letzten Jahrzehnte persönlich erfahren
haben, was Elend heißt. Wie könnten sie gleichgültig bleiben gegenüber
der Not anderer? Und wie könnten jene, die in Wohlstand leben,
unempfindsam bleiben für die Armut ihrer Nächsten? Doch zusammen mit
eurer Mildtätigkeit mögen auf die Unglücklichen vor allem das "Licht"
und das "Leben" des Weihnachtsgeheimnisses überströmen. Das eine wie
das andere wird in Christus geschenkt, und diese Gnade, dieser Friede
und dieses Vertrauen auf Gott, der alle Gerechtigkeit wiederherstellen
und jedes Opfer lohnen wird, kann ihnen von keiner menschlichen Macht
genommen werden.
Und auf alle, die Uns hören, und besonders auf die Leidenden, auf die
Kleinen, auf die Armen, auf jene, die Verfolgung leiden um der
Gerechtigkeit willen (vgl. Mt 5, 10), steige herab, als Unterpfand der
göttlichen Gnaden,
Unser Apostolischer Segen.
(Verlag: Winfried-Werk GmbH., : Augsburger Druck- und Verlagshaus GmbH., vorm. Haas & Grabherr)
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