BUCHBESPRECHUNG:
WIGAND SIEBEL:
KATHOLISCH ODER KONZILIAR - DIE KRISE DER KIRCHE HEUTE
(MÜNCHEN 1978, LANGEN MÜLLER VERLAG, PREIS: 38,- DM)
Dem Autor kommt es weniger darauf an, das Vatikanum II in seiner
Gesamtheit darzustellen, als vielmehr das zu analysieren, was vielen
als Zentrum der heutigen Kirchenkrise erscheint: die Reformen der
Liturgie und des eucharistischen Glaubens. Ihm geht es vor allem um die
Erörterung der Auseinandersetzung um das hl. Meßopfer, um sein
verändertes Verständnis und um die Widerlegung der verbreitetsten
Irrtümer, um so die dogmatische Grundlage zu schaffen, auf dessen
Hintergrund er dann die Meßreform abhandelt. Im folgenden versuche ich
einen kurzen inhaltlichen Abriß zu geben, in welchem ich mich vor allem
auf die Worte des Autors selbst stütze.
In dem Vorwort - und das werden die Leser der EINSICHT sicherlich gerne
zur Kenntnis nehmen - dankt Prof. Siebel dem H.H. Dr. Katzer, der ihn
bei der Ausarbeitung seiner Abhandlung mit Rat und Tat unterstützt hat.
Er schreibt: "Sehr herzlichen Dank schulde ich dem hochwürdigen Herrn
Dr. theol. Otto katzer, Gablonz (Böhmen), für seine großzügige Hilfe
und seinen wichtigen Rat. Ich kann mir niemand denken, der heute die
katholische Tradition so vorzüglich übersieht, darin so lebt und davon
so mitteilt, wie er."
Das Werk ist in sieben größere Kapitel eingeteilt, hier die Überschriften:
I. Revolutionäre Wende: Vatikanum IT;
II. Aufbau und Sinn der Messe;
III. Verfälschung des Opfers: Der Angriff der Theologen;
IV. Verwerfung des Opfers I: Enstehung und Aufbau der neuen Liturgie;
V. Verwerfung des Opfers II: Inhalt der neuen Liturgie;
VI. Katholische Kirche und konziliare Kirche;
VII. Die Zukunft der Messe.
Der Anhang, und das soll hier gleich vorweg gesagt werden, erhält
dankenswerterweise eine Zusammenstellung aller Zeitschriften in
deutscher, englischer, französischer, italienischer, holländischer,
portugiesischer und spanischer Sprache, die auf konservativer Basis in
den Kirchenkampf eingegriffen haben. Diese Sammlung ist relativ
einmalig.
Siebel zeigt zuerst auf, wie man über das revolutionäre "neue
Pfingsten" und das "Aggiornamento" Johannes XXIII., als auch und eben
in entscheidender Weise über das ('pastorale') Vatikanum II zur
Umdeutung des Traditionsbegriffes gekommen ist. "Die wichtigsten
Neuorientierungen, die nur verdeckt zum Ausdruck kommen konnten, sind
die Überzeugung von der unmittelbaren Bezogenheit auf das Evangelium
und die Meinung, daß es einen Fortschritt der Überlieferung gebe."
(ebd., S.21) Daraus folgernd ist ein neuer Begriff der Tradition
entstanden, der sich wie folgt darstellt: "Es ist das 'bleibend,
lebendige', normative Schriftverständnis, das aus der unmittelbaren
Beziehung der Verkündigung auf die Offenbarung gewonnen wird." (ebd.,
S.23) - "Es handelt sich hier also keineswegs um eine bloß
protestantische Tendenz, sondern um eine viel weitgehendere, die auch
protestantische Positionen zu gefährden vermag, nämlich um eine
modernistische. Kennzeichnend sind dafür auch die Ausdrücke 'lebendige
Überlieferung' (12.4) und 'lebendiges Lehramt' (lo.2). Nach Pius X.
gehört es zum Modernismus, daß dieser die Glaubenslehren den Umständen
anpassen will. Und diese Entwicklung wird dann 'mit einem recht dunklen
Ausdruck lebendig1 genannt." (ebd., S.32)
Auch die Erklärung über die Religionsfreiheit und die daraus
resultierende Frage nach der Wahrheit bergen fundamentale Irrtümer,
die, hält man sich konsequent an sie, eindeutig zum Liberalismus
führen. So heißt es denn mit Recht bei Siebel: "Aus eigener
Machtvollkommenheit erklärt der Mensch, wa das Königtum Christi zu
enden habe und wo es nicht zu verwirklichen sei. Damit ist an die
Stelle des Glaubens das Prinzip des Liberalismus getreten, nach dem der
Mensch den Glauben nur soweit anzuerkennen braucht, als er selbst ihm
durch eigene Einsicht (d.h. durch rein subjektive; Anm.d.Red.)
zuzustimmen vermag. Der Glaube als theologischer Glaube ist jedoch
fundamental gebrochen, wenn man ihn nicht als Ganzes annimmt und sich
nach eigenem Belieben ihm gegenüber Vorbehalte macht." (S.55) Der
Mensch rückt sich also selbst in den Mittelpunkt, macht die
Glaubensaneignung zu einem rein subjektiven Akt, ja vielmehr noch: man
besitzt einen Kult des Menschen (Nam nos etiam, immo nos prae ceteres,
hominis sumus cultores. - Acta Apostolicae Sedis 1966, S,55 f.)
Folglich nimmt man innerhalb des Humanismus die Stellung des Hominismus
ein. Ebenso wird der Kirchenbegriff verfälscht: die Kirche sei etwas,
was verwirklicht werden müsse, eine Identifikation mit der einen,
heiligen, katholischen und apostolischen Kirche ist nicht mehr gegeben.
Es gibt nur noch 'ein Volk Gottes, das unterwegs ist'. Somit wird die
Heilsnotwendigkeit der Kirche als Institution lächerlich gemacht; nach
dieser Auffassung wäre sie auch überflüssig.
Mit jener nachkonziliaren'Kirche', die alle diese Irrtümer vertritt,
obgleich dieselben schon lange verurteilt sind, kann und darf man sich
nicht mehr identifizieren, will man die Reinheit und Eindeutigkeit des
katholischen Glaubens wahren. Hier kommt es zu einem falschen
Ökumenismus, dessen Leitideen der (verurteilte) Modernismus und
(verurteilte) Liberalismus sind, durch die auch das Zentrum des
Glaubens, d.i. die hl. Messe, tangiert und sowohl dogmatisch umgedeutet
als auch liturgisch umgestaltet worden ist. Aus diesem Grunde hat sich
Siebel umfassend mit der hl. Messe auseinandergesetzt.
Über fundamentale, allgemeine Fragen über Kult und Moral kommt er zu
grundsätzlichen Themen, die die hl. Messe betreffen. In einer klaren,
theologisch unanfechtbaren Auffassung hat Siebel das Opfer dargestellt
- in Anlehnung an den hl. Thomas v.A., der schon geschrieben hat: "Das
Mysterium wird dargebracht als Opfer und konsekriert und empfangen als
Sakrament. Daher wird zunächst die Darbringung vorgenommen, an zweiter
Stelle die Konsekration der dargebrachten Materie, an dritter Stelle
deren Empfang." (Summa th. III, q.83 a.4) Nach der Auswahl der Materie
(Brot und Wein), die zum "Träger der Botschaft" wird, entsteht durch
die "Botschaft" oder "geistige Mitteilung", eben der
"Hingabeerklärung", die Opfergabe, "die Gott dargebracht werden kann."
(S.122)"Brot und Wein als Zeichen der Hingabe Christi und der Gläubigen
sind so - schon vor der Wandlung - auch Ausdruck für den Leib Christi,
nämlich die Kirche, und für das über sie ausgegossene und immer wieder
fließende Bundesblut." (S.122)
Die Hingabeerklärung der Gläubigen besteht in unserer eigenen
(Mit-Auf)Opferung, dem Opfern des ganzheitlichen "leib-seelischen
Ichs", wobei diese Darbringung "durch Christus, in Christus und mit
Christus" erfolgt (Dr. Katzer). Nachdem der Priester die Gaben gesegnet
und dieselben geopfert hat - wobei wir uns mitopfern müssen - folgt
daraus obige Konsequenz."Für den Moment der Wandlung beim Aussprechen
der Konsekrationsworte spricht die Tatsache, daß der Priester in der
Person Christi handelt und daß sein Opferhandeln mit dem Opferhandeln
Christi identisch ist." (S.13o) Das Kreuzesopfer ist somit im Meßopfer
wiederholt.
"Danach enthält die hl. Messe eine dreifache Stufung der Vereinigung
mit Christus. Die Darbringung ist eine (symbolische) Vereinigung mit
dem Leiden Christi, die Annahme ist eine (sakrale) Vereinigung mit dem
Tod Christi und die Kommunion ist eine (reale) Vereinigung mit dem
auferstandenen Christus. Ohiediejeweils zuvor genannte Vereinigung kann
die folgende nicht (vollzogen werden). Auch die Vereinigung mitt
Christus in der Opferung als symbolischer und geistiger Akt ist
unumgänglich." (S.137) Siebel kommt dann, nachdem er die
Heilsnotwendigkeit der hl. Messe und die Stellung Mariens im Heilswerk
dargelegt hat, zu folgendem Schluß: "Aus allen genannten Gründen liegt
es- nahe, die Sakramente insgesamt als Formen der Opferhingabe Christi
und seiner Kirche und als Bestandteile eines Kultes Christi, den er
seinem Vater darbringt, anzusehen." (S.164)
Hiervon ausgehend lassen sich die Rechtfertigungsversuche der
Verfälschung der hl. Messe recht gut zurückweisen, so z.B. die
Auffassung, daß die Messe nur ein Mahl sei, daß sie nur eine
Vergegenwärtigung sei, daß "der einzig physische Wesensbestandteil der
Messe in der sakramentalen Form der Wandlung liege".
Danach setzt sich Siebel sehr eingehend mit der Form der neuem Liturgie
auseinander. Aus dem Reformansatz der Messe bei Vatikanum II
resultierte das Missale Pauls VI., dessen Entstehung, Rechtmäßigkeit,
Begründung, Aufbau und Selbstverständnis ebenfalls untersucht werden.
Siebel zeigt auf, welches Zerstörungswerk mit diesem Missale
eingeleitet und vollendet wurde: Änderung der liturgischen Sprache,
Entfernung des Tabernakels, Streichung von liturgisch wichtigen
Kreuzzeichen und Kniebeugen, Änderung der Wandlungsworte, Handkommunion
usw. Aus diesen Änderungen insgesamt ergibt sich die Konsequenz: Die
neue Liturgie ist liberal, schismatisch, häretisch, ungültig und ebenso
eine Täuschung der Gläubigen:
Sie ist liberal: "Vatikanum II hat liturgische Reformen in die Wege
geleitet, die der Alleinherrschaft des römischen Kanons ein Ende
gesetzt haben." (S.368) Sie ist schismatisch: Der große spanische
Theologe Suarez hat im Hinblick auf die Möglichkeit eines
schismatischen Papstes gesagt: "Ein Papst würde dann schismatisch, wenn
er alle kirchlichen Riten, die durch apostolische Tradition bekräftigt
sind, ändern wollte." "Da alle Riten, nicht nur der Sakramente, sondern
auch der Sakramentalien vom Begräbnisritus über die Taufe bis zur hl.
Messe eine oft tiefgreifende Umgestaltung gefunden haben, bedarf es
keinen weiteren Beleges, um das Schisma, in das sich ein großer Teil
der Kirche hineinbewegt hat, zu verdeutlichen." (S.369)
Sie ist häretisch: "Wenn aber die neue Liturgie eine neue Art der Messe
sein soll, dabei aber kein Opfer mehr ist, so ist sie selbst häretisch,
weil sie mit dem Glauben der Kirche nicht mehr übereinstimmt" (S.373),
denn Lex credendi lex orandi.
Sie ist ungültig: "Die neue Liturgie nun kennt keine Darbringung der
Opfergabe vor der Wandlung. Es werden weder Brot noch Wein durch die
entsprechenden Gebete und Segnungen zu Opfergaben gemacht, noch werden
die Gaben Gott Vater durch den Priester dargebracht. Wenn aber Gott
Vater keine Gaben dargebracht worden sind, so kann er sie nicht
annehmen. Die die Wandlung bewirkende Annahme der Gaben durch Gott
Vater kann also überhaupt nicht stattfinden. Die neue Liturgie ist
folglich notwendiger Weise ungültig. Brot und Wein bleiben, was sie
sind." (S.337)
Sie ist eine Täuschung: "Die neue Liturgie täuscht aber nicht nur die
Gläubigen, sondern beraubt auch Gott Vater um die ihm zustehende
Anbetung, primär um das Opfer seines Sohnes. Es scheint zwar so, als
werde ein Opfer dargebracht, tatsächlich aber verweigert man Gott Vater
und damit seinem Sohn und der allerheiligsten Dreifaltigkeit die
schuldige Ehre." (S.378)
Der Hinweis auf die gefälschten Wandlungsworte,dirch deren Gebrauch
keine Wandlung zustande kommt, ist merkwürdig kurz. Wahrscheinlich ist
sich Siebel der juridischen Tragweite dieser Verfälschung nicht bewußt
gewesen. Noch seltsamer ist aber, daß er keinen Verweis auf die in
unserer Zeitschrift von Lauth, Bader, Katzer u.a. erbrachten Beweise
bringt, in denen der Nachweis geführt wird, daß gerade durch die
gefälschten Wandlungsworte der Ungültigkeitsbeweis eindeutig geführt
werden kann. Das widerspricht allen wissenschaftlichen Gepflogenheiten.
Im Folgenden schneidet Siebel das Problem an, welche Konsequenzen sich
aus der Verfälschung der Messe für das Hirtenamt und die durch es
repräsentierte und geführte Kirche ergeben. Diese Frage wird bei Siebel
nicht gelöst. In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, daß er
wegen dieser ungelösten Problematik die Rolle von M. Lefebvre im
jetzigen Kirchenkampf überschätzt bzw. direkt falsch einschätzt, obwohl
sich Siebel der ganz anderen, von seiner Auffassung nicht nur graduell,
sondern prinzipiell verschiedenen Einschätzung der nachkonziliaren
Situation, der Veränderung der Liturgie, der Kirche durch M. Lefebvre
bewußt sein müßte.
Insgesamt gesehen bietet aber das Buch von Siebel eine gute summarische
Zusammenfassung der Argumente gegen den Novus Ordo Pauls VI. Eine
gewisse ausschweifende Auseinandersetzung mit Gegnern der zweiten
Kategorie wird vielen zu langatmig sein. Zu bedauern ist auch, daß das
Buch erst zehn Jahre nach der Einführung dieses das sakramentale Leben
tödlich getroffenen Machwerks erschien.
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