54. Jahrgang Nr. 7 / Dezember 2024
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DAS HEILIGE LEICHENTUCH BEWEIS FÜR CHRISTI TOD UND AUFERSTEHUNG
 
DAS HEILIGE LEICHENTUCH
BEWEIS FÜR CHRISTI TOD UND AUFERSTEHUNG


von
Bruder Bruno Bonnet-Eymard
(aus: LA CONTRE REFORME CATHOLIQUE, Nr.144, August 1979;
übersetzt von H.H. Pfarrer Paul Schoonbroodt)


Fortsetzung III:

Erste Schlußfolgerungen

Am Karfreitagabend vor fast 2ooo Jahren betrachtete der Lieblingsjünger Jesu die geöffnete Seite. Ob er schon an das Prophetenwort gedacht hat, das er viele Jahre später im Evangelium anführen wird: "Sie werden auf den schausn, den sie durchbohrten". (Joh. 19, 37) Am Abend des 8. Oktober 1978, rief Pater Exteandia, nachdem die Abdrücke des "Uomo della Sindoiie" während zweier Tage sorgfältig geprüft worden waren, aus: "Meine Herren, worauf warten Sie noch, um zu sagen: das ist Jesus Christus?" Das war in Wirklichkeit eine lobende Anerkennung für die Ernsthaftigkeit und Strenge, mit welcher die Wissenschaftler vorgegangen waren; sie waren ja nie von den strengen Regeln der hypothetischen Methode abgewichen. Aber schließlich widersprach ja niemand, so sehr brachte er die Überzeugung aller zum Ausdruck. Denn "die Schlußfolgerung, die sich a]len aufdrängte, die an den Untersuchungen beteiligt waren, ist folgende: das in Turin aufbewahrte Stück Stoff ist tatsächlich das Grablinnen Jesu". Als Kommissionsmitglied kann ich bezeugen, daß auch die anderen dieser Schlußfolgerung voll und ganz beipflichteten. (P. Dubarle, Le Linceul de Turin, D.C., 19.3.1978, S.289.)

Die fachmännische Untersuchung des Stoffes, welche von Prof. Raes, Kommissionsmitglied von Turin, im Jahre 1973 in Gent durchgeführt wurde, hat die Schlußfolgerung "durch eine bisher nicht geahnte Entdeckung" bestätigt. (Wilson, a.a.O. S.98) In den für die mikroskopische Untersuchung vorbereiteten Lamellen fand er in den am 24. Nov. in Turin entnommenen Linuenfäden - und zwar im Einschluß und in der Kette - kleinste, jedoch deutlich erkennbare Spuren von Baumwolle. Dadurch ist der Beweis erbracht, daß da, "wo man das Leichtentuch gesponnen hat, der Webstuhl auch zum Spinnen von Baumwolle benutzt worden war." Fasern von Baumwolle weisen aber Spiralwindungen auf, deren Anzahl je nach der Art wechselt. "Die von Raes untersuchten Fasern entsprechen dem Gossypium herbaceum, einem für den mittleren Osten üblichen Baumwoll-Pflanzengewächs", das dort von Sennacherib im 7. Jahrhundert vor Christi Geburt eingeführt worden war,"und dessen Fasern nur acht Windungen pro Quadratzentimeter aufweisen". Es steht also außer Zweifel, daß das Leichentuch im mittleren Osten gewebt wurde und nicht in Europa, wo keine Baumwollpflanze wächst; auch nicht in Amerika, wo die Baumwolle etwa 18 bis 3o Windungen pro Quadratzentimeter aufweist. Es spricht sogar manches zugunsten von Palestina, weil die Mishna den Webern "die Mischung der Arten" streng untersagt, aber eine Mischung von Linnen und Baumwolle zuläßt. (Vgl. Wilson, S.337, Anm.6)

Die Fachuntersuchung hat seit Raes einen solchen Fortschritt gemacht, daß sie bei der Turiner Tagung für eine 'Überraschung' sorgte. Prof. Morano vom Zentrum für elektronische Mikroskopie von Verceil und vom Turiner Pathologischen Institut hat als erster die ultra-strukturellen Aspekte eines Fadens des Grablinnens mit dem elektronischen Abtast-Mikroskop untersucht. Der Fortschritt gegenüber dem herkömmlichen elektronischen Transmissionsmikroskop ist beachtlich. Das erst sehr junge Verfahren besteht darin, daß Muster mittels eines Elektronenbündels zu untersuchen, das auf einen sehr verengten Punkt gerichtet wird. Die mit dieser dreidimensionalen Perspektive durchgeführte Untersuchung eines ungefähr hundert Jahre alten Leinenfadens enthüllt, daß die Fasern geplättet und völlig glatt sind, während die Fasern des Leichentuches zylindrisch und unrein erscheinen und mit allerlei Fremdkörpern durchsetzt sind: Sporen, Pollenkörner... genau wie die Fasern eines zweitausend Jahre alten Mumientuchs im ägyptischen Museum von Turin. Ein neuer, maßgebender Beweis für die Echtheit des Linnens.

In seinem oben erwähnten Artikel zieht P. Dubarle folgende Schlußfolgerung: "Die Exegeten sind jetzt vor eine Gegebenheit gestellt, die sie mit den Berichten über das Leiden Jesu vergleichen müssen. Wie sonst bei einer Neuheit auf archäologischem Gebiet können sie auch hier zu einem neuen Textverständnis geführt werden, worauf man sonst nicht gekommen wäre. Die Schriften beleuchten die Überbleibsel aus der Vergangenheit und erscheinen ganz unerwartet in einem neuen Licht. Man darf aber nicht vom Grablinnen verlangen, uns die religiöse Bedeutung der Passion Christi im göttlichen Heilsplan zu vermitteln. Unserem Auge aber kann es ein ebenso bewegendes wie auch majestätisches Antlitz Christi darbieten, das den Vorteil hat, wahr zu sein, und nicht nur eingebildet." (ebd., S.289) (vgl. Abb.lo)

II. Ein fünftes Evangelium

Die methodische Beschreibung der Abdrücke bietet für sich einen regelrechten Leidensbericht mit seinen verschiedenen Abschnitten: Dornenkrönung, Geißelung Jesu, bevor man ihm das Patibulum auflud, wie er es dann getragen hat, die Durchbohrung der Hände, der Füße und der Seite. Der Bericht wird hier mit genauen Angaben erweitert, deren zusätzlicher Realismus beim einfachen Lesen des Evangeliums unvorstellbar wäre, und weicht sogar merklich von allen bisherigen Erkenntnissen ab, welche die Christen seit 2ooo Jahren aus der Betrachtung des Leidens gewonnen hatten.

Das erstaunlichste Zusammentreffen (obschon es allgemein übergangen wird) ist die Tatsache, daß die Bestattung eines Mannes, der an seinem Körper alle Merkmale einer schändlichen Hinrichtung trägt, die sonst Großverbrechern vorbehalten war, eine vornehme Bestattung in einem großen Linnentuch von 4,36 m x 1,10 m erhielt, das heute noch "trotz der Patina (in elfenbeinener Farbe) der Jahrhunderte eine überraschende Sauberkeit aufweist, so daß dem Beobachter die natürliche Farbe den Glanz eines Damastlinnens bietet und dem, der es berührt ... das ist ja eigentlich verboten! ... wie Seide vorkommt." (Wilson, S.3o.)

Der nach allgemeinem Recht Verurteilte mußte deswegen berühmt gewesen sein, sonst wäre er doch im Massengrab verschwunden und hätte nicht eine solche Bestattung erfahren!

Es ist Tatsache, daß sein Leinentuch so sorgfältig aufbewahrt und von Generation zu Generation weitergegeben wurde! Dieses archäologische Überbleibsel ist wohl einzigartig. Und das zu Recht... Wenn Archäologen alte Gräber öffnen, finden sie Spangen und Schmuckstücke, manchmal Stoffreste, aber niemals ein Leichentuch. Es gibt nur ein einziges geschichtliches Beispiel für ein Leichentuch, das aus einem Grabe stammt, und das ist eben das Leichentuch Jesus von Nazareth, das man am dritten Tage nach seinem Tode unter den bekannten überraschenden Umständen gefunden hat: in diesem Tuch befand sich nicht mehr der Leichnam, den es umhüllte. Der hl. Johannes berichtet den Vorgang des Begräbnisses und des leeren Grabes (19,31- 2o,lo) als aufmerksamer und genauer Augenzeuge. Dies wird durch zwei Entdeckungen aus der jüngsten Zeit bestätigt, welche von P. Fasola, Mitglied der Pontifikalkommission für Archelogia sacra auf der Turiner Tagung berichtet wurden.

Das Zeugnis des Evangelisten Johannes

Im Kap. 19, Vers 39 spricht Johannes "von einer Mischung von Myrrhe und Aloe, wohl an hundert Pfund", die Nikodemus für das Begräbnis Jesu mitgebracht hatte. Oftmals hat man die Frage nach der geschichtlichen Glaubwürdigkeit dieser großen Menge gestellt: 33 kg duftende Salben für einen Menschen! Sollte es sich hier etwa um eine 'eingefügte' Textstelle handeln? Oder könnte diese Zahl bloß eine symbolische Bedeutung haben? Wilson vertritt die Meinung, "es handle sich hier um Salben in Würfeln, die an den Leichnam gelegt wurden". So blieb der Stoff über dem Leichnam gerade gespannt. Der Vorteil wäre dann, daß "dadurch verständlich wird, wieso keine Verformung des Leinens in der Abbildung vorhanden ist, was ja stets eines der Rätsel des Leichentuchs war." (S.83) Diese Annahme ist aber gegenstandslos. Denn die Ausgrabungen von den Jahren 1973-74 in den hebräischen Katakomben der Villa Torlonia zu Rom haben Gräber zutage gefördert, welche innen und außen mit reichlich ölhaltigen Produkten von Aloe und anderen noch nicht identifizierten Produkten bestrichen waren. "So erklärt sich auch die in Joh. 19,39-4o angegebene Menge von 100 Pfund", schlußfolgert P. Fasola. Die große Menge, nach Vignon in Pulverform, wurde wahrscheinlich in ölartiger Form verwendet, um das Grab Jesu innen und außen damit zu bestreichen. Es gibt auch noch einen weiteren Hinweis auf die Authentizität. Johannes erwähnt in 19,41 neben anderen Einzelheiten, welche auch bei Matthäus und Lukas bei der Beschreibung des Grabes vorkommen, einen Garten, der bei den Synoptikern nicht erwähnt wird, der aber hier wie an manchen anderen Stellen ein mit Symbolhaftigkeit ausgestattetes theologisches Thema darstellt, wie es in der Eigenart des 4. Evangeliums liegt. Nun aber haben die Untersuchungen, welche vom gemeinsamen technischen Ausschuß der drei Eigentümergemeinschaften der Basilika des hl. Grabes zwischen den Jahren 1961 bis 1974 durchgeführt wurden, die Möglichkeit ergeben, die ursprüngliche Struktur des Grundstückes zu rekonstruieren: es handelte sich "um einen Steinbruch, in Terassen angeordnet, in deren Seitenwänden Gräber ausgemeißelt waren. Für reiche Juden, die es sich leisten konnten, war dieser Bereich mit einer Gartenanlage verschönert.

Mangel an Übereinstimmung mit den Synoptikern?

Johannes erweist sich als bevorzugter Augenzeuge von einer historischen Genauigkeit, die mit mystischer Tiefe gepaart ist. Leider scheint ein schwerer Mangel an Übereinstimmung mit den anderen Evangelisten hinsichtlich der Bestattungstücher zu bestehen. Markus berichtet eingehend über die Bestattung: Joseph "kaufte Leinwand (sindon), nahm ihn (sc. den Leichnam) ab und hüllte ihn in eine Leinwand" (15,16). Matthäus und Lukas erwähnen dieses Sindon ebenfalls, aber sie gebrauchen ein anderes Verb: entylissein = Joseph 'wickelte' den Leichnam in das Tuch. Matthäus fügt noch als Erklärung hinzu, daß dieses Leinen "ohne Flecken" (kathara) war. P. Lavergne legt eine Frage über diese ungewöhnliche Beifügung vor: will Matthäus damit "die besondere Qualität dieser weißen Leinwand unterstreichen, wie es für ein Leichentuch sein soll, oder will er auf diesem Wege die Einzelheit über den Kauf aus der jüngsten Zeit einholen, weil er vorher nicht davon gesprochen hatte?" ("Der Beweis für die Auferstehung Jesu nach Joh. 2o,7 - Estratto dai Quaderni Sindon, Nri. 5 u. 6, 1961, S.18) Besteht denn keine einfachere Erklärung, die von erstaunlichem Wert sein könnte? Da "das in Turin aufbewahrte Stoffstück wohl das Leichentuch des Begräbnisses Jesu ist" (Dubarle, a.a.O.), ist es wohl gewiß mit diesem (erwähnten) Sindon gleichzusetzen. In diesem Falle wäre das Fehlen von Flecken absichtlich erwähnt als Anspielung auf die 'Flecken' und auf die braungewordenen Stellen, die an diesem Tuch zu beobachten waren, als der Evangelist seinen Bericht niederschrieb!

Aber nun kommt die Schwierigkeit, über die man schon so viel geschrieben hat: Johannes erwähnt das Sindon nicht. Joseph von Arimathäa und Nikodemus "nahmen den Leichnam Jesu und wickelten ihn in Linnentücher" (= othonia, 19,4o) Die Abweichung von den Synoptikern liegt sowohl in der Wahl des Verbs (= binden) als aueh im Plural ( = othonia, Linnentücher). Diese doppelte Unstimmigkeit schließt wohl jegliche Gleichsetzung der othonia von Johannes mit dem Sindon der Synoptiker aus, und erst recht mit dem verehrungswürdigen Tuch von Turin.

These von Pater Feuillet:

P. Feuillet hat versucht, dieser Schwierigkeit aus dem Wege zu gehen. Darin folgt er der Fährte von P. Lavergne. Seiner Ansicht nach besteht nur eine scheinbare Unvereinbarkeit der Berichte; sie beruht lediglich auf einem Unterschied im Gebrauch des Wortschatzes. Gehen wir einmal seinen Auslegungen nach (in: "La découverte du tombeau vide en Jean 2o,3-lo, in: "Esprit & Vie", 5. u. lo.5.1977). Die Mehrzahl othonia soll die Gesamtheit der Bestattungstücher bezeichnen, vorausgesetzt, daß man nicht mit 'Wickelbändern' übersetzt, wodurch ja eigentlich die bei den Ägyptern übliche Bestattungsweise angedeutet wird: das wären also das Sindon und die Bänder, womit die Füße und die Hände Jesu gebunden wurden, (vgl. Joh. 11,44) Auch gebraucht der hl. Lukas scheinbar das Wort Sindon (Lk. 23,53) und othonia (Lk. 24,12) für das gleiche.

Das erste, was also "der andere Jünger, den Jesus lieb hatte" am Ostermorgen von außen her im Halbdunkel des Grabes erblickte, bevor Petrus ankam, das sind die herumliegenden Tücher (keimena ta othonia; 2o,5) Lavergne und Feuillet sind der Ansicht, daß dieser Ausdruck das leere, gefaltete Sindon der Synoptiker meint. Dann kommt Petrus an. Er geht hinein und erblickt dieses große gefaltete Tuch "sowie das Schweißtuch, das auf Jesu Haupt gelegen hat", d.h. die kleine Serviette, welche nach Auffassung der gleichen Verfasser für das Kinn benutzt worden war und unter dem großen Tuch eine Erhöhung ausmachte.

These von Prof. Delebecque:

Prof. Delebecque hat eine Reihe von beachtlichen Einwänden gegen diese Auslegung vorgebracht. ("Le tombeau vide"Joh. 2o,6-7, in: "Revue des …tudes Grecques" Jul.-Dez. 1977) Es sieht aber nicht so aus, als habe P. Feuillet dies zur Kenntnis genommen. Denn in Turin hat er im wesentlichen den oben genannten Artikel wieder aufgegriffen, ohne auf die Einwände zu antworten.

Delebecque bemerkt zunächst, im Gegensatz zu Lavergne, daß nach Johannes "Simon Petrus das Schweißtuch daliegen sah, unmittelbar mit eigenen Augen". "Etwas sehen" oder "sehen, wie es gelegt ist", das ist noch nicht dasselbe. Unter der Hülle der Tücher habe Petrus das Schweißtuch nicht gesehen. Dann bringt er die Übersetzung von zwei umstrittenen Versen, die von P. Feuillet stammt: "Er sieht die herunterhängenden Tücher und das Soudarion, das am Kopfende zurechtgelegt war,das aber nicht 'mit' (wie) den (die) Tücher(n) zusammengefallen war, sondern das getrennt umhüllt und an seinem Platz aufgerollt war." Er beanstandet das Künstliche an dieser Übersetzung: "Zunächst ist das Wort soudarion nicht übersetzt, obschon zwei Spalten darüber geschrieben sind, und die Präposition epi mit dem Imperfect (en) kann nicht heißen, daß dieser Gegenstand "am Kopfende zurecht gelegt war". Johannes sagt bloß: "das auf seinem Haupte lag". Dann bedarf es einer Klammer - nur eine, aber das ist schon zuviel - um zu erklären: 'mit' heiße 'wie'.

Schließlich bedarf es zweier Verben für 'umhüllt und aufgerollt' als Übersetzung für das eine griechische Verb 'entetuligmenon'. Auch bestreitet Delebecque die Übersetzung von othonia durch 'Tücher', welche von P. Lavergne erfunden wurde, weil er darin einen pluralis extensivus sah (der in Wirklichkeit das große Leichentuch im Gegensatz zum kleineren Schweißtuch bezeichnet) so wie 'die Himmel', um den Himmel in der Einzahl zu bezeichnen, weil er weiter als die Erde ist: im Vergleich zum kleinen Schweißtuch war das Leichentuch groß", (ebd., S.19) Delebecque geht gegen diese Auslegung des Plurals an, weil zuviel daraus abgeleitet wird. Zugegeben, in den Papyrussen wird das Wort oft für Tücher oder für feinen Stoff gebraucht, auch sogar für Kleider. Im Evangelium aber muß dem dortigen ständigen Gebrauch Rechnung getragen werden, besonders aber dem Verb 'dein' (binden) bei Joh. 19,4o, das gebraucht wird, um anzudeuten, daß Joseph von Arimathäa und Nikodemus "den Leichnam Jesu nahmen und ihn mit othonia wickelten". Zu diesem ausführlichen Text muß der andere von Joh. 11,44 hinzugezogen werden, wo beschrieben wird, wie Lazarus aus dem Grabe kommt und "mit Bändern (= keiriais) an Händen und Füßen gebunden ist". Jesus sagt dann: 'Bindet ihn los und laßt ihn gehen'. Wäre der Erweckte nur mit einem Schweißtuch umhüllt gewesen, dann hätte er sich selbst befreien können. War er aber behindert und gefesselt, konnte er das nicht. Mit einem Wort: die othonia sind nichts anderes als Bänder oder Wickel, die den Leichnam festhalten und das große Leichentuch eng anschließend festmachen sollten. Diese Begriffeauffassung ist im Ärztewortschatz geläufig. Dort bezeichnet das Wort leichte, geschmeidige, aber starke Wickel, deren der Arzt sich bei Knochenbrüchen oder Gelenkauskugelungen bedient", (ebd., S.243 f.)

Nun aber ist "das große Leichentuch" das Sindon der Synoptiker. Johannes erwähnt es aber nicht, als er von der Entdeckung des leeren Grabes berichtet. Der Professor schlußfolgert daraus, daß es am Ostermorgen nicht mehr im Grabe lag: "Johannes berichtet Von dem, was er gesehen hat. Er schweigt über das, was er nicht gesehen hat und worüber man bestürzt ist. Was er zunächst nicht gesehen hat, ist hauptsächlich der Leichnam Jesu. Dann das Leichentuch, das sindon, das den Leichnam umhüllte. (...) Es bleiben nur die Bänder und das Schweißtuch", (ebd., S.246.) Diese Schlußfolgerung könnte nicht widerlegt werden, wenn nicht gleich ein Einwand aufkäme, den jedoch der Prof. zu widerlegen versucht: "Man soll nicht einwenden, daß Johannes auch nichts vom Sindon erwähnt, wenn er die ersten Handlungen am Leichnam Jesu beschreibt. (...) Er nennt an der Stelle auch nicht das Schweißtuch, sondern erst später, wahrscheinlich, weil die Bänder einerseits das Soudarion auf dem Kopf befestigten und andererseits das Leichentuch an den Händen und den Füßen. Er spricht von Dingen, die selbstverständlich sind." (ebd., Anm.13) Die Antwort auf den Einwand zerstört das Hauptargument: am Ostermorgen wird das Sindon von Johannes nicht erwähnt, weil es also aus dem Grabe verschwunden ist, und das ist sicher, weil Johannes beschreibt, "was er gesehen hat". Er schweigt sich aus über das, "was er nicht gesehen hat". Aber am Karfreitag spricht Johannes auch nicht vom Sindon. Da war es aber vorhanden, ... weil Johannes "nicht berichtet, was selbstverständlich ist".

(Fortsetzung folgt.)
 
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