IM VERTRAUEN AUF GOTT!
ZUR ERINNERUNG AN H.H. PFR. ALOIS ASSMAYR
von
Eberhard Heller
Der Tod von H.H. Pfarrer Alois Aßmayr am 19.11.1980 hat wohl allen
überdeutlich gemacht, auf wie wenigen Schultern die eigentliche Last
dieser apokalyptischen Auseinandersetzung ruhte, bzw. noch ruht. Durch
sein Hinscheiden am Fest der hl. Elisabeth haben wir einen der ganz
wenigen Priester verloren, der ohne Rücksicht auf persönliche Vorteile,
ohne diplomatische Finessen ("Bei mir soll jeder wissen, wo er dran
ist.") seine Kraft in diesem Kampf, über den er sich kaum Illusionen
hingab, verbraucht hat. Und wie vielen hat er in den letzten Jahren
wieder Mut und GlaubensZuversicht geschenkt! Das kleine Dorf Biberwier
gegenüber dem überwältigenden Massiv des Wettersteins, anziehend eher
durch seine landschaftliche Vielfalt als durch seine herb stolzen
Bewohner, war allein durch seine Anwesenheit, durch sein
seelsorgerisches Wirken zu einem religiösen Refugium geworden, in dem
Jahr für Jahr immer mehr Gläubige Zuflucht fanden.
Eine der großen Gaben von Pfr. Aßmayr bestand darin, sein
unerschütterliches Gottvertrauen anderen mitzuteilen, es in sie
überfließen zu lassen. "Wir brauchen nicht alles verstehen, wir müssen
uns nur bemühen, Ihm, Gott, dem Vater im Himmel, ein braves Kind zu
sein. Fest vertrauen drum!" Und der Grund füt dieses Vertrauen? "Der
Herrgott hat uns so lieb, daß Sein Sohn sogar den schmachvollsten Tod
auf sich genommen hat, um uns zu erlösen. Und dieser Liebe müssen wir
vertrauen!" Dieses Gottvertrauen, das Wissen, in Seinen Händen geborgen
zu sein, war das Fundament, auf dem sein Leben ruhte, es war durch
nichts zu erschüttern.
Wenn man bei ihm weilte, in seiner Stube, am Kachelofen saß, nebenan
die Tische voll mit Schriften, Briefen, angefangenen Manuskripten, er
selbst häufig mit seiner blauen Arbeitsschürze, gelegentlich eine
Zigarette in der Hand ... man fühlte sich wohl bei ihm, in all dem
Durcheinander eines Junggesellendaseins; denn Pfarrer Aßmayr hatte die
letzten zwei Jahrzehnte keine Haushälterin mehr gehabt. Und mit welcher
Fürsorglichkeit hat er einen dann noch bewirtet: da gab's
selbstgemachte Butter, selbstgemachte Marmelade, für ganz Tapfere auch
selbstgemachten Käse, und nicht zu vergessen: seine berühmten Tiroler
Speckknödel. Und dann seine leisen Erzählungen, seine Ermahnungen, die
gemeinsamen Sorgen, die ausgetauscht wurden, aber unmerklich^erst, dann
stärker ließ er wieder den Grundton erklingent Hab Vertrauen, Vertrauen
in Gottes Vatergüte. Da wußte man unmittelbar - und dieser Eindruck
nutzte sich nie ab: dieser Mann ist Priester Gottes, der sein Amt ernst
nimmt; er lebt, was er sagt. Da gab's keine falschen Töne, keine
intellektuelle Artistik oder Hinterhältigkeit, kein theologisches
Gefasel, keine Phrasen und kein Ausweichen vor schwierigen Fragen. Das,
was er sagte, was er vertrat, war selbständig durchdacht, schlicht und
klar. Einmal ging ich mit ihm den kleinen Höhenweg unterhalb des
Grubigsteins durch den Wald entlang - Leute, die in Biberwier waren,
kennen ihn alle. Es war Frühjahr, der Schnee gerade geschmolzen. Bei
einer durch die winterliche Schneelast umgebogenen jungen Fichte blieb
er stehen. "Wie schwer wird's die haben, bis sie wieder grad steht."
Und dann weiter: "So geht's halt auch jemand, den's in jungen Jahren
einmal umgeworfen hat. Also Geduld mit solchen haben."
Wenn ich in den letzten Jahren nach einem Seelsorger gefragt wurde,
habe ich ohne Zögern Pfarrer Aßmayr genannt. An wen sollte man auch
schon verirrte Gläubige, verweisen, solche, die von der 'Kirche'
betrogen worden waren, die sich von Econes Anmaßung und Arroganz
abgestoßen fühlten - meinen Terminus für diese Armen:
'Econegeschädigte!, hörte er allerdings nicht gern -, wenn nicht an
ihn? Für mich war er einer der wenigen, meistens der einzige, an den
ich auch Personen empfehlen konnte, die noch suchten, die ihren Weg
noch nicht zu Gott gefunden oder auch verloren hatten. Auch wenn ich
wußte, daß wir manche Argumente klarer und schneller liefern konnten,
so teilte sich doch bei ihm immer eines mit, was eigentlich das
lebendige Prinzip unseres katholischen Glaubens sein sollte: die Demut.
Und darin hat er uns alle beschämt! Er wollte klein sein, klein vor
Gott. "Ein stolzer Gedanke, und alle Gnaden sind dahin." Oder: "Wie
glänzend der Herr für mich sorgt. Mir geht's eh viel zu gut." und mit
hintergründiger Selbstironie folgte dann: "Vielleicht wird mir einmal
gesagt, was willst du denn noch im Paradies, du hast's ja schon auf
Erden gehabt." Wie tot bleiben Argumente, wenn sie nicht gelebt werden.
Jeder von uns weiß das. Das,was Pfarrer Aßmayr sich Stück für Stück
geistig angeeignet hatte, konnte er weitergeben, weil es in ihm lebte.
Aber nun, wo er nicht mehr ist, wer übernimmt da seine Lasten,
seine Mühen, d.h. diejenigen, die ihm andere aufgeladen hatten und die
er gerne übernommen hatte? Alois Aßmayr war am 9. Juni 1906 in Virgen
in Osttirol geboren worden. Er hat gerne von seiner Heimat erzählt und
Bilder von den Bergen, von der Kapelle mit mittelalterlichen Fresken in
Obermauern gezeigt. Seine Jugend war hart, wie übrigens sein ganzes
"Leben, hart und entbehrungsreich. Was er davon berichtete, war für
meine Ohren ein unbekannter, fremder Zusammenklang von Herbheit,
Kargheit, Härte, Armut, menschlicher Abgrenzung, Gotthingabe,
Schicksalsergebenheit, Anspruchslosigkeit, manchmal auch ein wenig
Freudlosigkeit - so wenigstens schien es mir - und Sittenstrenge: im
Haus stand ein Bottich mit Wasser, für alle Fälle, damit niemand
verdursten brauchte; zum Kühehüten bekam der Alois ein Stück Brot mit,
das so hart war, daß er es vor dem Verzehr erst in Wasser aufweichen
mußte; abends wurde regelmäßig der Rosenkranz gebetet; einer seiner
Brüder starb, als er sich beim Gewehrreinigen versehentlich eine Kugel
in den Fuß geschossen hatte; über geschlechtliche Dinge wurde kaum
geredet, in diesen Dingen herrschte äußerste Zurückhaltung; sich
anbahnende Liebesverhältnisse wurden im Dorf geheim gehalten bis zur
für alle überraschenden Hochzeit; im Essen, in der Kleidung war man
bescheiden. Diese Einfachheit in den äußeren Dingen hat Pfarrer Aßmayr
nie abgelegt; seine Askese war freiwillig. Als er letztes Jahr schwer
krank war, mußte man ihn richtig dazu bewegen, normal zu essen. Ich
hatte ihn gebeten, doch ein ausführlicheres Zeugnis dieses kargen
Lebens in seiner Jugend und überhaupt von den Lebensumständen und
Gebräuchen in den Gebirgstälern zu hinterlassen; wenn er keine Zeit
hätte, darüber zu schreiben, solle er doch seine Berichte auf Tonband
sprechen. Leider kam er nicht mehr dazu. Mir haben diese Erzählungen
immer imponiert, nicht, daß ich mich mit allen Haltungen, die er
aufzeigte, einverstanden erklärte - warum sollte denn auch ein
Holzfäller, der sich im heißen Sommer bei der Arbeit gelegentlich sein
Hemd auszog, ein sittenloser Mensch sein? -, aber all das, was Pfr.
Aßmayr erzählte, zeugte von einer geschlossenen, heute leider verloren
gegangenen Lebensform, in der oben oben und unten unten blieb.
Seine Mutter habe ihn, den Hirtenjungen, der selbst buttern und käsen
konnte, irgendwann einmal gefragt, ob er nicht Priester werden wolle.
Nein, das wolle er nicht werden. Aber die Mutter hatte ihn besser
beobachtet: was sollte sein Sträuben, als er merkte, daß Gott ihn
gerufen hatte. Sein Vater wollte ihn auf dem Hof zu Hause behalten,
versprach ihm 200 Schillinge - eine Menge Geld für die damaligen
Verhältnisse -, wenn er bliebe. Der Vater mußte seine Schillinge
behalten und Alois Aßmayr als Spätling die Lateinschule in Salzburg
hinter sich bringen. Sein Theologiestudium absolvierte er in Brixen. Am
29. Juni 1932 wurde er dort zum Priester geweiht. Rückblickend verglich
er seine Seminarzeit und das, was er damals erhalten hatte, mit der
neuen Ausbildung in den modernistischen Fakultäten: "Heute muß man ja
da drin seinen Glauben verlieren; früher hat man ihn dorten auch nicht
gewonnen, aber man hat ihn da auch nicht verloren." Menschliche Hilfe,
persönliches Verständnis und Gerechtigkeit waren damals auch schon
recht selten. Leicht ist ihm diese Zeit im Gymnasium und im Seminar
nicht gefallen. Seine Geradlinigkeit, sein Gerechtigkeitssinn, seine
freie Selbständigkeit waren nicht sehr gefragt. Welch stolzes Feuer in
diesem unscheinbaren, aber um so zäheren Bergburschen brannte, läßt
sich aus folgender Begebenheit ersehen: Einmal saß er in Salzburg auf
einer Parkbank, als sechs seiner Mitschüler, älter als er, sich ihm
ganz scheinheilig näherten, um ihn dann plötzlich anzufallen und um ihn
zu verprügeln. Als er mit fünf fertig war, blieb nur noch der letzte.
Da sich aber die fünf ersten hingemähten Krieger an seine Arme und
Beine hängten, konnte er diesen sechsten nur dadurch in die Flucht
schlagen, daß er ihn kräftig in die Brust biß. Dann hatte er Ruhe.
Als Kaplan - oder Kooperator, wie man damals sagte - kam er nach
Nikolsdorf, wirkte in Wangle, in St. Veit und Dölsach, einmal hatte er
eine Vertretung im Ötztal. Jetzt konnte er sich von den paar Groschen,
die er erhielt, Bücher kaufen, mußte aber auf den Wintermantel
verzichten und im Beichtstuhl frieren. Während des Krieges, im Jahre
1941, wurde er als Pfarrer nach Biberwier versetzt. Er erlebte dort
noch den Rückzug der deutschen Truppen und den Einmarsch der
Amerikaner. Da gab's eine Reihe Tote. Die Nazis hatten ihn vom
Schuldienst suspendiert. "Macht, was ihr wollt! Mit Recht kriegt ihr
mich nie, mit Unrecht immer!" - war sein Kommentar. Pfr. Aßmayr machte
einmal eine Andeutung, daß er durch eine Mutter-Gottes-Vision damals
gewußt habe, daß dieser Nazi-Spuk bald eine Ende finden würde.
Persönlich lernte ich Pfarrer Aßmayr kennen, als wir nach der Primiz
von Kaplan Storck im Herbst 1973 von München wegfuhren und in Biberwier
Zwischenstation machten. Aßmayr war uns von dem damaligen Redakteur
dieses Blattes, Dr. Fuchs, als einer der Priester genannt worden, der
noch die 'alte Messe' lese- Mehr wußten wir von ihm nicht. Jahre vorher
hatte ich zwar schon einmal nach einer Schitour in Biberwier die hl.
Messe besucht, aber da herrschte noch die heile Welt und Priester, die
die gültige Messe lasen, fielen deswegen noch nicht besonders auf.
Spät abends kamen wir in Biberwier an. Ja, die hl. Messe lese der
Pfarrer am nächsten Morgen um 7 Uhr. Um 7 Uhr waren wir in der Kirche.
Am Altar kniete eine Gestalt, in einem dunklen Lodenumhang, reglos, im
Gebet versunken: Pfarrer Aßmayr. Er wirkte in seiner Reglosigkeit
größer. Dieses Bild war überwältigend. In all den Jahren nachher ist es
sich stets gleichgeblieben. Und was ich dann bald wußte: Dort am Altar,
vor Seinem Gott, da wollte er sein, da wollte er Ihm dienen, in aller
Einfachheit, wie er seinen Dienst selbst charakterisierte: "in aller
Armseligkeit". Wie sah nun dieser Dienst aus? Kurze Zeit später wußte
ich es, ich konnte den Tagesablauf des Biberwierer Pfarrers selbst
miterleben: Um vier, fünf Uhr morgens auf und in die Kirche zum Gebet,
Kreuzweg, Rosenkranz, Brevier - so früh war ich allerdings nicht dabei
-; dann hl. Messe. Er las sie still, einfach, ohne Hast und äußerst
vornehm (mir fällt keine passendere Bezeichnung ein). Nach dem
Religionsunterricht in der Schule nahm er eine kleine Stärkung zu sich,
kaum einen richtigen Bissen; die erste Mahlzeit am Tag. Abends
Rosenkranz, früh zu Bett. Um Mitternacht stand er wieder auf, um erneut
vor Gott zu knien.
Als ich ihn das erste Mal bei diesem nächtlichen Gang in die Kirche
begleitete, wollte ich, um ihm gefällig zu sein, Licht in der Kirche
anmachen. "Lassen Sie nur, wir brauchen keines." Und dann das Beten in
der dunklen Kirche: wohltuende Ruhe und Geborgenheit. Die harten
Kniebänke vergaß man. Vorne am Altar brannte das Ewige Licht. Nach und
nach machte es den Altarraum heller und heller. Ja, wir brauchten kein
Licht mehr, wir hatten genug.
Die Gestalt, die morgens am Altar kniete in andächtiger Versenkung, die
man kaum durch seine eigene Anwesenheit zu stören wagte, und die
mitternächtlichen Anbetungen, wo er "erst so richtig mit dem Herrgott
sprechen, Ihm alles anvertrauen konnte", das sind Momente, die ich nie
vergessen werde.
Dieses Leben der Askese, des Gebetes war jahraus, jahrein gleich;
gleich blieb auch lange Jahre die aufgenötigte menschliche
Zurückgezogenheit, unter der er sehr litt. Ja, er habe so manche
Gebetserhöhung gehabt. Aus gesundheitlichen Gründen mußte er später die
nächtlichen Anbetungen aufgeben, was er sehr bedauerte.
Als er merkte, welche Richtung die vorgeblichen Reformen einschlugen -
der Verrat war ihm bei der Einführung der neuen Opferungsgebete bewußt
geworden -, streifte er all die schleichenden Häresien schnell wieder
ab. Seine Kritik an den Neuerungen teilte er auf einer
Priesterkonferenz mit, wies auf die Enzyklika "Pascendi" vom hl. Pius
X. hin, keiner kannte sie, nicht einmal der Bischof, und keiner wollte
sie kennen. Als er sah, daß auch in seiner Heimat die Priester vor dem
Modernismus kapituliert hatten, blieb er weiteren Priestertreffen fern.
Früher hatte man ihm sogar einmal die Stelle des Spirituals des
Priesterseminars in Innsbruck angeboten. Das hatte er aber abgelehnt.
Im Hinblick auf die Verantwortung und Schuld, die jeder seiner
reformerischen Amtsbrüder auf sich nahm, meinte er: "Mei, bin ich froh,
daß ich nur ein kleiner Dorfpfarrer bin."
Die meisten im Dorf wußten nicht, wen sie da als Pfarrer wirklich
hatten. Nur wenige verstanden ihn. Ein Arzt aus einem Nachbardorf
meinte, er müsse ihn als "komischen Heiligen" apostrophieren. Respekt,
ja, denn er ließ sich nicht 'rumkriegen', aber da war auch viel
Reserviertheit. Nein, folgen auf diesem Weg der Entbehrung, der Mühsal,
des freiwilligen Opfers, wolltenihm nur wenige. Das Verhältnis zwischen
den Pfarrern und den Biberwierern war wohl nie recht gut gewesen. Die
früheren Geistlichen hatten das Dorf entweder bald wieder verlassen
oder vor der Mentalität der Leute kapituliert. Die knapp 600 Seelen,
die Pfarrer Aßmayr betreuen sollte, hatten ihren früheren Geistlichen
das Leben nicht leicht gemacht. Biberwier galt als 'rot' und îromm'
wollte eigentlich niemand sein. "Mir blieb nur die Wahl, entweder
aufzugeben, oder in die Tiefe zu gehen." Und dieses Selbständigbleiben
als Priester gegenüber einer Gemeinde, die ihn viel lieber in die
Wirtschaft und zum Kartenspielen verlockt hätte, hat ihn erhebliche
Anstrengungen gekostet. Viele der Leser haben ihn als offenen, vornehm
zurückhaltenden Priester kennen gelernt, der niemanden abwies, sondern
sich aller annahm und auch totalen Blödsinn mit Geduld anhörte. Wenige
nur wissen, daß er lange Zeit mit Vereinsamung und Verbitterung zu
kämpfen hatte. Über dreißig Jahre Zurückgezogenheit waren nur schwer zu
ertragen. Wenn es bei ihm 'stürmte', d.h. wenn ihn die Verbitterung zu
übermannen drohte, hörte er sich vom Tonband die greußlichsten
Verführungen der Mystiker an, die er vorher darauf gesprochen hatte.
"Hinterher habe ich mir dann sagen müssen: hast du's noch gut", und es
ging weiter. Als ich nach meiner Promotion für ein paar Tage bei ihm zu
Besuch weilte, meinte ich nur, all zu lange könne er dieses
Eremitendasein nicht mehr führen. Die Gläubigen hätten kaum noch
Seelsorger, und er würde sehen, demnächst würden immer mehr Leute bei
ihm Rat und Hilfe suchen. Er winkte damals recht ungläubig ab. Aber man
mußte wirklich kein großer Prophet sein, um diese Entwicklung
vorauszusagen. Biberwier wurde durch seinen Pfarrer, der die 'alte
Messe' las, sogar so bekannt, daß selbst der clevere
Fremdenverkehrsmanager diese'Besonderheit' geschäftlich ausschöpfte und
mancher Biberwierer darüber nachdachte, daß man den Pfarrer vielleicht
doch ein wenig verkannt hatte.
Von München aus war es nicht sehr weit bis Biberwier, und wir haben
Pfarrer Aßmayr in der Folge recht häufig besucht. Es entstand ein
herzliches, freundschaftliches Verhältnis. Oft war das Pfarrhaus
überbelegt. Es war ja auch noch recht ideal hier: die Kirche stand noch
neben dem Wirtshaus. Und Pfarrer Aßmayr kam auch nach München. Zuerst
als Gast zu unserer Hochzeit, dann, ab dem Verbot der hl. Messe im März
1976 als Priester -so häufig es ihm möglich war -, um in St. Michael,
Baaderstr., die hl. Messe zu feiern. Dort hat er im Oktober 1977 auch
unseren Sohn Bernhard getauft. Welch schöne und zugleich schlichte
Zeremonie!
Nachdem ich im Frühjahr 1975 die Redaktion der EINSICHT übernommen
hatte, galt eine meiner ersten Bemühungen, Pfarrer Aßmayr als
Mitarbeiter zu gewinnen. Nein, er könne nicht schreiben, das hätte er
noch nie getan, da würde nichts Gescheites heraus kommen. Gott sei
Dank, hat er dann doch zu schreiben begonnen. Was wäre diese
Zeitschrift ohne seine Beiträge gewesen, ohne seine klaren, einfachen
Aussagen! Wieviele Neuabonnenten hat er gewonnen! Manchmal lieferte er
für einen Artikel gleich mehrere Entwürfe. Aber was muß ich über diese
Arbeiten noch schreiben, jeder kennt sie ja und weiß, wieviel sie ihm
bedeutet haben. Nur das eine: Im Februar 1976, also kurz vor dem
offiziellen Verbot der hl. Messe am 7. März, erschien von ihm der
berühmt gewordene Artikel "Was ist Wahrheit". Etwaige (Straf)Maßnahmen
seitens des Innsbrucker Bischofs hatte der Autor in Kauf genommen. Die
Menge der zustimmenden Zuschriften waren für ihn überwältigend. Ich
schlug vor, er solle sich doch in einem öffentlichen Brief dafür
bedanken, da er die Schreiben nicht alle einzeln beantworten konnte.
Das tat er, aber in welcher Weise! "Auf meine Artikel in der EINSICHT,
besonders aber auf den in Nr.6, Febr. 1976 "Was ist Wahrheit" habe ich
ziemlich viele und herzliche Dankesbriefe erhalten, über die ich mich
aufrichtig gefreut habe. Zeigen sie doch, daß viele, auch Priester,
mich verstehen und meine Haltung teilen. Ich halte meine Haltung nur
für selbstverständlich als Kind Gottes, als Streiter Christi und als
Hirte, wenn auch nur als ein ganz kleiner und unbedeutender. Aber Liebe
und Treue können doch auch in einem für die Welt unbedeutenden
Menschenherzen wohnen. Darum fühle ich mich verpflichtet, mich den
Wölfen, auch wenn sie Hirtenkleider oder sogar Oberhirtenkleider
tragen, furchtlos entgegen zu werfen. Daß das eine gefährliche Sache
ist, ist mir vollkommen klar. Ich fühle mich aber ganz und gar in der
Hand Gottes geborgen. Es kann mir nichts geschehen, was mein
himmlischer Vater nicht will oder zuläßt. Was Er aber zuläßt oder will,
dafür kann ich Ihm nur danken, ob es mir wohl oder weh tut. (...) Uns
Christen, besonders uns Priestern soll der Herr nicht immer wieder den
betrüblichen Vorwurf machen müssen: 'Was seid ihr so furchtsam, ihr
Kleingläubigen?' Trauen und vertrauen wir fest auf Unsern Herrn und
Seine hl. Mutter! Unser Vertrauen freut Ihn und Sie! (...) Liebe
Freunde, macht Euch keine Sorgen um mich, ich mache mir auch keine.
Aber ich danke Euch herzlich für Eure lieben Briefe, die meine Haltung
nur bestärken. (...) Es grüßt Euch alle herzlich und segnet Euch - ich
werde beim Hl. Opfer an Euch alle denken!" (V,362) Der Dank wurde zum
erneuten Geschenk, das Mut und Gelassenheit verströmte.
Diese Furchtlosigkeit war es auch, die den Reform-Bischof Rusch von
Innsbruck davon abhielt, gegen ihn vorzugehen. Es herrschte bei ihm
auch noch ein gewisser Respekt vor dem Pfarrer aus dem Außerfern, den
er einmal bewundernd fragte: "Reden Sie immer so (sc. offen)?", als
Pfarrer Aßmayr ihm gesagt hatte, daß er dem modernistischen Rom und
auch ihm, seinem Vorgesetzten nicht mehr traue. Außerdem befürchtete
man einen Skandal, wenn man diesen aufrichtigen Geistlichen feuern
würde. "Wenn ihr mich hier laßt, schade ich euch noch am wenigsten."
Manch einer hat vielleicht heimlich oder offen Pfarrer Aßmayr einen
gewissen Vorwurf gemacht, daß er sich nicht institutionell von der
Amtskirche losgelöst hat. Daß er es nicht tat, kann man eventuell
bedauern. War er deswegen inkonsequent? Nein, er hatte sogar schon
Pläne für seinen Fortgang gefaßt. Aber er hatte nicht durchschaut, daß
die Amtskirche durch ihren Abfall jegliche Autorität verloren hatte.
Als z.B. Paul VI. gestorben war und die Kirchenglocken hätten läuten
sollen - wie das normalerweise beim Ableben eines Papstes üblich ist -,
ließ er sie schweigen. Für ihn war kein hl. Vater gestorben. Gleich
lief das Telephon heiß: wie er es wagen könne, nicht läuten zu lassen,
wo doch der Papst gestorben sei. Seine Antwort: "Ihr kennt mich doch,
ich bin kein Heuchler." Aber er konnte sich nicbt.vorstellen, daß die
Ordinariate, der Vatikan, die Pfarrstellen, überhaupt nicht mehr
existent sein sollten. Irgendeinen Ordnungsfaktor mußte es doch in
diesem Verhau noch geben! Wer sollte die Toten beerdigen? Und ähnliche
Fragen. - Was soll's! All die Priester, die mehr wußten, die das
Kirchenrecht besser kannten als er, haben wohlweißlich den Mund
gehalten oder ihnen verlogene Geschichten erzählt, aus persönlichen
Rücksichtnahmen oder politischem Taktieren. Das hat er nie getan. Er
hat seinen Kampf zu Ende geführt, er ging segnend aus dieser Welt. Für
das, was er uns allen geschenkt hat, sind wir ihm zutiefst zu Dank
verpflichtet. Bis zum Schluß stellte er sich schützend vor seine
Freunde, um sie gegen absurde Verdächtigungen zu verteidigen. Und er
hat es noch getan, als er totkrank daniederlag.
Herr, Gott, wir bitten Dich, schenke Deinem Diener Deine Huld und Deine überströmende Freude.
Weil die Innsbrucker Reformer seinen letzten Willen hinsichtlich seiner
Beerdigung mißachteten, war keiner von uns bei seinem Begräbnis
anwesend. Dafür wurde das feierliche Requiem in St. Michael in München
von einem Priester gehalten, mit dem er eng befreundet war. Erst nach
den Weihnachtsfeiertagen war es mir möglich, mit einem Bekannten und
unseren Kindern sein Grab zu besuchen. Der Friedhof in Biberwier war
tief verschneit, kaum ein Pfad, der zu den einzelnen Gräbern führte.
Wir mußten suchen, und dann noch Schnee vom Grabkreuz wegfegen, bis wir
lesen konnte: Alois Aßmayr. Hier also hatte er seine letzte Ruhe
gefunden. Im Schnee stand ein kleiner Christbaum mit ein paar roten
Kerzen. Fast in den weißen Massen verborgen brannte ein Grablicht. ...
Wie ist doch der Tod so unverständlich! Biberwier, ohne Pfarrer Alois
Aßmayr, war wieder ein einfaches Bergdorf in Tirol geworden! R.I.P.
Nachtrag:
Mit meiner Familie besuchte ich im vergangenen September Pfr.
Aßmayr. Es war ein herrlicher Tag, darum unternahmen wir gleich nach
der hl. Messe mit einer Bekannten, die ebenfalls zu Besuch in Biberwier
weilte, eine Bergwanderung auf den Schachtkopf, einem Vorgipfel des
Grünsteinmassivs. Die Kinder, drei und fünf, hielten sich recht tapfer.
Endlich kamen wir am Gipfel an, den ein Kreuz krönt. Ein Gipfelbuch war
auch da, in das sich die Fünfjährige schon selbst eintragen wollte.
Welche Überraschung aber bot sich uns, als wir die erste Seite
aufgeschlagen hatten und in vertrauten Schriftzügen lesen konnten:
"Alpenland, wie bist du schön!" und auf der folgenden Seite: "Alois
Aßmayr, Pfarrer." Vor zwei Jahren im Oktober hatte er hier oben seine
letzte Bergmesse gefeiert und nachher das Gipfelbuch eröffnet:
"Alpenland, wie bist du schön". ÌÌie er uns nachher erzählte, handelt
es sich bei dem Vers um einen Gedichtanfang.) Der Tag war
wunderherrlich, warm und wolkenlos. Die Gipfel ragten sanft in den
tiefblauen Himmel. Die Sicht war ausgezeichnet. Wir blieben eine ganze
Weile dort oben. Ich wußte, daß Pfarrer Aßmayr vielleicht schon bald
sterben würde. Erinnerungen stiegen in mir auf. Selbst im hohen Alter
hatte er noch mit uns Bergwanderungen unternommen. Er konnte klettern
wie eine Gemse. Was würden wir dann ohne ihn machen? Dieses Bekenntnis
zu seiner Heimat, dieses Zeichen von ihm hier oben, so ganz unerwartet,
verursachte in mir ein seltenes Gefühl der Freude.
War er nicht für uns alle selbst zum Zeichen geworden, Zeichen in einem
ganz tiefen Sinne? Hatte er uns nicht ein Zeugnis gegeben der Demut vor
Gott? und des vollkommenen Gottvertrauens, bis zu seinem Tode?
NÄCHSTES ROSENKRANZGEBET AM 5.
MÄRZ 1981 UM 18 UHR: BETEN WIR DIESMAL BESONDERS FÜR DAS SEELENHEIL ALL
DERER/ DIE IN DEN LETZTEN JAHREN VON DIESER ERDE ABBERUFEN WURDEN UND
DIE AM KAMPF FÜR UNSEREN GLAUBEN TEILGENOMMEN HABEN, BETEN WIR FÜR
UNSERE TOTEN PRIESTER, PFARRER ASSMAYR UND DR. KATZER. |