DIE STINKENDEN VORBOTEN
von
Léon Bloy
(aus: "Der Verzweifelte" Heidelberg 1954, S.212ff; "Le désespéré" um 189o)
FORTSETZUNG:
Der Abstrich wirkte sich endlos aus. Alles, was sich seit dem 17.
Jahrhundert begab, verfiel ihm. Die katholische Pädagogik faßte den
Entschluß, sich leidenschaftlich und für immer im Katafalk des "großen
Jahrhunderts" einzunisten, um sich dafür zu kasteien, einst den
Geschöpfen Gottes eine allzu übertriebene Achtung zugestanden zu haben.
Daraufhin absolutes Verbot, etwas anderes als Nachahmungen dieses
Leichengefährtes zu verfassen, und donnerndes Anathema gegen den
mindesten Versuch, die verbotene Grenze zu überschreiten. Das
unwahrscheinlichste Schrifttum hat sich aus dieser Blockade ergeben.
Man kann sich wirklich fragen, ob Sodom und Gomorra, die Jesus in
seinem Evangelium noch für "ertragbar" erklärte, nicht fromm und im
Vergleich mit dieser Kloake der Unschuld umweht vom Duft der Heiligkeit
waren.
"Der große Tag naht! - Das Leben ist das Leben nicht. - Der Herr ist
mein Teil. - Wie steht es mit uns? Der Blitz vor dem Blitz. - Die
Zeiten der Passion. - Der Nagewurm. - Tautropfen. - Bedenke es wohl! -
Der schöne Lebensabend. - Der glückhafte Morgen des Lebens. - Im Himmel
erkennt man sich wieder. - Die Himmelsleiter. - Folge mir und ich führe
dich! - Seelenmanna. - Der liebwerte Jesus. - Wie lieblich ist doch der
Glaube. - Wehklage und Lamentation des Erlösers. - Die Tugend im
Schmuck all ihrer Reize. - Maria, ich liebe Dich. - Tiefere Kenntnis
Mariens. - Der Katholik in allen Lebenslagen." Dies sind die Titel, die
einem ins Auge fallen, betrachtet man die Auslage einer Buchhandlung
für frommes Schrifttum.
Und man nehme nur nicht vorschnell an, es seien dies unbedeutende
Broschüren. Der "liebwerte Jesus" allein hat drei Bände. Die Dummheit
dieser Machwerke entspricht haargenau der Dummheit ihrer Titel.
Entsetzliche Dummheit, verquollen und weiß! Die schneeige Lepra ist's
der religiösen Sentimentalität, ein Durch-die-Haut-Brechen der inneren
Eiterung, angesammelt in einem Dutzend faulender Generationen, die uns
ihre Krankheit vererbten!
Eine unqualifizierbare Bücherei der Rue de Sèvres bietet beispielsweise
folgendes zum Verkauf an: "Fahrplan der Himmelseisenbahn". Ganz kleine
Blättlein in der Größe eines Meßbuches, damit man sie wie die frommen
Bildchen hineinlegen kann. Gleich auf der ersten Seite wird einem der
tröstliche Anblick eines Eisenbahnzuges, der eben in einen Tunnel
verschwindet, das durch einen kleinen, mit Gräbern besäten Berg führt.
Dies ist der "Tunnel des Todes", hinter dem sich der "Himmel" befindet,
"die selige Ewigkeit das Fest des Paradieses". Diese Dinge sind auf
drei Seiten in winzigem Druck und jener jovial flüssigen Schreibweise
erklärt, wie sie das Blatt "Der Pilger" bis zu äußersten Grenzen des
Planeten verbreitet hat und die der letzte literarische Seim der
speichelreichen Gebrechlichkeit des Christentums zu sein scheint. Man
löst seine Fahrkarte zum Paradies - ohne Rückfahrkarte natürlich - am
Schalter der Buße, man zahlt mit guten Werken, die zugleich auch das
Gepäck sind, Schlafwagen gibt es nicht, und die schnellsten Züge sind
gerade die allerunbequemsten. Dann, zwei Lokomotiven: die Liebe an der
Spitze des Zuges und die Furcht am Ende. "Einsteigen, meine Herren,
einsteigen!" Das sinnige Machwerk läßt uns mißlicherweise im unklaren
darüber, ob auch die Damen zugelassen sind, ob gestattet ist, sie auf
den Schoß zu nehmen, oder ob man Kümmelblättchen spielen darf wie in
den Vorortzügen. Dies unschuldsvolle Ulkgeblök hört sich ganz harmlos
an, nicht wahr! S'ist der Todesrülpser des christlichen Glaubens,
zuerst, dann für die ganze Geistigkeit dieser Welt, die er
hervorbrachte, deren einziges Substrat er ist und die ihn keine
Viertelstunde überleben wird. Was soll man aber von einer Geistlichkeit
denken, die solche Schändung der Herde, die ihr anvertraut ist,
ermutigt oder zuläßt, die den abscheulichsten kindischen Kretinismus
als Demut anspricht und den auch nur die leiseste Andeutung, es könnte
so etwas wie eine moderne Kunst geben, vor Entrüstung rasen läßt?
Von diesem in unfruchtbaren Eisgehegen des Jahrhunderts Ludwigs XIV.
verschanzten Klerus, haben edelste zeitgenössische Häupter, die sich
ihm zeigten, nur Beschimpfung oder eine verächtliche Feststellung ihres
Vorhandenseins sich gefallen lassen müssen. Schriftsteller von
heilendster Großartigkeit waren bereit, ein wenig junges Blut dem
verdorrenden Leib ihrer Ahnin einzuflößen. Sie wurden verflucht,
verleugnet, mit Schimpf und Schande beworfen: "Ihr seid die
Hundertjährigen und Abgelebten!" schrie sie ihnen aus ihrem zahnlosen
Munde zu, und der einzige große Künstler, der seit dreißig Jahren ihre
Bude beehrte - Jules Barbey d'Aurevilly -, wurde auf ausdrückliche
Anweisung des Erzbischofs von Paris angeprangert.
Es ist wahr, sie hat ja ihre großen Schriftsteller, die in Schwachsinn
verfallene gallikanische Kirche! Auf ihren höchsten First hat sie
beispielsweise einen wirklichen Bischof, den schismatischen Dupanloup,
gehißt, dessen widerwärtige Grauin-Grau-Malereien über Erziehungsfragen
sie nur blinzelnd betrachtet, als seien es Ströme von Purpur. Dieser
Mitren-Ständer, der die Schande des mittelmäßigsten Episkopates war,
den man je zu sehen bekam, wird sogar von jenen, die ihn wegen der
erstaunlichen Niedrigkeit seines Charakters verachten, wie ein
geistiger Blitzschleuderer betrachtet. "De Pavone Lupus factus", sagte
man in Rom während des Konziles und zerpflückte den Namen seines
Fräulein Mutter. Trotzdem man seine tyrannische Anmaßung und die
pompöse Sorglosigkeit dieses Hirten mit zwölf Generalvikaren kennt, der
nie in seiner Diözese residieren konnte, trotzdem man von der
Schändlichkeit seiner politischen Intrigen und der ruchlosen Heuchelei
des Empörers weiß, der die universale Kirche verriet, und sich auf
seinen sohnhaften Wunsch berief, "den heiligen Vater nicht der
Demütigung einer Ungewissen Abstimmung aussetzen zu wollen", was liegt
daran, er wird wie ein Meister verehrt, und die literarische Dysenterie
dieses violetten Dichterlings, für dessen Bücher der geringste
Journalist seinen Namen nur zögernd hergeben würde, wird für das
Überschäumen des Genies erklärt. Unendlich unter diesem Prälaten
erglänzen, so gut sie's vermögen, die untergebeneren Amethysten und
subalterneren Hirtenstübe: die Landriot, Gerbet, Segur, Mermillod, die
La Bouillerie, Freppel, unfruchtbare Gatten ihrer Sonderkirchen und
schleimige Geliebte einer Muse mit Kalbsgekröse, die ihre Gunst ihnen
allen gönnt. Dann zahllose Soutanenleute: die Gaume, die Gratry, die
Pereyve, Chocarne, Martin, die Bautain, Huguet, Norlieu, die Doucet,
Perdrau, Crampon, ein ganzes Schwarzgewimmel auf der sich zersetzenden
Rhetorik der verstorbenen Jahrhunderte. Man kann fünfzigtausend dieser
Hirne aufeinandertürmen und sie zusammenzählen. Das Ganze liefert nicht
einmal die komplette Bekleidung einer einzigen armseligen Idee.
An Laien bietet man der Bewunderung der braven Gläubigen eine
beachtliche Sammlung von Schulfuchsern, so wohlerzogen wie Gehenkte und
trocken wie die Mondegebirge: Poujoulat, Montalembert, Ozanam, Falloux,
Cochin, Nettement, Nicolas, Aubineau, Léon Gautier, Historiker oder
Philosophen, Politiker oder einfache Konferenzler. Es ist die
Milchstraße des literarischen Firmaments. Diese Polizisten der
religiösen Ästhetik haben das menschliche Denken konfisziert und in das
dunkle Gefängnis kleinlicher Anstandsrücksichten und feierlicher
Abgedroschenheiten des großen Jahrhunderts gesperrt. Niemand darf ohne
ihre Erlaubnis bestehen, und die größte Kunst, die es je gab, der
moderne Roman, der alle Konzeptionen aufgesogen hat, wird für nichts
erachtet, wenn sie sich zeigen.
Der Phönix aber dieses Federviehs ist Henri Laserre, der Benjamin des
Erfolgs. Es erübrigt sich, die anderen zu betrachten, sobald dieser
Virtuose die Bühne betritt, denn er eint in seiner Person die Salbung
der Priester, die knorrige Pedanterie der hohen Kritiker und die
fettige Geschwätzigkeit der Hagiographen. Diesen seltenen Gaben fügt
sich noch die ganz persönliche Eigenschaft eines Gascogner-Dünkels, der
jede Garonne entmutigen muß. Ein Handlungsreisender in Frömmigkeit, ein
Gaudissart des Wunders, der besser als jeder andere seine keuschen
kleinen Blumengewinde aus azurblauem Papier zu schlingen weiß. Daher
hat sich auch das allerunenthaltsamste Glück diesem kecken Wucherer
schleunigst an die Fersen geheftet, der die Jungfrau in Buden und auf
Märkten verschacherte. Es bedurfte nichts weniger als des fast
göttlichen Triumphes Louis Veuillots, um einen solchen Erfolg
auszugleichen, und der reine beschauliche Geist, Ernest Hello, ist im
Strahlenglanz dieser beiden Ruhmreichen unbekannt verstorben.
Wahr ist auch, daß die gleiche lohnspendende Hand am erstarrenden
Herzen dieser vom Nichts durchspensterten Kirche die
Katakombennachtigall, den uralten Pontó martin festhält, dessen
Eunuchentum zweckdienlicherweise vorgeschichtliche Gluten abkühlt.
Nicht minder wahr ist, daß man dem Sammler vom Mund, wo er Guano
verfälschte, einen Léon Taxil wegstahl, der nunmehr Gottes Adjutant ist
und mit Zymbeln als Prophet gepriesen wird. Endlich befruchten die
Seelenhirten mit ihren Segnungen die "gutdenkende Presse", von Louis
Veuillot zur unerbittlichen Vernichtung der Badeanstalten des Denkens
begründet. Danach geschlossene Türen, Haß, Fluch, Exkommunikation und
Verdammnis über alles, was sich von den überlieferten Paradigmen
entfernt...
"Die fromme Geistlichkeit schafft das tugendliche Volk", hat ein
formelfreudiger Mann gesagt, "die tugendliche Geistlichkeit schafft das
biedere Volk, die biedere Geistlichkeit schafft das unfromme Volk." Wir
sind bei der biederen Geistlichkeit angelangt und verfügen über
Prediger wie Pater Montsabré.
Man hat diesem Elenden den Ruf eines großen Redners übergestülpt.
Dieser klägliche Thomist, dieser unerträgliche Schulinspektor, der
systematisch alle spontane Geisteserleuchtung befeindet, hat nicht
einen einzigen Gedanken nicht eine Bewegung noch Herzensregung, kein
Gefühl, keinerlei Ausdrucksmöglichkeit. Er ist ein Kran, dem laues
Wasser entrieselt, das im Rinnen schon eisig erkaltet. Und ein ganzes
Jahr braucht er dazu, um uns diese Duschen vorzubereiten! Es gibt
Naivlinge, die entgeistert sind über diese Leere. Aber seit langem
werden ja alle in dieser Art gezüchtet, die Verkünder des Wortes
Gottes!
Schleim aus St. Sulpice, den man sich seit zweihundert Jahren von Mund
zu Mund weiterreicht, zusammengerührt aus allem überkommenen zähen Seim
und gallikanischer Galle, gekocht auf Flößholz des Liberalismus;
scholastischer Hochmut, um eine Million Federfuchser damit
auszustatten; eine unbegrenzte Gewißheit, alles Wehen des Heiligen
Geistes eingesogen und das Gotteswort derart innezuhaben, daß Gott
selbst, nach ihnen, nichts mehr zu sagen vermöchte. Dazu die
unumstößliche, wenn auch uneingestandene Absicht, keinerlei Martyrium
zu erleiden und nur sehr wenige Arme zu bekehren; doch eine
herablassende Wertschätzung irdischer Güter, die den verdrießlichen
Eifer der Ermahnungen dieser Apostel zügelt und sie hindert, das
begüterte Bürgertum, das sich am Fuß ihrer Kanzeln brüstet, zu
betrüben. Nur gerade die unerläßliche kaum wägbare Dosis bitteren
Geifers über das zarte Geblüm des Hauptbuches, für das die zu
Abführzwecken dienende Unterscheidung der Weisung und des Rates
erfunden wurde. Endlich die ewige politische Erneuerung, das
unvermeidliche Gestöhn über die frechen Übergriffe des Freidenkertums
und die unwandelbare Besorgnis über die mutmaßliche Zukunft des teuren
Vaterlandes zum Beschluß ... Wenn man anderes vernimmt, so hat man das
Glück, nicht gut zu hören, oder unehrerbietiger Schlummer beschert
einem Träume. Pater Montsabré ist unbestreitbar das gelungenste
Produkt, und die guten Firmen, in denen dieser Artikel hergestellt
wird, sind gegenwärtig damit beschäftigt, ihm zahlreiche Nacheiferer zu
erwecken. Es gibt noch eine andere Spielart, die. man vielleicht
"didonal" nennen könnte, bei der die Seelen-Mittelmäßigkeit sich noch
deutlicher offenbart und noch weniger Begabung vorhanden ist. Die
Glitzerfolie dieser Gaukler ist verschieden im Dominikanerorden, so wie
ihn dieser freimütige Posaunenbläser Lacordaire zugestutzt hat. Sie
alle haben mehr oder minder Sehnsucht nach Reklame. Doch Didon, der
sich nicht damit begnügt, ein Mundstück des Nichts zu sein, und der
seine Mönchskutte auf den Brettern internationalen Komödiantentums
prostituiert, führt uns vom biederen Klerus fort, um uns geradenwegs
den abtrünnigen oder schismatischen Soutanenträgern zuzugesellen - was
offensichtlich eine minder entscheidende Verunglimpfung des langmütigen
Antlitzes Christi darstellt!
Was nun die anderen Diener der Altäre und die Menge der Gläubigen
angeht, so kann man nur erschüttert verstummen. Man drängt sich
zusammen, Ellbogen an Ellbogen, häuft sich aufeinander zu einem
Müllhaufen der Feigheit und der Torheit. Man wirft sich ins Nichts des
Gedankens, um der Ansteckung der Ausschweifung oder des Unglaubens zu
entgehen.
Gleichzeitig nutzt man die Gottlosigkeit der Welt durch einen ganz
orthodoxen Winkelzug voll Sorgfalt aus, um die Fessel der kirchlichen
Vorschriften ein weniges zu dehnen. Da die Kirche in der stets
betrogenen Hoffnung einer schnelleren Wiederkehr der schweifenden
Lämmer, die verlorengingen, die Strenge ihrer Bußen zu ganz
Geringfügigem herabgemindert hat, nutzen die treu verbliebenen, die in
Tiefen der Herde blökenden Schafe, die bedauerlichen Zugeständnisse
ihrer Hirten, und alle religiösen Gebräuche sinken gleichermaßen ab,
denn die Epoche ist nicht einem Heroismus der über's Maß der
Verpflichtung sich erstreckenden Werke geneigt.
Nie noch ist wohl so viel von Wohltätigkeit geredet worden. Sich mit
Wohltätigkeitsgründungen befassen, in Wohltätigkeitsanstalten arbeiten,
das sind gangbare Redewendungen, die nur Bestes anzeigen, obzwar sie in
ihrer Unbestimmtheit bedrohlich Protestantischem nahe sind. Wirklich
begreifen die Katholiken die Barmherzigkeit, üben sie aus, wirklich
lieben sie ihre bedürftigen Brüder auf protestantische Weise, das heißt
- mit jener wucherischen Prahlerei, die zuvor als Erwiderung lächerlich
geringer Hilfeleistung die gänzliche Aufgabe der Würde des Armen
fordert. Es ist fast nie vorgekommen, daß einer dieser geldgeschwellten
Christen seinen tränenberieselten Bruder in die Arme nahm, um ihn durch
Zahlen seines Lösegeldes mit einem Teil seines Überflusses wirklich na
ihn einemmal zu retten. Fast gleicht es einer politischen Maßnahme.
"Arme werden immer mit Euch sein", sagt das Evangelium, und dies
erschreckende Wort, das die Besitzenden verdammt, ist gerade der Anlaß
des Kannibalensophismus, der ihre Sicherheit begründet. Gott hat
bestimmt, daß immer Arme vorhanden sind, damit die Reichen sich fromm
darüber trösten, es nicht zu sein, dadurch, daß sie sich in der
providentiellen Notwendigkeit bescheiden, ihre Zahl nicht zu
vermindern. Arme sind ihnen also nötig, um sich selbst die
Gefühlsamkeit ihrer zärtlichen Herzen so billig als möglich zu
beweisen, mit Wucherzinsen auf das Paradies zu leihen, sich zu
belustigen, zu tanzen, ihre Weiber bis zum Nabel ausgeschnittene
Kleider tragen zu lassen, tiefgerührt über die Verhungernden Champagner
zu trinken, mit einer Tasse Bouillon duftende Unzüchteleien abzuspülen,
zu denen allerdurchlauchtigste Tugenden sich herabzulassen vermögen.
Man müßte für sie Arme schaffen, gäbe es deren nicht, denn sie
benötigen Arme für alle Lebenslagen, für Freude und Kümmernis, für Fest
und Trauerfeiern, für Stadt und Land, für alle gefühlvollen Haltungen,
die von Dichtern vorgesehen sind. Arme benötigen sie unter allen
Umständen, damit sie der Armut "Wir haben unsere Armen" erwidern und
sich mit müder Geste von dieser beklagenswert Hingesunkenen abwenden
können, die der Menschen Erlöser sich zur Braut erwählte und deren
Geleit zehntausend Engel sind. Es kann sein, daß der Tag kommt, da der
furchtbare Gott, der die Lauen ausspeit aus seinem Munde, das Wunder
vollbringt, dem widerlich-faden Trupp einige moralische Würze zu
verleihen, was der Analogie gedenken läßt, der fürchterlichen
symbolischen Mischung von Schärfe und Bitternis, die der Martergenius
Ihn in seiner Agonie zu trinken zwang.
Doch wird es, 's ist zu befürchten, seltsamer Feuerbrände und der Würze
von viel Blutvergießen bedürfen, um an diesem Tage die widerwärtigen
Schlächter- Christen verdaulich zu machen.
Verzweiflung und Tränen, wie sie kein menschliches Auge jemals vergoß,
werden vonnöten sein, und gerade die aus "Höhen ihrer ekelhaften Tugend
so sehr von ihnen verachteten Gottlosen - zu ihrer Züchtigung
ausersehen, zu ihrer gänzlichen Beschämung fromm erlesen - werden sie
ihnen entlocken! ...
In Erwartung dessen wird Christus unzweifelhaft auf den Schindanger
geschleift, Das blutige Antlitz des Gekreuzigten, dessen Strahlen
neunzehn Jahrhunderte durchleuchteten, sie haben es in so
übelkeiterregende Schändlichkeit gebadet, daß die unsaubersten Seelen
Seine Nähe scheuen, sich zwangvoll abwenden und weheschreien.
Er hatte die menschliche Schmach herausgefordert, dieser Menschensohn, und die Menschenschmach hat Ihn besiegt!
Vergeblich triumphierte Er über die Schändlichkeit des Gerichtshofes
und über Golgatha, wie über den ewigen Wiederbeginn dieser Greuel der
Verachtung. Jetzt bricht Er zusammen unter den Greueln der
Ehrerbietung!
Seine Priester und Seine Gläubigen, eifernd hingegeben dem stinkenden
Götzen, der aus ihren Herzen auf Seinen Altar stieg, haben Ihn mit so
vernichtender Lächerlichkeit verunglimpft, sagen wir nicht der
Anbetung, sondern der allerembryonalsten religiösen
Zärtlichkeitsanwandlungen, so daß zu dieser Stunde das Wunder der
Wunder wäre, Ihm einen Kult wiederzuerwecken.
Jean Pauls tragischer Traum ist nicht mehr zeitgemäß. Der weinende
Christus spräche jetzt nicht mehr zu den aus den Gräbern erstehenden
Menschen: "Ich hatte Euch einen Vater im Himmel versprochen und weiß
nicht wo Er ist. Ich habe mich meines Versprechens entsonnen und Ihn
zweitausend Jahre lang im ganzen Universum gesucht. Und ich habe Ihn
nicht gefunden, und jetzt bin ich verwaist gleich Euch."
Der Vater aber wird diesen betrübten und heimatlosen Seelen Antwort
geben: "Ich verstattete Meinem Logos, dem von Mir erzeugten, Euch
gleichzuwerden, um Euch durch Leiden zu erlösen. Ihr, Meine treuen
Anbeter, für die Er durch Sein Opfer Bürgschaft leistete, Ihr bittet
Mich um diesen Erlöser, dessen Esse der Qualen Ihr gespeist und den Ihr
nunmehr durch Eure Liebe derart entstellt habt, daß ich Selbst, dem
Wesen nach Eins mit Ihm und Sein Vater, Ihn nicht wiederzuerkennen
vermag ...
Ich nehme an, daß er im Tabernakel wohnt, das Seine letzten Jünger Ihm
bereiteten, die tausendfach feiger sind und grausamer als die Henker,
die Ihn mit Schimpf bedeckten und blutig schlugen.
Wenn Ihr Meines Sohnes bedürfet, suchet Ihn im Unrat."
***
HINWEIS FÜR KÜNSTLERISCH VERANLAGTE URLAUBER:
Was es nicht alles gibt: seit neuestem kann man im Kloster Geras, 80 km
nordöstlich von Wien, Aktmalerei erlernen mit einer "aktraktiven jungen
Frau im Evakostüm" als Modell, (vgl. WELT, 16.5.198o) Da hat sich der
Prior Dr. Joachim Angerer doch etwas einfallen lassen - als
Grenzlandhilfe! |