DIE STINKENDEN VORBOTEN
von
Léon Bloy
(aus: "Der Verzweifelte" Heidelberg 1954, S.199f; "Le désespéré" um 189o)
Anmerkung:
Bloys Schilderung der geistigen Verfaßtheit des ausgehenden 19.
Jahrhunderts christlicher Zeitrechnung spricht eine deutliche Sprache.
Vielleicht überlegt sich nach dieser Lektüre doch einmal einer der
braven Traditionalisten, warum wir nicht dafür plädieren, bloß alles so
zu "machen wie vor dem Konzil".
E. Heller
***
Es war die Stunde, wo die schlimmste Brut, neugestärkt nach der Ruhe,
ihre Schlupfwinkel verläßt und die Straßen von ganz Paris überflutet.
Das geschäftige Getier mit den Millionen Füßen, nach Geld begierig oder
Wollust, ließ sich ringsum in diesem Außenviertel vernehmen. Der
gebietende Proletarier mit der Holzschnauze verließ seinen unsauberen
Zwinger und eilte zu zweifelhaften Arbeitsstätten; der kleine Beamte,
minder erhaben, doch ordentlicher zurechtgestutzt, steuerte pünktlich
blödsinnigen Verwaltungsämtern zu; Geschäftsleute, mit von gestern und
vorgestern besudelter Seele, liefen ungereinigt neuen Schiebereien
entgegen; das Heer der kleinen Arbeiterinnen ging auf Welteroberung
aus, mit leerem Hirn, bemaltem Gesicht, von fragwürdigen Nächten
verquollenen Augen, stolz geschwenkter Hinterpartie. Das ganze Pariser
Geziefer wimmelte und kreiste dunstumwölkt im scheußlichen Gelärm der
niedrigen Gewerbe von Trottoir und Straße. Wer wäre wohl darauf
gekommen, daß es in einem dieser von allen guten Geistern der
Architektur verlassenen Mietgemäuer eine echte Mystikerin gab, eine
reuige Thais, eine Mänade der Barmherzigkeit und des Gebets, wie sie
sich seit Jahrhunderten nicht mehr zeigte? Und wer, hätte er's
erfahren, wäre nicht in das fettfreche Gelächter ausgebrochen, das
klugen Völkern, die gerade zur Zeit kommen, um mit Ruten ausgepeitscht
zu werden, die Hüllen herunterreißt?
Die von dieser einfachen Christin vollbrachte Tat war für ihre
Zeitgenossen ebenso unverständlich, wie die Verklärung unseres Herrn
einem Flußpferd in seinem Schlamm erscheinen muß. So hohe Grade frommer
Begeisterung müssen dem entgleitenden Fischschwanz dieses
Jahrhundertendes unüberwindbar zuwider sein. Niemals wurde wohl im
Schicksalsgewebe der Heroismus so allgemein von der menschlichen Natur
verleugnet in den sechstausend Jahren, da dieser seltene Liebespilger
gezwungen ist, mit ihr im Konkubinat zu leben.
Christentum, wenn man davon überhaupt noch reden kann, ist nur noch
eine Häufung von Torheit oder Feigheit. Nicht einmal mehr verraten wird
Jesus Christus, er wird verschachert, und die jämmerlichen Kinder der
Kirche schlottern demütiglich an den Toren der Synagoge, um ein Endchen
zu erbetteln von dem Judasstrick, den man ihnen schließlich, des
Gezeters müde, mit einem Gestöber von Fußtritten überläßt.
Hätte man die Arme vor ein Gericht geladen, so wäre sie gewiß weder von
Häretikern noch Gottleugnern am härtesten verurteilt worden. Diesen
würde genügt haben, sie nur beiläufig mit einigem Unrat zu bewerfen.
Von den Katholiken aber wäre sie zur Mästung ihrer Schweine in Stücke
geschnitzelt worden, da nichts - ausgenommen Genie - bei den
gegenwärtigen Amtswaltern der heldischsten aller Lehren so wild verhaßt
ist wie Heldentum. Was sie in seltsamem Mißbrauch des Wörterbuches
"geistiges Leben" nennen, ist ein Programm höchst verwickelter Studien
von Spezialverkäufern von Asketensuppe, fleißig durcheinandergequirlt
zur gänzlichen Abschaffung menschlicher Natur. Die Hauptdevise der
Unterweiser und Repetitoren scheint das Wörtlein "Diskretion" zu sein
wie in Heiratsagenturen. Jede Handlung, jeder Gedanke, die nicht dem
Programm entsprechen, das heißt jeder natürliche und spontane Impuls,
wie großgemut er auch sein mag, wird als "indiskret" betrachtet und als
möglicher Anlaß verdammender Ausmerzung.
Seine Börse einem Hungers Sterbenden geben oder sich ins Wasser werfen,
um einen armen Teufel zu retten, ohne zuvor seinen Seelenführer befragt
und zum mindesten eine neuntägige "Stille Einkehr" abgehalten zu haben,
dies sind die gefährlichsten Indiskretionen, die der Stolz einzugehen
vermag. Der fromme Skrupel, er schon ganz allein, erforderte eine
zweite Erlösung.
Die modernen Katholiken, greulich gezeugt von Port-Royal und Manrèze,
sind in Frankreich eine von solchem Gestank umwölkte Gruppe geworden,
daß im Vergleich dazu die üblen Dünste der Freimaurer oder
Antiklerikalen fast wie paradiesische Wohlgerüche erscheinen, und Gott
weiß, daß dort Herzen und Hirne von der animalischmaterialistischen
Circe zu ihrer schweinischen Rückverwandlung kaum noch etwas benötigen.
Es ist wahr, alle Kreuze sind noch nicht niedergemäht worden, noch alle
kultischen Handlungen ersetzt durch antikische Schauspiele der
Prostitution. Man hat auch noch keine Latrinen und öffentliche
Bedürfnisanstalten in den zu Spielsälen oder Nachtlokalen umgewandelten
Kathedralen eingerichtet. Offenbar werden noch nicht genug Priester in
der Gosse umhergezogen, noch genügend junge Nonnen der mütterlichen
Fürsorge der Wirtinnen von Vorstadtbordellen anvertraut. Die Kinder
werden noch nicht früh genug verführt, noch eine größere Anzahl von
Armen könnte umgebracht werden, das Vaterantlitz wird noch nicht oft
genug angespuckt oder sonstwie verunglimpft ... Gewiß! Aber all dies
kommt über uns und kann schon als Wirklichkeit angesehen werden, weil
es gleich der Flut unvermeidbar ist, und nichts vermag, es abzuwenden.
Das Böse ist universaler und erscheint größer zu dieser Stunde als
jemals, weil die Zivilisation noch nie so auf der Erde schleifte, die
Seelen so niedrig, der Arm der Gebietenden so kraftlos war. Das Übel
wird noch zunehmen. Die Republik der Geschlagenen hat ihr ganzes
verfluchtes Gezücht noch nicht geworfen.
Seit fünfzehn Jahren wirbeln wir in Schandspiralen abwärts, und das
Absinken wird schneller und schneller, so daß es einem den Atem
verschlägt. Wir rasen jetzt in Sturmesschnelle ohne Hoffnung auf
Umkehr, und von Stunde zu Stunde werden wir ein wenig dümmer, feiger,
ein wenig abscheulicher vor Gott dem Herrn, der uns aus Himmelsgründen
ansieht! ... Joseph de Maistre sagte vor mehr als einem Jahrhundert,
daß der Mensch zu böse sei, um die Freiheit zu verdienen. Dieser Seher
war ein Zeitgenosse der Revolution, deren grandiose Schrecklichkeit er
prophetisch betrachtete, und er unterredete sich mit ihr von Angesicht
zu Angesicht.
Er starb im Entsetzen und in der Verachtung dieses Zwiegesprächs und
hielt dem zivilisierten Europa die Sterberede. Er hätte also heute
nichts Weiteres zu sagen, und die finalen Schweinereien unserer letzten
Kindheit könnten der bestürzenden Sicherheit seiner Diagnose nicht das
Mindeste mehr hinzufügen.
Wohl! wenn alle Drohung der antireligiösen Hefe endlich über uns
geborsten ist, wie die Wolke einer Sudelsintflut, wenn die angeblich
christliche Gesellschaft unheilbar zerfallen, wie schwimmendes, faul
riechendes Getrümmer hinschwindet auf der phosphorglimmenden Feuchte,
in der die Erde versinkt, was bedeutet das angesichts des Ungeheuers,
das schon Gestalt gewonnen hat, vor dem der Verstand sich aufbäumt und
das als kauernder Despot überm sterilen Mist unserer Herzen herrscht?
Nur zwei Sorten Unrat gibt es: den Unrat der Tiere und den Unrat der
Geister. Der revolutionäre und antiklerikale Schmutz ist nun aber ein
recht subalterner Dreck, unglaublich altvaterisch und älter noch als
das Christentum. Er entfließt den niederen Organen der Menschheit seit
sechzig Jahrhunderten und hat Schaufeln und Besen verbraucht, daß damit
das Lösegeld eines Königs der Kloakenreiniger bezahlt werden könnte. Er
ist eine Mißlichkeit dieser trüben Welt, eine einfache
Straßenreinigungsund Desinfizierungsangelegenheit für die emsige
Obrigkeit, der die Gesundheit der Allgemeinheit am Herzen liegt. Das
Tier muß seiner Natur nach leben, und das Übel ist annähernd Null,
solange die Autorität nicht weicht. Und selbst wenn das geschieht, so
wird das Übel zu Verfolgung und wandelt sich in Ruhm.
Die bestialischen Beschimpfungen, die verkropften Herausforderungen,
die blödsinnigen Lästerungen, die idiotischen Grausamkeiten entwichener
Sklaven, die sich zitternd nach der Fuchtel zurücksehnen, all das
besagt wenig und vermag im wesentlichen weder Wahrheit noch
Gerechtigkeit zu beflecken.
Seit dem Kalvarienberg und dem Ölberg gibt es nichts, das vom inneren
Schwein des Menschenherzens nicht unternommen worden wäre gegen dies
Übermaß der Schmerzensherrlichkeit. Keine Erfindung ist mehr möglich
und die Galilei und Edison der demokratischen Ruppigkeit vergeudeten
ihr Genie dabei überflüssig. Wiedergekäu hundertjähriger
Altbackenheiten,ewiges Wiederaufwärmen urvordenklicher und schütterer
Albernheiten, Wiederauftischen matter Schmudeleien, die von zahllosen
Generationen immer gleicher Mäuler geblökt werden, seit zweitausend
Jahren abgeleierte Parodien, Neues fällt niemandem ein.
Wahrhaft grauenvoll ist die Unreinheit der Geister. Die Füße Christi
können nicht bemakelt werden, sondern einzig sein Haupt, und dies
Anliegen vollendeter Verruchtheit ist die unbewußte oder perverse Wahl
der Menge seiner Freunde.
Da Christus jenen, die er seine Brüder nannte, nichts Größeres als das
Geschenkte zu geben vermag, läßt er ihnen wenigstens die furchtbare
Majestät vollkommenen Schimpfes, den sie Ihm antun. So weit gibt er
sich hin und läßt sich zur Abfallgrube schleifen. Die Katholiken
entehren ihren Gott, wie niemals Juden und die fanatischsten
Christengegner je fähig waren, ihn zu entehren.
Das törichte Rasen der bewußten Feinde der Kirche flößt Mitleid ein.
Das legendäre Geschwätz von Untergrunds-Jesuiten-Verschwörungen,
romantisch organisiert von widerlichen, doch genialen Finsterkäfern,
kann noch auf den Plebs wirken, beginnt aber überall sonst an Kredit
einzubüßen, was fast verwunderlich ist bei derart überragender Torheit.
Stupide Verleumdungen haben sonst zumeist ein zäheres Leben. Krumm,
verpfuscht, schief, unsäuberbar und unannehmbar, haben sie Bestand und
erhalten sich ewig saftreich.
S'ist wahr, die Katholiken haben selbst ihre eigene Schmach als Pfand
angenommen, und dies ersetzt eine Unzahl von Geifermäulern.Voltairesche
Kinderei ist es, diese Tröpfe der Ruchlosigkeit zu zeihen. Der
Schrecken der Schrecken ist eben, daß sie mittelmäßig sind.
Ein mit Verbrechen beladener Mann ist stets von Interesse. Er ist eine
Zielscheibe für die Barmherzigkeit. Er gehört zu der unermeßlichen
Herde der Böcke, denen vergeben werden kann und die ihrer Sünde
entledigt werden können, um heilsame Opfer zu sein.
Er ist ein wesentlicher Bestandteil des erlösbaren Irdischen, für das
der Gottessohn den Tod erlitt, wie geschrieben steht. Weit davon
entfernt, den göttlichen Plan zu durchkreuzen, verdeutlicht ihn der
Verbrecher und bestätigt ihn experimentell durch die Prahlerei seines
entsetzlichen Elends.
Der schuldlose Mittelmäßige aber stößt alles um.
Er war vorgesehen, zweifellos, doch nur als ärgste Marter der Passion, als unerträglichste Todesqual des Kalvarienberges.
Dieser furchtbare Mittelmäßige ist ein so harter Backenstreich ins
Angesicht Christi und löscht so gänzlich die Göttlichkeit des Opfers
aus, daß es unmöglich ist, einen unumstößlicheren Beweis für das
Christentum zu erdenken als das Mirakel seines Bestehens, der
ungeheuerlichen Nichtigkeit der Mehrzahl seiner Getreuen zum Trotz!
Ach! wie verständlich ist das Grauen, die wilde Flucht des 19.
Jahrhunderts vor dem lächerlichen Antlitz dieses Gottes, den man ihm
anbietet, und auch seinen Grimm vermag man zu verstehen!
Immerhin ist es sehr heruntergekommen, das Lumpenjahrhundert, und
dürfte kaum das Recht haben, sich anspruchsvoll zu gebärden! Aber
gerade weil es so hundsgemein ist, muß die Monstranz des Glaubens
erzerhaben sein und sonnenhaft strahlen ...
Will man wissen, wie es steht mit diesem Glanz? - Seht her!
* * *
Eines Tages, vor dreihundert Jahren, ward man gewahr, das blutige Kreuz
habe allzulange die Erde überdüstert. Der Ausbruch der Unzucht, den man
übereinkam, "Renaissance" zu nennen, begann eben aufzudampfen, eine
Anzahl germanischer oder welscher Schulfuchser hatten verbreitet, man
müsse nun nicht mehr leiden. Die tausend Jahre ergebener Verzückung des
Mittelalters mußten vor der Kruppe der Galathea weichen. Das 16.
Jahrhundert war eine historische Tag- und Nachtgleiche, bei der das von
den Eisschauern des Sensualismus verunglimpfte Ideal endlich stürzte
und die Wurzeln zum Himmel streckte. Das geistige Christentum, mit
zerbohrten Hirnhäuten, aufgeschlitzter Hauptschlagader, seiner
innersten Substanz entleert, verstarb, ach, nicht! Es wurde
schwachsinnig und genüßlich in seiner zersiebten Glorie. Ein
furchtbarer Krampf war's hundert Jahre lang, einem unendlich unnützen
und jämmerlichen Zurückrufen der Seelen gesellt. Unsere taumelnde Welt
durchkreiste blutsprühend den Wandel der anderen Planeten. Da jedoch
selbst das Martyrium seine Wirkung verlor, erlangte der alte Urschlamm
siegerisch seine Rechte wieder, alle Tore der Ställe wurden aus ihren
Angeln gerissen, und das allgemeine Schweinetum der Moderne begann
seinen kotbekrusteten Exodus. Das Christentum dem es nicht zu siegen,
nicht zu sterben gelang, verhielt sich dann wie alle Überwundenen. Es
ergab sich in das Gesetz und zahlte Steuern. Um bestehen zu können,
ward es angenehm, ölglatt und lau. Stillschweigend wand es sich durch
die Schlüssellöcher, durchtränkte das Holzwerk, erreichte als
salbreiche Essenz verwendet zu werden,um Institutionen Spielraum zu
verschaffen, und ward so zu einem Subalterngewürz, dessen sich jeder
politische Küchenmeister nach Belieben bedienen konnte oder auch nicht.
Man hatte den unerwarteten und reizvollen Anblick eines zu heidnischem
Götzendienst bekehrten Christentums, ehrfürchtigem Sklaven der
Verächter des Armen und lächelndem Genossen der Phallusanbeter.
Wunderbar gemildert, machte sich der alte Asketismus allen Zuckerkand
und alle Spezereien zu eigen, um sich verzeihen zu lassen, daß er nicht
gerade die Wollust ist, und wurde in einer Religion der Duldsamkeit
jene Plausibilität, die man Hurerei der Frömmigkeit nennen könnte. Der
hl. Franz von Sales tauchte damals gerade im richtigen Zeitpunkt auf,
um alles sänftiglich zu übertünchen. Von Kopf zu Füßen wurde die Kirche
mit seinem Honig überkleistert, mit seinen seraphischen Pomaden
aromatisiert. Die Gesellschaft Jesu, durch ihre drei, vier frühen
Großen entkräftet und nur noch befähigt, einen Brechreiz verursachenden
Aufguß ihrer ersten Anfänge zu liefern, nahm freudig dies theologische
Duftgewässer an, durch das Gottes Glorie endgültig zu guten Kunden kam.
Die geistigen Blumengebinde des Fürsten von Genf wurden von zärtlichen
Priesterhänden den Erforschern des Zartsinnigen geboten, die sogleich
ihre Geographie ausweiteten, um ihr einen so bestrickenden
Katholizismus einzuverleiben ... Und das heldische Mittelalter wurde
zehntausend Fuß tief verscharrt! ...
Man sieht sich zu dem Geständnis gezwungen, daß es jetzt ganz und gar
aus ist mit dem christlichen Spiritualismus, da seit dreihundert Jahren
nichts auch nur einen Schein von Frische dem verkalkten Stamm alter
Glaubenslehren hat zurückgeben können. Einige sentimentale Formeln
täuschen noch Leben vor, aber in Wahrheit ist alles tot, wahrhaftig
tot. Der Jansenismus, dies infame Nachgeträuf kalvinistischen
Kotkanals, hat sich schließlich selbst die Lippen mit einer klug
erzüchteten Jesuitenzunge geleckt, und die philosophische Rasselbande
ließ ihre Nachkommenschaft die hochgestochenste Brut des Gallikanismus
ehelichen. Selbst die Schreckensherrschaft, die doch, wie man denken
sollte, die veredelnde Wirkung der antiken Verfolgungen hätte haben
müssen, diente nur dazu, die Christen, die sie einen Kopf kürzer
machte, noch zu verkleinern.
Zum Lohn dafür, daß sie die einfache Taube, die in den Goldhimmeln der
Legende schwebte, erschlug, büßte die Kunst ihre eigenen Schwingen ein
und wurde die Gesellin der Reptilien und Vierfüßler. Die
außerkörperlichen Durchstechungen in den Martyrologien der frühen
Meister sanken ab im fleischlichen Rausch der Formen und Farben bis zu
der virginalen Zuckerbäckerei Raffaels. Bei dieser tierischdummen
Holdheit und der gefälschten Glaubensseligkeit angelangt, versank dann
die religiöse Ästhetik mit einem letzten unerhörten Satz in der
unwiderruflichen Feuchte, die senile katholische Generationen
ausgeschieden hatten.
Heute ruft der gekreuzigte Welterlöser alle Völker zu sich im
Schaufenster der Glaser der Frömmigkeit, zwischen einem
grünschnäbeligen Evangelisten und einer allzu entgegenkommenden
Schmerzensmutter. Er windet sich, wie's sich gehört, auf
zartempfundenen Kreuzen, in einer hortensienblassen oder fliederweißen
Nacktheit, an Schultern und Knien entrindet, mit immer gleichen
weinroten Wundmalen, die stets nach dem Modell "geplatzter Fruchtkorb"
ausgeführt sind. - Es sei dies italienischer Geschmack, versichern die
Kittverkäufer.
Französischer Geschmack ist ein Jesus in der Glorie, mit purpurrotem
Brokatgewand angetan, der mit himmlischer Demut seinen Busen öffnet und
spitzfingrig einer ekstatisch mehlweißen Nonne ein enormes,
dornenumkränztes Goldherz enthüllt, schimmernd gleich einem Küraß.
Sodann der gleiche herzgepanzerte Jesus, der seine Arme breitet zu
einer mutmaßlichen Umarmung der unaufmerksamen Menge; weiter die ewige
talghafte Jungfrau, Beute des gleichen Anspruches tausendjähriger
Verzweiflungen, die auf ihren Knien nicht nur das Haupt, sondern den
ganzen Körper eines elenden Sohnes hält, der gemäß fraglicher Formeln
abgenagelt ist. Weiter die zahllosen Unbefleckten-Empfängnis-Madonnen
von Lourdes, Erstkommunikantinnen von breiter Schärpe umblaut, die mit
gefalteten Händen dem Himmel die unzweifelhafte Unschuld ihres
Emailweiß und Karminrot darbieten.
Endlich das vielfarbene Gewimmel der Erwählten: Heilige-Joseph-Scharen,
kinderlieb und wohlgelockt, meist mit schneckenseimbestreiftem,
mißfarbenem Umwurf, die einem segnenden Säugling eine Kartoffelblüte
reichen; Vinzenze von Paula wie aus Zuckerguß, die mit gefaßter
Fröhlichkeit kleine dankerfüllte Stearinscheusale aufsammeln; die
naiven heiligen Ludwige von Frankreich, die Dornenkronen auf kleinen
Plüschkissen tragen; die heiligen Ludwige von Gonzaga, cherubinisch
kniend und sorgfältigst gewichst, mit gefalteten Händen über
jungfräulicher Albe, Hühnersteißmund und schwimmendem Blick; die
heiligen Franze von Assisi im Pfefferkuchen ihrer Armut, seegrün oder
bläßlich angelaufen vor Liebe oder Enthaltsamkeit, die Sankt Peter mit
den Schlüsseln, die Sankt Paulus mit dem Schwert, die heiligen
Maria-Magdalenen mit dem Totenkopf, Johannes der Täufer in Horden, mit
dem Lämmlein, die palmenschwingenden Märtyrer, die mitabekrönten
Blutzeugen, die blumenumrankten Jungfrauen, die Päpste mit den von
unfehlbaren Segen spatelförmigen Fingern und das unübersehbare Gedränge
der Feuerwehrhelme der Kreuzwege.
All dies wohlbestallt und klug, bequem, geschäftstüchtig, ökonomisch,
tarifmäßig geordnet. Reiche und Arme, alle Pfarreien können sich in den
Basaren mit diesen frommen Bildwerken versehen, in denen sich zur
keuschen Befriedigung des Auges der Gläubigen die unausrottbare
raffaelische Überlieferung verewigt. Diese Purgativbilder entstammen
tatsächlich der großen Desinfektionsinfusion der ultramontanen
Madonnisten. Die italischen Erniedriger der großen mystischen Kunst
waren unbestreitbar die Ahnen dieser Tünchwaren. Ob sie nun - ja oder
nein - mit dem göttlichen Talent begabt waren, das man so gimpelhaft
auf den Leiern der Abgedroschenheit feierte, sie waren darum nicht
weniger die Matratzenlieferanten des Prostitutionsbettes, auf dem das
hurerische Heidentum die christliche Schönheit entjungferte. Und dies
sind ihre lieben Kinderchen!
Der Streit über das Allerheiligste Altarsakrament mußte unausweichlich
in weniger als dreihundert Jahren zum brüderlichen Wetteifern der
Gipsbeflissenen von Saint-Sulpice führen, die heute die blutrünstigste
Bilderstürmerei orthodox und fromm erscheinen ließen! Und mit der
Literatur ist es nicht anders. Oh! die katholische Literatur! In ihr
zumal verwirklicht sich schwindelerregende, mit nichts vergleichbare
Entleerung der Dekadenz. Ihre Geschichte ist überdies denkbar einfach.
Nach einem Strauß von Jahrhunderten voller Freiheit und Genialität
taucht schließlich Boussuet auf, der für immer, zum Ruhme seines
Kalifen in sklavenkerkerhafter Abhängigkeit vom Serail der Monarchie,
alle zeugungsdienlichen Kräfte der französischen Intelligenz lahmlegte
und mundtot machte. Es war eine politische Operation, nicht unähnlich
den Heckenbeschneidungen Ludwigs XI. und Richelieus. Was man gegen die
gefürchteten Vasallen des sehr christlichen Königs ins Werk setzte, das
brachte der gezähmte Adler der Diözese von Meaux bezüglich der noch
bedrohlicheren Feudalität des Gedankens zuwege. Nach diesem eifrigen
Beschneider - absolutes Schweigen, wundersame Unfruchtbarkeit.
Alle religiöse Philosophie mußte sich der seinen angleichen, und man
ward der unerhörten Gotteslästerung einer riesigen Geistlichkeit inne,
die auf die hl. Hostie gekauert und den Kopf im Tieftal ihrer Soutane
verborgen, sich anbetungsvoll vor einer Moderperücke neigte, in
posthumem Gehorsam vor dem bischöflichen Losungswort eines Hoflakaien.
Und das zweihundert Jahre lang, von 1682 bis in unsere armseligen Tage.
Die verkümmerte Kultur der Seminare erreichte jedoch nicht gleich von
Anfang an die Sonnenwende ihres Unvermögens. Es bedurfte der wachsenden
Feindseligkeit der modernen Zeit, um dieser Miliz nach und nach die
Notwendigkeit, feige zu sein, begreiflich zu machen, ihr die hohe
Weisheit einzutrichtern, dem Feind die Waffen vor die Füße zu werfen
und davonzulaufen. Jedesmal, wenn die Gottlosigkeit unverschämter
auftrat oder der philosophische Antagonismus sich besser ausgerüstet
erwies, wich die religiöse Unterweisung in gleichem Maß zurück und das
Priestertum zog die Fühler ein. Das theologische Teleskop verkürzte
sich durch Einziehen seiner Rohre, in der unbesieglichen Hoffnung, es
gäbe keine Gestirne mehr zu entdecken.
Da ließ man sich lustvoll im Dämmer apostolischer Kaninchengehege,
unter der deckenden Flügelweite der gallikanischen Gans, den Schimmel
des alten erzverstorbenen Schismas schmecken. Da die gesamte
christliche Tradition angeblich in den gesammelten Werken des hehren
Bischofs enthalten war und er selbst die universale Kirche in seinem
Nabel zusammenfaßte - es erwies sich ja als nötig, daß er seinem
königlichen Herrn als Fußteppich diente -, was brauchte man da noch
andere Autorität und was vermochte danach noch der verrufene
Menschengeist?
(Fortsetzung folgt)
* * *
MITTEILUNG DER REDAKTION: WIR
MÖCHTEN UNS GANZ HERZLICH BEI ALL DENEN BEDANKEN, DIE UNSERM AUFRUF
GEFOLGT SIND UND UNS ÄLTERE HEFTE DER EINSICHT ZURÜCKGESANDT HABEN,
DlESE STEHEN UNSERN NEU-AB0NNENTEN GERNE ZUR VERFÜGUNG; U.A. KÖNNEN WIR
DEN INTERESSIERTEN DAS ALLERERSTE HEFT UNSRER ZEITSCHRIFT ANBIETEN. -
WERBEN SIE BITTE ALLE AUCH WEITERHIN FÜR DIE EINSICHT UND TEILEN SLE
UNS ADRESSEN VON MÖGLICHEN ABONNENTEN MIT.
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