JOHANNES DUNS SCOTUS - EIN HEROLD UNSERER LIEBEN FRAU
von
Karl-Heinz Jütting
In Köln, einige Schritte vom Dom und in unmittelbarer Nachbarschaft des
bekannten Wallraf-Richartz-Museums, steht die Minoritenkirche, als eine
der ersten Bettelordenskirchen bestechend durch die strenge,
vergeistigte Form der frühen Gotik. Obwohl mitten im Herzen der Stadt
gelegen, ist die Kirche eine Oase der Stille, so daß dem privaten Gebet
infolge des Fehlens neugierig umhergehender Besucherscharen breiten
Raum gegeben ist. Der Chorraum, wo vormals der Hochaltar stand, ist
verhunzt und geschändet durch die rohe Faust der postkonziliaren
Neukirchler. Im linken Seitenschiff indessen steht der Sarkophag mit
den Gebeinen des sei. Johannes Duns Scotus, und seinetwegen sollte man
nicht an der Kirche vorbeigehen.
Wenngleich die Modernisten der Heiligenverehrung nicht gut gesonnen
sind, so ist doch die Anlage in würdigem Zustand. Fast immer schmücken
Blumen die Grabstätte, fast immer brennen Lichter dort. Ein
sechsseitiges Faltbild mit einer Abbildung und näheren Daten aus dem
Leben des Seligen kann man mitnehmen, dessen Text unverdächtig ist, da
er aus den fünfziger Jahren stammt und noch den Geist atmet, an dem wir
festhalten wollen. (Man kann das Bildchen auch beziehen beim
Minoritenkloster, Kolumbastr.4, 5 Köln 1).
Der sei. Johannes Duns Scotus hat leider nur einen relativ geringen
Bekanntheitsgrad unter den Gläubigen - früher und heute. Mag sein, daß
sein Name nicht so flüssig über die Lippen geht, mag auch sein, daß
vielleicht zu wenig Konkretes, Spezifisches, Persönliches aus seinem
Leben bekannt geworden ist. Das ändert aber nichts daran, daß der
Selige zu den ganz Großen gehört, zu den ganz Großen im Reiche des
Glaubens, der Wissenschaft und der Heiligkeit, dessen Vermächtnis die
Zeiten überdauert hat und auch künftig überdauern wird und der als
Herold der Allerseligsten Jungfrau, als Doctor Marianus und Doctor
Subtilis, als Marianischer Lehrer und Scharfsinniger Lehrer, gerade uns
und gerade denen, die dem alten Glauben treu bleiben wollen, besonders
nahe stehen müßte.
Als Doctor Marianus: Was könnte man aus seinem wenig bekannten und
kurzen Leben Größeres und Schöneres anführen als gerade die Tatsache,
daß ihm die Nachwelt den Ehrentitel "Marianischer Lehrer" verliehen
hat! Als junger Mann trat Johannes aus Schottland in den damals
gleichfalls noch jungen Orden der Minderbrüder, den Franziskanerorden
ein. Er ließ alles zurück und nahm doch seinen größten Reichtum mit:
seinen scharfen, durchdringenden Verstand. Kaum war er mit dem Studium
fertig, machte man ihn, der gerade selbst noch Lernender gewesen war,
zum Lehrer. Als Magister der Theologie, als Professor, berief die
Ordensleitung ihn nach Paris und bald nach Köln. Hier starb er nach
kurzer Wirksamkeit am 8. November 13o8, kaum 4o Jahre alt.
So langweilig sein Leben auch denen scheinen mag, die nur mit
Sensationen, und seien es auch religiösen, leben können, so sehr war es
doch erfüllt von einer gewaltigen Tat: dem Beweis, daß die Lehre von
der Unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter mit dem Glauben vereinbar
ist. Nicht, daß man vorher diese Lehre nicht gekannt oder nicht
vertreten hätte. Aber die Theologen waren doch in dieser Frage nicht
ganz sicher gewesen; weil die Lehre noch nicht bis zur letzten
Konsequenz durchdacht und begründet war, neigte man im Hochmittelalter
allgemein zu der Auffassung, die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis
könne möglicherweise die einzigartige Vorzugsstellung Christi
verdunkeln. Es ist das große Verdienst des Seligen Johannes Duns
Scotus, alle Einwände gegen die Lehre mit seinem scharfen Verstand
beiseite geräumt und so den Blick auf die herrlichen Gnadenvorzüge der
Gottesmutter, der Hochheiligen, freigegeben zu haben.
Als Doctor Subtilis: Zu seinem glühenden Glauben und seiner
verzehrenden Gottesliebe gesellte er seinen messerscharfen Verstand, so
daß ihm die Nachwelt einen weiteren Ehrentitel, nämlich den eines
"Scharfsinnigen Lehrers" verlieh. Mit dieser Gottesgabe eines klaren
und durchdringenden Verstandes durchdachte er die ganze Glaubenslehre,
zog gegen den versteckten Irrtum und eine falsche Logik zu Felde und
bewies gerade so, daß Glaube und Verstand, daß religiöses und
wissenschaftliches Denken sich in keiner Weise widersprechen. In seiner
Theologie legt er das Schwergewicht auf den Willen und der aus diesem
resultierenden Liebe. Die Liebe aber vereinigt den Menschen direkt mit
der Quelle der höchsten Seligkeit: Gott. Die Seligkeit des Himmels
besteht nach Scotus weniger in den Anschauung oder Erkenntnis sondern
in der beseligenden Liebe zu Gott. Ein wichtiger Teil seiner Theologie
ist auch die christozentrische Schau der Schöpfung. Alles ist
geschaffen worden, so lehrt er, im Christi willen. Die Schöpfung
vernunftbegabter Wesen hatte, dem Willen Gottes entsprechend, den
Beweggrund, die Geschöpfe der Anbetung Gottes und somit an der höchsten
Seligkeit teilhaben zu lassen. Gott, der in der Heiligsten
Dreifaltigkeit die vollkommenste und unendliche Liebe zu sich selbst
als dem höchsten Gute trägt, will, daß dieses höchste Gut, also er
selbst, auch von anderen geliebt werde. Deswegen hat er vernunftbegabte
Wesen geschaffen und zur himmlischen Herrlichkeit vorherbestimmt. In
diesen Plan ordnet sich auch die Menschwerdung des Göttlichen Wortes
ein. Christus, als wahrer Gott und wahrer Mensch, ist, seiner
Menschheit nach, als einziges Geschöpf in der Lage, Gott die
vollkommenste Liebe und höchste Anbetung entgegenzubringen. Hier
erweitert sich der Aspekt der Menschwerdung Christi über die
Erlösungstat hinaus zu einem Liebeswerk unvorstellbaren Ausmaßes
insofern, als wir in Christus nicht nur erlöst sondern hineingenommen
werden in die Liebe der Heiligsten Dreifaltigkeit.
So konnte denn Christus, als vollkommenstes Geschöpf und als der
Erlöser, seine Mutter in weit erhabenerer Weise erlösen und begnaden
als jedes andere Geschöpf, und es erscheint geradezu widersinnig, wenn
wir annehmen wollten, er hätte davon keinen Gebrauch gemacht. Die weit
erhabenere Weise bestand darin, daß Christus seine Mutter vor der
Erbsünde bewahrt hat und sich so einen Tabernakel schuf, der einzig
seiner würdig war. Es geziemte sich, sagt Johannes Duns Scotus, daß
Christus dies tat, und weil es sich geziemte und er es konnte, hat er
es getan.
Die Infamen, die heute mit neukirchlicher Duldung und Approbation
versuchen, die Gottessohnschaft Christi anzugreifen und seine Mutter,
die Allerreinste, in den Schmutz zu ziehen, sind weder Wissenschaftler
noch sind sie des katholischen Namens würdig, es sind vielmehr
Verfluchte, die nicht wert sind, daß man von ihnen spricht.
Wir aber wollen bei dem sei. Johannes Duns Scotus in die Schule gehen.
Kein geringerer als Ignaz von Döllinger sagt von ihm: "daß in diesem
Manne Feinheit des Geistes, kalte Schärfe der Abstraction mit Innigkeit
des Glaubens, mit tiefer Frömmigkeit und Andacht auf wunderbare Weise
verbunden gewesen (sind), davon überzeugt eine vertrautere
Beschäftigung mit seinen Schriften, wiewohl er zu den objectivsten
Theologen gehört, die je gelebt haben, und seine Persönlichkeit nur
äußerst selten in kleinen, individuell gefärbten Zügen durch die
strenge Haltung seiner Werke durchschimmert; vergeblich späht der Leser
nach dem wirklichen Menschen von Fleisch und Blut; wohin er auch den
Blick in diese Folianten wendet, immer begegnet ihm nur der ernste Mann
der Wissenschaft ..." (Kirchenlexikon J897 Bd.lo)
Die Werke des Seligen sind bisher noch wenig durchgearbeitet worden und
vollständig in deutscher Sprache noch nicht ediert worden. Noch vor dem
letzten unseligen Konzil begann der Minoritenorden mit einer kritischen
lateinischen Neuausgabe seiner Werke, ein Unternehmen, das dringend
erforderlich ist und Jahrzehnte beanspruchen wird. Die
Wissenschaftliche Buchgesellschaft in Darmstadt hat in ihrer Reihe
'Texte zur Forschung' den Traktat "Abhandlung über das erste Prinzip -
Tractatus de primo principio" des sel. Johannes Duns Scotus im
ursprünglichen lateinischen Text und deutscher Übersetzung
herausgebracht (XXV +261S., kart. DM 32.- f.Mitgl.), in welchem der
Selige die abschließende systematische Darstellung seiner
philosophischen Gotteslehre gibt. Es muß aber darauf aufmerksam gemacht
werden, daß diese wie auch die anderen Werke des Seligen nur schwierig
zu verstehen sind, wenn der Leser nicht mit den wissenschaftlichen
Termini der Scholastik und mit philosophisch-spekulativen
Gedankengängen vertraut ist. Es wäre indessen zu begrüßen, wenn der
eine oder andere Leser dieser Zeitschrift, der Zeit und Muße und die
notwendigen geistigen Voraussetzungen hat, hier einmal als geistiger
Schatzgräber sich versuchen wollte und die Kostbarkeiten, die in den
Werken des sei. Johannes Duns Scotus schlummern, ans Tageslicht fördern
und einem breiteren Publikum zugänglich machen könnte.
Mit seiner Theologie hattte der sei. Johannes Duns Scotus einen guten
Samen in den Acker der Kirche geworfen; im Jahre J854 brachte er
herrliche Frucht. Die Bulle "Ineffabilis Deus", mit der Papst Pius IX.
die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter zum
Glaubenssatz, zun Dogma erhob, wäre ohne die Vorarbeit des bescheidenen
und demütigen Minoritenmönches nicht denkbar gewesen. Der Papst spricht
im Geiste des sei. Johannes Duns Scotus, wenn er in seiner Bulle sagt:
"Der über alles erhabene Gott, dessen Wege Erbarmung und Wahrheit sind,
erwählte von Anbeginn an und vor aller Zeit die Mutter, aus der er in
der Fülle der Zeit Fleisch annehmen und geboren werden wollte. Sie hat
er mehr als alle anderen Geschöpfe mit seiner besonderen Liebe
ausgezeichnet und ihr sein Wohlgefallen in einzigartiger Weise
zugewandt. Weit mehr als alleGüter der Erde und alle Heiligen hat Gott
Maria mit einer Menge himmlischer Gnadengaben aus der göttlichen
Schatzkammer wunderbar überhäuft. Von jeder Befleckung der Erbsünde
blieb sie allezeit gänzlich frei. In Ihrer Schönheit und Vollkommenheit
trug sie schon im Voraus die Fülle der Unschuld und Heiligkeit in sich.
Man kann sich nicht vorstellen, daß jemals ein Wesen, das unter Gott
stand, größer als sie war und außer Gott jemand auch nur in Gedanken an
sie heranreichen kann. Es war in jeder Weise geziemend, daß sie
allezeit im Glanz vollkommenster Heiligkeit erstrahlte, daß sie völlig
frei blieb von jeder Makel der Erbsünde und einen überaus herrlichen
Sieg über die alte Schlange errang. Ihr, der verehrungswürdigen Mutter,
wollte der Vater seinen einzigen Sohn zu eigen geben, den er liebt, wie
sich selbst und der aus seinem Herzen, ihm wesensgleich, hervorgeht,
damit er, der von Natur der Sohn Gottes des Vaters ist, zugleich der
Sohn der Jungfrau werde."
Derjenige, aus dessen Geist heraus diese schönen Worte gesprochen
sind, schaut aus der Glorie des Himmels fürbittend auf uns herab. Seine
Gebeine aber sind, wie auch sein Vermächtnis, noch bei uns. Schon
gleich nach seinem Tode setzte die Verehrung des Hingeschiedenen ein,
von Köln aus verbreitete sie sich nachweisbar in ganz Europa.
Zahlreiche Wunder, Gebetserhörungen und Bekehrungen ereigneten sich an
seinem Grabe oder wurden auf seine Fürbitte gewährt. Wenn wir unseren
Glauben unverfälscht bewahren wollen, unseren Glauben, der der Glaube
des sei. Johannes Duns Scotus ist, wären wir da nicht gut beraten, wenn
wir uns seiner Fürsprache und seinem Schutz anempfehlen? Die
Minoritenkirche, in der sich sein Grab befindet, ist von den
Progressisten okkupiert, gewiß. Aber das soll und darf uns nicht
hinder, an seinem Grab zu beten. Denn es ist unsere Kirche, auch wenn
sie uns genommen ist; es ist unser Fürsprecher und unser Glaube und
unsere Lehre, die er verkündet hat, wie es auch unsere Messe war, die
er täglich zelebriert hat.
"0 Gott, der Du den sei. Johannes Duns Scotus gewürdigt hast, tiefer in
das Christusgeheimnis einzudringen, die Unbefleckte Empfängnis Mariens
und ihre Mutterschaft zu verkünden und sich für die Autorität der
Kirche einzusetzen, laß ihn, der sich Dir und Deinem heiligen
Evangelium weihte, recht bald zur Ehre der Altäre gelangen, durch
Christus unseren Herren. Amen." Wenn wir aber den sei. Johannes Duns
Scotus verehren, ehren wir damit auch die Himmelskönigin, deren Herold
er in so einzigartiger Weise gewesen ist.
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