PREDIGTEN ÜBER DIE GNADE
von
H.H. Pfarrer Alois Aßmayr(+)
Vorbemerkung:
Vor einem Jahr, am Fest der hl. Elisabeth, ist Pfarrer Aßmayr von
dieser Erde abberufen worden. In ihm haben wir einen priesterlichen
Mitstreiter verloren, der durch seine Bescheidenheit - die üble, all zu
häufig anzutreffende klerikale Arroganz war ihm gänzlich fremd -, seine
moralische Integrität und besonders durch sein unerschütterliches
Gottvertrauen vielen Gläubigen Halt gegeben hat. Das Fehlen seiner
allabendlichen Fürbitten für uns und seines Rates wird spürbar. -
Pfarrer Aßmayr war überzeugt davon, daß, "wenn er ins Fegfeuer käme",
es schon jemand gäbe, "der an ihn denkt und ihm heraushilft". -
Darum war es für uns etwas mehr als nur ein glücklicher Umstand, als
wir in seinem Nachlaß folgende Predigten fanden, die der damals
31-jährige Aßmayr als Kaplan von St. Veit gehalten hat und die wir hier
im Druck als tröstende Erinnerung an ihn wiedergeben möchten. Diese
Ansprachen stellen nicht nur ein pastorales Dokunent dar aus einer
Zeit, in der Pfarrer Aßmayr frierend im Beichtstuhl saß, (weil er für
sein arg knappes Kaplansgehalt anstatt eines Wintermantels Bücher
kaufte,) sondern geben uns das beste Zeugnis dafür, daß sich Pfarrer
Aßmayr immer gleich geblieben ist: Diese Predigten hätte er auch noch
vor gut einem Jahr in seiner Biberwierer Pfarrkirche oder als Belehrung
in seiner Stube jemand mit auf den Weg geben können. Mögen die
folgenden Zeilen für alle, die ihn persönlich gekannt haben, ein
kleines Weihnachtsgeschenk darstellen, daß er uns hat zukommen lassen.
Eberhard Heller
***
Was ist die Gnade?
Einst hat der Heiland seinen Zuhörern folgendes Geschichtchen erzählt:
Es war einmal ein reicher Mann. Dieser Mann hatte einen großen, schönen
Acker, der ihm einen ungeheuer reichen Ertrag lieferte, so daß er gar
nicht mehr wußte, wohin mit den vielen Früchten; denn seine Scheune war
zu klein und schon vollgefüllt. Er dachte nach, was und wie er es jetzt
am gescheitesten machen könne. Da fiel ihm nun folgender Gedanke ein:
Ich reiße einfach diese Scheune, die zu klein geworden ist, ab und baue
mir eine neue und eine viel größere. Dort will ich dann meine ganze
Ernte und alle meine Güter unterbringen. Dann will ich zu meiner Seele
sagen: Nun hast du großen Vorrat an Gütern auf viele Jahre. Brauchst
dich jetzt nicht mehr zu plagen. Raste jetzt aus, iß und trink und laß
dir's jetzt gut gehen. Freue dich, jetzt kommt die schöne Zeit für
dich! Es kam aber anders. Denn noch in der gleichen Nacht war sein
Leben zu Ende und er starb; denn Gott sprach zu ihm: Du Tor, noch diese
Nacht wird man deine Seele von dir fordern! Wem wird dann alles
gehören, was du da aufgespeichert hast? Der Heiland fügt noch bei: so
geht es jedem, der für sich Schätze für die Welt aufhäuft statt reich
zu werden bei Gott.
So wie diesem Manne geht es wohl oft einem Menschen. Mancher Mensch hat
sich den Gang seines Lebens und sein zukünftiges Glück schon ziemlich
genau ausgerechnet und hat dabei nicht im geringsten gezweifelt, daß
alles so kommen werde, wie er sich's ausgerechnet hatte. Aber wie oft
kam es anders, ganz anders? Wenn ihn auch der Herr nicht abberufen hat
von dieser Welt, wie oft geschieht es, daß ein Reicher über Nacht alle
seine Güter verliert und zun Bettler wird? ganz ahnungslos! Gebrochen
und zerbrochen steht er ganz plötzlich vor den Trümmern seiner Pläne
und Träume. Denkt an die Zeit vor dem Kriege (gemeint: der 1.
Weltkrieg; Anm.d.Red.), an die Inflation, denkt an die Ereignisse in
Rußland und Spanien und anderswo, bei denen Fürsten, Besitzer ganzer
Ländereien, Geldmagnaten gar nichts als das nackte Leben retten
konnten, andere das nicht einmal. Ihr ganzes Leben, ihr ganzes Tun und
Denken hatte diesen Gütern und Schätzen gegolten ... und nun: alles
dahin! Andere lassen es sich bei deinen Schätzen gut gehen und freuen
sich, und du hast das Nachsehen! So ergeht es jedem, sagt der Heiland,
der sich nur Schätze für die Welt zusammenrafft. Er hat ungeheuer viel
Mühe, Sargen und Kummer beim Zusammenraffen, andere freuen sich, so
billig wohlhabend geworden zu sein, und du hast nichts mehr davon. Der
Heiland warnt und ruft uns auf, uns solche Schätze zu sammeln, die uns
nicht gestohlen und nicht geraubt werden können und auch nicht
verderben können und von denen wir auch für später etwas haben. Kurz:
wir sollen uns nicht so sehr bemühen, reich zu werden für diese Welt,
auf der wir nur kurze Zeit leben, sondern für die Ewigkeit, reich
werden bei Gott.
Welches sind denn jene Güter, die uns reich machen bei Gott, die wir
mitnehmen können in die Ewigkeit und an denen wir die ganze Ewigkeit
hindurch zehren können? Die Gnade ist es. Was ist denn das, die Gnade?
Der Katechismus sagt: Die Gnade ist ein übernatürliches Geschenk Gottes
zun Heil unserer Seele.
Ein Geschenk ist einmal die Gnade. Etwas, auf das wir kein Recht haben,
das wir nicht irgendwie verdient haben, ja, das wir gar nicht verdienen
können.
Ein übernatürliches Geschenk Gottes ist die Gnade. Gesundheit, Glück
und Segen in Haus und Stall, gute Ernte, das sind auch Geschenke
Gottes, aber nur natürliche; die übernatürlichen übersteigen die Natur.
Der Natur der Tiere entspricht es, daß sie keinen Verstand und freien
Willen haben und daß sie nicht reden können. Denn das geht über die
Natur hinaus, ist für sie übernatürlich. So ist die Gnade ein Geschenk,
das so über die Natur des Menschen hinaus geht und den Menschen so
emporhebt über seine Natur, wie die Sprache, das Denken beim Tier.
Ein übernatürliches Geschenk Gottes zun Heile unserer Seele ist die
Gnade. Die natürlichen Gnaden und Geschenke kommen unmittelbar nur dem
Leibe zugute und nur auf Umwegen hat die Seele etwas davon. Die Seele
ißt nicht, die Seele verhungert nicht, wenn auch der Leib verhungert.
Blitz und Ungewitter, Krieg und Pest können nur den Leib treffen. Der
Seele nützt das Geld oder ein Acker gar nichts. Was soll sie tun damit?
Die Gnade ist aber ein Geschenk, das der Seele unmittelbar zukommt und
nur eigens zun Nutzen der Seele gegeben wird: zun Heile unserer Seele.
Das aber ist unsere größte und wichtigste Aufgabe, für das Heil, für
das ewige Wohl unserer Seele zu sorgen, und alles andere muß sich dem
unterordnen, weil alles andere wertlos ist, wenn wir das Heil der Seele
nicht erreichen. Dazu, um eben das Heil der Seele zu erreichen, hilft
uns die Gnade. Aber die Gnade hilft uns nicht nur, daß wir das Heil der
Seele leichter erreichen, sondern sie ist uns so unbedingt notwendig,
daß wir ohne die Gnade unser Heil gar nicht erreichen können. Ich
erinnere nur an die 6. Grundwahrheit.
Was sollt ihr heute aus der Predigt mitnehmen? Die Schätze der Seele
sind ungeheuer wertvoller als die irdischen Schätze. Von den einen
haben wir durch die ganze Ewigkeit etwas, von den andern nur kurze
Zeit. Die einen können wir mitnehmen, die andern nicht. Die einen
können wir jederzeit verlieren, die andern nur mit unserer
Einwilligung. Drun sammle in erster Linie die wertvolleren, und erst in
Unterordnung unter diese zeitliche und benütze diese un ewige daraus zu
machen. Dann wirst du nicht alle deine Schätze zurücklassen müssen,
sondern fast alle mitnehmen können beim Sterben und du wirst dann nicht
immer nur für andere dich geplagt und geschunden und gespart haben,
sondern wirklich für dich. A m e n !
St. Veit i. Def. am 24. Okt. 1937.
Gott unser Vater - wir seine Kinder!
In der letzten Predigt habe ich Euch etwas von der heiligmachenden
Gnade erzählt. Ich habe Euch gesagt, daß sie in der Seele des Menschen
wirklich Wunderbares wirkt. Wenn die Seele durch die Sünde noch so
entstellt und verunstaltet wurde, die heiligmachende Gnade befreit die
Seele wieder von diesen Verunstaltungen und Entstellungen, ja, sie
ziert die Seele mit unglaublicher, wunderbarer, unvergänglicher
Schönheit. Schon diese Wirkungen allein machen die heiligmachende Gnade
so wertvoll und kostbar, daß wir alles dransetzen sollen, keine Mühe
scheuen sollen, diesen Schatz zu gewinnen. Wenn wir diesen Schatz aber
einmal haben, soll uns aber auch keine Mühe zu groß, kein Kampf und
keine Anstrengung zu lästig sein, die heiligmachende Gnade nicht zu
verlieren bzw. sie uns nicht rauben zu lassen, sie uns nicht - um alles
in der Welt nicht! - abschwatzen zu lassen. Lieber alles hinzugeben!
Nie und un keinen Preis aber die heiligmachende Gnade !
Die heiligmachende Gnade aber hat noch andere Wirkungen, die den Wert
noch ganz gewaltig steigern. Durch die heiligmachende Gnade werden wir
Kinder Gottes, und Gott wird unser Vater, der uns mit großer Liebe
liebt. Es wäre schon etwas Großes, wem wir Diener Gottes würden und
sein dürften, noch mehr, wenn wir durch die heiligmachende Gnade
Freunde Gottes sein dürften. Das Höchste aber ist, Kinder Gottes sein
zu dürfen und Gott unseren Vater nennen zu dürfen. Christen, sind wir
uns dieser sicheren Glaubenstatsache auch voll und ganz bewußt?
Christus sagt es immer wieder, daß Gott unser Vater ist, der uns liebt,
und lehrt uns eigens ein Gebet, in dem wir Gott mit "Vater:" anreden -
und Christus hat uns nicht leere Redensarten ohne viel Sinn und Inhalt
gelehrt. Der hl. Johannes, der Apostel, der unfehlbare Lehrer und
Künder der Lehre Gottes, lehrt es ausdrücklich, wenn er schreibt (1
Joh. 3,l-l0): "Seht, welch große Liebe uns der Vater bewiesen hat: wir
heißen Kinder Gottes und wir sind es." Wir dürfen und sollen stolz
darauf sein. Geliebte! Wir nennen wohl oft Gott unsern Vater, verbinden
aber damit fast gar keinen Inhalt. Wenn Gott wirklich unser Vater ist
und wir seine Kinder sind, und wenn uns dieser Vater mit großer Liebe
liebt - beides ist sicher und steht fest -, was ist dann die notwendige
Folge? - Wie ist es denn bei einem guten irdischen Vater?
1. Er liebt sein Kind. Von dieser Liebe geht dann alles aus, was er für sein Kind tut.
a) Er schützt sein Kind an Seele und Leib. Er läßt ihm nichts
geschehen, wenn er es nur wehren kann. Wer dem Kinde etwas tut mit
Unrecht, der hat's mit Ihm zu tun. Das Kind braucht sich nur zu
fürchten, wenn es Strafe verdient hat, wenn der Vater nicht da ist,
oder wenn jemand stärker ist als der Vater. Gott liebt sein Kind viel,
viel mehr als der beste irdische Vater und die zärtlichste irdische
Mutter ihr Kind liebt und lieben kann. Der Mensch aber kann sein Kind
nicht immer und überall beschützen. Gott aber kann es und er tut es
immer und überall. Er ist allmächtig und allgegenwärtig
b) Er hegt und pflegt sein Kind. Er gibt dem Kind alles, was es
notwendig braucht, ja, noch viel mehr, wenn er nur kann und wenn es dem
Kinde gut tut. Er hält alles Schädliche vom Kinde fern. Er gibt dem
Kinde gute, gesunde und reichliche Nahrung, kleidet es standesgemäß,
damit sich das Kind nicht zu schämen braucht und auch der Vater sich
nicht schämen muß.
c) Er sorgt für die Zukunft. Er sorgt, daß es groß und gesund und stark
wird und bleibt; er tut, was er kann, damit das Kind ein möglichst
sicheres Dasein hat, daß das Kind sich möglichst leicht durchringt und
möglichst glücklich ist. Er läßt es körperlich und geistig möglichst
ausbilden und schickt es in gute Schulen, wenn er es vermag, zun besten
Meister. Weil aber der Vater sein Kind wirklich gern hat, verzärtelt er
aber auch sein Kind nicht, erspart ihm nicht Mühe und Anstrengung, läßt
es nicht gerade tun, wie es will, weil das dem Kinde nur von Schaden
und Nachteil wäre. Die Untugenden, das Unkraut bekämpft er, die guten,
anziehenden, schönen Seiten, die Tugenden hegt und pflegt er, auch wenn
es dem Kinde nicht paßt, und auch wenn das Kind sogar schreit und
weint. Das Kind ist noch nicht gescheiter, der Vater aber muß
gescheiter sein.
Der Herrgott ist wirklich unser Vater, und wir können sicher sein, daß
er nicht nur die Vaterpflichten übernimmt, sondern, daß er seine
Vaterpflichten auch in jeder Hinsicht voll und ganz erfüllt, ja, daß er
viel mehr tut und tun kann, und daß er alles tut, nur zum Wohle seines
Kindes.
2. Was folgt dann aber darraus für die Kinder Gottees?
a) Wir dürfen stolz darauf sein, Kinder Gottes zu sein. Denn der
höchste Herr, den es überhaupt gibt und geben kann, ist unser Vater,
der uns wirklich liebt. Es gibt keinen höheren Adel.
b) Wir sind geborgen und versorgt in jeder Hinsicht. Wir brauchen nie
zu bangen und zu zagen, weder un die Gegenwart, noch um die Zukunft.
Der Vater ist ja bei uns überall und jederzeit. Es kann uns nichts
Schlimmes geschehen, der Vater schützt uns ja und hilft, wenn es
notwendig ist.
c) Grenzenloses Vertrauen müssen wir zu diesem Vater haben. Er ist ja
so gut und lieb und reich und mächtig und barmherzig. Was seid ihr so
furchtsam? Kleingläubige! Ehe du noch ein Wörtchen sprichst, weiß Gott
schon, was dir gebricht. Gott ist Vater, Gott ist gut, gut ist alles,
was er tut. Der Vater, der seinen Kindern nur gute Gaben gibt - und er
weiß, was du brauchst - und dir gut tut. Der Vater selbst liebt euch.
Der verlorene Sohn! Kehre reumütig zurück zum Vater und sei wieder sein
Kind. Er vergibt dir, auch wenn deine Sünden noch so groß und wenn sie
zahlreich waren wie der Sand am Meer. Mach es wie ein Kind, das seinem
Vater oder seiner Mutter weh getan hat, aber sicher ist, daß sie
verzeihn. Weinend kommt es und schlingt sein Ärmchen um den Hals und
will nimmer los lassen. Alles ist wieder gut.
d) Benimm dich aber auch, wie es sich für ein Kind Gottes gehört. Ehre,
achte und liebe ihn. Sei nicht kleinlich und frag nicht immer: "Muß ich
dieses Opfer bringen? Muß ich das auch noch tragen? Muß ich das auch
noch hergeben? Darf ich das auch nicht tun?" Sondern frage: "Darf ich
dieses Opfer bringen und dir meine Liebe zeigen?" Tue nicht jammern und
klagen und diene deinem Gott-Vater nicht mit Seufzen und Stöhnen und
Jammern und Klagen, sondern mit Freude und Lust. Verbirg, daß es didi
Opfer kostet, daß es dir schwer fällt. Und wenn es schon fast nicht
mehr geht, zeig ihm noch ein frohes
Gesicht und sag: "Es geht schon noch." Freude sollst du haben, wenn du
Gelegenheit hast, Gott deine Liebe zu zeigen, nach Gelegenheiten sollst
du suchen, nicht ausweichen; ein aufinerksames Auge haben, schon jeden
Wink verstehen und den Wunsch aus den Augen ablesen. Was würdest du
tun, wenn du ein so gesinntes Kind hättest? Würdest du es nicht mit
großer Liebe lieben, und je mehr es sich Mühe gibt, dir seine Liebe zu
zeigen, würdest du ihm nicht auch immer wieder und immer mehr deine
Liebe zeigen und beweisen? Gott ist noch viel besser!
e) Habe keine Sklavenfurcht vor dem Vater. Der Sklave fürchtet sich
immer nur vor den Schlägen und handelt nur aus dieser Furcht heraus.
St. Veit, am 27. Nov. 1937, Alois Aßmair, Coop.
Die helfende Gnade
In meinen letzten Predigten im alten Jahr habe ich euch auf die
Kostbarkeit der heiligmachenden Gnade aufmerksam gemacht und ich habe
mich bemüht, euch den ungeheuren Wert der heiligmachenden Gnade
wenigstens irgendwie zu erklären. Wir können nichts Wertvolleres
erwerben als die heiligmachende Gnade, und wir können nichts
Wertvolleres und Nützlicheres besitzen als die heiligmachende Gnade.
Wenn wir diese besitzen, sind wir reich, auch wenn wir sonst gar nichts
besitzen. Wenn jemand die heiligmachende Gnade nicht hat, ist er
unsagbar arm und elend, auch wenn er die ganze Welt als Eigentum
besitzt. Diese nützt ihm nur kurze Zeit und kann ihn in dieser kurzen
Zeit nicht ganz zufrieden und glücklich machen. Der Besitz der
heiligmachenden Gnade aber nützt ihm durch die ganze Ewigkeit hindurch
und macht ihn für immer voll und ganz glücklich.
Wir haben alle die heiligmachende Gnade einmal erhalten, jeder von uns.
Wir tragen aber dieses unendlich kostbare Gut alle in einem
"zerbrechlichen Gefäße", wie der Apostel Paulus sagt, d.h. wir können
sie wieder verlieren, und die Gefahr ist sogar sehr groß, daß wir sie
verlieren. Von drei Seiten droht der heiligmachenden Gnade Gefahr: von
unseren bösen Neigungen, von unguten Menschen und vom Teufel. Alle
gehen darauf aus, uns die heiligmachende Gnade zu entreißen und uns
damit für ewig arm und unglücklich und elend zumachen. Wir würden
unbedingt als Besiegte aus diesem Kampf hervorgehen, wenn nicht ein
anderer uns in diesem Kampfe beistünde, der stärker ist als alle unsere
Feinde: Gott! Wir nennen diese Hilfe Gottes die helfende Gnade. Gott
selbst also hilft uns, die heiligmachende Gnade zu erlangen, sie zu
behalten und zu erhalten und sie immer noch zu vermehren, ohne Hilfe
Gottes ist es uns unmöglich. Wir müssen nämlich das Gute tun und das
Böse meiden, das können wir aber nur mit der Hilfe Gottes, mit der
helfenden Gnade.
Weil wir es aber nur so können, so hilft Gott aber auch jedem Menschen
soviel als notwendig ist. Gott gibt jedem Menschen soviel helfende
Gnade, daß er selig werden kann; denn er will, daß alle Menschen selig
werden - so der Katechismus. Wir Menschen kommen aber selten mit der
notwendigen Gnade aus. Es ergeht uns da fast so ähnlich wie Kindern mit
ihrem Gewand: sie können ziemlich lang haben an einem Kleid, wenn sie
etwas mehr acht geben würden. Leider kommt es vor, daß am ersten Tag
schon ein Loch entsteht. Um dieses Mehr müssen wir uns dann bemühen. Je
mehr wir aber helfende Gnade haben, um so leichter und besser wird uns
dann die Erlangung, Erhaltung und Vermehrung der heiligmachenden Gnade
gelingen, un so sicherer und leichter werden wir das Gute tun und das
Böse meiden.
Wie wirkt die helfende Gnade? Gott kann uns auf die verschiedenste
Weise helfen, oft merken wir es überhaupt nicht, manchmal halten wir
seine Hilfe sogar für ein Unglück, für eine Strafe, und nur selten
erkennen wir - und anerkennen wir das wirklich fürsorgliche Wirken
Gottes. Einige Beispiele: die kleine hl. Therese wurde von ganz
ausgezeichneten Eltern und Geschwistern von ganz klein auf behütet und
erzogen und hatte gute Anlagen mitbekommen; den hl. Ignatius brachte
sein zerschossener Fuß zur Einsicht und zu einem ganz anderen Leben;
Franz Borgias der Tod der Königin Isabella; Gottes Hilfe machte die
Apostel zu furchtlosen Verkündern der Wahrheit und zu standhaften
Märtyrern.
|