AUSZUG AUS DEM BRIEF EINES ORTHODOXEN PRIESTERS
ZUR FRAGE DER ANGEBLICHEN MARIENERSCHEINUNGEN IN HOLLAND
(aus: DER SCHWARZE BRIEF, Sonderblatt 16 u. 17, 1981; als Diskussionsbeitrag gemeint)
Lieber geistlicher Bruder im Priestertum unseres Herrn (...)
für den Zeitungsartikel mit den angeblichen Marienbotschaften in Ihrer
(d.h. der katholischen) Kirche aus Holland danke ich Ihnen. Ich fühle
mich betroffen und frage mich, warum Sie gerade mich mit Ihrer Bitte um
eine Antwort bedrängen. Ich hätte mich davor gerne gedrückt. Ein bloßes
Kopfschütteln bei mir zu Hause und ein Gebet vor meiner Ikone wäre mir
als Antwort das Liebste gewesen. Aber Sie fordern mich, wie Sie es oft
tun, und ich will mich ihrer Bitte aus Freundschaft zu Ihnen stellen.
Dabei geht es mir nur darum, daß ich Ihnen ohne jeden Anspruch auf alle
möglichen Neuerungen nur unseren orthodoxen Glauben, was die
Marienfrage angeht, so schlicht wie möglich darstelle. Ich weiß, daß
ich mich dabei Ihnen gegenüber in einem gewissen Vorteile befinde.
Während Sie in Ihrer Kirche beständig nach Neuem suchen und sich in
neuen Formulierungen dem vielfältigen Zeitgeschmack anbiedern (so
möchte ich es boshaft ausdrücken), kann ich mich in meiner Kirche ganz
auf die Heilige Schrift, das Stundengebet, die Lehre der Väter und die
Liturgie beziehen und kann Ihnen das in Erinnerung rufen, was Sie
längst wissen, daß bei uns auch der einfache Mensch die uralten Gebete
heute noch wie seine eigenen spricht. Das geschieht keineswegs aus
Dummheit oder Einfältigkeit, sondern eher aus der Einfalt des Herzens.
Für mich ist ein solches Ereignis wichtiger als viele theologische
Diskussionen. Für mich wird darin auch der abendländische Sündenfall,
wie ich es nennen möchte, seit unserer schmerzlichen Trennung, und vor
allem seit Ihrer Zeit der Gotik, seitdem Ihr ständig neuen Gedanken und
neuen Gebeten nachlaufen müßt, umso deutlicher. Ein Beispiel nur. Ich
habe neulich Euer deutschsprachiges Einheitsgebetbuch (ein
schrecklicher Name übrigens, wie kommt Ihr überhaupt zu solchen
Klischeeworten?) auf die Marienandachten und ihre Worte hin untersucht
und mußte schlicht zu mir selbst sagen: schrecklich, schrecklich! Warum
seid Ihr nicht beim Reichtum des Stundengebetes auch und gerade für die
Gläubigen geblieben und habt stattdessen diese Monstren von
organisierten Wortgebilden übernommen, die man doch kann ernstlich
annehmen kann im Gebet? Wir haben eine große gemeinsame Überlieferung
in den Marienantiphonen, großartige Texte, die unseren ganzen Glauben
enthalten. Was habt Ihr daraus gemacht? Welche erbärmliche
Verkleinerung in Wort und Ton! Glaubt Ihr im Ernst, daß Euch noch einer
ernst nehmen kann? (...)
Sie fragen mich also nach den fraglichen Marienbotschaften, die in
Ihrer Zeitung, die Sie mir sandten, andeutungsweise mitgeteilt sind.
Wenn der Zeitungsbericht im wesentliche mit dem übereinstimmt, was ich
in den sogen. Botschaften der Frau Ina Peerdemann in Holland (der Name
hat mich übrigens erschreckt) mitgeteilt ist, dann darf ich Ihnen als
orthodoxer Christ und als glühender Verehrer Mariens, allein im
Lobpreis des Herrn und seiner einzig von ihm nach dem Ratschluß des
Vaters im Heiligen Geiste vollbrachten Erlösung, Folgendes antworten.
Ich habe bei Ihnen gelernt, Antworten klar zu unterteilen und zu
gliedern, damit das Gesagte recht deutlich wird. Nehmen Sie also meine
Unterteilung nicht als Zeichen, daß ich Ihnen gegenüber apodiktisch
oder sogar hochmütig auftreten möchte, sondern als Bemühung um eine
eindeutige Klarstellung des orthodoxen Standpunktes:
1. Was ist zu Marienerscheinungen überhaupt und zu diesen angeblich in der heutigen Zeit zu sagen.
Grundsätzlich gesagt: es gibt keine neue Offenbarung in der Kirche als
die, die sie hüten muß und hüten darf. Es gibt kein neugieriges Schauen
hinter die Kulissen des Weltgeschehens durch himmlische Gesichte. Es
gibt keine politischen Botschaften zur Zeitlage aus dem Himmel, auch
nicht von Maria, der allheiligen ImmerJungfrau. Das wäre eine
Verdrehung des Geheimnisses der Kirche in reinen Journalismus und
praktisch das Ende ihrer Stiftung, ihres reinen Harrens im Ablauf der
Zeit, allein aus der ihr von ihrem Stifter geschenkten Kraft des
Glaubens, die Ihr "virtus infusa" (eingegossene Kraft) nennt. (...)
Marienerscheinungen sind geistliche Einsichten ganz tief im Leben des
lebendigen Gottes verankerter Seelen. Ereignisse, wie wir sagen, des
ausstrahlenden Taborlichtes in einzelnen Menschen, die sich ganz Gott
hingegeben haben. Aus göttlicher Gnade werden diese Seelen gleichsam im
Ablauf der Geschichte Maria, der allerheiligen Immer-Jungfrau,
verschwistert und äußern sich lobpreisend im Sinne Mariens. (...)
Für uns wäre die Vorstellung ganz schrecklich, daß etwa ein einfältiges
Kind, dem man die Marienschau glaubwürdig abnimmt (wie Ihr sagt), im
Zustand seiner Vision von einem Eurer erbärmlichen (verzeihe!)
Inquisitoren befragt wird, der gleichzeitig alles als "Botschaft"
aufschreibt. Leider weiß ich, daß es das bei Euch gibt. Bei uns gibt es
gewiß jedes menschliche Versagen, alle Laster der Welt, aber dieser
Frevel ist uns kaum verständlich.
Obendrein möchte ich darauf hinweisen, daß in allen unseren
liturgischen Gebeten, sowohl der Chrysostomus - und Basilius-Liturgie
als auch des gesamten Stundengebetes, Maria, die allheilige Mutter,
eine einzigartige Stellung einnimmt. In jedem Hymnus, in jeder Höre der
Tageszeiten wird die Einzigartigkeit Mariens als Gottesgebärerin, als
Allheilige und Allreine, als Mutter der Gläubigen, ja als Mutter der
Kirche selbst, als unversehrte Jungfrau gepriesen. (...)
2. An dieser Stelle setze ich gerne an, um mich Ihrer Frage nach den
jüngsten Marienerscheinungen, wie sie in Ihrer Zeitschrift dargestellt
sind, zu stellen.
"Die Frau aller Völker" beschreibt offenbar ein neues Marienbild im
Sinne einer bildlichen Darstellung. Leider ist mir diese noch nicht zu
Gesicht gekommen. Die Deutung dieses Bildes ist zweifelhaft und weder
aus der Heiligen Schrift noch aus der Tradition zu halten, wenn es etwa
heißt: "Jetzt senden der Vater und der Sohn die Frau zurück über die
Welt hin, so wie sie war. Die Frau war einst bekannt als Maria...".
Damit ist offenbar der Versuch einer Privatoffenbarung gemeint, einen
sensationellen Aktualitätsgrad zu gewinnen. Wir können darauf sagen:
Die "Frau aller Völker" gibt es nicht, weder biblisch noch kirchlich.
Es gibt die Kirche als Mutter aller Völker, es gibt Maria als Mutter
aller Erlösten, als unsere Mutter, es gibt "das große Zeichen am
Himmel, die Frau in die Sonne gekleidet, den Mond zu ihren Füßen und
auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen", also das kosmische Bild
der Frau, die selber ganz Erde ist und nur so in der Apokalypse
geschildert wird, um die kosmische Dimension der Geburt des Messias
darzustellen.
(...) Ankündigungen kommender kirchlicher Verordnungen, "die dann auch
eingetreten sind", haben nichts mit Visionen, sondern höchstens mit
Desideraten bestimmter Theologenkreise zu tun. Ein Beispiel ist dafür
besonders aufschlußreich: die. Erleichterung des Nüchternheitsgebotes
1951 durch Pius XII. Ausgerechnet diese "Erleichterung", die dann nach
Euerm 2. Vatikanischen Konzil zur fast völligen Aufhebung der
Nüchternheits-Vorschrift führte und einen erschreckenden Wildwuchs im
Kommunionempfang Eurer Kirche erzeugt hat, soll von Maria als positives
Ereignis vorausgesagt sein? Ich meine sagen zu dürfen, daß das schlicht
lächerlich ist. Maria, die allselige Immerjungfrau, ist uns aus der
Heiligen Schrift und aus den Gebeten der Kirche als demütige, ganz
allein Gott zugewandte und ihm geöffnete Magd vertraut. Jetzt auf
einmal tritt sie in diesen "Offenbarungen" herrisch und fordernd auf:
"Ich bin die Frau - Maria - Mutter aller Völker, die einst Maria war.
Ich komme gerade heute, um dir zu sagen, daß ich dies sein will ..."
Solche Worte müssen als Entfremdungen und falsche Desiderate einer
schönen Seele erscheinen, auf jeden Fall sind sie ganz unbiblisch, ganz
unkirchlich und auch ganz unmarianisch.
3. Die letzte Frage, nämlich die nach den Mariendogmen, ist für mich
die beschämendste und schwerste, aber auch die Frage, die mich am
meisten bedrückt, weil ich in ihr deutlich sehe, wie weit wir innerlich
voneinander entfernt sind.
Sie wissen, wie sehr unsere Kirche darauf bedacht ist, nur die von den
7 ersten Konzilien angenommenen Entscheidungen als Dogmen anzuerkennen.
Diese Hartnäckigkeit hat uns von Eurer Seite bis heute den Vorwurf
eingetragen, unser Glaube sei stagniert, nicht weiterentwickelt und
gegenwartsfremd. Wir haben stets den Schmerz vor Augen, daß dies von
Eurer Seite zu einer Kirche gesagt wird, die seit 1453 in den meisten
ihrer Teile fast ununterbrochen dem Martyrium ausgesetzt war und eine
Kirche des Martyriums und vor allem der Armut geblieben ist. (...)
Sie wissen, daß ich Ihnen nicht wehetun wollte, obwohl ich hoffentlich
klar unsern Standpunkt ausgedrückt habe. Ich weiß, daß ich manchmal
scharf gesprochen habe. Aber das sollte der Klarheit dienen und nicht
die Liebe verletzen.
Indem ich mit Ihnen "um das Wohl der heiligen Kirche Gottes" gerade in
dieser Zeit bete und faste, bleibe ich Ihr geringer Bruder im Herrn.
Johannes Chrysostomus
(aus dem Griechischen übersetzt von Floris Klimakis) |