ZUR FRAGE DER KIRCHLICHEN AUTORITÄT
von
Univ.Prof. Dr.Dr. Reinhard Lauth
(bereits erschienen in: EINSICHT VII(l)1-10, Mai 1977)
Es ist immer gut, daß man sich bei einer solchen Auseinandersetzung wie
derjenigen, in der wir heute in der Kirche stehen, auf das Wesentliche
des Kampfes zurückbesinnt. Was macht uns gerade zu katholischen
Christen, sollten wir uns fragen, und warum kämpfen wir für den
katholischen Glauben? Wir können das in einer gewissen Weise von
unseren entschiedenen Gegnern lernen; denn sie greifen gerade dieses
Wesentliche an. Luther z.B. wußte, worum es geht. Sein Kampf hat ein
ganz bestimmtes Ziel: die Zerstörung der Heiligen Messe, der Kampf
gegen das allerheiligste Sakrament des Altares.
Wir glauben nicht nur an Gott; das tun auch die Heiden. Wir glauben
auch nicht nur an eine Offenbarung Gottes; das tun auch die Juden und
die Mohamedaner. Wir glauben daran, daß Gott sich geoffenbart hat, weil
er sich von Person zu Person als menschgewordener Gott uns vollkommen
verbinden will. Infolge des Sündenfalls der Menschen war dies nur in
der Weise möglich, daß Gott unsere Sünden, die wir nicht zu sühnen
vermögen, auf sich genommen und sie getilgt hat, indem er schuldlos für
uns gelitten hat, gestorben ist und so Genugtuung geleistet hat. Erst
über dieses Sühnopfer vermag er mit uns den gewollten Liebesbund
einzugehen.
Wir wissen aber und bekennen: Christus hat nach Seinem eigenen heiligen
Willen nicht nur ein einziges Mal in der Zeit Genugtuung geleistet und
unsere Sünden getilgt, sondern er hat gewollt und er will, daß wir
immer wieder an der konkreten Erlösungstat konkret teilhaben können.
Dazu hat er das allerheiligste Sakrament des Altares eingerichtet,
damit die Gläubigen ständig an Seinem sich erneuernden - wenn auch
jetzt unblutigen Opfer - teilnehmen und sich mit ihm geistig und
leiblich vereinigen können. Das ständig sich wiederholende Opfer,
gültig dargebracht, die ständige Gegenwart des Herrn auch im Fleische
unter uns, - das ist es, was wir katholische Christen allein bekennen.
Darum ist der innerste Punkt unseres Glaubens das allerheiligste
Sakrament des Altares, das wir durch Wort und Tat bekennen. Das
Priestertum, einschließlich des Papsttums, dienen diesem zentralen
Mysterium. Deshalb ist es grundfalsch, die katholischen Christen als
Papisten zu bezeichnen. Nicht das ist der Mittelpunkt unseres Glaubens.
Wir haben Priester, damit das unblutige Opfer Christi erneuert werden
und Christus sich bis ans Ende der Zeiten immer von neuem mit den
Seinen leiblich in der Heiligen Kommunion vereinigen kann. Und nicht:
wir haben das Sakrament des Altares, damit wir Priester und einen Papst
haben können.
Diese Einsicht hat uns veranlaßt, von Anfang an das allerheiligste
Sakrament des Altares zum Zentrum unseres Kirchenkampfes zu machen.
Wenn Sie unseren Kampf verfolgt haben, werden Sie sich erinnern, daß
unser erstes Plakat schon auf das Wort Papst Pius XII. verwies, Altar
und Altarsakrament gehörten zusammen. Der Tabernakel darf nicht von
Altar entfernt werden.
Wir haben damals, um uns, soweit das menschlich möglich ist, in diesem
Bruderkampf, der niemand leicht fällt, zu vergewissern und zu stärken,
Pater Pio in San Giovanni Rotondo die Frage gestellt: Was sollen wir in
dieser kirchlichen Situation tun? Seine Antwort lautete: Sich allem
energisch widersetzen, was im geringsten auch nur eine Minderung der
Verehrung des Heiligsten Altarsakraments oder der Kirche bedeuten
würde. Wir haben damals eine Unterschriftensammlung für den Verbleib
des Sakramentes auf dem Altar veranstaltet und das Buch zu Pater Pio
hinaufgetragen. Wir haben es ihm vorgelegt, und er hat sich genau
informiert. Sie kennen alle das Photo, das über dem Weihwasserkessel am
Eingang unserer Kirche hängt: Pater Pio hat unser Werk gesegnet.
Vielleicht ist es an dieser Stelle ganz gut, wenn ich erwähne, daß
Pater Pio dagegen war, daß ein Priester die Messe in der Volkssprache
las. Als er vom Guardian des Klosters aufgefordert wurde, die Hl. Messe
versus populum zu lesen, wies er seinen Vorgesetzten darauf hin, daß
dies nicht erlaubt sei, und nur auf den ausdrücklichen Befehl des
Guardian hin folgte er im Gehorsam, aber mit zerrissenem Herzen.
Natürlich hat er keine andere als die alte heilige römische Messe
zelebriert.
Ich komme zu unserem Probelm zurück: Unsere entschiedene Verteidigung
galt dem Sakrament des Altares und der Hl. Messe, als dem Zentrum
unseres Glaubens. Und ich denke, wir können das heute als eine
historische Tatsache feststellen: wir warendie einzigen unter den
Reformgegnejrn, die es vorausgesehen haben und sich darauf eingestellt
haben: das Zentrum der Angriffe der Reform werde die Hl. Messe und das
alierheiligste Altarsakrament sein. Wir haben heute den Greuel der
Verwüstung an heiliger Stätte, wie ihn der Prophet Daniel vorhergesagt
hat und Christus selbst als Zeichen der Endzeit benannt hat. "Das
tägliche Opfer hat aufgehört."
Und diesem entspricht ein Zweites, das damit verbunden ist, von dem der
hl. Paulus gesprochen hat: zugleich mit dieser Verwüstung wird der
Antichrist sich in den Tempel Gottes setzen; ja, er wird sich für Gott
selbst ausgeben. Den ersten Teil dieser letzteren Prophetie haben wir
erlebt: den großen Abfall, mit dem zugleich der Mensch der
Gesetzlosigkeit offenbar wurde, "der sich über Gott und alles Heilige
erhebt". Daß er sich für Gott ausgeben wird, das zu erfahren steht uns
noch bevor.
Der entscheidende Vorgang, der das Hl. Meßopfer zerstört hat, ist
selbstverständlich nicht der Gebrauch der Vulgärsprache - deren
Erscheinen allerdings immer ein Zeichen wirksamer Häresie war -,
sondern die Fälschung der Wandlungsworte. Wir müssen dabei immer
zweierlei im Auge behalten, zwei gleich gravierende Tatbestände. Der
erste ist, daß dem Herrn falsche Worte in den Mund gelegt werden.
Christus hat bei der Einsetzung des allerheiligsten Altarsakraments
nicht gesagt, daß das Blut des Bundes zur Vergebung der Sünden "für
alle" vergossen wird, sondern nur: "für viele". Das wird am
deutlichsten im Evangelium des hl. Matthaeus, wo die Worte alle und
viele im selben Atemzug vorkommen: "Nehmet und trinket alle daraus,
denn dies ist mein Blut des Bundes, das für viele vergossen wird."
(Nicht für "die vielen", hoi polloi, sondern "für viele" peri pollon;
nicht: peri ton pollon.) Der Evangelist gebraucht hier sowohl nach dem
griechischen wie dem lateinischen Text zwei verschiedene Worte. Auch
ist die Stelle in der gesamten Geschichte der Kirche (einschließlich
der Häretiker) immer nur auf eine Weise übersetzt worden. Und es ist
lächerlich zu sagen, die Juden, dieses ausgeprägte Händlervolk, hätten
keine sprachliche Unterscheidung für "alle" und "viele" gehabt. Das
Gegenteil ist der Fall! Man kann aber nicht annehmen, daß verfälschte
Testamentsworte dazu dienen können, die Erfüllung des wahren Testaments
zu bewirken. Der Herr erfüllt Seine Versprechung nicht auf eine klare
Lüge hin.
Der zweite, ebenso gravierende Tatbestand ist der, daß dies nicht mehr
die Worte sind, mit denen der Herr das Sakrament eingesetzt hat und auf
die hin allein er bewirkt, daß die Hl. Wandlung sich vollzieht. Es ist
ein dogmatischer Tatbestand, daß nur die Worte des Herrn die Wandlung
zu bewirken vermögen. Die sog. tridentinische Messe ist ja die Hl.
römische Messe aus den ersten Zeiten. Selbst wenn die Aussage "mein
Blut, das zur Vergebung der Sünden für alle vergossen wird", sachlich
richtig wäre - und das ist sie nicht!-, vermöchte sie die Wandlung
nicht zu bewirken, weil das nicht mehr die Wandlungsworte sind. Wenn
der Priester statt ihrer sagte: "Christus, du bist der Sohn des ewigen
Vaters und selbst ewiger Gott", so wäre dies sicherlich wahr, aber
könnte die Wandlung nicht bewirken. Die bewirkenden Worte aber sind
mündlich von Anfang an (wenn auch zuerst in Geheimtradition) tradiert
worden, und wer sie ändern will, muß zweifelsfreie Gründe haben. Hat er
sie nicht, so verunsichert er die Hl. Wandlung und wirkt im Sinne des
"Teufels", des "Durcheinanderbringers" (diabolos). Noch dazu hat das
Tridentinische Konzil festgesetzt, daß diese Worte in dem einfachen und
klaren Sinne zu nehmen sind, in dem sie von der Hl. Schrift und von der
Kirche von Anfang an genommen worden sind. Wer es anders mache, begehe
einen "satanischen Betrug".
Für uns wurde der Kern des Reformwillens greifbar, als Paul VI. vor dem
Fernsehen zu Weihnachten 1970, also zweifellos öffentlich, mit den
gefälschten Worten zelebrierte. Dies war für uns der entscheidende
Moment; von da an wußten wir, was wir vorher ahnend antizipiert hatten,
daß die Reform Apo'stasie und Paul VI. Apostat ist.
Die Frage, die ich heute berühren möchte, ist die Frage, wie es dazu
gekommen ist, daß die Kirche in diese Situation hineingeraten ist?
Der französische Schriftsteller Léon Bloy erzählt in seinem Tagebuch,
er habe folgenden Traum gehabt: Er sah einen unermeßlich weiten,
großen, prächtigen Wald, in voller Blüte; und plötzlich, wie mit einem
Schlage, seien sämtliche Blätter von den Bäumen gefallen, und der Wald
habe kahl dagestanden. Dies ist ein packendes Bild von dem, was sich
mit unserer Hl. Kirche ereignet hat. Nominell umfaßte die Kirche zur
Zeit der Reform annähernd 7oo Millionen Gläubige. Wie ist es möglich,
daß aus dieser ganzen unermeßlichen Schar nur ein einziger Bischof den
Mut gehabt hat, aufzustehen, und zu sagen: Was da getan und gelehrt und
gelebt wird, ist nicht mehr katholisch?
Wie ist es möglich, daß wenigstens 9o Prozent des Klerus dem
Reform-Ungeist verfallen ist? Ich will vorsichtig sein in meiner
Schätzung. Wir wissen, es gibt noch mehr gläubige Priester unter dem
Klerus, als man glauben sollte. Man entdeckt immer wieder treue Hirten
unter ihnen; manche lesen nur insgeheim und unter dem Anschein gewisser
Neuerungen die gültige Hl. Messe; das ist nicht erfreulich, aber sie
haben doch den rechten Glauben. Also, sagen wir, achtzig bis neunzig
Prozent des Klerus, und natürlich der überwiegende Teil der Laien.
Wenn man überblickt, wie die Reformen gelaufen sind, so darf man sagen,
daß dies ein klassischer Fall des Verrats von oben ist: die Bischöfe
sind mehr Verräter als die Priester gewesen, und die Priester mehr als
die Laien. Wir haben es hier nicht mit einem Vorgang zu tun wie in der
Französischen Revolution, die in einem gewissen Ausmaß tatsächlich ein
Volksaufstand war. Zwar ist auch die Französische Revolution vom
mittleren und höheren Adel ausgelöst worden, der dem König Rechte
abtrotzen wollte, aber sie war eine Revolution des Volkes. Der Adel
blieb insgesamt königstreuer als das Volk. So ist es bei unserer
kirchlichen Reform nicht! Diese Revolution ist von oben gemacht worden,
nach sorgfältiger Vorbereitung, vom Episkopat und den Theologen. Man
kann als Faustregel aussprechen, daß, je höher man hinaufgeht, man um
so sicherer die Urheber und Vollzieher findet.
Ein lateinisches Sprichwort sagt: corruptio optimi pessima. (Die
schlimmste Verderbnis ist die des Besten.) Die Frage ist, wie konnte es
zu diesem Verrat des Klerus kommen? Mit wem haben wir es denn hier zu
tun? Nun, es ist im Verlaufe der Heilsgeschichte nicht das erste Mal,
sondern bereits das zweite Mal, daß der hohe Klerus Gottes
Heilsabsichten zunichte gemacht hat.
Es gibt einen bestimmten Augenblick, der uns das schlaglichtartig
klarmachen kann. Als der Herr am Gründonnerstag verhaftet und vor den
Hohen Priestern Annas und Kaiphas verhört worden war, mußte man bis zum
Tagesanbruch warten, weil nach dem Gesetz das Synedrium dann erst
beschlußfähig war. Man wollte ja Jesus zum Tode verurteilen. Es dürfte
etwa fünf bis sechs Stunden gedauert haben, ehe man die regelrechte
Sitzung eröffnen konnte. Wer in Jerusalem die Kirche In galli cantu
kennt, weiß, was man mit den Gefangenen in dieser Zeit zu tun pflegte.
Sie wurden an Schlingen unter den Armen in eine 3 bis 4 Meter tiefe
lichtlose Grube hinabgelassen, von wo sie wieder heraufgezogen wurden,
wenn man sie dem Gericht vorführen wollte. Das Bild einer Betenden aus
frühbyzantinisoher Zeit an der Wand dieser Gefängnisgrube im Synedrium
läßt vermuten, daß schon die frühen Christen angenommen haben, der Herr
sei in jener Nacht in dieser Grube gefangen gewesen. Jesus wurde also
in diese dumpfe, öffnungs- und lichtlose Grube hinabgelassen. Was mag
er in diesen Stunden gedacht haben? Wenn er sich die Frage stellte: Wer
ist schuld daran, daß es dahin gekommen war und daß er nun gekreuzigt
werden würde? so konnte die Antwort nur lauten: das jüdische
Priestertum. Das jüdische Volk war von allen Völkern der Erde dazu
auserwählt, daß durch es die Erlösurg der Menschen auf der ganzen Erde
ermöglicht werden sollte. Im jüdischen Volke waren speziell die
Priester auserwählt, dem Willen Gottes zu entsprechen. Was aber haben
sie getan? Sie haben sich gegen Gott gestellt und wollten
hintertreiben, daß sein Werk gelänge. Sie waren es, die das Volk
aufhetzten, die Kreuzigung Christi zu verlangen - nicht das Volk wollte
das von sich aus.
Und wir haben heute leider zum zweiten Mal ganz dieselbe Situation. Der
hohe Klerus hat den Leib des Herrn von seinem Herzblut getrennt, indem
er die Adern durchschnitten hat, d.h. indem er die Verwandlung des
Brotes und Weines in den Leib und das Blut Christi unmöglich gemacht
hat und damit den Gläubigen die gültige Kommunion verwehrt.
Wahrscheinlich hat jedes Ereignis vom Leidensweg Christi, das uns in
den Evangelien berichtet wird, prototypische Bedeutung, indem sich an
seinem Leibe der Kirche heute das wiederholt, was an seinem heiligen
irdischen Leibe geschehen ist. Wir haben heute denselben Verrat der
Hohenpriester - ich sage: der Hohenpriester, denn die erste und
schwerste Schuld trifft Johannes den 'Guten1 und Paul VI. und den
Reformepiskopat, die gelehrten Theologen und Ordenspatres, weit mehr
Schuld, als die abtrünnigen Priester und Laien. Wie wahr das ist, sehen
Sie an einem einzigen, die Sachlage erhellendm Umstand höchst konkret:
Es sind heute vor allem die Laien, die die Kirche wiederaufbauen, die
das tun müssen, was Pflicht des Klerus wäre. Diese unsere Kirche St.
Michael ist von Laien geschaffen worden - und diese Tatsache steht für
den gesamten Vorgang. Diejenigen, denen man zwei Jahrtausende lang
gesagt hat, ihr seid Schafe und braucht Hirten, sind in der monströsen
Situation, den Hirten auf den rechten Weg helfen zu müssen. Das Ganze
hat sich geradezu umgedreht - übrigens wiederum wie beim Tode Christi.
Es waren die Laien mit Maria, die unter dem Kreuze standen, die Hirten
hatten den Herrn verraten oder verleugnet, von jenem einen unter den
Zwölfen abgesehen, dessen Heiligkeit ihn vor dem Abfall bewahrt hat -
wiederum wie heute einige wenige Priester dank ihrer Heiligkeit in
aller Öffentlichkeit die wahre katholische Religion leben.
Die Priester können deshalb in dieser Stunde der Kirche nicht einfach
mit ihren Forderungen an die Laien so herantreten, als ob nichts
geschehen sei. Es gibt eine Solidarität des Corps, für das man auch
haftet, wenn man selbst persönlich sich nicht verfehlt hat. Jeder
Priester muß heute die Schande seines Standes mittragen. Vor allem
müssen die Priester einsehen, welche Schuld sich auf ihrer Seite zu
erkennen gegeben hat.
Es gibt drei Gründe für das Versagen und den Abfall der Priester, die der hl. Petrus in einem seiner Briefe nennt:
1. wenn sie gezwungen handeln, statt freiwillig;
2. wenn sie nicht um der heiligen Sache willen, sondern aus Gewinnsucht tätig sind; und
3. wenn sie sich als Herren eines Erbteils betrachten und entsprechend
benehmen. Der dritte der genannten Gründe ist der schwerwiegendste und in ihm enthüllt sich das Unheil in seiner Wurzel.
Wenn wir diese Ursachen überdenken, so wird uns zunächst einfallen,
wieviele junge Menschen in den vergangenen Zeiten unter Nötigung in das
Priesterseminar eingetreten sind. Ist es zu verwundern, wenn diese
schlechte Priester geworden sind? Der freie Entscheid ist für keinen
Beruf so wesentlich wie für den des Priesters.
Was die zweite Ursache betrifft, so muß ich immer wieder an den Neffen
eines deutschen Reformbischofs denken, der mir einmal sagte: Zu
Dreiviertel beschäftigt sich mein Onkel mit der Verwaltung (des
kirchlichen Besitzes und der kirchlichen Stellen). D.h. zu drei
Vierteln diente er den Angelegenheiten des Mammon. Wie oft habe ich den
Leuten, wenn sie mich fragten, was Kardinal Döpfner denn von uns denke,
geantwortet: Er denkt: "Aber die haben doch kein Geld!"
Aber bei dieser zweiten Ursache dürfen wir nicht nur an das Geld
denken, wenn auch das Geld hier eine Riesenrolle spielt. (Ca. 400000
sfrs sind schon etwas mehr als 50000 DM für Steiner!) Es ist besonders
wertvoll, daß Abbé de Nantes in seinem Anklagebuch gegen Paul VI.
dessen Simonie mit kirchlichem Ansehen herausgestellt hat. Dieser Mann
hat - angefangen von der Tiara, über die er gar nicht verfügen konnte -
kirchliches Ansehen, kirchliche Rechte und kirchliche Heiligkeit
preisgegeben und verschleudert, um in der Welt, bei der UNO und KPDSU
angesehen zu sein und dort eine Rolle zu spielen. Das ist nicht
erlaubt, und wo es geschehen ist, da ist Simonie geübt worden, sei es,
daß man um solches Ansehen in der Welt gebuhlt hat oder direkt nach
Geld und Macht gegriffen hat. Man hat das Heilige dafür zum Tausch
gegeben und den Herrn verkauft. (Auch hier hat man allerdings nicht
mehr als den niedrigsten Preis, dreißig Silberlinge, erhalten.)
Die dritte Ursache ist die furchtbarste, und durch sie ist der Verrat
letztlich bestimmt. Die Priesterweihe gibt dem Priester zwar den
unauslöschlichen Charakter des Gott geheiligten Seins, aber keinen
persönlichen (ich meine: nur persönlichen) Anspruch. Christus hat das
in der Zurückweisung der drei Versuchungen in der Wüste uns allen
gezeigt. "Wenn du der Sohn Gottes bist", so argumentiert der Versucher
jedesmal, dann bist du Herr der Natur (Steine: Brot) und des
geistlichen Bereiches (Wunder), schließlich ganz nackt: dann bist Du
rechtmäßiger Herr der Welt. So haben die Hohenpriester gedacht: Wir
sind das auserwählte Volk, das bedeutet ein Anrecht, das uns nicht
genommen werden kann. W i r verfügen darüber, nicht der Herr. Das Volk
und die Herrschaft über dasselbe war ihnen wichtiger geworden als
Gottes Wille. Man braucht nicht eben sehr scharfsinnig zu sein, um zu
bemerken, wie jeden zum Priester Geweihten diese Versuchung anfällt,
das ihm verliehene Amt mit seinem Individuum zu verwechseln. Geschieht
das mit bewußtem freien Willen, dann hat sich der Priester "an die
Stelle Gottes gesetzt".
Der Griff nach der höchsten Macht erfolgt dabei immer mit zwei Händen, auf dem innerkirchlichen und auf dem weltlichen Wege.
In der Kirche besteht die Herrschaft über das Erbteil darin, daß man
bloße Herrschaftsmittel statt der heiligen Mittel anwendet. Die wahre
Autorität aus der Heiligkeit wird durch eine falsche ersetzt.
Prototypisch dafür ist der Mißbrauch, der mit dem Unfehlbarkeitsdogma
nach 187o getrieben worden ist.
Es ist ein Unglück, daß das Vatikanische Konzil damals abgebrochen
werden mußte; so konnte das Gegengewicht gegen die Seite der
Unfehlbarkeit nicht mehr genügend herausgestellt werden. Man hat in der
Folge das Autoritätsdenken soweit übertrieben, daß viele katholische
Christen mehr oder weniger konfus denken, alles, was der Papst sage
oder anordne, sei unanfechtbar. Als ob ein Gehorsam in jederlei
Hinsicht gegenüber der kirchlichen Autorität bestünde! Einem Soldaten,
der seinen Dienst eid geleistet hat, kann sein Hauptmann nicht befehlen
zu heiraten. Das erscheint jedem Menschen selbstverständlich. Aber daß
die Autorität des Klerus, einschließlich des Papstes, bestimmte Grenzen
hat, das vermögen viele katholische Christen kaum zu realisieren. Das
Dogma und die grundlegenden kirchlichen Gesetze binden auch den Papst,
und sein Wort ist auf jeden Fall nichts, wo die Stimme des Gewissens
uns sagt, daß das, was er befiehlt, nicht erlaubt ist. Kein Papst kann
uns verpflichten, die Wandlungsworte Jesu zu fälschen!
Aber die Herrschaft wird von dem Klerus, der sich als Herr über das
Erbteil ansieht, zugleich auch in der Welt erstrebt. Man wollte mit
geistlichen Mitteln herrschen; nur daß es leider andere, wie in den
letzten Jahrhunderten die Freimaurer, besser verstanden. Das hat den
Neid gewisser maßgeblicher Reformer erregt, die es nun auch auf deren
Weise schaffen wollen.
Man braucht die Freimaurerei und ihren Erfolg im 18. Jahrhundert gar
nicht nur auf geheime Machenschaften zurückzuführen (von denen man ja
doch immer nur den geringsten Teil wird beweisen können). Daß die Loge
in ihrem Kultus katholische und nicht-katholische Christen, Juden und
Mohammedaner in gleicher Weise vereinigte; daß sie lehrte, es komme auf
die Konfession, d.i. das spezifische Bekenntnis nicht an, wesentlich
sei nur der gemeinsame reine Vernunftglaube an Gott und die
Brüderlichkeit, genügt schon, um zu erklären, warum es zur vollkommenen
religiösen Nivellierung kommen mußte. Denn wenn zwei sich
widersprechende Überzeugungen zugleich wahr oder gut sein können, so
gilt keine.
Um ein anderes Faktum dieser Art zum Vergleich heranzuziehen: Man kann
von allem anderen absehen, was man Luther vorwerfen muß. Es genügt, daß
er gelehrt hat, die Ehe sei ein weltlich Ding und die Ehescheidung sei
möglich, um das absolut Zerstörerische des evangelischen Christentums
zu erklären. Die einen sagen: die Ehe ist heilig und unantastbar; die
anderen sagen: die Ehe ist eine weltliche Angelegenheit und kann
aufgehoben werden. Beides kann nicht zugleich wahr und gut sein.
Zweierlei sich dergestalt widersprechende Aussagen hinzunehmen,
bedeutete, das Leben nicht mehr restlos ernstnehmen. Der
Indifferentismus war die notwendige Folge.
So war die größte Wirkung der Freimaurerei, daß sie den religiösen
Ehebruch gefordert hat. Die Konfession wurde gleichgültig, und das
heißt: die Religion wurde gleichgültig. Die Freimaurerei hat damit eine
mit der Kirche konkurrierende Herrschaftsform aufgebaut - und zwar
eine, die erfolgreicher war als die der Kirche.
Die Gründe liegen auf der Hand. Es war der bequemere Weg, den die Loge
der sündenfälligen Menschheit vorschlug. Andererseits gab es seit der
Reformation in den konfessionell gemischten Ländern keine ungebrochene
moralische Haltung mehr. Das Schlimmste aber war, daß die kirchliche
Hierarchie selbst längst die Herrschaft statt des Reiches Gottes zu
erstreben begonnen hatte. Es gibt ein in der hl. Schrift nicht
überliefertes Wort Jesu, das sich in Indien findet: "Die Welt ist eine
Brücke. Du sollst dich nicht darauf ansiedeln, sondern hinübergehen!"
Die Kirche hatte begonnen, sich auf dieser Brücke anzusiedeln. Sie
kennen alle die herrlichen Klöster der Barockzeit. Leider sind sie auch
ein Symbol dafür, daß man begonnen hatte, es sich in dieser Welt gut
sein zu lassen, daß der Kampfgeist nachgelassen hatte und man sich auf
seinen Pfründen ausruhte. Diese Klöster hätten ihrer Bestimmung nach
Energiestationen sein sollen, aus denen die christliche Wahrheit in das
Volk hineingepumpt werden sollte. Statt dessen waren sie häufig zu
Stätten innerer und äußerer Herrschaft geworden. Deshalb auch der
schreckliche religiöse Verfall, der sich mit der Reform gerade in den
Klöstern manifestiert hat.
Eine ganz besondere Rolle hat dabei der Jesuitenorden gespielt, eine
Rolle, die schon im Ordensprogramm angelegt ist. Ich greife drei Punkte
heraus:
1. Der Orden vertrat die Theorie, der
Einzelne müsse dazu erzogen werden, ein blindes, willenloses Werkzeug
in der Hand der Oberen zu werden. Man zwang die Novizen, gerade das zu
vertreten, wovon sie nicht überzeugt waren. Da haben Sie ein Beispiel
sowohl des blinden Autoritätsstandpunktes als auch einer
innerkirchlichen Herrschaftsform.
2. Der Orden trat in der Reformation mit dem speziellen Anspruch auf,
in der Abwehr der Reformation eine führende Rolle zu spielen. Man
wollte bei dem allgemeinen Brand die Feuerwehr des Papstes sein. Was
aber war die Folge? Man hat in dieser "Gesellschaft" nicht mehr, wie in
den früheren Orden, die geistlichen Fragen von Grund auf erarbeitet und
schöpferisch eigene Lösungen erarbeitet, man hat sich vielmehr auf
herrschende Einstellungen gestützt und nur versucht, diesen
schlußendlich eine andere Richtung zu geben. So hat der Orden
verhindert, daß wesentliche Fortschritte in der Philosophie erkannt und
akzeptiert wurden. (Die Philosophie Descartes!) Statt dessen stützte
man sich auf im Augenblick erfolgreiche Lehren oder Praktiken, um
schnelle Erfolge erzielen zu können. So wurden die Jesuiten ebenso
Thomisten, wie später Heideggerianer und zuletzt Marxisten; so
verschmähten sie das Salongespräch ebensowenig als Kampfmethode wie
heute die Revolution. Handlungsreisende in letzten geistigen und
politischen Sachen! Die Folge war, daß entscheidende neue haltbare
Positionen außerhalb der Kirche erarbeitet wurden, während die
"Gesellschaft" immer rascher ihr Modekleid wechseln mußte.
3. Die "Gesellschaft" führte eine religiöse Praxis (Exerzitien!) ein,
bei der man angehalten wird, sich in seinem religiösen Tun, z.B. beim
Gebet selbst psychologisch zu beobachten. Es ist aber immer die Haltung
der Kirche gewesen, daß man sich beim Beten gänzlich Gott zuwenden
soll. Wenn ich "Herr des Himmels" zu beten beginne, sagt ei,n
chassidisches Wort, und das Wort "Herr" auf meine Lippen kommt, weiß
ich nichts,-mehr, als daß ich vor dem Herrn stehe, und ich habe ganz
vergessen, daß ich "des Himmels" sagen werde. Beobachtet man sich aber
beim Beten selber, so wird aus der Betrachtung der Herrlichkeit und
Größe Gottes immer mehr eine Selbstbespiegelung. Ein so betender Mensch
wird anthropozentrisch werden. Am Ende steht schließlich die
Auffassung, daß das Gebet und die Liturgie eine zwischenmenschliche
Angelegenheit sind, man betet zum Volk gewandt und nicht versus Deum.
Der Jesuitenorden war es auch, der die unheilvollen liturgischen
Erneuerungsbestrebungen eingeleitet hat. Er wollte die Missionserfolge
im 18. Jahrhundert nicht aufs Spiel setzen und forderte vom Papst die
Anpassung an die Formen und Mentalität der Heiden. (Reis statt Brot,
Volkssprache etc.) Man hat Papst Pius VI. nie verziehen, daß er diese
Bestrebungen wie die damit zusammenlaufenden des Bischofs Ricci als
häresienahe verurteilt hat. Die Jesuiten behielten insgeheim ihr Ziel
bei und warteten nur auf den Tag,øan dem sie es durchsetzen könnten.
Der Hintergedanke war immer: der große Erfolg in der Welt und eine
äußere Herrschaft, die man sich von der Loge nicht rauben lassen
wollte.
Wie viele Jesuiten sind zur Zeit der josephinischen Reformen spielend
zur Loge übergegangen und haben dort als führende Köpfe an der
Zerstörung der Kirche und dem Heraufkommen der Revolution mitgewirkt!
Auch im 19. Jahrhundert kam das Bestreben, äußere Herrschaft zu
erringen, nicht zur Ruhe. Man forderte katholische Berufs- und
Laienbewegungen, die katholische Aktion, die katholischen
Standesverbände, Vereine bis hin zum katholischen Fußballverein, um
größeren Einfluß auf die weltlichen Dinge nehmen zu können. Der Erfolg
dieser Organisation wurde wichtiger als das Gebet und das religiöse
Leben. Ein einfacher Vergleich mit der Ostkirche läßt sofort erkennen,
bis zu welchem Ausmaß hi.er Veränderungen vor sich gegangen sind. Die
orthodoxe Kirche kannte keine derartigen Vereine und Aktionen. Dort
kommt in die Kirche ausschließlich der, der beten will. Die Folge war,
daß die Kirche religiös blieb und die Liturgie so lebendig, daß sie
jedem Orthodoxen am Herzen liegt. Man kann sich in jedem orthodoxen
Gottesdienst, der noch intakt ist, davon überzeugen, daß dort - wo den
Gläubigen ja jede äußere Mitwirkung verwehrt ist - die geistige
Teilnahme an der Liturgie weit lebendiger ist als bei uns.
Die römische Kirche aber landete bei der Parole des Aggiornamento, im
kontradiktorischen Gegensatz zu dem Gebot der Hl. Schrift: "Ihr sollt
euch diesem Jahrhundert nicht anpassen!" (Nolite conformari huic
saeculo.) Es kommt aber sehr darauf an, zu erkennen, daß diese Parole
des Aggiornamento nicht auf einmal wie durch ein Wunder auftauchte,
sondern die Frucht einer langen Entwicklung in der scheinbar intakten
Kirche war. Wenn Sie das einsehen, verstehen Sie auch warum wir keine
Traditionalisten sind: gerade in der wurmstichigen Gestalt der
vorkonziliaren Kirche liegen die Gründe für die verabscheuenswerte
Reform.
Natürlich kommt noch hinzu, daß die kirchliche Hierarchie nicht nur
innerlich verdarb, sondern daß die Kirche auch systematisch
unterwandert wurde. Nur noch ganz naive Menschen können heute annehmen,
die Französische Revolution sei spontan ausgebrochen. Wer die Arbeit
der Kreise um Voltaire und den Herzog von Orléans in Frankreich und des
Illuminatenordens in Deutschland, die 1789 sich vereinigten, kennt, der
weiß, welche geradezu generalstabsmäßige Einzelarbeit zum
Zustandekommen dieses großen Ereignisses geleistet worden ist.
Nichts anders war es bei dem entscheidenden Schlag gegen die Kirche.
Herr Kaplan Dettmann hat in vielen Beiträgen der "Einsicht" gezeigt,
wie schon Jahre und Jahrzehnte vor dem Konzil von höchsten kirchlichen
Stellen und vom Jesuitenorden in dieser Richtung gearbeitet worden ist.
Als ich selber als erster Deutscher nach dem letzten Weltkrieg in
Israel philosophische Vorlesungen hielt, sagte mir ein israelischer
Professor in Tel Aviv: "Ich möchte Ihnen etwas mitteilen, daß Sie
sicher erfreuen wird. Der engste Mitarbeiter von Kardinal Bea kommt
zweimal in jedem Jahr zu uns und berät sich mit uns. Kardinal Bea und
sein Kreis sind schon lange davon überzeugt, daß Jesus nicht irgendwo
in der Welt, sondern in Israel wiederkommen wird. Aber diese
Wiederkunft wird nicht ein Erscheinen als Person sein, sondern eine
große soziale Errungenschaft in diesem Lande, die der ganzen Menschheit
zugutekommen wird."
Der jetzige Inhaber des Papststuhls, Paul VI., ist nicht irgendjemand,
der da schwach wäre oder unter Druck stünde, sondern er gehörte schon
früh zu den führenden Häuptern der Reformbewegung. Die neue "Messe" ist
ihm ein persönliches Anliegen.
Nun frage ich: Ist es denkbar, daß Jesus geduldet hätte, daß Petrus
zugleich das Haupt der Kirche und einer liberal-revolutionären Bewegung
gewesen wäre? Hätte Jesus Petrus nicht wie einen Satan zurückgewiesen,
wenn er mit dem Vorschlag gekommen wäre, den Gläubigen die gültige Hl.
Messe zu verwehren, statt dessen aber den Juden (Mohamedanern) die
Kirche zu öffnen? Wenn Sie,
nachdem Sie sich diese beiden Fragen gestellt und beantwortet haben,
noch nicht klar erkennen, wer Paul VI. nicht ist, dann sind Sie zu
jeder Erkenntnis unfähig.
Was bedeutet aber der allgemeine Zusammenbruch der Kirche? Man muß
diese Frage in einem weltweiten Rahmen stellen und in diesem zu
beantworten suchen. Es gibt für die Menschen grundsätzlich zwei
Möglichkeiten, ihr Leben einzurichten. Entweder halten sie das Dasein
letztendlich für sinnlos, für ein halbwegs glückliches Zufallsergebnis,
das aber früher oder später durch denselben Zufall wieder zerstört
werden wird. Oder sie sind überzeugt, daß das Leben einen Sinn hat, daß
eine unendliche Intelligenz und die höchste sittliche Güte die
Geschicke leitet, d.i. daß Gott uns liebend ins Dasein gerufen hat und
für uns sorgt, wenn wir auch Seine Gedanken, die unendlich über unsere
erhoben sind, nicht immer erfassen können. Zwischen diesen beiden
Auffassungen gibt es keine bei konsequentem Denken haltbare
Mittelposition.
Mit der Zerstörung der Kirche gibt die Menschheit den Glauben an einen
wahren Sinn des Lebens auf. Die notwendige Folge ist, daß jegliche
Moral zusammenbricht, da sich jede noch denkbare Forderung nicht zu
legitimieren vermag. Man kann dann nur noch versuchen, sich sein
Zufallsglück zu sichern, indem man zusieht, daß man der Stärkere bleibt
und sich verschafft, was man braucht. Alles andere muß davor
zurücktreten: die lästigen Babys, die Alten, die Feinde der
Gesellschaft usw. Der Genuß für uns und der Verbrennungsofen für die,
die dem im Wege stehen! "Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es auch
keine Sittlichkeit; dann ist alles erlaubt", sagt Dostojewski schon vor
loo Jahren.
Mit dem Zeitalter der Reformation hat eine Entwicklung von etwas
begonnen, das es vorher in der Menschheit gar nicht gegeben hat. Es
entstand das britische Weltreich, daß keine sittliche Aufgabe mehr
vertrat; der Profit wurde offen zu letzten Ziel der gesellschaftlichen
Existenz erklärt. Die Engländer, durch Kaperei auf den Weltmeeren und
Sklavenhandel reich geworden, konnten selbst ruhig zusehen, wie sich
die Französische Revolution, die immerhin noch mit gewissen Idealen
antrat, in ihren inneren Widersprüchen verzehrte, um am Ende Frankreich
rein machtmäßig auf die Knie zu zwingen. Immerhin blieb auch nach 1815
noch soviel vom alten religiösen Sinn in der Menschheit, daß man nicht
allerorten gern offen zugesteht, daß es seitdem um das "Geld" geht. So
reden die modernen Wortführer vom Interesse der Gesellschaft und
verbrämen ihren ökonomischen Materialismus mit einer Ideologie. Das
ökonomische Interesse und die himmlische Gerechtigkeit bleiben aber auf
dieser Erde die größten Gegensätze. "Ihr könnt nicht zwei Herren
dienen", hat der Herr selber gesagt, "Gott und dem Mammon". Wenn wir
dem Mammon dienen, so werden wir Gott, wenn schon nicht hassen, so doch
wenigstens verachten. Nun ist aber auch jeder Sozialismus nichts
anderes als ein verbrämter Mammonismus, ebenso wie der Kapitalismus,
der sich ja übrigens in neuester Zeit auch ideologisch als "soziale
Marktwirtschaft" tarnt. Für die Sache Gottes interessiert sich niemand
mehr; Er kann in der Ecke stehen, - ganz so wie seine Tabernakel heute
(leer) in irgendeiner Ecke der Gotteshäuser. Wenn ich sagte:
"interessiert sich niemand mehr", so schließt dieses "niemand" auch die
Priester ein (immer von den Ausnahmen abgesehen), die nicht weniger als
die Weltlichen nach irdischer Macht und Erfolg streben.
Ich sage das alles angesichts des hohen Ideals des Priestertums, das
uns der hochw. Herr Pfarrer Leutenegger noch neulich in einer Predigt
so lebendig vor Augen gestellt hat. Was könnten die Priester sein - und
was sind sie fast alle, weil ihr Herz von der Simonie beherrscht wird!
Was ist bei all dem zu tun? Ich hatte in meiner Jugend einen
Religionslehrer, der uns bei Anlaß des Wortes im Evangelium "Seid klug
wie die Schlangen und einfältig wie die Tauben" erklärte, worin die
Klugheit der Schlangen, die hier gemeint sei, bestehe: Nicht in
Hinterlist und Heimtücke, sondern darin: Wenn die Schlange angegriffen
werde, so ringele sie sich zusammen und gebe lieber den ganzen Körper
preis als den Kopf, den sie auf alle Weise zu schützen suche. Eben das
ist unsere Aufgabe in dieser Zeit: Wir müssen vor allem den Kopf
schützen und das Herzzentrum unseres katholischen Lebens. Dieses Zentrum ist das allerheiligste Sakrament
des Altares. Es wird bewahrt durch eine gültige Heilige Messe und durch
ein gültiges Priestertum, das seinerseits das Opfer Christi immer
wieder zu erneuern vermag und den Leib des Herrn den Gläubigen
austeilt.
Ich wiederhole noch einmal: das Altarsakrament ist nicht um des
Priesters willen da (und wäre er der Papst), sondern der Priester ist
Diener des Altars, und das ist: des Allerheiligsten. Der Klerus ist
nicht Selbstzweck, sondern er soll Gott dienen - in ganz besonderer
Weise.
Alle anderen Sakramente kommen an dieses nicht heran. Ein ßußsakrament
ist nur möglich, weil Christus sich dem Vater opfert; der Priester wird
nur geweiht, damit er für Christus dieses Opfer unblutig erneuere.
Wir müssen also alles uns Mögliche tun, um das Heilige Altarsakrament
zu schützen. Wir haben aber dieses Sakrament nur, wenn wir Priester
haben, die gültig geweiht, immer wieder konsekrieren. Deshalb war es
ganz richtig von Erzbischof Lefebvre, daß er aufstand und Priester
ausbildete und weihte. Und wir hoffen, daß er auch derjenige sein wird,
der uns gültig geweihte Bischöfe hinterläßt, wenn Gott ihn einmal
abberufen sollte. Auf jeden Fall haben wir die Zuversicht, daß der Herr
dafür sorgen wird.
Natürlich muß darüber hinaus endlich einmal die diabolische
Gegenwartssituation der Kirche offen zur Sprache gebracht werden; Paul
VI. muß offiziell angeklagt und verurteilt werden, samt den Bischöfen,
die sein Zerstörungswerk bejahen. Denn nur, wenn man ein solches
Geschwür aufschneidet, kann man den Körper reinigen. So geht es nicht
weiter. Wir können nicht ein Verein für entgegengesetzte Ziele bleiben.
Wir unterstützen also entschlossen Erzbischof Lefebvres
Erneuerungswerk. Allerdings, wie aus allem zuvor Gesagten hervorgeht,
unter einer ganz bestimmten Voraussetzung: Wir sind, wie Sie wissen,
keine Traditionalisten und lehnen es ab, uns so nennen zu lassen. Die
Erneuerung der Kirche kann nicht so vor sich gehen, daß die alten
Fehler wiederholt werden, durch die gerade die Kirche im Reformismus
endete. Wir müssen nicht nur den Reformismus, wir müssen auch den
falschen Traditionalismus, der nur dessen Kehrseite ist, beiseitigen.
Der Klerus muß sich wandeln! Er kann nicht von neuem mit den gleichen
Herrschaftsansprüchen auftreten, durch die er die Katastrophe
verschuldet hat. Wir erwarten, daß er wie Petrus "bitterlich weint über
seine Sünden". Der Klerus darf nicht über die Erde als sein Erbteil
herrschen wollen, sondern er muß mit ganzem Herzen demütig der
himmlischen Gerechtigkeit dienen.
Scharen wir uns - so wie die frommen Frauen um den hl. Johannes unter
dem Kreuze und nach der Grablegung Christi - um die Priester, die in
der entscheidenden Stunde des 7. März treu befunden worden sind. Es
sind heilige Männer.
(Überarbeiteter Vortrag, den Prof. Lauth auf der Vollversammlung des
Freundeskreises e.V. des Convents Pius VI. am 28.11.1976 in München
gehalten hat; vom Tonband übertragen von M. Schneider.)
Anmerkung der Redaktion:
Wir drucken diesen Beitrag von Prof. Lauth
hier noch einmal ab, weil die darin gemachten Behauptungen zur
Situation der Kleriker von bestimmten Seiten aufs höhnischste
kritisiert wurden. Nachdem inzwischen etliche grundlegende
Entscheidungen gefallen sind, die für unsere derzeitige Lage bestimmend
sind, und vier Jahre nach der ersten Veröffentlichung verstrichen sind,
möge man mit aller Nüchternheit vorstehende Ausführungen noch einmal
lesen und uns sagen, ob Kritik berechtigt war oder ob sich in den
hämischen Kritiken nur die in vorstehendem Beitrag beschriebene
klerikale Haltung wiederspiegelt.
E. Heller
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