HOMILIE AUF DEN 2. SONNTAG NACH OSTERN,
DEN GUTEN-HIRTEN SONNTAG
vom
Hl. Papst Gregor d. Großen
Gehalten in der St. Peterskirche zu Rom um das Jahr 592
Joh. 1o,11-17: "In der Zeit sprach
Jesus zu seinen Jüngern: Ich bin ein guter Hirt: ein guter Hirt gibt
sein Leben für seine Schafe. Ein Mietling aber, und der kein Hirt ist,
dem die Schafe nicht zugehören, wenn er den Wolf kommen sieht, verläßt
die Schafe, und flieht davon; da ergreift, und zerstreuet der Wolf die
Schafe. Darum flieht aber der Mietling so davon, weil er ein Mietling
ist, und die Schafe ihn nichts angehen. Ich bin ein guter Hirt, und
erkenne meine Schafe, und meine Schafe erkennen mich. Wie mich der
Vater erkennt, so erkenne ich auch den Vater; und ich gebe mein Leben
für meine Schafe. Ich habe noch andere Schafe, welche nicht aus diesem
Schafstalle sind; dieselbigen muß ich auch herzuführen; sie werden
meine Stimme hören, und es wird eine Herde, und ein Hirt sein."
ERKLÄRUNG
Aus dem Evangelium, welches man vorgelesen hat, liebste Bürder, habet
ihr euern Unterricht vernommen, und aus demselben habet ihr auch unsere
Gefahr vernommen. Denn sehet! Jener, der nicht aus einer zufälligen
Gabe, sondern aus seiner Wesenheit gut ist, sagt von sich: "Ich bin ein
guter Hirt:" und sogleich stellt er von dieser Güte ein Vorbild auf,
welches wir nachahmen sollen: "Ein guter Hirt gibt sein Leben für seine
Schafe."
Er hat selbst getan, was er gelehrt hat,; und er hat selbst in dem
Werke geübt, was er befohlen hat. Der gute Hirt hat für seine Schafe
das Leben dargegeben, damit er in seinem Sakrament seinen Leib, und
sein Blut auf eine andere Weise darstellte, und die Schafe, die er
erlöset hat, mit der Nahrung seines Fleisches sättigte. Uns Hirten ist
durch die Verachtung der Welt ein neuer Weg geöffnet, den wir
einschlagen - und ein neues Vorbild gegeben worden,wonach wir uns
bilden sollen. Unsere erste Pflicht bestehet darin, daß wir unsere
äußerlichen Güter voll Mitleid für seine Schafe verwenden - die zweite
fordert, daß wir sogar mit unserm Tode, wenn es die Not so erheischet,
denselben dienen sollen. Von der Beobachtung der erstem Pflicht, die
nur etwas geringes an uns begehrt, kommt man zu der Erfüllung der
Letztern, die in ihrem Umfange weit wichtiger ist. Da nun aber die
Seele, wodurch wir leben, weit edler, und vortreflicher ist, als alle
zeitliche Habschaft, die wir von außen besitzen; wenn je einer die
zeitlichen Güter für die Schafe nicht hingibt, nein! wann wird er für
dieselben sein Leben geben?
Es gibt auch einige, welche den irdischen Reichtum mehr, als die Schafe
liebe. Diese verdienen allerdings nicht, daß sie Hirten genennet
werden, und die Schrift sagt von ihnen: "Ein Mietling aber, und der
kein Hirt ist, und dem die Schafe nicht zugehören verläßt die Schafe,
wenn er den Wolf kommen sieht, und flieht davon." Kein Hirt, sondern
ein Mietling wird jener geheißen, der die Schafe des Herrn nicht aus
einem innern Antriebe der Liebe, sondern nur aus einer eigennützigen
Absicht des zeitlichen Lohnes weidet. Nämlich ein Mietling ist jener,
der in dem Hirtenamte stehet, und den Seelengewinn nicht sucht, der den
zeitlichen Vorteilen nachjagt, über die Ehre seines ihm angebraumten
Vorzuges sich freuet, mit einem zeitlichen Überfluße sich mästet, und
innerlich über die Ehrenbezeigungen frohlocket, die ihm von den
Menschen erwiesen werden. Hierin bestehen nämlich die würdigen
Belohnungen für einen Mietling, daß er für die wenige Mühe seines
Hirtenamtes eben in dieser Welt dasjenige findet, was er sucht;
übrigens aber sich selbst von dem Erbteile der Herde ausschließt.
Jedoch wer ein Hirt, und wer ein Mietling sei, dies läßt sich außer
einem Notfall nicht so leichthin bestimmen. Denn bei andauernder
Ruhezeit hält der Mietling eben so: wie der wahre Hirt, die Wache über
die Herde: Aber der anrückende Wolf macht es kundbar, mit welch einem
Geiste ein jeder seinen Posten bewache. Der Wolf kommt alsdann über die
Schafe, wenn je ein Ungerechter, oder je ein Räuber die Gläubigen, und
die Demütigen zu unterdrücken suchet. Un in diesem Falle verläßt jener,
der nur ein Hirt zu sein schien, und keiner war, seine Schafe, und
fliehte davon; denn weil er von dieser Seite her einige Gefahr für sich
besorget, getrauet er sich nicht, dessen ungerechten Anfällen sich
mutig entgegen zu stellen; er flieht also, zwar nicht so, daß er den
Platz verläßt, sondern daß er den nötigen Trost entziehet; er fliehet,
weil er die Ungerechtigkeit zwar bemerkt hat, aber auch dazu stille
geschwiegen hat; er flieht endlich, weil er sich ganz einsam
verschließt. Zu solchen Hirten wird sehr wohl durch den Propheten
gesagt: "Ihr habt euch nicht entgegengestellt, noch als eine Mauer für
das Haus Israels gesetzet, daß ihr am Tage des Herrn im Streite
gestanden wäret."(Ezechiel 13.Kap.) Denn sich entgegen stellen heißt,
allen Mächten, welche Böses tun, mit einer Freimütigkeit widersprechen.
Und am Tage des Herrn stehen wir alsdann im Streite für das Haus
Israel, und stellen uns als eine Mauer entgegen, wenn wir die
unschuldigen Gläubigen gegen alles Unrecht der verbosten Menschen
vermöge unsers Ansehens schützen. Weil nun der Mietling dieses nicht
tut, so fliehet er, sobald er den Wolf kommen sieht.
Jedoch es gibt noch einen andern Wolf, welcher alltäglich und
unabläßlich nicht die Leiber, sondern die Seelen wütend anfällt,
nämlich den Satan, welcher um die Pferche der Gläubigen
nachstellerischer Weise herum schleicht, und nach dem Tode der Seelen
hungert. Von diesem Wolfe wird sogleich gesagt: "Und der Wolf ergreift,
und zerstreuet die Schafe." Der Wolf kommt, und der Mietling fliehet;
weil der böse Geist die Seelen der Gläubigen durch die Versuchung zu
Grunde richtet, und weil jener keine Sorge trägt, der das Amt eines
Hirten verwalten sollte. Die Seelen gehen verloren, und er selbst macht
sich über die zeitlichen Vorteile, und Einkünfte lustig.
Der Wolf ergreift und zerstreuet die Schafe, da er jetzt diesen zur
Unlauterkeit verleitet, jetzt jenen mit Geize, und Habsucht entzündet;
bald diesen übermütig und stolz macht, bald jenen durch die Rachsucht
von den übrigen trennet; jetztbei einem andern die Mißgunst rege macht,
jetzt noch einen andern durch List und Betrug hintergeht.
Es zerstreuet also der Wolf gleichsam die Herde, wenn der Satan die
gläubigen Völker durch die Versuchung tötet. Allein dagegen ereifert
sich der Mietling nicht, gar nicht, und er faßt keinen Funken der
Liebe. Denn weil er einzig auf seine zeitlichen Einkünfte bedacht ist,
achtet er aus Hinläßigkeit den Schaden seiner Herde nicht. Deswegen
folget auch sogleich: "Darum aber flieht der Mietling also davon, weil
er ein Mietling ist, und ihn die Schafe nicht angehen." Die ganze und
einzige Ursache ist also, warum der Mietling flieht; weil er ein
Mietling ist; als wenn nämlich deutlichst gesagt wurde: die Gefahren
der Herde kann jener nicht ausharren, welcher bei seinem Hirtenamte
nicht die Seelen liebt, sondern seinen Eigennutz zu befriedigen sucht.
Denn, da er die Ehre mit beiden Händen umfaßt, und da er sich aller
zeitlichen Vorteile erfreuet, so stellt er sich aus Schüchternheit der
Gefahr nicht entgegen, damit er das, was er liebt, niemals verliere.
Nachdem aber unser Erlöser die Fehler des Afterhirten aufgedeckt hat,
stellt er nun neue Eigenschaften und Züge auf, wonach wir uns bilden
sollen, da er nochmal spricht: "Ich bin der gute Hirt;" und sogleich
hinzusetzet: "Ich kenne, das ist, ich liebe die Meinigen, und die
Meinigen kennen mich;" als wollte er hiermit offenbar sagen: Die mich
lieben, die folgen mir. Denn wer die Wahrheit nicht liebt, der hat ihn
noch gar nicht erkannt.
Nachdem ihr also, liebste Brüder, die Gefahren unsres Standes vernommen
habet, lernet auch die eurigen aus den Worten des Herrn erkennen.
Sehet, ob ihr seine Schal i> seid - ob ihr ihn kennet; sehet, ob ihr
das Licht der Wahrheit habet, ob ihr es habet, sage ich, nicht durch
den Glauben, sondern durch die Liebe - nicht durch einen blinden
Beifall gegen das Wort des Herrn, sondern durch die Verfolgung
desselben. Denn eben jener Evangelist Johannes, der dieses spricht,
gibt wider euch Zeugniß, da er sagt: "Wer spricht, er kenne Gott, und
hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner." (1. Johann. 2.K.)
Dessentwegen fährt der Herr an der nämlichen Stelle fort, und sagt:
"Wie micht mein Vater erkennet, also erkenne ich auch dqn Vater, und
ich gebe mein Leben für meine Schafe." Als spräche er offenbar: Aus
diesem weiß man, daß ich meinen Vater erkenne, und von dem Vater wieder
erkannt werde, weil ich meine Seele für meine Schafe hingebe; das ist:
durch jene Liebe, mit der ich für meine Schafe sterbe, beweise ich, wie
sehr ich den Vater liebe.
Weil er aber nicht einzig die Juden, sondern auch die Heiden zu erlösen
gekommen ist, setzt er sogleich die Worte hinzu: "Ich habe noch andere
Schafe, die nicht aus diesem Schafstalle sind; dieselben muß ich auch
herbei führen; und es wird eine Herde, und ein Hirt sein." Der Herr,
als er sagte, daß er noch andere Schafe herbei führen müsse, zielte mit
diesen Worten auf unsere Erlösung, die wir von dem Heidentum in die
Kirche Gottes gekommen sind. Dieses sehet ihr alltäglich, meine Brüder!
Und daß dieses bei den Völkern vorgehe, sehet ihr selbst an dem
heutigen Tage. Der Herr bildet aus zwei Herden nur einen einzigen
Schafstall, weil er das jüdische, und das heidnische Volk in einem, und
dem nämlichen Glauben vereiniget; wie Paulus bezeugt,welcher sagt: "Er
ist unser Friede, der aus beiden Völkern eines macht." (An die Epheser
2.K.) Denn, da er aus beiden Nationen diejenigen zu dem ewigen Leben
erwählt, die eines guten Herzens sind, so leitet und führt er die
Schafe in den ganz eigenen Schafstall.
Von eben diesen Schafen sagt er wieder: "Meine Schafe hören meine
Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir, und ich gebe ihnen das
ewige Leben." Auch weiter oben hat er von denselben gesagt: "Wenn
jemand durch mich hinein gehen wird, der wird selig werden; er wird
sicher ein und ausgehen, und Weide finden." Nämlich eingehen wird er
durch den Glauben, Ausgehen aber wird er von dem Glauben zur
Anschauung, von der blinden Unterwürfigkeit des Verstandes zu der
möglichst vollkommenen Einsicht; die Weide selbst wird er finden in der
ewigen Sättigung. Seine Schafe also werden Weide finden; weil alle
diejenigen, welche in der Aufrichtigkeit des Herzens ihm nachfolgen,
mit einer ewig grünenden Nahrung werden gespeiset werden. Denn worin
anders sollte die Weide dieser Schafe bestehen, als in den innern
Freuden des nie verwelkenden Paradieses? Denn die Weide der
Auserwählten ist der immer gegenwärtige Anblick Gottes, welcher, da er
ohne alle Makel der Unvollkommenheit in dem reinesten Lichte gesehen
wird, die Seele mit einer Speise des Lebens ohne Ende erquicket. Auf
dieser Weide haben sich in einem ewigen Glücksstande der vollkommensten
Sättigung jene schon jetzt erfreuet, welche den Fallstricken der
wollüstigen Zeitlichkeit glücklichst entgangen sind. Dort sind die
lobsingenden Chöre der Engel - dort die Gemeinschaft der himmlischen
Bürger - dort die Versammlung der erlauchten Propheten - dort die Reihe
der mit der Richtergewalt begabten Apostel - dort das siegreiche Heer
der zahllosen Märtyrer, jetjzt desto freudenvoller im Vaterlande, je
härter sie hienieden geplagt waren; dort wird die Standhaftigkeit der
Beichtiger durch den Genuß der verheißenen Belohnung getröstet; dort
finden sich jene Männer von unverletzter Treue ein, deren männliche
Stärke und Festigkeit die wollüstige Welt nie hat erweichen können;
dort sind jene heilige Frauen, die störker als die Welt, und selbst
stärker, als ihr Geschlecht den Sieg errungen haben; dort sind jene
Kinder, die ihre Jahre durch tugendhafte Sitten weit hinter sich
gelassen haben; dort endlich sind jene Alten, bei welchen zwar die
vielen Jahre die Kräfte des Leibes, aber nicht die Stärke des Geistes
geschwächet haben.
Brüder! Lasset uns also diese Weide suchen, worauf wir uns im vollen
Kreise so vieler und großen Himmelsbürger erfreuen können. Selbst das
Vergnügen so vieler Frohlockenden soll uns dahin einladen, Gewiß, wenn
ein zahlreiches Volk einen feierlichen Jahrmarkt hielt; oder wenn es
nach ausgerufener Feierlichkeit zum Einweihungsfeste einer Kirche
zusammen lief, wären auch wir alle eilends dabei; jeder würde sich
bestreben, auch beizuwohnen, und es würde in einem jeden eine
unangenehme Empfindung zurück lassen, wenn er die gemeinsame Freude,
und Feierlichkeit nicht auch mit ansehen könnte. Sehet! Bei den
Auserwählten Himmelsbürgern wird so ein Freudenfest gefeiert; jeder aus
ihnen freuet sich über die Freude der andern; und wir in der Neigung zu
einem ewigen Vergnügen so matt, wir brennen von keiner himmlischen
Begierde, wir bemühen uns nicht, einem solchen Freudenfeste einstens
beizuwohnen; wir sind aller echten Freuden beraubt, und doch dabei ó
munter. Brüder! Lasset uns Mut fassen! Es lebe in uns der erstorbene
Glaube nach all demjenigen, was er geglaubt hat, wiederum auf, und
neuerdings sollen sich unsere Begierden nach den himmlischen Freuden
entzünden; und so lieben heißt schon einen Schritt näher zum Himmel
machen. Von der Freude dieser innerlichen Feierlichkeit soll uns also
kein widriger Zufall zurück halten: denn auch derjenige, welcher an
einem bestimmten Ort zu reisen gedenkt, läßt sich von dem Hindernis
eines rauheren Weges in seinem Vorhaben nicht stören: keine Liebkosung
des zeitlichen Glückes soll uns je auf einige Abwege verleiten; weil
jener Wanderer gewiß für einen Toren gehalten wird, welcher, wenn er
etwa um sich her angenehme Gefilde bemerket, auf den Ort vergißt, wohin
er die Reife bezielet hat. Mit voller Sehnsucht soll also der Geist
nach der obern Vaterstadt trachten; nichts soll er auf dieser Erde für
sich begehren, von der er weiß, daß er alles schnellest verlassen muß,
damit, wenn wir auf diese Weise wahre Schafe des himmlischen Hirten
sind, und auf dem Wege der Wanderschaft an kein niedriges Vergnügen uns
heften, wir nach der glücklichen Erreichung des Zieles in den ewigen
Weiden mögen ersättiget werden; welches uns verleihe unser Herr Jesus
Christus, der mit dem Vater in der Einigkeit des heiligen Geistes zu
ewigen Zeiten als Gott lebt, und herrschet. Amen.
(aus: Feyerabend, P. Maurus: "Des heiligen Kirchenvaters und römischen
Pabstes Gregorius des Großen Homilien" Kempten 18lo, S.2o6-214.)
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OSTERWEHMUT
von
Léon Bloy
(Aus: Vier Jahre Gefangenschaft in Cochons-sur-Marne, Tagebuch 19oo-19o4, Nürnberg 1951)
4. April (1904). - Ostermontag. Sobald die Osterglorie naht, fühlt sich
die Seele von eigentümlicher Wehmut ergriffen, welche man vielleicht
folgendermaßen in Worte fassen kann:
"Ich nin mit Jesu bei SEINER Auferstehung, da ich nicht mit IHM bei
SEINEM Tode sein durfte. Ich habe nicht mit IHM gelitten, mein Fasten
war ein Hohn. Ich habe also gar kein Recht, mich mit den Heiligen zu
freuen und müßte vor Schande vergehen ohne das unfaßbare göttliche
Mitleid."
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