"Seelsorger und Patriot"
Der Historiker Joachim Kuropka über v. Galens Kampf für Deutschland
(Auszüge aus einem Interview, welches Moritz Schwarz führte)
Schwarz: Kardinal von Galen galt nach dem Krieg lange unbestritten als
der mutige "Löwe von Münster", der aus christlicher Überzeugung den
Nationalsozialisten die Stirn geboten hatte. Im Zuge der
Achtundsechziger-Bewegung begann jedoch der Versuch, ihn - ebenso wie
den übrigen christlichen und auch nationalkonservativen Widerstand
gegen Hitler - als den Nationalsozialisten mehr oder weniger geistig
nahestehend zu desavouieren.
Kuropka: Diese Linie läßt sich bis heute verfolgen, man weiß nicht
immer, ob mit Absicht oder auch aus Unkenntnis. Jüngstes Beispiel ist
der Film "Nicht Lob noch Furcht" - Galens Wahlspruch - des
Landesmedienzentrums des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. In
diesem Film wird zum Beispiel behauptet, die deutschen katholischen
Bischöfe - auch Galen - hätten den Rußlandkrieg unterstützt. Als Beleg
wird dann aus einem Hirtenbrief angeblich entsprechend zitiert. Ich
habe lange gesucht, bis ich darauf gestoßen bin, daß es sich um einen
Hirtenbrief aus dem Jahr 1936 handelt! Der Rußlandfeldzug, zu dem der
Text im Film in Bezug gesetzt wird, begann aber 1941. Tatsächlich
bezieht sich der Brief auf den Spanischen Bürgerkrieg und eine
NS-Kampagne gegen die Kirche, die der Zusammenarbeit mit dem
Bolschewismus bezichtigt wurde. Doch als ob das noch nicht genug wäre,
finden sich im Anschluß an die im Film zitierte Passage - die, wie
gesagt, die Unterstützung eines Krieges beweisen soll - folgende Sätze,
die die Filmemacher unter den Tisch haben fallen lassen, in denen es
sinngemäß heißt: Den Bischöfen liegt es aber ferne ... zu einem neuen
Krieg aufzurufen. Wir sind und bleiben Sendboten des Friedens und
kämpfen mit den Waffen der Kirche, dem Glauben, dem Wort, dem Gebet und
der Sühne.
Schwarz: Wer sieht diesen Film?
Kuropka: Der Film ist nicht nur von einer öffentlichen Einrichtung
produziert worden, er ist in erster Linie für die Vorführung an Schulen
und anderen Bildungseinrichtungen gedacht. Einrichtungen also, denen
die Bürger eine besonders hohe Wissenskompetenz zuschreiben.
Schwarz: Kann diese Analyse der Kritik an Kardinal von Galen als
symptomatisch für eine bestimmte Art von Kritik an den Kirchen
überhaupt betrachtet werden?
Kuropka: Es ist nicht selten, daß aus äußerlichen Erscheinungen
tiefgreifende Schlüsse gezogen werden. Noch einmal am Beispiel Galen:
Da wird etwa behauptet, der Kardinal habe zunächst ein enges Verhältnis
zum NS-Regime gehabt oder gar mit diesem kooperiert, was nachweislich
nicht der Fall war. Zum "Beweis" wird darauf verwiesen, daß die SA bei
seiner Bischofsweihe auf dem Domplatz Spalier stand und
Parteifunktionäre ihm gratuliert haben. Oder es werden bestimmte Denk-
oder Verhaltensweisen wie selbstverständlich in einen einschlägigen
Zusammenhang gestellt, obwohl diejenigen, die sich so geäußert oder
gehandelt haben, ganz andere Gründe dafür gehabt hatten. Galen hat
selbst mehrfach formuliert, wie schwer doch die Entscheidung sei, "zu
reden oder zu schweigen". Man denke etwa an den Protest der
holländischen Bischöfe gegen die Deportation der Juden ab 1942, der zu
noch radikaleren Maßnahmen geführt hat. Es wurde also auch geschwiegen,
aus Sorge vor noch mehr Opfern, nicht aber aus Desinteresse am
Schicksal der Menschen. Einen ähnlichen Vorgang finden wir übrigens
auch im Fall Galen: 1938 kamen Vertreter der Jüdischen Gemeinde zu ihm
und baten ihn, auch für sie auf die Kanzel zu steigen. Er willigt ein,
gab aber zu bedenken, ob die Situation für sie hinterher nicht
schlimmer sein würde als zuvor. Das leuchtete den Männern offenbar ein,
denn sie baten ihn dann, doch Abstand davon zu nehmen.
Schwarz: Was tat Galen konkret gegen die Diskriminierung, später gegen die Verfolgung der Juden?
Kuropka: Zum Beispiel gab es im Sommer 1938 im Bistum Münster eine
Aufklärungs-Aktion über die katholische Position zum Antisemitismus.
Dabei wurde den Gläubigen erläutert, daß alle Menschen Kinder Gottes
sind, allen stehen grundlegende Rechte zu. Galen setzte sich außerdem
für den inhaftierten Rabbiner in Münster ein, verschaffte in einzelnen
Fällen Juden fingierte Taufscheine - und es wurde in den Kirchen des
Bistums Münster für die Juden gebetet, wofür ich erst neuerdings einen
Beleg von seiten des Sicherheitsdienstes der SS gefunden habe.
Schwarz: Für wie seriös gilt die Kritik an Galen in Fachkreisen?
Kuropka: Ich will nicht sagen, es gäbe am Verhalten der Kirche, ebenso
wie an dem Galens, grundsätzlich nichts zu kritisieren. Aber wer
kritisch sein will, möge sich der historisch-kritischen Methode
bedienen und sich an der wissenschaftlichen Diskussion beteiligen!
Diese spielt sich in Zeitschriften, Buchbeiträgen und Rezensionen ab.
Da ist es schon einfacher, einen Film zu drehen. Ein anderes Beispiel
für diese Art der Auseinandersetzung ist die Serie, die einmal Rudolf
Augstein im Spiegel über "Kirche und Nationalsozialismus" verfaßt hat.
Allein ich habe darin über sechzig Fehler gefunden! Ein weiteres
bevorzugtes Grundmuster der "Kritik" an Vertretern der Kirche wie auch
des bürgerlichen Konservatismus ist der Vorwurf, "man hätte doch mehr
tun können". Natürlich kann man immer mehr tun. Und natürlich hat es
tatsächlich viele fatale Versäumnisse gegeben. (...) Häufig wird nicht
realisiert, daß sich die damals Beteiligten in einer ungeheuer
komplexen Situation befunden haben, vor allem, daß es sich beim
NS-Staat um ein Terrorregime gehandelt hat. Eine seiner stärksten
Waffen war die Willkür, es konnte um Leib und Leben gehen, es konnte
aber auch noch einmal gutgehen. Der zeitgenössische bittere Witz hat
dies formuliert mit der Frage: "Kennen Sie schon den neuen deutschen
Gruß? Es ist der Finger vor dem Mund!"
Schwarz: In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die katholische
Kirche eher als etwas Widerständiges wahrgenommen. Heute steht sie für
viele eher im Geruch der Kollaboration.
Kuropka: Man muß sich doch einmal fragen: Warum waren die
Nationalsozialisten eigentlich so gegen die Kirche? Warum gingen sie
gegen den Klerus vor? 38.000 Maßnahmen gegen katholische Geistliche,
über 400 im KZ - allein aus dem Bistum Münster 36 -, nicht wenige
dieser KZ-Insassen überlebten die Haft nicht. Der Grund liegt darin,
daß die Kirche an den Zehn Geboten festhielt und damit der "Umwertung
der Werte" entgegentrat, die das NS-Regime vor allem in der Jugend
herbeizuführen suchte. Wer Personal für einen "Rassekrieg" braucht, wer
Juden erschießen und Geisteskranke vergasen will, der kann keine
Institution dulden, die den Leuten beibringt, daß das Sünde ist.
Schwarz: Kardinal Galen, ein Widerstandskämpfer?
Kuropka: Zumindest verstehe ich nicht, daß er nicht allgemein zum
Widerstand gezählt wird. Denn tatsächlich blieb doch der gesamte
"offizielle" Widerstand gegen Hitler - ob studentisch, militärisch oder
kommunistisch - letztlich wirkungslos und hätte nach einem "Endsieg"
wohl erst recht keine Chance mehr gehabt. Die katholische Kirche stellt
eine völlig andere Art von Widerstand dar: Statt die
Nationalsozialisten anzugreifen, untergrub sie allein durch ihr
Selbstverständnis in gewisser Hinsicht die Legitimität der Machthaber.
Wohin so etwas führen und wie erfolgreich es sein kann, zeigt das
Beispiel der Opposition gegen den Kommunismus in Osteuropa. (...) Aber
daß diese Art von Resistenz möglicherweise eine zwar viel
langfristigere, aber wirk-same Art von Widerstand ist als das, was wir
sonst darunter subsumieren, wird heute nicht beachtet.
Prof. Dr. Joachim Kuropka gilt als einer der führenden "Galenforscher"
Deutschlands. Der Historiker lehrt Katholizismusforschung an der
Universität Vechta. Geboren wurde er 1941 in Namslau in Schlesien.
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005
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