AUS DEN VISIONEN DER ANNA KATHARINA EMMERICH
Daß die Freunde uns in der Not verlassen, mußte auch Jesus auf diesem
Wege erleben, denn die Einwohner aus Ophel waren alle an einer Stelle
des Weges versammelt und als sie Jesum so verachtet und entstellt,
zwischen den Bütteln verspottet und mißhandelt hinführen sahen, wurden
auch sie in ihrem Glauben erschüttert, sie konnten sich nicht
vorstellen, daß der König, der Prophet, der Messias, der Sohn Gottes in
einem solchen Zustande sein könne. Sie wurden aber von den
vorübergehenden Pharisäern wegen ihrer Anhänglichkeit an Jesum
verhöhnt: "Da seht euren säubern König, begrüßt ihn, jetzt hängt ihr
das Maul, da er zu seiner Krönung geht und bald seinen Thron besteigen
wird, es ist aus mit dem Wunderturm, der Hohepriester hat ihm die
Zauberei gelegt" usw. Diese guten Leute, welche so viele Heilungen und
Gnaden von Jesu genossen, wurden durch das schreckliche Schauspiel,
welches die heiligsten Personen des Landes, der Hohepriester und das
Synedrium, vor ihnen vorüberführten, in ihrem Glauben wankend. Die
Besseren zogen sich zweifelnd zurück, die Schlechteren schlössen sich
höhnend dem Zuge an, wie sie konnten, denn die Zugänge waren hie und da
mit Wachen der Pharisäer besetzt, um allen Tumult zu verhindern. (...)
Nun umarmte Jesus die Säule, und die Schergen knebelten unter
greulichem Fluchen und Zerren seine heiligen emporgezogenen Hände oben
hinter den eisernen Ring der Säule und spannten seinen ganzen Leib so
in die Höhe, daß seine unten an der Säule festgeschlossenen Füße kaum
stehen konnten. Der Heiligste der Heiligen stand in ganzer menschlicher
Blöße mit unendlicher Angst und Schmach an die Säule der Verbrecher
aufgespannt, und zwei der Wüteriche begannen mit rasender Blutgier,
seinen ganzen heiligen Rückleib von unten hinauf und oben herab zu
zerpeitschen. Ihre ersten Geißeln oder Ruten sahen aus wie von weißem,
zähem Holze, vielleicht waren sie auch Bündel von starren Ochsensehnen
oder harten weißen Lederstreifen. Unser Herr und Heiland, der Sohn
Gottes, wahrer Gott und wahrer Mensch, zuckte und krümmte sich wie ein
armer Wurm unter den Rutenhieben der Verbrecher, er wimmerte und
stöhnte, und ein helles, süß klingendes Wehklagen wie ein liebevolles
Gebet unter zerreißender Pein drang durch die zischenden Rutenhiebe
seiner Peiniger. Dann und wann verschlang diese jammervollen, heiligen,
segnenden Klagetöne das Geschrei des Volkes und der Pharisäer wie eine
schreckliche schwarze Sturmwolke, sie schrien in ganzen Massen: "Hinweg
mit ihm, kreuzige ihn!" denn Pilatus verhandelte noch mit dem Volke,
und wenn er das Getöse der Menge mit einigen Worten unterbrechen
wollte, tönte zuerst eine Art Trompetenstoß, um eine Pause zu
veranlassen, dann hörte man wieder die Rutenstreiche, das Wehklagen
Jesu, die Flüche der Schergen und das Geblöke der Opferlämmer (...). Es
war kaum eine Viertelstunde, da hörten die beiden Geißeler auf zu
schlagen und traten mit zwei anderen zusammen und tranken. Jesu Leib
ward ganz braun und blau und rot mit Schwielen bedeckt, und sein
heiliges Blut rieselte nieder. Er zitterte und zuckte. Hohn und Spott
ertönte von allen Seiten. (...) |