SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH AUF KRANKENSCHEIN
von
Dr. jur. W. Philipp
Das Feld Nummer eins dieser Auseinandersetzung ist der Schutz des
keimenden Lebens. Für Christen folgt aus der Würde des Menschen, daß es
einen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Wert des geborenen und dem
Wert des ungeborenen Lebens nicht geben kann. Diese Erkenntnis gehört
darüber hinaus zu den kulturellen Grundlagen unseres Volkes und war bis
vor wenigen Jahren von allgemeinem Konsens getragen. Die gegenwärtige
Regierungskoalition (in Deutschland; Anm.d.Red.) allerdings hat es
fertig gebracht, dem Kind im Mutterleib diesen Rang und den daraus
abzuleitenden Schutz zu nehmen. Durch Zulassung einer nicht ohne
Zynismus 'sozial' genannten Indikation ist es neuerdings 'legal',
Konflikte durch Tötung der Leibesfrucht zu beenden, die auch auf andere
Weise lösbar wären. Mit Recht haben die Deutschen Bischöfe dazu
festgestellt, diese Entwicklung erschüttere das Fundament des
Rechtsstaates und zerstöre das sittliche Bewußtsein der Bürger.*) Es
ist allerdings zu bedauern, daß sie in ihrem 1979 herausgegebenen
Rundschreiben unter dem Titel "dem Leben dienen" vornehmlich bei ß 218
des Strafgesetzbuches angesetzt und eine andere weit skandalösere
Regelung nur nebenbei erwähnt haben. Ich meine die Tatsache, daß seit
1976 straffrei bleibende Abtreibungen zugleich als 'KRANKHEIT' gelten
und von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden. Darüberhinaus
gibt es in Nordrhein- Westfalen ein Regierungsvorhaben, den dort
anscheinend sozial besonders bedürftigen Beamtinnen für
Schwangerschaftsabbrüche staatliche Kostenbeihilfe zu gewähren. Hier,
verehrte Festversammlung **), ist die Sache spätestens auf dem Punkt,
wo Christen den kalten Kulturkampf zu entlarven und sich zu wehren
haben. Ob und wann man die an einer Abtreibung beteiligten Personen
strafrechtlich verfolgen sollte, mag auch unter uns immerhin noch
diskussionswürdig sein.+) Jede denkbare Grenze des Erträglichen aber
ist überschritten, wenn der Staat über Zwangsbeiträge gesetzlicher
Solidargemeinschaften Christen zur aktiven Mitfinanzierung von
Vorgängen zwingt, die nach ihrem Gewissen schlechthin unerlaubte und
den Menschen von seinem Gott trennende Tötungsdelikte sind.
Auf diese Weise macht der Staat selbst die einen wider Willen zu
Komplizen der anderen, machte alle schuldig, pervertierte das
Solidaritätsprinzip zum Instrument geistiger Unterdrückung. Mir liegt
sehr daran, hier deutlich zu machen, daß die sozial-liberale Koalition
auf diesem Gebiet nicht einen, sondern zwei große Schritte unternommen
hat; indem er seinen Strafanspruch zurücknahm, wendete der Staat seine
bisherige Grundentscheidung zugunsten des keimenden Lebens in
Neutralität. Leben und Tod der Leibesfrucht sind in diesem Rahmen nicht
mehr von öffentlichem Interesse, sondern der autonomen
'Gewissens'entscheidung des einzelnen überlassen. In Phase zwei
hingegen gibt der Staat diese Neutralität wieder auf und bezieht nun
Stellung wider das keimende Leben.
Was aus öffentlichen Kassen subventioniert wird, muß ja wohl auch im
öffentlichen Interesse liegen. Jede Abtreibung, die nicht mehr unter
das Strafgesetzbuch fällt, ist damit auch moralisch aufgewertet. Die
Kehrtwendung ist komplett: Was gestern noch schwer strafbar war, wird
heute gefördert : ABTREIBUNG AUF KRANKENSCHEIN! Christen müssen in
diesem Punkt zu einem unüberbrückbaren Gegensatz zum Staat geraten,
auch wenn dieser ein demokratischer Staat ist. Unsere im III. Reich
verfolgten und ermordeten Bundesbrüder haben dem Diktator das Recht
abgesprochen, willkürlich über menschliches Leben zu verfügen. Dessen
eingedenk sind wir heute nicht bereit, dieses Recht einer
parlamentarischen Mehrheit zuzuerkennen, sei sie auch noch so frei und
demokratisch gewählt. Gottes Gebote gelten auch für die Mehrheit.
Auf dieser Erde steht nicht der Cherub vor Gott, sondern der Mensch mit
seinem Gewissen. Die kollektive Mehrheitsentscheidung ist noch keine
Absolution. Eine Mehrheit, die anfängt, letzte Bindungen an
übergeordnete Werte abzustreifen, pervertiert zum
Mehrheitsabsoiutismus. Schon Gustav Radbruch, der große Rechtslehrer
und Justizminister der Weimarer Zeit, hat vor einer solchen
Fehlentwicklung der Demokratie gewarnt. Nach christlichen Maßstäben ist
die systematische und massenhafte Subventionierung angeblich sozial
bedingter Schwangerschaftsabbrüche der Anfang einer neuen staatlichen
Unrechtsmaschinerie. Wie weit diese Entwicklung schon gediehen ist,
zeigt der vor einer Woche in dieser Stadt abgehaltene Parteitag der
FDP. Dort setzte sich ausgerechnet FDP-Bundesinnenminister Baum - der
Verfassungsminister - für die Fristenlösung ein, obwohl deren
Verfassungswidrigkeit vom Bundesverfassungsgericht klar festgestellt
worden ist. Außerdem befürwortete die Antragskommission einen Antrag,
allen Krankenhäusern die Trägerschaft zu entziehen, welche sich
weigern, Abtreibungen aus sozialer Indikation durchzuführen. Dieser
Antrag, der im Falle seiner Realisierung das Ende aller konfessionellen
Krankenhäuser bedeutet hätte, wurde nur gerade noch mit knapper
Mehrheit abgelehnt. Der Grund dafür war kein moralischer, sondern die
bloße Erkenntnis, daß man ohne diese Krankenhäuser nicht auskommt.
Daß diese zutiefst unmenschliche Entwicklung 'sozial' und 'liberal'
genannt wird, macht uns nicht irre. Nicht aufgeblasene, durch
Etikettenschwindel und Wahltaktik deformierte Begriffe interessieren,
sondern die Sache. In dieser Sache aber ist WIDERSTAND geboten und zwar
jetzt und heute. Je länger wir diesen Widerstand tatenlos aufschieben,
desto höher wird sein Preis. Auch hier geht der Blick zurück zu den
Bundesbrüdern, die als einzelne den Preis für die Verspätung aller
bezahlt haben.
(aus: CHRIST UND ZUKUNFT, 2/81)
Anmerkungen der Redaktion:
*) Nach Aussage eines unverdächtigen Zeugen - er selbst ist Berater der
angeführten sog. 'Deutschen Bischöfe (aus dem
konservativ-reformerischen Lager) - wurden Stellungnahmen jenes
Gremiums zu dem Thema Abtreibung in der hier gekennzeichneten Art nur
deswegen abgegeben, damit "niemand sagen kann, sie hätten nichts
gesagt" (die deutschen 'Bischöfe') ... weil der Geruch der
Euthanasiegesetze des III. Reiches diesen Herren noch in die Nase
stach.
Wie ernst es den sog. 'Deutschen Bischöfen' mit ihrem Protest bzw.
Widerstand übrigens ist, zeigte eine öffentliche Kontroverse zwischen
'Kardinal' Höffner und Justizminister Vogel über die Legitimität der
Abtreibung. Bei seinem Eintreten für diese Art modernen Massenmordes
konnte sich Vogel damit brüsten, daß er seinen Standpunkt aus seinem
'katholischen' Glaubensverständnis heraus vertreten würde. Höffners
Aufgabe wäre es gewesen, wenn er die Pflichten seines von ihm
beanspruchten Amtes hätte zu recht wahrnehmen wollen, diesen
Propagandisten und staatlichen Verantwortlichen zur Tötung ungeborener
Kinder öffentlich zu exkommunizieren. Die Kirche insgesamt hätte sich
in allen Bereichen von einem Staat, der den Massenmord legitimiert,
lossagen müssen. Statt dessen wurden Grußadressen ausgetauscht!
**) Bei dem hier abgedruckten Beitrag handelt es sich um die Wiedergabe
einer Rede, die der Autor am 15.6.198o in Mannheim vor dem KV Brisgovia
gehalten hat.
+) Natürlich läßt sich darüber nicht diskutieren!
***
"SCHADE, SIE WOLLEN NICHT. ES WÄRE MIR IN MEINER SORGE ..."
(Ein Arzt der Sorbonne erzählt; aus CHRIST UND ZUKUNFT 2/81, S.54)
Ich habe viele Auseinandersetzungen über Amnioncetese, das heißt
"Fruchtwasseruntersuchung" mit entsprechend betroffenen Eltern erlebt.
In einem Fall fragte mich die Mütter: "Ich habe schon ein Kind mit
Trisomie 21 und möchte noch ein Kind, aber ein gesundes. Würden Sie bei
mir die Amnionpunktion machen?" Ich sagte ihr: "Ich werde es nicht
tun." - Wenn ich bei der Untersuchung normale Chromosomen feststelle,
dann bin ich und die Mutter zufrieden und alles ist gut. Aber
vielleicht sind die Chromosomen nicht normal, was dann? Sage ich die
Wahrheit, so so ist das eine Denunziation und bedeutet den Tod des
Kindes. Sage ich nicht die Wahrheit, dann höre ich auf, Arzt zu sein.
Deshalb sagte ich der Mutter: "Ich will die Amnionpunktation nicht
vornehmen, weil ich nicht den Tod, die Abtreibung des Kindes will, wenn
es anomal sein sollte." Wir haben eine Stunde lang gesprochen. Die Frau
war nicht schwanger, aber wollte es werden. Am Ende dieser Untersuchung
sagte sie: "Schade. Sie wollen nicht. Es wäre mir in meiner Sorge eine
große Hilfe gewesen. Aber ich verstehe." Und sie ist gegangen. An der
Tür drehte sie sich noch einmal um und sagte: "Wissen Sie, Herr Doktor,
wenn Sie ja gesagt hätten, hätte ich Ihnen mein anderes Kind nie mehr
zur Behandlung bringen können."
Dieses Gespräch hat stattgefunden. Es ist wahr. Ich glaube, die Frau
hat recht. Denn ich kann nicht eines ihrer Kinder behandeln und das
andere umbringen.
Prof. Dr. Jérome Lejeune, Paris - Sorbonne. |