DIE TRADITION UND DIE TRADITIONALISTEN
von
S.E. Bischof Adolfo Zamora
übers.: von Heinrich Beckmann
(aus: TRENTO, VIII Jg. No 136, April 1932, Mexiko.)
T r a d i t i o n ist ein
Terminus, der eine persönliche Übergabe einer physischen, moralischen
oder verstandesmäßigen Sache bedeutet, sei es direkt oder sprachlich,
oder auf beide Arten und Weisen.
G ö t t l i c h e T r a d i t i o n
innerhalb der katholisch-apostolisch-römischen Kirche nennt man die
göttliche oder göttlich-apostolische Übergabe oder Übermittlung einer
geoffenbarten Lehre hinsichtlich des Glaubens oder der Sitten, die
(nicht in der Hl. Schrift enthalten) von Gott in Seiner Kirche
hinterlassen ist, damit ihre legitimen Hirten sie unversehrt bewahren
und sie getreu und unfehlbar zur Rettung der Seelen weitergeben.
a) Man spricht von geoffenbarter Lehre, wenn sie Gott zu ihrem Urheber
hat - nicht irgendeinen Menschen -, der sie direkt durch Christus oder
seine Apostel offenbarte.
b) Man sagt göttlich-apostolisch, weil von den Aposteln im Gehorsam zu Christus und dem Hl. Geist überliefert wurde.
Anm.: Auch anerkennt man als apostolisch überliefert die Fälle, wo es
sich um Einsetzungen der Apostel handelt, ohne daß es göttliche Worte
seien, wie z.B. das Fastengebot, und man nennt Kirchliche Tradition
das, was die Hl. Kirche nach dem Apostolischen Zeitalter mit ihrer
Autorität lehrte, z.B. die Beobachtung der religiösen Feste.
c) Weiter ist die Rede von Wahrheiten und Vorschriften, die deutlich
von Gott kundgegeben sind. Diese bezeichnet man als OBJEKTIVE
TRADITION, sie sind Gegenstand der GÖTTLICHEN TRADITION. Paulus
schreibt an die Thessalonicher: "Haltet euch an die Überlieferungen,
die ihr mündlich oder schriftlich von uns empfangen habt" (2,2.15).
d) Sodann ist die Rede von religiösen Wahrheiten hinsichtlich des
Glaubens und der Sitten, die nicht in der Hl. Schrift enthalten
sind.Diese Wahrheiten sind Hauptgegenstand der traditionellen Lehre des
Kirchlichen Lehramts.
e) Das Kirchliche Lehramt oder die lehrende Kirche ist Organ oder
lebendiges Vermittlungsinstrument dieser Wahrheiten. Ihm gehören an die
legitimen Hirten als Nachfolger der Apostel (nicht die falschen), d.h.
der legitime Summus Pontifex und die in Kommunion mit diesem stehenden
legitimen Bischöfe. Alle diese haben, um ihre Mission oder
Lehrtätigkeit auszuüben, die schwere Pflicht (die sehr schwere
Pflicht!) genannte Wahrheiten unversehrt zu bewahren und authentisch zu
interpretieren.
Die Ausübung dieses Lehramtes kann erfolgen feierlich, gewöhnlich und
universal. Das feierliche Lehramt ist dem Summus Pontifex eigen, wenn
er mit aller Klarheit eine Glaubenslehre oder Fragen der Sitten in
seiner Eigenschaft als universeller Lehrer, d.h. als Stellvertreter
Christi innerhalb der katholisch-apostolisch-römischen Kirche
verkündet. In diesem Falle ist er unfehlbar entsprechend dem auf dem I.
Vatikan. Konzil definierten Dogma.
So umfaßt also die GÖTTLICHE TRADITION "als Objekt" den Schatz der
geoffenbarten Wahrheiten hinsichtlich von Glauben und Sitte, soweit sie
nicht schriftlich niedergelegt sind. "Subjekt" der Überlieferung oder
Übergabe ist die lebendige Lehrausübung der lehrenden Kirche.
ZEUGEN UND MONUMENTE DER GÖTTLICHEN TRADITION
f) Es gab immer Zeugen und Monumente der göttlichen Tradition. Zeugen -
nicht authentische Übermittler - sind jene Männer, die die göttliche
Tradition durch Zeugnis bekunden. Man nennt sie heilige Kirchenväter.
(Wenn einige davon Bischöfe waren, dürfen sie ebenfalls als lebendige
Organe dieser Gattung angesehen werden.)
g) Charakteristikum ist das Alter, neben der Reinheit des Glaubens und der I
Heiligkeit des Lebens. Das Patristische Zeitalter (d.h. das der
Kirchenväter) schließt mit dem 8. Jahrhundert, mit Johannes Damascenus,
wenn auch andere es ausgeweitet wissen möchten bis zum 12. Jahrhundert
mit dem heiligen Abt Bernhard.
h) Andere Zeugen sind die Kirchenlehrer. Es sind Männer, berühmt durch
Rechtgläubigkeit in der Lehre, besondere theologische Gelehrsamkeit und
Heiligkeit. Ihre Eigentümlichkeit ist nicht das Alter, auch wenn das
auf einige zutrifft.
Es sind deren 29:
Lateiner:
Ambrosius
Hieronimus
Augustinus
Gregor d.Gr.
Griechen:
Athanasius
Basilius
Gregor von Nyssa
Johannes Chrysostomus
Kirchenväter und Kirchenlehrer:
Ephraem
Leo d.Gr.
Hilarius von Poitiers
Cyrill von Alexandrien
Cyrill von Jerusalem
Petrus Chrysologus
Johannes von Damaskus
Isidor von Sevilla
Nach dem Patristischen Zeitalter sind es:
Beda
Bernhard
Petrus von Damaskus
Thomas von Aquin
Buenaventura
AnseIm
Alfons Maria von Liguori
Franz von Sales
Petrus Canisius
Johannes von Kreuz
Bellarmin
Albertus Magnus
Antonius von Lusitanien
Auch sind als Zeugen anzusehen die Väter und Kirchenschriftsteller, die
als hervorragende Männer der religiösen Lehre über Angelegenheiten des
katholischen Glaubens und der Sitten schrieben.
Weiterhin gehören hierher in einem strikten Sinne gelehrte Männer der
Antike, wiewohl zeitweise in Häresie verfallen oder ihrer verdächtig,
oder nicht zweifelsfreie Heilige, wie:
Tatian
Tertullian
Klemens von Alexandrien
Origenes
Arnobius
Laktanz
Eusebius von Caesarea
Theodoret
Rufinus und andere.
Ihre Autorität ist nicht die gleiche wie die der heiligen Kirchenväter, aber sie ist
wichtig, um zu wissen, was die Lehrende Kirche zu ihrer Zeit lehrte
oder verurteilte. Manchmal werden sie in eiuem weiten Sinne als
Kirchenväter angesehen.
i) MONUMENTE DER GÖTTLICHEN TRADITION, sind Dinge, in denen sozusagen
die Tradition selbst ihre Form erhält, wie z.B. Bekenntnisformeln oder
Credos. Sodann Definitionen des Lehramtes und ihre Dokumente. Weiterhin
Gewohnheiten, wie z.B. die Kindertaufe usw. Auch Märtyrerakten,
Schriften der Theologen, historische Dokumente, Monumente der
christlichen Kunst, wie die Katakomben usw.
j) Ihr Wert oder ihre Beweiskraft hängt ab von der mehr oder weniger
zeugnisgebenden Approbation seitens des kirchlichen Lehramtes. Sie sind
demnach gültige Argumente, wenn sie einen feierlichen Urteilsspruch des
kirchlichen Lehramtes als traditionelle Lehre vorweisen und wenn sie
die moralisch-universale Zustimmung des über die ganze Erde
ausgedehnten Lehramtes unter Beweis stellen.
DIE GÖTTLICHE TRADITION IST QUELLE DER OFFENBARUNG
UND VERSCHIEDEN VON DER HL. SCHRIFT
a) In der Zeit von Adam bis Moses (wieviele Jahre?) gab es keine
göttlich inspirierte Schrift, sondern nur mündliche Tradition der
göttlichen Offenbarung, vom Vater auf den Sohn.
b) Nach Moses, der unter göttlicher Inspiration den PENTATEUCH schrieb,
d.h. die ersten 5 Bücher der Hl. Schrift, erfolgte die mündliche
Tradition auf dem Wege über die Propheten und Priester, z.B. die des
Kanons der Hl. Schriften. Moses selbst, dem Tode nahe, sagte: "... frag
deinen Vater, und er wird es dir künden. Frag die Älteren, und sie
werden es dir sagen ...."
c) Die Praktik Jesu Christ, unseres Herrn Wort und Rede Gottes, und die
der Apostel war ein mündliches Offenbaren, ein Predigen des Wortes
Gottes (nicht schriftlich, sondern mündlich).
Nur einige Apostel schrieben, und das nicht in der Absicht, die ganze
göttliche Offenbarung bekanntzugeben, sondern um eine bestimmte
Wahrheit einzuschärfen. Der größere Teil ihrer Schriften war an
bestimmte christliche Gemeinden gerichtet.
d) Der Apostel Paulus bezieht sich verschiedene Male in seinen Briefen
oder Mitteilungen auf die mündliche Tradition und die Hl. Schrift. Er
sagt zu den Tessalonichern: "Als ihr von uns das Wort Gottes empfinget,
habt ihr es nicht als Menschenwort aufgenommen, sondern als Gotteswort"
(l.Tessal. 2,13), und weiter: "So steht denn fest und haltet euch an
die Überlieferungen, die ihr mündlich oder schriftlich von uns
empfangen habt" (2.Tessal. 2,15).
Dem Timotheus sagt er: "Was du von mir in Gegenwart von vielen Zeugen
vernommen hast, das vertraue zuverlässigen Männern an" (2.Timoth. 2,2).
e) Andererseits ist nicht die Hl. Schrift, sondern die Tradition die
sichere und vollständige Richtschnur, um umstrittene Glaubensfragen zu
lösen, wie es aus der Geschichte der Häresien, die sich auf irrtümliche
Auslegung lediglich der Hl. Schrift stützten, hervorgeht.
f) Die Kirchenväter betrachteten wie die Apostel die Tradition als
Quelle der göttlichen Offenbarung, im Unterschied zur Hl. Schrift, mehr
noch: ALS TRÄGER UNFEHLBAREN CHARAKTERS.
So der hl. Märtyrer Ignatius, der hl. Ireneus, Tertulian, der hl.
Augustinus, der hl. Basilius, der hl. Johannes Chrysostomus. Augustinus
sagt: "Ich würde nicht dem Evangelium Glauben schenken, wenn ich mich
nicht bewogen fühlte, an die Autorität der Katholischen Kirche zu
glauben."
g) Die Allgemeinen Konzilien gründeten ihre Lehre auf die Tradition,
nicht alleine auf die Hl. Schrift. So erklärten das Konzil von Trient
und das 1. Vatikankonzil ausdrücklich: "Die heilige Kirchenversammlung
weiß, daß diese Wahrheit und Ordnung Gottes in geschriebenen Büchern
und ungeschriebenen Überlieferungen enthalten ist, die die Apostel aus
Christi Mund empfangen haben oder die von den Aposteln selbst durch
Eingebung des Hl. Geistes gleichsam von Hand zu Hand weitergegeben
wurden und so bis auf uns gekommen sind (4. Sitzung vom 8. April 1546).
So ist also die Göttliche Tradition zweite Quelle der Offenbarung.
Folglich ist die gesamte göttliche Tradition unversehrt zu bewahren, um
sich fest zu bewahren im wahren Glauben und in der wahren Kirche
unseres Jesus Christus.
Die Tradition zurückzuweisen im Stile Luthers oder irgendeines anderen Irrlehrers, ist ebenso unlogisch wie häretisch.
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