Grund der Anklage Gottes: Mitleid und Sühne der Guten, Besserung der Schlechten
129 - All dies habe ich dir gesagt, um dir, wenn du ihre Blindheit und
ihren Zustand der Verdammung siehst, noch mehr Ursache zu Tränen und
Bitternis zu geben. Meine Barmherzigkeit sollst du noch tiefer erkennen
und in Ihr Zuversicht und größte Gewißheit fassen, indem du die Diener
der heiligen Kirche und die gesamte Welt Mir darbringst und Mich um
Erbarmen für sie anflehst. Und je schmerzlicher und liebevoller deine
Sehnsucht ist, die du Mir für sie darbringst, desto wirksamer wird sich
auch deine Liebe zu Mir erweisen. Die Hilfe, die du Mir als Gott nicht
bringen kannst, weder du noch Meine übrigen Knechte, soll ihnen zuteil
werden und sich an ihnen erweisen. So werde Ich Mir von der Sehnsucht,
den Tränen und Gebeten Meiner Knechte Gewalt antun lassen, werde Meiner
Braut Barmherzigkeit erzeigen und sie durch gute und heilige Hirten
erneuern.
Ist sie durch gute Hirten erneuert, dann werden notwendig auch die
Untergebenen sich ändern, denn an deren Sünden tragen weitgehend die
schlechten Hirten die Schuld. Die Untergebenen gehorchen nicht, weil
auch der Vorgesetzte, als er noch Untergebener war, seinem Vorsteher
nicht gehorchte. So empfängt er von seinen Untergebenen nur, was er
selbst jenem gab; weil er ein schlechter Untergebener war, ist er jetzt
ein schlechter Hirte.
Und wie sollten solche, die ihre eigenen Fehler nicht erkennen, sie in
andern sehen und bessern? Gegen sich selber werden sie nicht vorgehen
können noch wollen. Und die Schafe, die keinen Hirten haben, der sich
ihrer annimmt und sie zu führen versteht, gehen leicht in die Irre und
werden häufig von den Wölfen verschlungen und zerfleischt. Und weil
jener ein schlechter Hirte ist, kümmert er sich auch nicht darum, einen
Hund zu halten, der hellt, wenn er den Wolf kommen sieht; er hält sich
lieber einen solchen wie er selbst ist. Die nachlässigen Diener und
Hirten halten sich weder den Hund des Gewissens noch haben sie den Stab
der heiligen Gerechtigkeit. Mit ihrem Stabe züchtigen sie nicht, und
ihr Gewissen bellt nicht, weder gegen sie noch gegen die Schafe, die
vom Weg der Wahrheit abgeirrt sind und Meinen Geboten nicht folgen. So
kommt der Höhenwolf und verschlingt sie. Bellte der Hund und züchtigten
sie ihre Fehler mit dem Stab der Gerechtigkeit an sich selbst, dann
würden auch die Schafe sich ändern und zum Schafstall zurückkehren. Den
schlechten Hirten kümmert das nicht, sein Gewissen ist stumpf und bellt
nicht; man ließ es ohne Nahrung stehn. Die Nahrung, die man ihm geben
müßte, ist das Blut des Lammes, Meines Sohnes. Denn Meine
Barmherzigkeit, die euch das Blut vermittelt, ist ganz unvergleichlich
größer als jede Sünde, die in der Welt begangen wird. Aber keiner darf
seine Reue vertagen, denn es ist für den Menschen furchtbar, sich
waffenlos unter vielen Feinden auf dem Schlachtfeld zu finden.
130 - Schäme dich also, Mensch, und blick auf deine Sünden, denn du
hast Grund zur Beschämung, wohin du dich auch wendest. Du aber schämst
dich nicht einmal, denn du hast die echte heilige Furcht vor Mir
verloren. Du bist des Lichtes bar und strebst nach dem, was du nicht
darfst, lobst und rühmst dich dessen, was dir zu tiefster Scham
gereichen und dich erröten machen müßte vor Mir, der ins Innerste
Deines Herzens sieht, und vor allen Geschöpfen. Du bist überführt, aber
die Hörner deiner Hoffart lassen dich deine Schande nicht sehen.
Vorn Tod des Gerechten
131 - Und weil Ich dir sagte, daß Welt, Teufel und eigene Sinnlichkeit
den Sünder anklagten - und wahrlich so ist's sei darüber noch etwas
hinzugefügt, damit du größeres Mitleid mit ihnen fühlst und siehst, wie
sehr sich die Kämpfe, welche die Seele des Gerechten zu bestehen hat,
von denen des Sünders unterscheiden, wie verschieden ihr Tod ist und in
welchem Frieden der Gerechte stirbt, je nach der Vollkommenheit seiner
Seele.
Begreife denn, daß alles Leid, das Geistwesen durchmachen, im Willen
gründet; wäre der Wille geordnet und in Übereinstimmung mit dem Meinen,
er würde nicht leiden. Nicht daß ihm jede Mühsal darum erspart würde,
doch einem Willen, der sie in freiem Entschluß aus Liebe zu Mir
erträgt, dem ist sie nicht leid; solche Menschen ertragen gern, wenn
sie einsehen, daß es Mein Wille ist. Und in heiliger Abscheu vor sich
selbst haben sie der Welt, dem Teufel und der eigenen Sinnlichkeit den
Kampf angesagt. Und wenn es zum Sterben kommt, scheiden sie im Frieden,
weil sie ihre Feinde schon ihr Leben hindurch geschlagen haben. Die
Welt kann den Sterbenden nicht anklagen, denn er hat ihren Wahn erkannt
und ihr deshalb entsagt samt all ihren Lüsten. Die hinfällige
Sinnlichkeit und sein Leib klagen ihn nicht an, weil er sie mit dem
Zaum der Vernunft sich dienstbar gemacht und sein Fleisch durch Buße,
Wachen und demütiges, unaufhörliches Gebet kasteit hat. Das sinnliche
Begehren hat er durch Haß und Abscheu vor dem Laster und Liebe zum
Guten ertötet, so daß jede Zärtlichkeit seinem Leib gegenüber
entschwand. Diese Zärtlichkeit und Liebe zwischen Seele und Leib läßt
den Tod naturgemäß beschwerlich erscheinen, und deshalb fürchtet der
Mensch naturhaft den Tod.
Weil aber die Tugend beim Gerechten die Natur übersteigt, das heißt die
naturhafte Furcht auslöscht und sie mit heiligem Haß und mit der
Sehnsucht nach seinem Ziel überwindet, vermag ihn die natürliche
Zärtlichkeit nicht mehr anzufechten. Das Gewissen ist ruhig, weil es im
Leben gute Wacht gehalten und gebellt hat, wenn die Feinde heranzogen
mit der Absicht, die Stadt der Seele einzunehmen. Wie der Hund an der
Türe bellt, wenn er Fremde erblickt und dadurch die Wachen weckt, so
weckte der Hund des Gewissens die Wache der Vernunft, und diese im
Verein mit der Freiheit erkannte im Licht der Vernunft, wer Freund oder
Feind war. Dem Freund, den Tugenden nämlich und den heiligen
Herzensgedanken, wandte sie sich mit Neigung und Liebe zu und übte sie
mit großem Eifer, dem Feind aber, das heißt dem Laster und den
verkehrten Gedanken, begegnete sie mit Haß und Abscheu.
Freilich klagt sich die Seele in Demut selber an, weil sie in der
letzten Stunde die Kostbarkeit der Zeit und die Kleinodien der Tugenden
besser erkennt und es ihr vorkommt, sie habe diese Zeit wenig genutzt;
doch dies ist kein betrübender, sondern ein nährender Schmerz, der
bewirkt, daß die Seele sich ganz in sich sammelt und das Blut des
demütigen und unbefleckten Lammes, Meines Sohnes, sich vor Augen hält.
Und sie wendet sich nicht zurück, um auf ihren vergangenen Wandel zu
blicken, denn sie kann und will ihre Hoffnung nicht auf das eigene Gut
gründen, sondern einzig auf das Blut, worin sie Meine Barmherzigkeit
gefunden hat. Wie sie im Gedanken an das Blut gelebt hat, so berauscht
und versenkt sie sich in der Todesstunde in das Blut.
Wenn die Teufel sehen, daß die Seele in glühender Liebe ganz in das
Blut eingegangen ist, dann können sie sie nicht mehr ertragen und
schießen ihre Pfeile nur noch aus der Ferne. Somit schadet ihre
Feindschaft und ihr Getümmel der Seele nicht, die bereits beginnt, das
ewige Leben zu verkosten. Mit dem Geistesauge, dessen Pupille das
heilige Glaubenslicht ist, erblickt sie Mich, ihr unendliches und
ewiges Gut, in Erwartung, es aus Gnade und nicht aus Verdienst, in der
Kraft des Blutes Christi, Meines Sohnes, zu besitzen. Und so breitet
sie die Arme der Hoffnung aus und faßt es mit Händen der Liebe und
nimmt davon Besitz, bevor sie noch darin eintritt. Getaucht in das
Blut, gelangt sie alsogleich durch die enge Pforte des Wortes zu Mir,
dem Meer des Friedens; und Ich, das Meer, und die Pforte sind
beieinander, weil Ich und Meine Wahrheit, Mein eingeborener Sohn, eins
sind.
Welche Freude erfüllt die Seele, die sich in diesem Übergang so sanft
geleitet sieht: sie verkostet das Glück der Engel! Und wie sie in
brüderlicher Liebe mit ihrem Nächsten gelebt hat, so gewinnt sie nun
teil am Gut aller wahren Beglückten in gegenseitiger Bruderliebe. Alle
empfangen es, die so sanft hinübergehen; Meine Diener aber, die wie
Engel lebten, in noch weit höherem Maße, weil ihre Erkenntnis sowie ihr
Verlangen nach Meiner Ehre und dem Heil der Seelen in diesem Leben
größer war. Und dies nicht bloß im Hinblick auf das Tugendlicht, das
jeder haben kann, sondern weil sie zu diesem Licht rechten Wandels, das
ein übernatürliches Licht ist, das Licht der heiligen Wissenschaft
hinzufügten, in dem sie Meine Wahrheit tiefer erkannten. Und wer mehr
erkennt, der liebt auch mehr, wer aber mehr liebt, wird auch mehr
erhalten. Was ihr verdient, wird am Maß eurer Liebe gemessen.
Vom Tod des Ungerechten
132 - Liebes Kind, wie erhaben diese Meine Diener auch sein mögen, das
Elend jener Unglückseligen ist noch größer. Furchtbar und dunkel ist
ihr Tod! In ihrer letzten Stunde beschuldigen die Dämonen sie so
erschreckend und in solcher Finsternis und zeigen sich in ihrer wahren
Gestalt (und du weißt ja, wie schrecklich diese ist), daß der Mensch
lieber alle Leiden dieses Daseins ertrüge, als sie in ihrer Erscheinung
anzusehen. Überdies regt sich der Stachel des Gewissens wieder. Die
unordentlichen Lüste und die eigene Sinnlichkeit (die der Sünder über
sich zur Herrin erhob, während er die Vernunft zur Sklavin erniedrigte)
stellen ihn ins Unrecht, weil er nunmehr die Wahrheit dessen erkennt,
was er zuvor nicht einsah. Er gerät in große Verwirrung über seinen
Wahn, weil er Mir in seinem Leben nicht treu, sondern treulos war. Die
Eigensucht trübte ihm den Augenstern des heiligsten Glaubenslichtes.
Der Teufel hält ihm seine Treulosigkeit vor, um ihn zur Verzweiflung zu
treiben.
Wie hart ist diese Schlacht für ihn, denn sie findet ihn unbewehrt,
ohne die Waffe der strebenden Liebe, denn als Glied des Teufels ist er
ihrer beraubt. Solchen fehlt das übernatürliche Licht wie auch das der
Wissenschaft, weil sie uneinsichtig waren und ihre Hoffart sie nicht
bis zu ihrem süßen Mark vordringen ließ. Darum wissen sie sich nun in
den großen Schlachten nicht zu helfen. Von der Hoffnung werden sie
nicht ernährt, weil sie weder auf Mich noch auf das Blut gehofft haben,
zu dessen Verwalter Ich sie bestellte, sondern bloß auf sich selbst und
auf ihre weltlichen Stellungen und Freuden.
Die Ungerechtigkeit, die er in seinem Leben geübt hat, klagt ihn im
Gewissen an, so daß er nichts weiter zu fordern wagt als Gerechtigkeit.
Und Ich sage dir, Scham und Bestürzung sind groß. Doch da er sich
früher die Gewohnheit angeeignet hat, auf Mein Erbarmen zu hoffen
(obwohl dies in Anbetracht seiner Sünden eine große Anmaßung bedeutet:
denn wer im Vertrauen auf Meine Barmherzigkeit sündigt, kann dies doch
nicht als ein Hoffen darauf bezeichnen) so hat er immerhin Mein
Erbarmen zur Kenntnis genommen, und es wird ihm nun in der Todesstunde,
wenn ihm sein Versagen bewußt wird und er sein Gewissen in der heiligen
Beichte entlastet, die schuldhafte Anmaßung weggenommen werden und nur
die Barmherzigkeit übrigbleiben. Mit dieser mag er sich an die Hoffnung
klammern, wenn er will. Verhielte es sich nicht so, würde keiner der
Verzweiflung entrinnen.
Diese aber mißfällt Mir weit mehr und ist ihnen viel verhängnisvoller
als alle ihre übrigen begangenen Sünden: denn die andern begingen sie
mit einer gewissen Sinnenlust, und zuweilen reut es sie, und zwar so
sehr, daß ihr Schmerz ihnen Barmherzigkeit erlangt. Zur Sünde der
Verzweiflung aber wird einer nicht durch seine Schwäche getrieben, denn
er findet darin keinerlei Vergnügen, bloß unerträgliche Pein. In der
Verzweiflung verachtet er Mein Erbarmen und wertet seine Sünde höher
als Meine Barmherzigkeit und Güte. Ist er in diese Sünde gefallen, dann
reut und schmerzt ihn die Mir angetane Beleidigung nicht so, wie sie
ihn schmerzen müßte, er beklagt wohl sein eigenes Verhängnis, nicht
aber, was er gegen Mich getan, und so wird ewige Verdammnis sein
Anteil. Hätte ihm die Mir zugefügte Beleidigung leid getan, hätte er
sie bereut und auf Meine Barmherzigkeit gehofft, er würde sie gefunden
haben, denn Meine Barmherzigkeit ist unvergleichlich größer als alle
Sünden, die ein Geschöpf je begehen könnte.
Nun siehst du, liebes Kind, wie verschieden die Todesqualen und -kämpfe
sind, die diesen und jenen bei seinem Scheiden erwarten und wie
gegensätzlich ihr Ende ist. Ich habe dir davon nur einen ganz geringen
Teil kundgetan und deinem Geistesauge gezeigt, so gering, daß es im
Hinblick auf das sich wirklich Ereignende, nämlich auf die Strafe des
einen und das Glück des andern, beinah nichts ist.
Aufforderung zu Gebet und neuer Bitte
133 - Soviel aber habe ich dir gesagt, um deinem Wunsch zu entsprechen
und damit du Mir eifriger in Sanftmut, Liebe und Bitternis sehnsüchtige
Bitten für sie darbringst.
Und Ich sage dir nocheinmal, daß Ich trotz ihrer sämtlichen Fehler, und
wären ihrer noch mehr, nicht will, daß ein Laie sich in ihre
Zurechtweisung einmischt. Tut er es trotzdem, wird seine Schuld nicht
ungestraft bleiben, sofern er sie nicht durch Herzenszerknirschung
sühnt. Weder
ist der Laie durch die Schuld des Prälaten entschuldigt, noch der
Prälat durch die Sünde des Laien. Somit fordere Ich dich, liebes Kind,
und alle Meine andern Knechte auf, über
diese Toten zu weinen und als Schafe im Garten der heiligen Kirche zu
bleiben und zu weiden in heiliger Sehnsucht und mit unaufhörlichen
Flehgebeten, die ihr Mir für sie darbringt, denn Ich will der Welt
Barmherzigkeit zeigen. Entfernt euch also nicht von dieser Weide, weder
infolge eines Unrechts, das euch geschähe, noch weil es euch
wohlergeht, denn Ich will nicht, daß ihr euer Haupt erhebt, weder in
Ungeduld noch in ungeordneter Fröhlichkeit, trachtet vielmehr demütig
nach Meiner Ehre, nach dem Heil der Seelen und der Erneuerung der
heiligen Kirche. Dies wird Mir Zeichen sein, daß ihr, du und die
andern, Mich liebt.
Dank und Lob für die Erfüllung der dritten Bitteund erneutes Flehen um Erbarmen
134 - Da wandte sich jene Seele wie trunken, von Liebe bedrängt und
entflammt, und das Herz von großer Bitternis versehrt, zur höchsten und
ewigen Güte und sprach: 0 ewiger Gott, o Licht über jedem Licht, von
Dir geht jedes Licht aus! 0 Feuer über jedem Feuer, denn Du allein bist
das Feuer, das brennt und nicht verzehrt; du verbrennst jegliche Sünde
und Eigensucht, die du in der Seele vorfindest, nicht aber auf
entmutigende Art, vielmehr bereicherst Du die Seele mit unstillbarer
Liebe: sie stillend machst Du sie nicht satt, und unausgesetzt sehnt
sie sich nach Dir. Je mehr sie Dich umfängt, desto eifriger sucht sie
Dich, und je sehnsüchtiger sie nach Dir verlangt, desto inniger findet
und kostet sie Dich, höchstes, ewiges Feuer, Abgrund der Liebe!
O höchstes und ewiges Gut, wer hat Dich, unendlicher Gott, bewegt,
mich, Dein endliches Geschöpf, mit dem Licht Deiner Wahrheit zu
erleuchten? Du selbst, Feuer der Liebe, hast es veranlaßt, denn
immerfort ist es Liebe, die Dich trieb und antreibt, uns nach Deinem
Ebenbild zu schaffen, uns Barmherzigkeit zu erweisen und Deiner
vernunftbegabten Kreatur unendliche maßlose Gnaden zu gewähren. 0 Güte
über alle Güte, Du allein bist im höchsten Maße gut, und dennoch
schenktest Du uns das Wort Deines eingeborenen Sohnes, daß Es lebe mit
uns, die wir voller Gestank und Düsternis sind. Und wer hat dies
bewirkt? Die Liebe: denn Du hast uns geliebt, eh wir waren. 0 gute, o
ewige Erhabenheit, Du hast Dich niedrig und klein gemacht, um den
Menschen zu erhöhen. Wohin ich mich wende, ich finde nichts als Abgrund
und Feuer Deiner Liebe.
Werde ich Elende imstande sein, auf die Gnaden und die flammende Liebe,
die Du mir erwiesen hast und über die allgemeine, allen Geschöpfen
erzeigte Liebe hinaus in besonderer Zuneigung erweisest, zu antworten?
Mitnichten: Du allein, sanftester und liebreicher Vater, wirst an
meiner Statt erkenntlich und dankbar sein, so daß Deine Liebe selbst
Dir danksagen wird; denn ich bin ja die, die nicht ist. Und behauptete
ich, ich sei etwas aus mir selbst, so würde ich auf mein Haupt lügen
und wäre eine Lügnerin und Tochter des Teufels, des Vaters der Lüge.
Denn Du allein bist Der, der IST, und Dasein und jegliche Gnade, die Du
in das Dasein gelegt hast, halte ich von Dir, der Du mir alles
geschenkt hast und noch schenkst, aus Liebe und nicht nach Verdienst.
O mildreicher Vater, als das Menschengeschlecht durch die Sünde Adams
siech darniederlag, sandtest Du ihm den Arzt, das süße liebreiche Wort,
Deinen Sohn. Als ich selber jetzt in meinem tiefen Unwissen und meiner
Nachlässigkeit hinsiechte, hast Du mildester und sanftester Arzt,
ewiger Gott, mir eine süße wie bittere Arznei gereicht, damit ich von
meiner Krankheit genese. Süß ist sie mir, weil Du Dich in Deiner Milde
und Liebe mir geoffenbart hast, ja über alles süß ist sie mir, weil Du
mein Geistesauge mit dem Licht des heiligsten Glaubens erleuchtet hast.
Nun habe ich wahrhaft erkannt, daß des Menschen Herz nicht soviel
wünschen und erbitten kann, daß Du ihm nicht noch weit mehr gewährtest.
Du hast mir die Tugend und Seligkeit Deiner Gesalbten gezeigt, dieser
brennenden Leuchten in der heiligen Kirche, und bei ihrem Anblick habe
ich die Schuld jener andern in ihrem Jammerdasein noch klarer erkannt.
Bitterer Schmerz faßte mich über die Beleidigung, die sie Dir antun,
und den Schaden, der damit der gesamten Welt zugefügt wird. Denn sie
schaden der Welt, weil sie Spiegel des Erbärmlichen sind, wo sie
Spiegel des Guten sein sollten.
O unsägliches Feuer der Liebe, ewiger Vater, ich möchte deshalb nicht,
daß meine Sehnsucht je ermatte in ihrem Durst nach Deiner Ehre und dem
Heil der Seelen. Dank, Dank sei Dir Vater, der Du mir gewährt hast,
worum ich Dich bat, ja selbst das, was ich nicht kannte und nicht
erbat. Damit hast Du mir Grund zur Klage gegeben und mich eingeladen,
mit demütigem und unaufhörlichem Gebet sanfte, liebeund leidvolle
Bitten vor Dich zu bringen. Also bitte ich Dich nun, der Welt und
Deiner heiligen Kirche Barmherzigkeit zu erweisen, bitte Dich zu
vollbringen, um was Du mich bitten hießest. Weh über meine elende,
leidvolle Seele, Ursache allen Übels! Zaudere nicht länger, o Vater,
der Welt Barmherzigkeit zu gewähren, neige Dich den Wünschen Deiner
Knechte und erfülle sie. Weh mir! Du bist es ja, der sie zu Dir rufen
läßt: so höre nun auf ihre Stimme. Deine Wahrheit hat ja gesagt, wir
sollen rufen und es werde uns geantwortet, sollen klopfen, und es werde
uns aufgetan, bitten und es werde uns gegeben (Lk 11,9). O ewiger
Vater, Deine Knechte erflehen Barmherzigkeit von Dir, antworte ihnen.
Ich weiß ja, sie eignet Dir, und Du kannst nicht anders als sie dem
gewahren, der Dich darum anfleht. Sie klopfen an die Türe Deiner
Wahrheit; denn in Ihr, Deinem eingeborenen Sohn, erkennen sie die
unsägliche Liebe, mit der Du den Menschen liebst, daher pochen sie an
die Tür. Und das Feuer Deiner Liebe wird nicht zulassen, daß Du dem
nicht auftust, der beharrlich anklopft.
Öffne also, entriegle und brich auf die verhärteten Herzen Deiner
Geschöpfe, nicht ihretwegen, die nicht anklopfen, sondern tue es um
Deiner unendlichen Güte willen und aus Liebe zu Deinen Knechten, die es
an ihrer Statt tun. Gib denen, ewiger Vater, die Du an der Tür der
Wahrheit stehen und bitten siehst. Und was erbitten sie? Das Blut
dieser Türe, Deiner Wahrheit. Mit dem Blut hast Du Adams Vergehen
abgewaschen und die Fäulnis seiner Sünde entfernt. Das Blut ist unser,
weil Du uns daraus ein Bad bereitet hast: Du kannst und willst es dem
nicht verweigern, der Dich in Wahrheit darum bittet. Gewähre also
Deinen Geschöpfen die Frucht des Blutes, wirf den Preis des Blutes
Deines Sohnes in die Waagschale, damit die höllischen Teufel Deine
Schafe nicht entführen. Du bist der gute Hirt, der ihnen den wahren
Hirten, Deinen eingeborenen Sohn gab, der aus Gehorsam an Dich Sein
Leben für Deine Schafe dahingegeben und aus Seinem Blut uns ein Bad
bereitet hat. Dieses Blut erbetteln Deine Knechte lechzend an Deiner
Tür; durch dieses Blut flehen sie zu Dir, Du wolltest Dich der Welt
erbarmen, und die Kirche möge mit duftenden Blumen guter und heiliger
Hirten neu erblühen und mit dem Wohlgeruch den Gestank der schlechten
und faulenden Blumen vertreiben.
Zögere also nicht, uns das Auge Deiner Barmherzigkeit zuzuwenden, und
antworte, da Du ja mit der Stimme Deines Erbarmens uns Bescheid geben
willst, noch ehe wir rufen.
Tu auf die Tür Deiner unermeßlichen Liebe, die uns die Tür des Wortes
gegeben hat. Ja, ich weiß, Du öffnest uns noch bevor wir anklopfen.
Denn in der Liebe, die Du Deinen Knechten gegeben hast, pochen sie und
rufen zu Dir im Verlangen nach Deiner Ehre und dem Heil der Seelen. Gib
ihnen also das Brot des Lebens, die Frucht des Blutes Deines
eingeborenen Sohnes. Denn es wird Dir offensichtlich mehr Ehre und
Preis aus der Rettung der Geschöpfe erwachsen, als wenn Du sie ihrem
Eigensinn und der Verhärtung überlässest. Dir, ewiger Vater, ist alles
möglich; Du hast uns wohl ohne uns erschaffen, retten aber willst Du
uns nicht ohne uns. So bitte ich Dich denn, ihrem Willen Gewalt
anzutun, mache sie bereit zu wollen, was sie nicht wollen. Das erflehe
ich von Deiner unendlichen Barmherzigkeit. Du hast uns aus dem Nichts
erschaffen, und jetzt, da wir sind, erbarme Dich unser und mache die
Gefäße neu, die Du nach Deinem Bild und Gleichnis gestaltet hast.
Erneuere sie gnädig, in der Barmherzigkeit und im Blut Deines Sohnes. |