Vom Elend der Postmoderne
von
Werner Olles
Seit der Postmodernismus in Gestalt islamistischer Terroristen der
Lebenswelt der selbstästhetisierenden Sozialcharaktere endlich ihre
lang ersehnte Wagniskultur beschert hat, versuchen miesepetrige
Ewiggestrige diesen einmaligen Event wieder kaputtzumachen. Doch
Lemuren gleich rottet man sich links und rechts zusammen, um zu
entwarnen und zu entdramatisieren. Und wieder einmal erklingt das Hohe
Lied des Positivismus, der schon so lange an der Entwirklichung der
Wirklichkeit arbeitet, daß seine verlogene Öffentlichkeitsrhetorik gar
nicht mehr richtig wahrgenommen wird. Keine Angst, keine Angst,
Rosmarie, alles halb so schlimm, keine Panik auf der Titanic, alles im
Griff auf dem sinkenden Schiff, schallt es den altersstarrsinnigen
Überresten eines verbiesterten Konservativismus entgegen, die es wagen,
den gesellschaftlichen Zerfall der smartie-bunten Spaßgesellschaft,
auch nur ansatzweise zu thematisieren. Daß die nichts anderes
darstellt, als ein schwach und substanzlos gewordener
Kasinokapitalismus, der bloß nicht mit Anstand abtreten kann, fällt in
diesem Zusammenhang schon keinem mehr auf.
Tatsächlich erweisen sich beide Erscheinungen, die eschatologischen
Realos des sterbenden Konservativismus und die postmodernistischen
Selbstdarsteller unterschiedlichster politischer Couleur gleichermaßen
als Dinosaurier eines untergehenden Zeitalters. Während die ersten
jedoch immerhin begriffen haben, daß auf unsere Epoche der
Oberflächlichkeit und des Obskurantismus kein einziger positiver
emanzipatorischer Bezug mehr möglich ist, surft der sich geckenhaft
spreizende und in die Fundamentalkrise mediengeil hineinplappernde
Sozialisationstypus des Postmodernismus zeitgeist-konform und locker
vom Hocker durch die Mimesis einer herunterästhetisierten Realpolitik.
Freilich ohne dabei irgend etwas zu riskieren. Das wäre einerseits
nicht cool, andererseits besteht ja gerade darin das große Geheimnis
des durch die lebensästhetischen Hitparaden spukenden
Oberflächenhedonismus: Sich ja auf nichts festlegen, am allerwenigsten
auf sich selbst!
Ein zum bloßen Gestus verdünnisierter theoretisierender Snobismus
erklärt sich in seiner lächerlichen Verfallsgestalt zur großen Zukunft.
War die peinliche 89er Love-Parade-Generation schon unter aller Sau mit
ihren unsagbar langweiligen sozialästhetischen Tabubrüchen, ihrem
schalen Lifestyle-Getue und ihrer notorischen Verwechslung von
postmodernistischem Indifferentismus mit daostischem Gleichmut, so
besteht das Spezifikum des philosophierenden Postmodernismus à la
Norbert Bolz und Genossen darin, alles, aber auch wirklich alles, in
pures Design zu verwandeln: "Design stellt Sinn dar...Design verschafft
und ist selbst Orientierung. Wer heute Kants Frage Was ist der Mensch?
beantworten will, muß Design studieren" (Bolz: Die Sinnengesellschaft,
Düsseldorf, 1997). Wer solche Aussagen bereits für die tiefsten
Niederungen des Postmodernismus hält, sollte Johannes Goebels und
Christoph Clermonts Bestseller "Die Tugend der Orientierungslosigkeit"
(Reinbek, 1995) lesen. Hier kommt das Designer-Bewußtsein sich nämlich
selbst auf die Schliche und verkündet, mit überdimensionaler Bedeutung
aufgeladen, und ganz individualanarchistisch im Sinne des Stirnerschen
"Mir geht nichts über mich", die Auflösung des elitären Lebens- und
Politästhetizismus in eine alltagsbanale Massenerscheinung.
Angesichts dieser Ästhetisierung des gesellschaftlichen Elends, die
noch dazu mit einer sanso-schäfchenweichen Kritiklosigkeit im
schnoddrigen Talkshow-Stil daherkommt, trauert man geradezu dem
ungeheuren bürgerlichen Illusionspotential der fünfziger und frühen
sechziger Jahre nach. Tatsächlich hätten die heutzutage allen Ernstes
geführten Debatten über die kommunikativen Möglichkeiten des
Haarschnitts oder der Unterwäsche vor vierzig Jahren noch geradewegs in
die Psychiatrie geführt. Inzwischen gehört es aber bereits zur Norm,
daß elfjährige Schulbuben am Rande eines Nervenzusammenbruchs stehen,
wenn ihre Eltern sie nicht mit den richtigen Markenklamotten
ausstatten. Im Zeitalter der lebensästhetischen Zivilgesellschaft, das
ein Zeitalter zu nennen eigentlich eine grobe Unverschämtheit bedeutet,
gehören derartige Alltagsdetails nun mal zu den unvermeidlichen
Requisiten selbstdarstellerischer Realinszenierungen. Auf dieser Basis
von Beliebigkeit und Unverbindlichkeit gedeiht dann auch jene
"Popularisierung psychiatrischer Denkweisen" (Christopher Lasch), die
letztlich entweder alles im Zustand der ständigen Unsicherheit und
Wechselhaftigkeit läßt oder aber auf die Ebene der Karikatur einer
bewußten Realexistenz herunterzieht.
Was einstmals als Markenzeichen einer intellektuellen Boheme noch eine
gewisse Originalität und Qualität besaß, wurde in den Händen der vom
Individualisierungsschub der späten achtziger Jahre getragenen
postmodernistischen Lebensästheten zum kruden Konstrukt einer brüchigen
Selbstverwirklichungs-Attrappe. Dies ist das eigentlich Gespenstische
an der infantil vor sich hin schäkernden falschen Unmittelbarkeit, die
Adorno in den "Minima Moralia" in ihrer ganzen trostlosen
Erbärmlichkeit demaskierte: "Welch einen Zustand muß das herrschende
Bewußtsein erreicht haben, daß die dezidierte Proklamation von
Verschwendungssucht und Champagnerfröhlichkeit, wie sie früher den
Attachés in ungarischen Operetten vorbehalten war, mit tierischem Ernst
zur Maxime richtigen Lebens erhoben wird?" Hinzuzufügen wäre, daß das
Fragwürdige und Erbärmliche dieses Zustands nicht allein darin besteht,
sich mit trivialen oder irrealen Dingen zu beschäftigen, sondern daß
hier eine als letzter Schrei verkaufte organisierte Willenlosigkeit
erreicht ist, die man nur noch als vor sich hinblubbernden
Persönlichkeitsbrei bezeichnen kann.
Goebel/Clermont haben die lebensästhetischen Netties durchschaut: "Der
Feind lauert nicht mehr in Moskau, sondern im gemeinsamen Bett...allein
ein gemeinsamer Lebensmitteleinkauf läßt Welten kollidieren - vor dem
Käseregal kommt es nicht selten zum beziehungstherapeutischen Showdown.
Wenn schon die Wahl der Käsesorte selbst den Partner zum
unberechenbaren Alien werden läßt, welche Fallen lauern dann noch im
lebensästhetischen Miteinander?" Die ideologischen Animateure jenes
Psycho-Horrors, in der Regel erstaunlich unintellektuelle Mitglieder
einer medienkompetenten Informations- und Kulturarbeiterklasse, nutzen
den Spielraum, den ihnen die Warengesellschaft bietet, um aus ihrer
exhibitionistisch zur Schau gestellten Selbstinszenierung auch noch
einen emanzipatorischen Ansatz zu destillieren. Der existiert jedoch
nicht einmal in Spurenelementen, wie man beispielsweise in den Anzeigen
mancher Stadtmagazine nachlesen kann: "Wir knipsen uns gegenseitig
nackt - aber es ist kein Film drin!" Schöner kann das Modell des
lebensästhetischen Beziehungsspektrums nicht auf den Punkt gebracht
werden.
Freud hatte immerhin erkannt, daß die Kultur kein Ort der Freiheit ist,
sondern den Sieg des Realitätsprinzips über die körperliche Lust
markiert. Wo es jedoch ohnehin nicht mehr um sexuelle Handlungen,
sondern nur noch um sexuelle Identitäten geht, kann die
postmodernistische Realität von Individualität notwendigerweise nur
eine fetischistische sein. Kontakt hat man per Handy, die elektronische
Beziehung wird über E-Mails und Chat-Boxen gemanagt, die Katze fungiert
als einziger Garant für Nähe und Wärme. Aber zum Glück ist ja die Welt
voller potentieller Freunde, und selbst wenn die in Neuseeland oder
Kanada sitzen, sind sie dem Lebensästheten dann doch näher sind als die
leider etwas zu mollige Wohnungsnachbarin gleich nebenan.
Wenn jedoch an die Stelle des Gelebten seine Darstellung tritt, Krise
und Leid, Schmach und Schande verleugnet werden, ist demgegenüber
nichts als Kritik angebracht. Ob diese im konservativen Sinn
kulturpessimistisch ist, und das Ende der "verfluchten
Spaßgesellschaft" (Peter Scholl-Latour) fordert, oder im Sinn der
französischen Situationisten der sechziger Jahre, Schmach und Leid
wieder bewußt machen will, spielt dabei keine Rolle. Letztlich kommt es
nur darauf an, den ideologischen Affirmateuren und Charaktermasken des
Postmodernismus das gründlichste Anti-Aphrodisiacum, das sich denken
läßt, zu verabreichen: eine Gesellschaftskritik, die mit der verlogenen
Zuckergußvariante des positiven Systemdenkens endlich Schluß macht.
Etwas anderes als radikale Kritik schulden gerade Konservative dieser
Gesellschaft nicht!
|