"Herr Hitler, wer hat Sie gewählt?"
Zum 70. Todestag von Pater Ingbert Naab, am 28. März 2005
von
Magdalena S. Gmehling
Vorwort der Redaktion:
Über der Beschäftigung mit der Judenvernichtung im Dritten Reich
vergißt oder übersieht man häufig, daß Hitlers Kampf auch der
Liquidierung der kath. Kirche galt, da sie ihm und seinen Absichten als
wirkliche 'Internationale' im Wege stand. Deren Durchführung gelang
zwar weniger 'gut', weil das 1000-jährige Reich der Nazis nur gut 12
Jahre währte. Wer weiß aber noch, daß selbst in dieser relativ kurzen
Zeitspanne von den gut 22000 kath. Priestern in Deutschland über ein
Drittel von den Nazi-Schergen existentiell bedrängt (Predigt- und
Pastoralverbot), in Gefängnisse gesperrt oder auch hingerichtet wurde.
Ich denke da u.a. an den Pater Franz Reinisch SAC, der wegen seiner
Opposition und der Verweigerung des Waffendienstes in Hitlers Armee
zunächst 1940 Predigtverbot erhielt und am 21. August 1942 durch das
Fallbeil hingerichtet wurde. Daß diese Helden und Martyrer für ihren
Glauben vielfach unbekannt geblieben sind, liegt teilweise auch an dem
Schweigen und Verschweigen der Kirchenführung, der deren Engangement zu
brisant war. So beklagt sich z.B. der kath. Publizist und Verleger
Gerlich (Herausgeber des "Geraden Weges"), der in München wegen seiner
Medienkampagne gegen Hitler schon 1934 hingerichtet worden war, über
mangelende Unterstützung und Verständnis seitens der Kirchenleitung
(vgl. EINSICHT 34/6, S. 193 ff. Hier gilt stellvertretend für
viele andere, was der Philosoph Romano Guardini anläßlich des ersten
Gedenkens an die Mitglieder der "Weißen Rose, die 1943 hingerichtet
worden waren, im November 1945 feststellte, daß nämlich der
durchschnittlichen Denkweise "die Gesinnung eines von geschichtlicher
Stunde Gerufenen (gegenübersteht), der tut, was sie fordert, auch wenn
er dabei untergeht." (zitiert nach JF vom 25.2.05) Zu diesen, eher
unbekannt gebliebenen Mahnern gehört auch P. Naab, der in enger
Verbindung zu Therese von Konnersreuth stand. An ihn zu erinnern, sehen
wir in einer Welt ohne Vorbilder als unsere Pflicht an.
Eberhard Heller
***
Als nach Kriegsende 1945 die Amerikaner das politische Material in
Eichstätt sichteten, stellten sie dort erstaunt den Grad des
unbeirrbaren Widerstandes gegen Hitler fest. Der damalige
Stadtkommandant Reuter wunderte sich, dass nicht mehr Bürger mit KZ
bestraft worden waren. Tatsache ist, dass die mittelfränkische Stadt
nicht nur von größeren Zerstörungen verschont blieb, sondern auch
bereits zu Beginn des 3. Reiches als eine der Zentralen katholischen
Widerstandes in Deutschland bezeichnet werden darf.
In Eichstätt wirkte von 1916-1921 und von 1926-1933 der Kapuziner
Ingbert Naab. Der Pater, eine charismatische Priesterpersönlichkeit von
unbeugsamem Mut und ein Bekenner unverfälschten Christentums in hart
bedrängter Zeit durchschaute als einer der ersten den
Nationalsozialismus. "Die denkenden Menschen, die sich den brüllenden
Lautsprechern, den roten Fahnen, den betäubenden Heilrufen, den
lodernden Fackeln und den riesigen Transparenten nicht beugen, sondern
die sich daran erinnern, dass sie ihren Verstand nicht umsonst von
ihrem Schöpfer erhalten haben, protestieren ... gegen die alle Wahrheit
vergewaltigende Behauptung, dass sich die echten Deutschen nur im Lager
der sogenannten nationalen Einheitsfront befinden." (Der Gerade Weg 5.
März 1933).
Karl Borromäus Naab wurde am 5. November 1885 im pfälzischen Dahn
(Bezirksamt Pirmasens) geboren. Er wuchs in einer kleinbürgerlichen,
frommen und sittenstrengen Familie auf. Das religiöse Vorbild der
Mutter, die geistliche Autorität seines Großonkels Lambert und die
Persönlichkeit des Lehrers Eugen Antoni wiesen dem jungen Mann den
Priesterberuf. Bereits der Oberprimaner zeigt waches Interesse für
geschichtliche Zusammenhänge. "Ich möchte wissen, was hinter den
Kulissen vorgegangen ist..."
Nach mancherlei gesundheitsbedingten Schwierigkeiten findet der junge
Mann doch noch den Weg zu den Kapuzinern. Sein leuchtendes Vorbild, der
heiligmäßige Pater Viktrizius Weiß, nimmt ihn in den Orden auf. 1930
schreibt er dessen Biographie. Karl wählt den Namen Ingbert.
Naab wird am 29. Juni 1910 von Bischof Leo von Mergel O.S.B. im Dom zu
Eichstätt zum Priester geweiht. Sehr bald stellt man im Orden fest,
dass der Pater der geborene Jugendführer ist. In Altötting gilt er als
"Studentenvater", in St. Ingbert an der Saar sorgt er für das geistige
Wohl der Männer und Jungmänner in den Bergwerken und Fabriken, von
1916- 1921 wirkt er in Eichstätt als Lektor der Theologie und
Klerikermagister, später als Guardian. Sein Mitbruder und Biograph Dr.
Maximilian Neumayr stellte rückblickend fest: "Seine persönliche
Lebenserfahrung, sein geschulter Blick für die geistigen Strömungen der
Zeit, seine Klarheit im Urteil, seine geistige Freiheit in der Wahl der
Mittel bei strengster Bindung an die kirchliche Autorität, das war es,
was er hier den jungen Mitbrüdern zu geben hatte." 1)
Pater Ingbert erkennt die zeitbedingte Notwendigkeit, das Denken der
Menschen zu beeinflussen. Vorträge, Sprechstunden, Einkehrtage und
Exerzitien begründen seinen Ruf als erfahrener Jugendseelsorger. Im
krisengeschüttelten Inflationsjahr 1923 gelingt es ihm, den
Landesverbandspräses der Marianischen Studentenkongregation, den Verein
und späteren Verlag "Zeichenring e.V." mit vorläufigem Sitz in
Eichstätt zu gründen. Gegen alle Widerstände verwirklicht er den Plan
des Ausbaus einer studentischen Flugschriftenzentrale. 1924 ediert er
den "Meeresstern", die Zeitschrift "Der Weg" und 1925 die "Frohe
Fahrt". Seine sorgfältigen Zeitanalysen, die unbeirrbar klare und
wirklichkeitsnahe Sprache, gewinnen ihm eine begeisterte Leserschaft.
Die außerordentlichen Geschehnisse und Ereignisse in Konnersreuth
erregten ab dem Jahre 1926 zunehmend die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit. Pater Naab verhielt sich zunächst sehr nüchtern, ja
fast ablehnend. Durch Vermittlung des Eichstätter Alttestamentlers,
Professor Dr. Franz Xaver Wutz kommt es dennoch zu einer Begegnung mit
der stigmatisierten, damals 28 jährigen Therese Neumann. Der Kapuziner
ist überwältigt von deren Demut, Kindlichkeit und Glaubwürdigkeit. Er
trifft in Konnersreuth Dr. Fritz Gerlich, den Chefredakteur der
Münchner Neuesten Nachrichten, und weitere zeitgeschichtlich bedeutsame
Persönlichkeiten. Beiden Männern prophezeit die "Resl": "Ihr zwei müsst
kämpfen. Helfen wird es ja nicht, aber ihr müsst es doch tun".
Aus heutiger Sicht kann man das "Phänomen Therese Neumann" wohl nur
dann gerecht beurteilen, wenn man bedenkt, mit welcher Offenheit,
Tapferkeit und Klarheit in Konnersreuth aus dem Blickwinkel
katholischer Grundsätze zeitkritische politische Vorhersagen getroffen
wurden, die sich stets als richtig erwiesen.
Pater Ingbert war dem überaus impulsiven grundgescheiten Feuerkopf
Gerlich auch persönlich ein treuer Weggefährte und kluger Seelenführer.
Er begleitete dessen Konversion und wird schließlich zu seinem engsten
Mitarbeiter. Bereits in seiner Zeitschrift "Der Weg" hatte der
Kapuziner die studierende Jugend vor der gewaltig wachsenden
national-sozialistischen Gefahr gewarnt. 1931 stellt er in einem
Artikel die rhetorische Frage: "Ist Hitler ein Christ?" Er unterzieht
daraufhin eloquent sowohl den "Mythos des 20. Jahrhunderts" (Rosenberg)
als auch Hitlers "Mein Kampf" sachlich richtiger und erbarmungslos
gründlicher Kritik. Ingbert Naab gilt als Mitbegründer des "Geraden
Weges". Die hochpolitische Wochenzeitung wurde 1932 mit nobler
Unterstützung des Fürsten zu Waldburg Zeil von Fritz Gerlich
herausgegeben.
"Dr. Gerlich kam ... die letzten Jahre vor dem Einbruch des Nazismus
fast jeden Sonntag mit seinem Auto zu seinem Freund nach Eichstätt.
Mancher Artikel im "Geraden Weg" verdankt diesen Stunden seine
Entstehung. Bei diesen Debatten war es ungemein reizvoll, Dr. Gerlich
und P. Ingbert gegenüber zu sehen. Gerlich, wenn er einmal ins Feuer
kam und besonders wenn er sich über irgendetwas entrüstete, sprühte
geradezu von Geist und prägte dann köstliche Sätze... sie waren nicht
gerade immer druck- und salonfähig; P. Ingbert hörte schweigsam und
gemessen zu, lächelte hin und wieder in seinen Bart hinein, griff dann
endlich beruhigend, klärend, den Gegenstand einschränkend,
richtungsweisend in die Diskussion ein." 2)
Emotionen und blindwütige Volksverhetzung kennzeichneten die
Wahlaufrufe des NSDAP im Wahljahr 1932. Der "Völkische Beobachter"
sprach von "namenloser Bonzenwirtschaft der volksverräterischen SPD",
von "unerhörter Misswirtschaft der schwarzroten Novemberparteien", von
"jüdischer Pseudodemokratie". Er hetzte gegen die "feigen
spießbürgerlichen Geldsackpatrioten". 3) Das Ergebnis für die
Nationalsozialisten (30,23 %) blieb hinter den Erwartungen zurück,
stachelte diese jedoch zu rücksichtslos gehässiger Propaganda auf. Alle
Mittel waren recht, um den notwendigen 2. Wahlgang am 10. April 1932 zu
manipulieren.
Nun griff Pater Ingbert Naab mutig ein. Am 20. März 1932
veröffentlichte er im GERADEN WEG Nr. 12 seinen offenen Brief an Adolf
Hitler: "HERR HITLER, WER HAT SIE GEWÄHLT?" Dieses Schreiben wurde als
Flugblatt in über 20 Millionen Exemplaren verbreitet und von 1000, auch
überparteilichen Zeitungen abgedruckt.
Der Text des besorgten Seelsorgers ist ein einzigartiges
psychologisches und journalistisches Meisterstück. Es heißt dort u.a.
Herr Hitler Sie sind "auf der Flucht vor ihrem eigenen Gewissen. (...)
Ihre ganze Gefolgschaft bedeutet für Sie eine einzige
Gewissensbetäubung. Herr Hitler, wer hat Sie denn gewählt? ... Leute
mit antirömischem Affekt ... Die Masse der Suggerierten ... Die
wirtschaftlich Zusammenbrechenden ... Die Menschen, die unter der
Suggestion standen, daß Sie als Reichspräsident unvermeidlich sind ...
Die Feiglinge, die ihre Stellung nicht verlieren wollten ... Die
Stellenjäger und künftigen Parteibuchbeamten ... Menschen, die sich
ihren Zahlungsverpflichtungen entziehen wollten, eine Masse unreifer
junger Menschen ... Die Revolutionsmenschen ... Die Untermenschen des
Mordes und der Bedrohung des Nebenmenschen. ... Herr Hitler, auf Ihrem
Gewissen lastet die Schuld an der Zerreißung Deutschlands ... Auf Ihrem
Gewissen lastet die Schuld eines möglichen Bürgerkrieges ... Auf Ihrem
Gewissen lastet die Schuld des Verderbens der Jugend ... Auf Ihrem
Gewissen lastet die Verwirrung der moralischen Begriffe..." 4)
Über Nacht war der Name des Paters in ganz Deutschland in aller Munde.
Die Gegenwirkung blieb nicht aus. Unflätigste Briefe und gemeine
Morddrohungen erreichten die Redaktion des "Geraden Weges". In
Gesprächen schlug dem Pater auch in Eichstätt Hass entgegen. Der
kämpferische Kapuziner blieb äußerlich unbeeindruckt. Er versuchte
weiterhin, den Katholiken den Rücken zu steifen. Es erschienen u.a. die
Artikel " Die Partei mit der christlichen Maske", "Hitler im Jahr
1980", "Die Flammenzeichen rauchen".
Obwohl zunehmend leidend, hielt Pater Ingbert in- und außerhalb des
Klosters weiterhin Vorträge "zur Zeitlage". Er sprach auf Versammlungen
und prophezeite den drohenden Krieg. Am 26.12.1932 bis März 1933
erkrankte er schwer. Bischof Konrad Graf Preysing besuchte ihn täglich.
"Wir haben in Hitler eine Zusammensetzung von Betrüger und Narr" warnte
der Pater. Die Ereignisse gaben ihm recht.
Nach der Märzwahl (5.3.1933) und der Gleichschaltung Bayerns stürmten
die braunen Horden die Redaktion des GERADEN WEGS (9.3.1933). Dr.
Gerlich wurde verhaftet und nach brutalen Misshandlungen am 30. Juni
1934 "liquidiert". Es folgten dunkle Stunden für den Kapuziner. Der
Orden drängte den gefährlichen Mann zur Flucht. Am 31. Mai 1933 hielt
Pater Ingbert die Schlusspredigt in der letzten Maiandacht. Furchtlos
rief er den Zuhören zu: "Rot, das ist die Farbe der Revolution, des
Aufruhrs, der Empörung ... ja, ich meine euch dort hinten in der Ecke,
ich kenne euch wohl..." 5)
Am 27. Juni 1933 drohte auch ihm in Eichstätt Verhaftung durch die SA.
Die Ereignisse erzwangen sofortige Flucht. Professor Wutz wurde unter
eigener Lebensgefahr zum Helfer in höchster Not. Die Franzikanerklöster
Berching und Dietfurt erwiesen sich als sehr bedingt hilfreich. Das
Kapuzinerkloster Ave Maria bei Deggingen in Württemberg bot schließlich
brüderliche Aufnahme. Therese Neumann vermittelte das Ehepaar
Rossmann-Bartsch, welches zu dem Wagnis bereit war, den von der Gestapo
Gesuchten in die Schweiz zu bringen. Am 5. Juli 1933 passierte Pater
Ingbert mit falschem Pass, bartlos und in Zivilkleidern die Grenze. Als
Pater Peregrinus (Wanderer) lebte er zunächst in der Schweiz, dann bis
1934 im Kapuzinerklösterl Maria Sorg im Egerland und kehrte, als auch
dort Verfolgung drohte, in die Schweiz nach Solothurn zurück. Wachen
Geistes verfolgte er die politischen Ereignisse und beurteilte die
Mitte April 1933 einsetzenden Konkordatsverhandlungen zwischen Hitler
und dem Apostolischen Stuhl sehr realistisch. Immer noch hält er eine
Kurskorrektur für möglich und verfasst im Juni 1934 eine scharfsinnige
Denkschrift, "Der Kampf Hitlers gegen die katholische Kirche", die der
Deutschen Bischofskonferenz vermutlich auch zugestellt wurde. Die
erhoffte Wirkung blieb aus.
Trotz schwerer Gelbsucht nimmt Pater Ingbert Naab den Ruf nach
Königshofen bei Straßburg als Lektor der Theologie an. Am 28. März 1935
stirbt er dort in der Verbannung. Er, der das Recht geliebt und das
Unrecht gehasst hatte, wurde in böser Zeit zum Fremdling im eigenen
Lande, im eigenen Orden. Der Eichstätter Freundeskreis verwirklichte
unter dem Hauptinitiator, Oberbürger-meister Dr. Hans Hutter 1953 eine
Überführung der sterblichen Überreste Pater Ingberts nach Eichstätt. Er
ruht heute im Friedhof an der Kapuzinerkirche.
Anmerkungen:
1) zitiert nach Helmut Witetscheck: "Pater Ingbert Naab. Ein Prophet
wider den Zeitgeist 1885-1935" Schnell und Steiner 1985, S. 22.
2) zitiert nach Dr. E. Reiter: "Joseph Lechner. Gelehrter und Kämpfer
gegen den Nationalsozialismus." Hg. Matthias Buschkühl,
Ausstellungskatalog und Dokumentation, Eichstätt 1993, S. 13.
3) zitiert nach H. Witetscheck: a.a.O S.105
4) Dr. Johannes Steiner: "Prophetien wider das Dritte Reich", Verlag Schnell & Steiner 1946, S. 267 ff.
5) zitiert nach H. Witetscheck a.a.O. S. 156.
Weiterführende Literatur:
Maximilian Neumayr: "Pater Ingbert Naab - Seher, Kämpfer, Beter" Verlag Schnell und Steiner 1947.
(Der "Offene Brief an Hitler" kann bei der Redaktion gegen Erstattung der Portogebühren bestellt werden.) |