XX. Die 18 Jahre lang zusammengekauerte Frau, Gestalt von La Salette.
Maria spricht. Jesus spricht also nicht mehr? Die Unbefleckte
Empfängnis gekrönt mit Dornen, stigmatisiert. Lourdes und La Salette.
Es gibt beim hl. Lukas, dem Evangelisten Mariens, einen Bericht, der
nie mit genügender Aufmerksamkeit und Achtung gelesen werden kann:
"Jesus lehrte eines Tages in der Synagoge am Sabbath. Da kam eine Frau,
die seit 18 Jahren einen gebrechlichen Geist hatte. Sie war gekrümmt
und konnte überhaupt nicht mehr in die Höhe sehen. Jesus, der sie
gesehen hatte, rief sie zu sich und sagte: ' Frau, du bist von diesem
Gebrechen geheilt.' Und er legte ihr die Hände auf."
Man braucht nicht zu wiederholen, daß das Evangelium, ebenso wie das
Alte Testament, wesentlich gleichnishaft, bildhaft ist, da der Heilige
Geist nie anders gesprochen hat. Wer ist also diese Frau, die 18 Jahre
von einem Geist des Gebrechens besessen ist? Ich sehe nur Maria, um
eine solche Gestalt zu bestimmen. Oh, Maria! Meine Herrin vom
Mitleiden, was willst Du hier tun?
Es ist wirklich der Tag des Sabbaths, Samstag, Vorabend Deiner
Schmerzen *). Es sind genau achtzehn Jahrhunderte wohl erfüllt, daß Du
zusammengekauert und stimm bist; der Bräutigam, der Dich glückselig
besitzt, selbst - obgleich Gott, welch unergründliches Geheimnis! - ein
Geist des Gebrechens und der Krümmung ist bis zur wunderbaren Stunde,
wo Er uns alles lehren wird. Während achtzehnhundert Jahren hast Du das
Schweigen bewahrt, nachdem Du nur sechsmal im Evangelium gesprochen
hast. **)
In La Salette endlich und zum siebten Mal sprachst Du mit einer so
herrscherlichen Autorität, daß es danach nur mehr das allgemeine
Gericht und den Weltbrand geben kann. Du sprichst so, weil Jesus Dich
befreit hat, das lese ich im Evangelium, und Du lobtest Gott, wie keine
andere es hätte tun können. Indessen ist das noch nicht Dein Sieg, weil
es hier den 'Synagogenvorsteher' gibt, begleitet von vielen Priestern,
die sich gemeinsam entrüsten, daß Jesus dieses Wunder an einem Sabbath
wirkte, das heiß:, daß Er Dir gegeben hat, ihr Richter zu sein. Er ist
erstaunlich, dieser Vorsteher, dieser Heuchler, der Dir Deine eigenen
Worte nimmt, o Mutter des Wortes, um Deinen Sohn zu verurteilen, indem
er Dich verachtet: "Es gibt sechs Tage zum Arbeiten", sagt er ... Der
Heilige Geist ist so sehr seiner Braut verbunden, daß, könnte man
lesen, man La Salette finden würde auf allen Seiten des Evangeliums.
Die Enthüllung von La Salette, betrachtet als Buch des Schweigens von
achtzehn Jahrhunderten, bietet gleichzeitig Trost und Schrecken. Und
ich denke hier nicht einmal an die Botschaft, d.h. an die Drohungen und
Versprechungen. Ich habe einfach die unerhörte Tatsache im Auge, daß
die heilige Jungfrau mit Autorität in der Kirche spricht Ich sage, daß
diese Tatsache tröstlich ist - im Hinblick auf den Charakter jener, die
spricht -, weil die Kirche sie unter dem Namen der Trösterin anruft,
und auch, weil das eine Art Erfüllung des dritten Wortes des sterbenden
Jesus unter unseren Augen ist. Aber es ist gleichzeitig schrecklich,
wegen des Schweigens desselben Jesus, das es mit einzubegreifen
scheint. Jesus und Maria sprechen nicht zusammen. Als Jesus seine
Predigt begann, versank Maria in Schweigen. Wenn sie daraus herausgeht,
ist es also, um es so zu formulieren, daß Jesus nicht mehr sprechen
wird? Das erscheint mir eine der dunkelsten Seiten von La Salette und
eine der noch am wenigsten erforschten, wahrscheinlich wegen des
ungeheuren Schreckens, dem man dabei begegnet. Einige asketische
Schriftsteller, wie der hl. Bischof Amadie von Lausanne und
hauptsächlich im 17. Jahrhundert der ehrwürdige Grignon von Montfort
haben versichert, daß die Herrschaft Mariens den letzten Zeiten
vorbehalten ist, wobei zu vermuten ist, daß, da unsere Mutter endlich
als Herrin gesprochen hat, Jesus von nun an das Wort nur noch ergreifen
wird, um das furchtbare Esurivi (= mich hungert) hören zu lassen ***),
das alles beenden muß ...
Ich schrieb dies am Tag der Himmelfahrt. Andere sehen Maria in der
Glorie, ich sehe sie in der Niedrigkeit. Das ist meine Meinung. Ich
stelle mir die Mutter des leidenden Christus nicht im milden Licht von
Lourdes vor. Das ist mir nicht gegeben. Ich fühle keine Neigung zu
einer Unbefleckten Empfängnis, gekrönt mit weißen und blauen Rosen, bei
süßer Musik und Wohlgerüchen. Ich bin zu befleckt, zu weit weg von der
Unschuld, zu nah am Kot, zu bedürftig nach Vergebung. ****)
Das, was ich brauche, ist die Unbefleckte Empfängnis mit Dornen
gekrönt. Meine Herrin von La Salette, die stigmatisierte Unbefleckte
Empfängnis, sehr blutig und bleich, und verzweifelt und schrecklich in
ihren Tränen und Ketten, in ihren dunklen Kleidern der 'Herrin der
Völker, zur Witwe geworden, gebeugt in der Einsamkeit'; die Jungfrau
mit den Schwertern, so wie sie das Mittelalter gesehen hat. Von
Unschuld und Schmerz versteinert, welche im Stein der Kathedralen
erstarrte, für jene, die sie weinen sahen.
Die Priester sind für sie, was sie für Gott und die Kirche sind. Jeder
von ihnen vertritt Jesus Christus, und ich sehe sie sehr wohl vor ihnen
knien, wie sie sich vor ihrem Sohn hinkniete, als dieser sie demütig um
die Erlaubnis bat, hinzugehen um zu leiden. (Maria von Agreda.)
"Ich bitte euch", sagte sie, "meine vielgeliebten Kinder, meine
Botschaft nicht zu verachten. Es ist meine letzte Anstrengung, um die
Herde zu retten, deren Hirten ihr seid und worüber man strenge
Rechenschaft von euch fordern wird. Wenn ihr ihnen nicht sagt, daß ich
gekommen bin und daß ich mit Bitterkeit ihretwegen geweint habe, wenn
ihr nicht alle meine Worte wiederholt, wer wird sie sie lehren können
und wie werden die einen wie die anderen gerettet werden? Alles, was
ich meinen beiden Zeugen gesagt habe, alles, was ich ihnen geoffenbart
habe, um es an.mein ganzes Volk gelangen zu lassen, ist äußerst kostbar
und heilsam, und ihr könnt nicht eine Wahl treffen, ohne mich im
Augapfel zu verwunden, ohne eure Seelen zu durchbohren ..."
"Ihr, die ihr so viel erhalten habt von meinem Sohn, bis zum Erhalt
seines göttlichen Platzes, die ihr so heilig sein solltet, wie könnt
ihr nicht weinen mit mir und an eure Brust schlagen? Wie habt ihr es
gewagt, euch über meine Warnungen lustig zu machen und andere zu
behindern, daran zu glauben? Ich hatte eine Regel gegeben. Was hat man
daraus gemacht? Vergebens haben zwei Päpste sie durchführen wollen.
Meine teuren Apostel der letzten Zeiten, meine zwei vielgeliebten
Kinder, wo sind sie? Ich hatte sie selbst ausgewählt, mit Sorgfalt
gesiebt, wie man die Weizenkörner für das Brot der Engel siebt. Einige
sind ganz nahe bei euch. Wenn ich sie nennen würde, ließet ihr sie
sofort leiden ... Um des hocherhabenen Namens eures Meisters willen,
den ihr tagtäglich zwingt herniederzusteigen, ich flehe euch an, habt
Furcht ..."
Anmerkungen:
*) Man weiß, daß die Erscheinung am Samstag, dem 19. September 1846
stattfand - in jenem Jahr: am Vorabend des Festes Unserer Lieben Frau
von den sieben Schmerzen, und zur Stunde der ersten Vesper. Das war
auch der letzte Tag der Quatemberfasten im September. Am gleichen
Morgen hatte die Tagesliturgie diese Worte des Levitikus gelesen: "Das
ist der erhabene Tag der EntsUhnung, und er wird heilig genannt werden.
Das ist der Tag der Sühne, um euch mit dem Herrn auszusöhnen. Jede
Seele, die sich an diesem Tag nicht betrübt, wird umkommen." Und bald
danach, im Evangelium, o Wunder? genau die Geschichte von der Frau, die
seit 18 Jahren gekrümmt war und die von Jesus aufgerichtet wurde und
Gott lobte ! ! ! (Römisches Missale)
**) Viermal bei Lukas, zweimal bei Johannes. Jedesmal steigt sie eine
der sechs Stufen des Elfenbeinthrones des ewigen Salomon empor, zu
dessen Rechten ihr Platz bezeichnet ist, inmitten der zwölf jungen
Löwen des Apostolats. (II. Par. IX, S.18 u. 19.)
***) Matth. 24, 35 u. 42)
****) Einige werden es sich nicht verkneifen können, mich einen Gegner
von Lourdes zu nennen. Ach! Ich gäbe gern mein Leben, Gott weiß es, und
ich würde einwilligen, lieber die schrecklichsten Folterungen zu
ertragen als ein Heiligtum herabzusetzen, wo Maria sich durch Wunder
bezeugt hat. Ich weiß übrigens, daß das Wunder von Lourdes eine Folge
des Wunders von La Salette gewesen ist, wie der Regenbogen eine Folge
des Gewitters, und ich hoffe, eines Tages es viel besser zu zeigen als
durch dieses Bild. Aber es ist das Recht jedes Christen, eine Vorliebe,
eine besondere Neigung zu haben. Ich glaube sogar, daß es seine Pflicht
ist, dieser zu folgen, da Gott ihm so den Weg weist. "Ich verlange zwei
Dinge", schrieb ich vor einigen Jahren, " 1. Einen, der gesund ist,
einen Christen, der nach Lourdes geht, um sich die Wohltat einer
Krankheit zu erbitten; 2. einen anderen reichen Christen, der in
Lourdes durch ein unbezweifelbares Wunder geheilt wurde, und der
zurückkehrt, um sein ganzes Vermögen an die Armen zu verteilen. So
lange ich diese beiden Dinge nicht gesehen habe, werde ich glauben, daß
der Feind durch Weichlichkeit, Mittelmäßigkeit und Gier den
einzigartigen Ort entweihen wollte, wodurch dasjenige von allen
Geheimnissen bestätigt wurde, das er am meisten verabscheut: die
Unbefleckte Empfängnis". Die Jungfrau von Lourdes hat die Buße
empfohlen, wird man einwenden. Nun, man weiß, was es mit der Buße von
Weltleuten auf sich hat!
XXI. Entweihung des Sonntags.
Jedermann weiß, daß die Gotteslästerung und die Weigerung, den Sonntag
zu heiligen, die zwei großen Vorwürfe von La Salette waren, die zwei
tödlichen Anklagen, die zwei Dinge, die 'den Arm meines Sohnes so
schwer werden ließen'. Da haben wir, sagen wir es beiläufig, noch die
Übereinstimmung der öffentlichen Rede mit dem Geheimnis offenkundig vor
uns, denn es wird in diesem letzteren gesagt, daß sogar die
gottgeweihten Personen den Geist der bösen Engel annehmen werden, und
daß man an den heiligen Stätten den Greuel sehen wird, was notwendig
tniteinschließt die Unbegrenztheit der Entweihungen und die durch die
beiden schrecklichen Verbrechen vorausgesetzten Verleugnungen.
Noch einmal: ich habe es nicht unternommen, diese tiefen und göttlichen
Uebereinstimmungen zu erklären oder nur darzulegen, eine Absicht, zu
deren Durchführung, wie ich annehme, mehr Licht gehört als Gott
gewöhnlich Schriftstellern gewährt, die nicht direkt kirchliche Autoren
sind. Aber hier ist, sehr zur rechten Zeit, ein kleines posthumes Buch
von Paul Verlaine "Reise in Frankreich, von einem Franzosen", wo man
gegen die Sonntagsarbeit einen schönen Protest dieses großen
unglücklichen Dichters liest.
Ach, ich weiß sehr wohl, daß dieser keine Autorität ist, auch er nicht.
Man wird schließlich in der frommen Welt wissen, daß Paul Verlaine die
schönsten Verse, die es gibt, zum Lob "seiner Mutter Maria", zum Preis
der Buße und des allerheiligsten Sakraments geschrieben hat, und daß er
in Wirklichkeit der einzige katholische Dichter seit den dichterisch
Begeisterten des großen Hymnenbuches ist; aber man wird die Zeit dabei
bedenken. Ungefähr ein halbes Jahrhundert für die Elite unserer
Seminare und wenigstens hundert Jahre für ein Drittel der anderen seit
dem Tod von François Coppie, der nicht nahe ist. Immerhin, der 'arme
Lelian' stellte gegen 188o in Prosa diesen originellen und starken
Gedanken auf, daß das Gesetz der Arbeit, das gewöhnlich als Fluch
angesehen wird, im Gegenteil das "letzte und einzige tröstliche
Andenken des irdischen Paradieses" sei. Als ich das las, habe ich
geglaubt, die so gut bewachte Pforte halb geöffnet zu sehen.
Ach, wie ist das schön! So hätte also Gott, ganz erzürnt gegen den
Menschen, wie er war, und ihn verurteilend, alles zu verlieren, diese
anbetungswürdige list angewandt, ihn mit Hoffnung zu geißeln, ihm als
Züchtigung aufzuerlegen, was sein Trost sein sollte, und ihn hart zu
binden durch ein Band der Liebe. Inmitten seiner eigenen viel härteren
Fesseln hat er das gesehen, der beklagenswerte Verlaine! Er hat gesehen
oder geahnt, daß, wenn der Faulenzer diesen erschreckenden Akt vollzog,
das letzte Band abzuschneiden, der entartete Arbeiter, der nur am
Sonntag mutig ist, weil es sich darum handelt, einem unsichtbaren Herrn
zu trotzen, unbewußt (da er ein schreckliches Tier ist) den Urfrevel
erneuert und jedesmal für sich und für viele andere den Garten der
Wonne wieder verliert. Adam und Eva haben auf eine Weise, die man nicht
kennt, den siebenten Tag verachten müssen und den ganzen Sommer am
Sonntag arbeiten müssen oder sind nur zur Messe gegangen, um über die
Religion zu spotten, während der Fastenzeit sind sie wie die Hunde in
die Metzgereien gelaufen, denn die göttlichen Worte sind immer gewiß
zutreffend, stromaufwärts und -abwärts in ihrem ewigen Lauf.
Die Heiligung des Sonntags, das ist die Heiligung der Arbeit, und die
Arbeit, die auf diese Weise nicht geheiligt wird, ist so verflucht, daß
die scheinbare Festigkeit der Privathäuser oder der öffentlichen
Gebäude, an denen an einem Sonntag gebaut wurde, problematisch ist. Das
Geheimnis kündigt unerhörte Übel an, wie kein Prophet sie jemals
schrecklicher und allgemeiner angekündigt hat. Die Erde wird mit allen
Arten von Plagen geschlagen werden. Die Berge und die ganze Natur
erzittern vor Schrecken. Übrigens treten Vorzeichen auf. Die
öffentlichen Blätter, selbst Vorzeichen des Wahnsinns der Welt,
erzählen jeden Tag, ohne etwas davon zu verstehen, die aufregendsten
Katastrophen: Erdbeben oder Vulkanausbrüche, die große Städte, ganze
Länder zerstören; Explosionen, Brände, unzählige Unglücksfälle aller
Art, verursacht durch den wissenschaftlichen und industriellen Beistand
von Ungehorsam und Stolz. Nicht zu sprechen von fortwährenden, immer
schrecklicheren Menschentötungen, den Vorspielen - vor unseren Augen!!
- von Massenmorden ohne Erbarmen. Gestern stürzte ein Zug mit Reisenden
in die Loire. Die Stunde wird schlagen, wo die Katastrophen sich
aneinanderreihen, wo es nur noch Katastrophen gibt. An jeder Wendung
dieser Etappe Qualen, deren Tempo sich beschleunigt. Ernste Leute
werden sogleich die Verantwortlichen aufspüren; in der Hoffnung, möchte
man sagen, das Übel zu vermehren, indem man irgendeinen Söldner ohne
Protektion in die Verzweiflung zurückführt.
Ach, wie sind wir elend! Die Verantwortung liegt auf jedem von uns! Das
Wort Züchtigung empört unseren Stolz. Wir brauchen natürliche Ursachen,
wissenschaftliche Erklärungen, wo Gott nicht eingreift... Diese Arbeit
war doch gut gemacht! Diese Materialien waren ausgezeichnet, und man
hatte gute Arbeiter gehabt! Es war nichts einzuwenden gegen diese
Fundamente aus hartem Stein, die einen Berg hätten tragen können; und
dieses Eisengerüst mit seinen Stützbalken, Bolzen, Nieten - was weiß
ich noch! - waren über jedes Lob erhaben... Aber seht: diese Arbeit war
wahrscheinlich am Sonntag getan, und die Arbeiter - vielleicht ein
einziger - hätten den Namen meines Sohnes in die Mitte setzen müssen:
Es hat nichts weiter gefehlt. Das ist die Erklärung der Mutter Gottes.
Ich habe mir den siebenten Tag vorbehalten. Die Entweihung des Sonntags
erneuert fortwährend die erste Sünde. Sie ist ein Angriff auf das
Vorrecht des Herrn. Strafe des Todes in beiden Fällen, und welch
schrecklichen Todes... Ich habe etwas lauter von den Tränen Evas
gesprochen. Der Sündenfall ist nicht eine ehemals vollzogene Tat, deren
Folgen wir unterliegen. Wir fallen immerzu, und deshalb weint Eva. Ihre
Tränen begleiten uns in den Abgrund.
XXII. Affäre Caterini.
Es gibt kein Mittel, die ungeheure priesterliche und vor allem:
bischöfliche Verantwortung zu verstehen, die das Wunder von La Salette
betrifft, wenn man die Affäre Caterini nicht kennt. Darum hier schnell
diese elende Geschichte.
Melanies Geheimnis beginnt mit diesen Worten: "Melanie, das, was ich
dir jetzt sage, wird nicht für immer ein Geheimnis bleiben; du wirst es
1858 veröffentlichen können." *)
1858 war Melanie im Carmel von Darlington in England eingeschlossen.
Sie bat darum auszutreten, um ihre Mission erfüllen zu können. Als sie
I860 zurückkehrte, erschreckte die Strenge dieses Geheimnisses die
Mitglieder des Klerus, denen sie davon sprach. Sie beschränkte sich
damals darauf, es handgeschrieben zu geben. So verbreiteten sich
zahlreiche Abschriften davon vor 1870.
Mehrere Veröffentlichungen folgten: diejenige von 1872 erschien und
wurde durch den Segen Pius IX. geehrt. Diejenige, die 1873 herauskam,
wurde durch den Kardinal Xyste-Riario Sforza, den Erzbischof von Neapel
bestätigt. Jene, die 1879 erschien wurde von der Hirtin selbst
veröffentlicht mit dem Imprimatur von Mgr. Lecce, dem Grafen Zola,
ihrem Seelenführer.
Französische Priester, Ordensleute und mehrere Bischöfe wollten die
Broschüre Melanies durch Rom verurteilen lassen, weswegen es Mgr.
Cortet, Bischof von Troyes unternahm, die Initiative zu ergreifen.
Mgr. Cortet, der die Bestimmungen des kanonischen Rechts in dieser
Angelegenheit schlecht kannte, wandte sich an die Index-Kongregation,
die ihn an jene der Inquisition verwies. Auch dort konnte er nichts
erreichen. Am Ende seiner Maßnahmen drohte er dem Kardinal Caterini,
einem einfachen Diakon, aber durch Altersrang Sekretär dieser
Kongregation, mit dem Entzug der jährlichen St. Peters-Abgabe, "wenn
man nicht irgendetwas (sie!) zu seinen Gunsten tue". Der Sekretär, 85
Jahre alt, unterzeichnete den folgenden, von einem Untersekretär
verfaßten Brief: "Hochverehrter Herr! Ihr Brief vom 23. Juli,
betreffend die Veröffentlichung des Schriftchens, betitelt 'Die
Erscheinung der heiligen Jungfrau auf dem Berg von La Salette' ist den
hochwürdigsten Kardinalen, die mit mir Inquisitoren des Glaubens sind,
zugestellt worden. Diese wünschen, daß Sie erfahren, daß der Heilige
Stuhl mit Mißfallen die Veröffentlichung gesehen hat, die davon gemacht
wurde und daß Sein Wille ist, daß die bereits verbreiteten Exemplare,
so weit möglich, aus den Händen der Gläubigen eingezogen werden.
Rom, am 8. August 1880
P. Card. Caterini."
Beim Empfang dieses Briefes war Mgr. Cortet außer sich, denn das war keine Verurteilung
- 1. Rom würde nicht sagen "so weit wie möglich einziehen", wenn es ein Buch verurteilt.
- 2. Das war ein reiner Privatbrief, den man ihm schickte und
keineswegs ein Dekret, denn es ist strenge Bestimmung, daß man in einem
Dekret das Datum der Vereinigung des Heiligen Offiziums angibt. - 3. An
Stelle der Auslassung (= d.i. den Punkten am Schluß), welches gleich
noch erläutert wird, standen folgende Worte: "Aber man soll die
Broschüre in den Händen des Klerus lassen, damit es daraus Nutzen
ziehe." Dieser letzte Satz war in Wirklichkeit eine Billigung der
Broschüre. Unmöglich, so etwas zu veröffentlichen!
Mgr. Cortet schickte diese Antwort an seinen Kollegen von Nimes. Mgr.
Besson fackelte nicht lange wegen solcher Kleinigkeiten. Er strich die
letzte Zeile, ersetzte sie durch Pünktchen und veröffentlichte diesen
Privatbrief unter dem Anstrich eines Dekrets, verstümmelt, gefälscht,
einen Brief, der nicht einmal an seine Adresse gerichtet war. Der Mgr.
von Troyes machte es genau so. Eine große Anzahl von 'Religiösen
Wochenblättern' beeilten sich, dasselbe zu tun, obwohl sie wußten, was
es damit auf sich hatte. Die 'Katholischen Revuen', die 'guten
Zeitungen' wurden gebeten zu inserieren, und sie taten es guten
Glaubens - so hoffte man! Jedermann glaubte oder wollte glauben, daß
die Broschüre Melanies verurteilt war! Später nahmen die Missionare von
La Salette an, daß die Punktierung noch zu viel aussagte, ersetzten sie
durch einen einzigen Punkt und ließen ihr kleines Papier in die Hände
von Tausenden ihrer Pilger gelangen. Zur gleichen Zeit waren die
Verleumdungen im vollen Gang; kein Zweifel war möglich: das Marienkind
hatte einen schlechten Weg gewählt, hatte sich in Eitelkeit verirrt,
war seiner Sendung untreu geworden usw....
Hier zu dieser Angelegenheit einen Brief Melanies an den Herrn Rouland,
Pfarrer von Vins in der Diözese Fréjus, gestorben 1897 im Ruf großer
Heiligkeit.
"Castellamare, 25. Okt. I880.
Mein hochverehrter Vater!
Betrüben Sie sich nicht wegen all dem, was der Teufel mit Hilfe der
Menschen tut, der liebe Gott erlaubt es, um den Glauben der wahren
Gläubigen zu festigen... Die Personen, an die ich mich in Rom gewandt
habe, gehören zum einen der Indexkongregation, zum anderen jener des
Heiligen Offiziums oder der Inquisition an, was das gleiche ist. Sowohl
die einen wie die anderen kannten den Brief des Kard. Caterini nicht.
Das ist es, was er ihnen hat sagen lassen, es ist eine Partei, die
unabhängig vom Papst handelt und sogar von der Index- und
Inquisitionskongregation."
Sie schrieb außerdem an Mgr. Pennachi, den Index-Konsultor, der ihr die
gleiche Antwort gab. Mgr. Zola, Bischof von Lecce, der das Imprimatur
gegeben hatte, hatte sich sofort nach Rom begeben, um Erklärungen zu
erhalten. Der Untersekretär, der den Brief geschrieben hatte, murmelte
dem Mgr. von Lecce gegenüber sehr unterwürfige Entschuldigungen; er
sagte ihm, daß ihm die Hände durch den Bischof von Troyes und andere
Bischöfe von Frankreich gebunden gewesen seien. Der Brief sollte nicht
veröffentlicht werden. Die Ausdrücke, die in diesem Brief die
hervorragenden Kardinale und den Heiligen Stuhl bloßstellten, waren
abgeschmackt. **)
Zum Schluß nun das, was Melanie noch am 13. Oktober 188o schrieb: "Der
große Schuldige für den Bericht im Brief des Card. Caterini ist Mgr.
Fava. Indessen gibt es nichts Angebrachteres als die Hinweise unserer
barmherzigen Mutter Maria am Vorabend des Tages, an dem die Mönche (von
La Salette) verjagt werden... wie es sehr gut das Geheimnis sagt, das
man verwirft... Die Finsternisse verdunkeln den Verstand. Sehen wir
nicht die Worte des Geheimnisses sich buchstabengetreu erfüllen ... Ein
Bischof schreibt an die Indexkongregation, und ein Kardinal, Sekretär
der Inquisitonskongregation, beantwortet einen privaten und nicht
amtlichen Brief, und diesen Privatbrief vervielfältigt man in den
religiösen Wochenblätter, dann in den religiösen Zeitschriften, und er
durchläuft so die Welt.... Das Geheimnis, ungelegen für die Gläubigen,
erregte allgemeine Neugier, und von allen Seiten erhalte ich Briefe, in
denen um meine kleine Broschüre gebeten wird, welche längst vergriffen
ist ... Seht, wohin Klugheit und Vorsicht des Zweckmäßigkeitsdenkens
geraten sind!... Wahrhaftig, wir sind in Finsternis getaucht! Und das ist eine Züchtigung Gottes! Durch Aufhalten der
Verbreitung des Geheimnisses lädt man große Verantwortung vor Gott auf
sich! Man wird vor Gott die ganze Botschaft der Jungfrau Maria
verantworten müssen! Ich möchte in dem schrecklichen Letzten Gericht
nicht an der Stelle dieser Personen sein!!"
Anmerkungen:
*) 1858, das Jahr der Erscheinung von Lourdes.
**) Der Kard. Prosper Caterini, Sekretär, und nicht Präfekt der
Kongregation, wie man damals irrtümlich veröffentlichte, 1795 geboren,
erster Diakon des Titels St. Maria-in-Via-Lata, starb im folgenden
Jahr, Oktober 1881, im Alter von 86 Jahren. R.I.P., so wie Mgr. Cortet,
der nur wenige Jahre danach starb.
XXIII. Heiligkeit Melanies. Apostel der Letzten Zeiten von ihr und
dem ehrwürdigen Grignon von Montfort vorhergesagt.
All dem hatte Melanie nur ihre Heiligkeit entgegen zu setzen, ihre
unermeßliche Seelenschönheit, die allgemein - ich sage nicht: verkannt,
sondern - unbekannt war. Die weniger Feindseligen brachten noch die
Liebe auf zu hoffen, sie würde nicht ewig verloren gehen und
schließlich doch noch im Paradies zugelassen werden, weit unterhalb der
'Damen', nach einem Fegefeuer, vor dem man, wenn man daran denken
würde, erzitterte. Die vom Teufel geschaffenen Legenden sind so
zählebig, daß man noch lange glauben wird, die Hirtin von La Salette
habe ein schlimmes Ende gefunden, daß sie - nach einem unerhörten
Gnadenbeweis, dessen das am wenigsten fromme Kind aus dem Kleinen
Katechismus-Unterricht viel würdiger gewesen wäre - sogleich in
Lauheit, in die Trägheit der Seele, in Eitelkeit, Treulosigkeit und
Lüge zurückgefallen sei. *)
Wenn man weiß, was davon zu halten ist, scheint dieser alte Schmutz von
den Schuhabstreifern der Hölle so gemein und stinkend, daß man sich
keinen Augenblick dabei aufhalten kann.
Melanies Wille war es, daß ihre geistlichen Führer oder Beichtväter
nidts von ihrem inneren Leben enthüllen sollten. Aber seit 1852 haben
mehrere Personen durch P. Sibillat gewußt, der einige Mitteilungen von
diesem bevorzugten Mädchen erhalten hatte, daß der Himmel sie lange
schon vor 1846 besucht hatte, daß die große Erscheinung von 1846 nur
eine Episode ihrer Kindheit war; die Nonnen von Corenc, ihre
Genossinnen, konnten bemerken, daß diese Gnaden nicht aufhörten. Man
hat Beweise dafür, daß sie niemals aufhörten.
Dieses demütige Mädchen - sagt sein zukünftiger Geschichtsschreiber,
den zu nennen mir nicht zukommt -, dessen große Heiligkeit und große
Sendung in der Kirche selbst fromme Seelen nicht ahnen können, ehe sein
inneres Leben veröffentlicht wird, wurde im Alter von drei Jahren
überhäuft mit den erstaunlichsten übernatürlichen Gaben, wie man sie im
Leben einiger Heiliger findet. Unterwiesen vom Jesuskind, das es
lehrte, man müsse seine Gnaden verbergen, verheimlichte es diese mit
solcher Demut und Geschicklichkeit - und wenn man sie entdeckte, sah
man, wie sehr es litt -, daß sogar seine Seelenführer nur einen
geringen Teil davon gekannt haben. In den Bergen, wo es vor der
Erscheinung die Herden hütete, nannte man es schon 'die kleine Heilige' und schrieb ihm Wunder zu.
Heute ist bekannt, daß es solche gewirkt hat, und der Beweis wird
erbracht werden, wenn die Ritenkongregation geruhen wird, sich mit der
Seligsprechung eines solch armen Hirtenmädchens zu befassen. Die
Entdeckung seiner Wundmale ist die zufälligste Sache gewesen. Melanie
selbst schien diese zu übersehen, obwohl sie sie verbarg wie alle
Christen instinktiv - oder wenigstens schien sie zu glauben, daß sich
alle Christen so verhalten sollten, was nicht fern ist von der
überwältigendsten Erhabenheit. Melanie erhielt oft die hl. Kommunion
von unserem Herrn selbst und erfreute sich des fortdauernden Anblicks
ihres Schutzengels. Die Bewohner von Altamura haben versichert, im
Zimmer der 'frommen französischen Dame' beim Angelus am Abend und in
der Nacht, in der sie starb, Lieder von Engeln und das Läuten eines
Glöckchens gehört zu haben, so als ob jemand die heilige Wegzehrung
bringt.
Wieviele andere Dinge dieser Art noch! Aber was einen mehr als alles
andere erstaunt, was einen entmutigt, daran zu denken, was-den
Liebestränen allein einen unschätzbaren Preis verleiht, ist die
Tatsache, daß man sich sagen muß, daß sie alles im Lichte Gottes sah,
zwar nicht gleichzeitig, sondern nacheinander, d.h. im Augenblick, da
ihre Gedanken sich auf einen Gegenstand richtete: eine außergewöhnliche
Gabe, im Leben der Heiligen vielleicht einmalig. Sie schien im
irdischen Paradies zu leben, so, als ob es den Sündenfall nie gegeben
hätte.
Einer Gläubigen, die etwas wissen wollte über die Apostel der letzten
Zeiten, wurde dieses Fragment von dem mitgeteilt, was Melanie ihr
'Leben' (Vie) nannte: **) "An anderen Orten sah ich die Jünger der
Apostel der Letzten Zeiten. Ich verstand wohl klar, daß diese Herren,
die ich Jünger nenne, einen Teil des Ordens bildeten. Es waren freie
Männer, junge Leute, die sich nicht zum Priestertum berufen fühlten,
indessen das christliche Leben umfangen wollten, die die Patres in
irgendwelche Missionen begleiteten und mit aller Kraft an ihrer eigenen
Heiligung und am Heil der Seelen arbeiteten. Sie waren sehr eifrig für
die Ehre Gottes. Diese Jünger waren bei den Kranken, die nicht beichten
wollten, bei den Armen, den Verletzten, den Gefangenen, in den
öffentlichen Versammlungen, den Sektierervereinigungen usw. usw. Ich
sah sogar solche, die mit Gottlosen aßen und tranken, mit jenen, die
nicht von Gott noch von den Priestern reden hören wollten, und da
versuchten diese irdischen Engel mit allen nur vorstellbaren Mitteln,
ihnen von Gott zu sprechen und sie zu Ihm zu führen, um diese armen
Seelen zu retten, deren jede den Wert des Blutes Jesu Christi hat, der
toll ist vor Liebe zu uns. Diese Vision war sehr klar, sehr genau und
ließ mir keinen Zweifel über das, was ich sah, und ich bewunderte die
Größe Gottes, Seine Liebe zu uns Menschen und die heiligen
Unternehmungen, deren Er sich bediente, um sie alle zu retten. Und ich
sah, daß Seine Liebe nicht begriffen werden kann auf der Erde! Weil sie
alles übersteigt, was die heiligsten Menschen fassen können...."
"Mit ihnen (den Ordensschwestern) waren auch Frauen und Mädchen
voller Eifer, die den Schwestern bei ihren Werken halfen. Diese Witwen
und
diese Mädchen waren Personen, die ohne es zu wagen, sich durch
religiöse Gelübde zu binden, wünschten, dem lieben Gott zu dienen, nach
ihrem Heil zu streben und ein von der Welt zurückgezogenes Leben zu
führen. Sie waren schwarz und sehr einfach gekleidet. Sie trugen auch
ein Kreuz auf der Brust wie die Jünger, aber ein wenig kleiner als das
der Missionare, und sie trugen es nicht außen."
"Die Jünger und die Frauen machten auch folgendes Versprechen oder
diese Verpflichtung gegenüber der hochheiligen Jungfrau: sich Ihr zu
schenken und Ihr alle ihre Gebete, Bußübungen, mit einem Wort, alle
ihre verdienstvollen Werke für die Seelen im Fegfeuer und für die
Bekehrung der Sünder zu schenken." "Ich sah, daß die Missionare in
Gemeinschaft lebten. Ich sah, daß die Jünger, die lesen konnten, das
Offizium in ihrer Kapelle vortrugen; ich sah auch, daß die Schwestern
das Offizium der heiligen Jungfrau vortrugen, ebenso die Frauen." Es
ist äußerst interessant, diesen so aktuellen, so genauen Bericht der
Hirtin der allgemeineren, aber beredten Prophezeiung mit einer anderen,
die 150 Jahre vor La Salette von dem ehrwürdigen Grignon von Montfort
aufgeschrieben wurde, zu vergleichen:
"Aber wer werden diese Diener, Untertanen und Kinder Mariens sein? Sie
werden ein glänzendes Feuer von Dienern des Herrn sein, die das Feuer
der göttlichen Liebe überall entzünden und - sicut sagittas in manus
potentis - wie spitze Pfeile in der Hand der mächtigen Maria sein, um
die Feinde zu durchbohren. Es werden die Sohne Levis sein, durch das
Feuer großer Trübsale gereinigt und fest an Gott gebunden, die das Gold
der Liebe im Herzen, den Weihrauch des Gebetes im Geist und die Myrrhe
der Abtötung im Leibe tragen, und die überall den Wohlgeruch Jesu
Christi den Armen und Kleinen bringen, während sie zum Todesgeruch für
die Großen, die Reichen und Stolzen werden.
"Sie werden donnernde Wolken sein, beim geringsten Hauch des Heiligen
Geistes durch die Lüfte fliegend, die ohne sich an etwas zu binden,
noch sich über etwas zu wundern oder um irgendetwas zu beunruhigen den
Regen des Wortes Gottes und des Ewigen Lebens verbreiten werden; sie
werden donnern gegen die Sünde grollen gegen die Welt, sie werden den
Teufel und seine Werkzeuge schlagen, und sie werden mit dem
zweischneidigen Schwert des Wortes Gottes alle jene durch und durch zum
Leben oder zum Tod durchbohren, zu denen sie seitens des Allerhöchsten
gesandt wurden."
"Das werden die wahrhaften Apostel der Letzten Zeiten sein, denen der
Herr der Tugenden das Wort und die Kraft geben wird, um Wunder zu
wirken und herrliche Beute zu erringen vor Seinen Feinden; sie werden
ohne Gold und Silber schlafen und, was noch mehr ist, ohne Sorge
inmitten anderer Priester, Geistlicher und Kleriker - inter medios
cleros - mitten unter den Klerikern, und indessen werden sie die
Silberflügel der Taube haben, um mit der reinen Absicht der Ehre Gottes
und des Heils der Seelen hinzugehen, wohin sie der Heilige Geist rufen
wird. ***) Und sie werden an den Plätzen, wo sie gepredigt haben, das
Gold der Liebe hinter sich zurücklassen, die die Erfüllung des ganzen
Gesetzes ist. Endlich wissen wir, daß sie wahre Jünger Jesu Christi
sein werden, die auf den Spuren Seiner Armut, Demut, Weltverachtung und
Liebe wandeln, den engen Weg Gottes lehren in der reinen Wahrheit, nach
dem Evangelium und nicht nach den Grundsätzen der Welt, ohne sich um
eine Person zu kümmern, noch jemand Beachtung zu schenken, ohne jemand
zu schonen, zu hören oder zu fürchten, möge er noch so mächtig sein.
****)
"Sie werden in ihrem Mund das zweischneidige Schwert des Wortes Gottes
haben, sie werden auf ihren Schultern die blutige Standarte des Kreuzes
tragen, das Kruzifix in der rechten Hand, den Rosenkranz in der linken,
die heiligen Namen Jesu und Maria auf ihren Herzen und die
Bescheidenheit und Abtötung Jesu Christi in ihrem ganzen Benehmen. Das
sind große Männer, die kommen werden: aber Maria wird da sein auf
Befehl des Allmächtigen, um ihre Herrschaft über Gottlose, Götzendiener
und Mohamedaner auszubreiten. Wann und wie wird das geschehen? Gott
allein weiß es; an uns ist es zu schweigen, zu beten, zu seufzen und zu
warten: Expectans expectavi." *****)
Sicherlich weiß Gott es allein. Indessen müssen auch wir wissen, warum
und wieso das nicht geschehen ist, warum am nächsten 19. September, dem
62. Jahrestag der Erscheinung es nicht einmal einen schwachen Anfang
der Ausführung geben wird, ein entfernter Versuch zu gehorchen. Wir
kennen nur zu gut die schäbigen und niedrigen Ursachen dieser
unerhörten Verantwortungslosigkeit. Aber nicht alle wissen es, und für
diese Unwissenden ist dieses Buch geschrieben worden. Die anderen, aus
Bosheit oder Feigheit die wahren Schuldigen, werden natürlich
versuchen, dies - folgerichtig nach ihrer Methode - ohne Scham oder
Furcht zu unterdrücken suchen. Wie aber gottgeweihten Männern Furcht
einjagen, die die schrecklichen Züchtigungen einer großen Zahl
ihresgleichen mit angesehen haben, ohne sich an die Brust zu schlagen?
... Endlich habe ich Zeugnis ablegen wollen, um in Frieden entschlafen
zu können, wenn meine Stunde gekommen ist.
Die Drohungen von La Salette sind bedingungsweise gegeben. Es gibt
Grunde zu glauben, daß sie dies nicht mehr sind. Die Apostel Mariens,
die eingesetzt hätten werden sollen vor der Flut von Blut und Feuer,
werden nachher kommen, das ist alles.
Anmerkungen:
*) Man hat im letzten Jahr einen stolzen Kirchenmann wegen Unwahrheiten
im Schrifttum verfolgt, der Melanie angeklagt hatte, eine Fälscherin zu
sein. Sicut fecit, sic fiet ei.
**) Diese Seite, bisher unveröffentlicht, vervollständigt oder
verstärkt das, was weiter oben Kap. XVII gesagt worden ist von der
prophetischen Gabe, die der Hirtin gegeben war.
***) Ps. 7, Vers 14, Matutin von Pfingsten. Dieser Psalm voller Geheimnisse gehört liturgisch dem Heiligen Geist.
****) Fast wörtliche Übereinstimmung mit dem 3o. Kap. des Geheimnisses von Melanie, zitiert
in der Einführung des vorliegenden Werkes.
*****) Abhandlung über die wahre Frömmigkeit zur heiligen Jungfrau, I.Teil, Kap.7.
XXIV. Einwände, Verleumdungen. Der Assumptionist Drochon.
Ist meine Aufgabe nicht schon beendet? Ich glaube, alles gesagt zu
haben, was nötig war, und ich könnte mich jetzt nur noch wiederholen.
Man hat mir eine Liste von Einwänden gegen das Geheimnis vorgelegt, die
nicht aufhören, in La Salette ausgestreut zu werden. Ich kenne sie nur
zu gut, und ich habe sie beiläufig oder direkt in den vorangegangenen
Kapiteln zurückgewiesen. Man weiß übrigens, daß diese vom Haß, Stolz
qder vom Eigennutz eingegebenen Einwände unbesiegbar sind. Sie
entstehen immer wieder in dem Maße, in dem man sie bekämpft. Indessen
zeichnen sich die hier folgenden durch außerordentliche Schwäche aus,
eine kindische Schwäche, daß man sich schämt, sie anzuhören.
Beispiel: "Wenn der Papst die Veröffentlichung des Geheimnisses gewollt
hätte, hätte er sie selbst vorgenommen." Dieser Einwand aus dem Munde
von Priestern, die für gebildet gelten, erstaunt und betrübt. Man
spürt, daß es ganz nutzlos wäre, ihnen zu sagen, daß der Papst die für
ihn augenscheinliche Mission Melanies achten konnte und wollte, und daß
er von dieser Achtung Beweise geliefert hat. Dieser Gedanke würde in
solche Hirne nicht eindringen. Wie auch hoffen, diesen Sklaven des
Buchstabens, diesen Heloten des Wortes verständlich zu machen, daß - da
der Papst unfehlbar ist - sein Schweigen eine Billigung darstellt? Nun
ist das Geheimnis niemals verurteilt worden. Fügen wir hinzu, daß es
vielleicht eine Frage des Wissens ist, ob es nach den großen
Gepflogenheiten wäre, wenn der Papst in Person die Veröffentlichung
eines solchen Dokumentes vornähme. Dann, was antworten auf die alten
Verleumdungen, die die Gewohnheit in unbestreitbare Wahrheiten
verwandelt hat und deren Herkunft zu erforschen ein Christ sich die
Mühe nimmt? Hier gibt es nicht mehr nur die Schande des Geistes,
sondern den Schrecken der Seele, und es ist abscheulich, an Lügen zu
denken, die so oft zurückgewiesen und so vergeblich zunichte gemacht
wurden.
Ein Assumptionistenpater namens Drochon hat sie zu einem Strauß
vereinigt in einer "Illustrierten Geschichte der französischen
Wallfahrten", großartiges Quartformat von 1274 Seiten, (das zu lesen,
wie Barbey d1 Aurevilly gesagt hätte, 2548 Männer erfordert hätte)
veröffentlicht mit der Unterstützung und Bewunderung des P. Picard,
seines Generalsuperiors. *) Man weiß, daß die Assumptionisten die
hartnäckigsten Feinde Melanies und ihres Geheimnisses waren und daß sie
sich erbittert mit aller Kraft und Macht in diesen Krieg stürzten, die
ihnen der unerhörte und beklagenswerte Erfolg ihrer niederträchtigen
Veröffentlichungen verliehen. **)
In dem ungeheuren Wust dieses Paters Drochon sind nur dreizehn Seiten
der Wallfahrt von La Salette gewidmet, und es ist fast unmöglich, dort
eine Zeile zu finden, die nicht falsch und verlogen wäre. Man urteile
selbst: "Maximin und Melanie hätten, wir haben es gesagt, beide ihr
(sic!) Geheimnis erhalten." "Kränklich, schwächlich, wenn man will, in
allem übrigen", sagt der Pfarrer von Nortel, "werden sie nur in einem
einzigen Punkt für stark befunden, nämlich darin, wie sie versichert
haben, was ihre Mission betrifft." "Auch wenn diese Kinder" rief
seinerseits Mgr. Ginouilhac am 19. Sept. 1855 aus, (er hatte Melanie im
vergangenen Jahr verbannt), "sich entfernen und der großen empfangenen
Gnade untreu würden, würde die Erscheinung Mariens dadurch nicht
erschüttert werden."
Diese Zitate lassen die Wechselfälle voraussehen, die das Leben der
beiden Kinder gekennzeichnet haben..: "Melanie, nachdem sie die
Himmelskönigin geschaut hatte, schloß durchaus nicht die Augen für die
Welt (!!!) ... wie wir es gesehen haben bei Anglèze de Sagazan, Liloye
und bei anderen, wie es wenig später Bernardette tat. Sie trat ohne
Zweifel in das Kloster der Vorsehung von Corine ein, aber da sie sich
zu irgendeiner wichtigen Sache berufen glaubte und von Missionen und
apostolischen Eroberungen träumte, trug sie ernste Zweifel wegen ihrer
Berufung zum Klosterleben, welches nur wirksam für sie sei, wenn sie
demütig wäre (!!!). Nach drei Jahren (- in Wahrheit-: einem Jahr)
Novitiat widersetzte sich der befragte Mgr. Ginoullthac ihrem Profeß.
***) Sie kehrte nach Corps zurück, wo ein römischer Prälat englischer
Herkunft sie dazu bewegen konnte, ihm nach England zu folgen, mit dem
Ziel, sich dort der Sühne für die Bekehrung des Landes zu weihen. Die
Jahre von 1854 bis I860 verbrachte sie im Karmelitenkloster von
Darlington. Sie nahm den Habit, legte, so scheint es (!) die Gelübde im
Jahr 1856 ab aber vier Jahre später kam sie nach Frankreich zurück,
ließ sich in Marseille nieder, wo sie nach (!) M. Amadee Nicolas von
ihren Gelübden entbunden wurde. Mgr. Louis Zola, damals Bischof von
Lecce in Italien, entführte sie in seine Diözese und siedelte sie in
Castellamare an. (Wunderbar! Damals war Mgr. Zola noch nicht Bischof:
es ist Mgr. Petagna, um den es sich handelt, und er entführte Melanie
nicht, denn Castellamare gehört nicht zur Diözese Lecce - dort ist
sogar ein anderer Bischof - und es liegt auch etliches von Lecce
entfernt. Das wäre so, als ob man Amiens in die Diözese Perigueux
verlegen würde. Man hat bei den Assumptionisten nicht all zu viel
Ahnung von Geographie. Der Geschichtsschreiber hat seine Nachrichten
aus guter Quelle geschöpft: bei den Missionaren von La Salette, und
sein Buch ist dick.) Beim Tode des Bischofs 1888 (weder Mgr. Petagna
noch Mgr. Zola sind 1888 gestorben ) kam sie nach Marseille zurück, wo
sie noch ist (1890). Inmitten dieses bewegten und unsteten Lebens ist
Melanie tugendhaft (Ach! trotzdem ganz tugendhaft!) und, wie Maximin,
in einem einzigen Punkt beharrlich, dem glühenden Glauben (nach dem,
was vorausgeht, ist das Wort 'glühend' völlig dumm, aber so hat man es
bei den Assumptionisten geschrieben) an die Erscheinung und das
Geheimnis, das man vernommen hatte. (Und kein Wort von diesem
Geheimnis, als ob die Veröffentlichung durch Melanie und das Imprimatur
durch Mgr. Zola nicht vorhanden bzw. unecht seien, weil Drochon
andererseits sagt, daß dieses Geheimnis das Glanzstück (der 'Clou') der
Erscheinung sei: Baillystil - Croixstil und Pelerinstil).
Diese Seite erinnert mich an das Wort von Chateaubriand: "Es kommt die
Zeit, wo man seine Verachtung nur sparsam austeilen muß, wegen der
großen Zahl derer, die sie verdient haben."
Anmerkungen:
*) Paris, bei Plon, 1890.
**) Man weiß seit einem halben Jahrhundert auch, daß es ein Zeichen von
Bescheidenheit bei den modernen Katholiken ist, wenn man in einer
erschreckenden Art schreibt, und daß das in ihren Instituten sorgfältig
gelehrt wird, bis zu einem gewissen Punkt, daß alles, was nach den
"Trauergebeten" oder der "Henriade" geschrieben wurde, als unbedeutend,
verschroben, unzüchtig beurteilt wurde. Der erhabene P. Picard hat mir
eines Tages versichert - zur Schande seines Orden -, daß Ernest Hello
ein NARR war. Sein Nachfolger, der P. Bailly und seine Eliaciner vom
Kreuz oder von der Pilgerschaft haben wahrhaftig die Lehre mißachtet.
***) Mgr. Ginoulhiac sagte zu Melanie: "Ich habe Maximin gesehen, der
sich geweigert hat, mir sein Geheimnis zu sagen, mir, seinem Bischof!!!
Er wird es bereuen!!! Aber du, du bist vernünftiger, du hast mehr
Gewissen als er; ich denke, daß du dich nicht weigern wirst, deinem
Bischof zu gehorchen ...!!!" Und auf die Weigerung des armen Kindes,
der hl. Jungfrau ungehorsam zu sein, machte er ihr die gleiche Drohung:
"Du wirst es bereuen!" Er hielt nur zu sehr Wort. Als der Augenblick
des Profeß kam, wo sie ihre Gelübde bei den Schwestern der Vorsehung
von Corène ablegen wollte, widersetzte er sich, obwohl die Nonnen
sagten, wie fromm sie sei, und versuchte mit allen möglichen Mitteln
und Schikanen sie zum Weggehen zu veranlassen. Endlich schiffte er sie
nach England ein, mit dem Verbot, davon ja nichts ihren Eltern zu
sagen. Noch mehr, er gab Befehl, sie zu zwingen, Klausurgelübde
abzulegen. Da sie sich weigerte - dies wegen der Aufgabe, die sie nach
1858 erfüllen mußte -, dies zu tun, und da kein Druck, kein Zwang ihren
Widerstand besiegen konnte, sagten ihr die Schwestern: "Wohin werden
Sie gehen? Mgr. G. hat uns geschrieben, falls Sie in seine Diözese
zurückkommen, wird er Sie überall exkommunizieren, wo Sie weilen."
XXV. Hotelgewerbe. Doppelte Taktik der Missionare bzw. Kapläne.
Von Anfang dieser Arbeit an beurteilten fromme Gemüter mit einfachen
Ansichten meinen Tadel des Beherbungsgewerbes von La Salette als
übertrieben. *) Man muß wohl, haben sie mir gesagt, die Pilger
beherbergen, besonders die Leidenden und Kranken, und sie können nicht
verlangen, daß man sie umsonst unterbringt und verköstigt. Das ist aber
genau das, worüber es keine Diskussionen geben kann: Das strenge Recht
der Pilger, hauptsächlich der Gebrechlichen und Kranken ist es, umsonst
beherbergt zu werden. Im Oktober I880, zur Zeit der sog. Missionare,
sah ich eines Morgens bei schrecklichem Schneegestöber an der Tür der
Herberge einen Bettler ankommen, der kaum weniger weiß als der Schnee
war und der achtzig Jahre alt sein mochte. Er war stundenlang in den
Bergen gewandert und hatte sich sicherlich gesagt, er werde in La
Salette für zwei Tage Unterkunft finden, die ihm auf Grund einer
Abmachung mit der Hotelerie als Landstreicher zugesichert schien. Ich
habe dieses Abkommen nicht gesehen, das vielleicht nur in den Träumen
dieses armen Unglücklichen existierte. Aber was ich recht gut, sogar
sehr gut gesehen habe, das war die Verzweiflung, die demütige
Verzweiflung dieses Greises, der mir nach einer Viertelstunde sagte:
"Sie haben mir eine kalte Suppe gegeben und gesagt, ich müsse gehen.
Ich hätte mich gerne ausgeruht." Um nicht mitschuldig an einem
Totschlag zu werden, bezahlte ich, obwohl selbst wirklich arm, drei
Tage Pension für diesen Gesandten, der vielleicht Raphael war und
dessen Dankbarkeit in mir geblieben ist wie ein mildes Licht in der
Zelle eines Verurteilten.
Seit diesem Tage habe ich begriffen, was sich auf dem Berge zuträgt.
Ich habe den furchtbaren Geist des Geizes dieser sog. Mönche gesehen,
die selbst Bettler hätten sein müssen und Diener von Bettlern, denn La
Salette sollte wesentlich und vornehmlich ein Wallfahrtsort von
Barfüßern sein. An den Fuß des Berges mag man kommen wie man will und
sooft man will; aber dort angekommen kann man taktvoll nur mit dem
Teufel auf der Schulter aufsteigen. Die ersten Pilger täuschten sich
darüber nicht und hätten sich darüber nicht täuschen können. Der
gegenwärtige Weg bestand nicht und der Maultierdienst lief nicht so wie
heute. Man sah Gebrechliche, Todkranke, Halbtote sich an den Hängen des
Berges hinschleppen, die ganze Tage hinkrochen und die geheilt
hinunterstiegen. Mlle des Brulais, eine der ersten Zeugen von La
Salette, hat einige wahrhaft wunderbare Beispiele berichtet. *) Ich
glaube nicht, daß es möglich ist, einen einzigen Todesfall unter all
diesen Kranken auf dem Berg zu verzeichnen. Wieviele mußten derweil die
Nacht ohne Dach, ohne Zelt, sub Jove frigido zubringen, in dieser Höhe,
tödlich für menschliche Wesen ohne Schutz. Welche Hilfe konnten für
Hunderte und Tausende von Pilgern die Unterkünfte einiger Bretterhütten
bieten? Quid inter tantos?(Was ist das für so viele?) Aber man war
getragen vom Glauben, man war beherbergt, gewärmt, gestärkt, geheilt
vom Glauben.
Heute fährt man bequem in einem Wagen oder schaukelt auf dem Rücken
eines Maultieres hinauf. Man bezahlt ein Zimmer und seine Kost; erster
oder zweiter Klasse. Man betet nach Belieben im Schutz richtiger Mauern
in einer gut geschlossenen Basilika, und man wundert sich, wenn man
nicht erlangt, was man erbittet. Man ist vielleicht kein Pharisäer,
aber man glaubt, nicht so zu sein sicut ceteri hominum (wie die übrigen
Menschen, die Diebe, die Ungerechten, die Ehebrecher, und man hat keine
Angst, 'seine Augen zum Himmel zu erheben'. Dann geht's in demselben
Wagen oder auf dem Rücken des gleichen Maultieres wieder abwärts, aber
nicht wie der arme Zöllner-: Descendit hic justificatus (hoc est
sanatus) in doraum suara, (Dieser ging gerechtfertigt nach Hause
(dieser ging geheilt).) Es gibt keine Wunder mehr, weil es keine
Gläubigen, keine Büßer mehr gibt, weil es keine Begeisterung mehr gibt,
d.h. die Liebe. Es gibt keine großmütigen Seelen mehr. Man wäre
verblüfft, wenn man anstatt des Vorzimmers eines Dichters eine
Geschäftszimmer und anstatt seines Buches eines für Buchführung
vorfände. Man ist überhaupt erdrückt, diese gleichen Dinge an einem
Wallfahrtsort, und an was für einem Wallfahrtsort anzutreffen. Es ist
bestürzend, sich zu sagen, daß es einen Platz gibt, wo die heilige
Jungfrau sich gezeigt hat, wo sie vor Liebe und Mitleid geweint hat, wo
sie die größten Dinge gesagt hat, die man seit Isaias je wieder gehört
hat, wo sie geheilt und getröstet hat, und daß es zwei Schritte weiter
eine Kasse gibt!!!
Das ist abscheulich, aber was soll man machen? Ihr wißt es so gut wie
ich: Das Beherbergungswesen in La Salette gehört umgewandelt in ein
Hospital, wo jeder gesunde Pilger sich zum Diener der Armen oder zum
Krankenwärter für einige Stunden oder einige Tage machen sollte - man
wäre überreichlich und beständig versorgt, wenn die Christen den
hundertsten Teil dessen opferten, was sie vergeblich und mit soviel
Bitterkeit dem Empfänger geben. Die Gaststätt wäre zwanzigmal reicher
als jetzt, zu reich zweifelsohn, aber: wenigstens würde man nicht mehr
den gemeinen Lärm des Geldes hören, den Gott verabscheut und man hätte
die Freude und die Ehre, unzählige Arme zu erquicken. Das müssen wohl
die Hirtenkinder verstanden haben, und nicht ohne Schrecken denke ich
daran, was in dem feinen und edlen Herzen Maximins vorgehen mußte, als
er Zeuge der Ausbeutung seines Berges wurde, als er selbst vor Elend
umkam ... nur einige Schritte von den schäbigen Mönchen entfernt, die
nur durch ihn existieren konnten. Was die alternde Melanie angeht, was
sie empfinden mußte, als sie zum letzten Mal vor ihrem Tod die
Wallfahrt machte, das habe ich mich schon gefragt, und ich habe keine
andere Antwort gefunden als: Tränen.
Mein Buch, ich habe es bereits gesagt, hat nur ein Ziel: Beweisen, daß
alle Anstrengungen der Feinde Gottes im Fall von La Salette nur dahin
gehen, Melanies Geheimnis zu entwerten, das einzige von Bedeutung, da
das von Maximin niemals publik wurde. Daher ihre doppelte Taktik:
Einerseits haben die Missionare bzw. Kapläne, die auf dem Berg wohnten,
immer und sehr entschlossen gewollt, daß die Drohungen der Hl. Jungfrau
kurze Zeit nach der Erscheinung sich ganz vollständig und endgültig
erfüllen sollten, damit bewiesen ist, daß wir nichts mehr zu fürchten
brauchen, und daß alle weiteren Prophezeiungen, die die Zukunft oder
selbst die Gegenwart betreffen, für Hirngespinste gehalten werden. Ich
habe sie jeden Tag nahe bei der Quelle zur Stunde des Berichtes
arbeiten sehen, wie sie Statistiken beibrachten über Hungersnöte in
Irland infolge der Kartoffelkrankheit; in Frankreich, in Spanien und
Polen durch Getreidekrankheiten usw. Was die Drohung der Rede bezüglich
der "kleinen Kinder unter sieben Jahren" betrifft ... es scheint, daß
sie sich genügend erklären läßt mit einer beklagenswerten Epidemie, die
um diese Zeit wütete, d.h. vor sechsig Jahren. Folglich ist das sog.
Geheimnis nur mehr ein böser Traum, ganz unwirklich, den die guten
Katholiken von sich weisen sollten.
Dann muß man den zeitlichen Unterschied bedenken. 1846 war die Religion
verachtet und die christliche Gesellschaft mußte gezüchtigt werden.
Heute ist sie im Gegensatz dazu - sieht man es nicht? - im blühendsten
Zustand. In jeder Hinsicht! Das Geheimnis ist unhaltbar!
Andererseits will man um jeden Preis, daß die Hirten niemals ausdauernd
gewesen sind außer in einem einzigen Punkt: Maximin Trunkenbold - nach
der gemeinen, verbrecherischen und falschen Legende der Missionare -,
der aus seiner Empfindungslosigkeit mr dann aufwachte, um "mit Klarheit
von der Erscheinung zu erzählen: ein beständiges Wunder! Melanie, das
heilige Mädchen, wenn man will, aber dem gefährlichsten Vagabundenleben
ergeben und dauernd "umgeben von Faselhansen und ungehorsamen
Priestern, die ihr den Kopf verdrehen", die wie Maximin ihr
Gleichgewicht und ihre Vernunft nur wiederfindet, wenn es sich um den
Bericht der Erscheinung handelt, der von ihr seit 1846 immer
gleichlautend gegeben wird. Wie ist da - außer der ganz nüchternen
öffentlichen Rede, die in Zweifel zu ziehen unmöglich ist, will man
sich selbst nicht zum Verschwinden bringen -, wie ist da also die
Möglichkeit gegeben, ein Geheimnis um Leben und Tod anzunehmen, das von
solchen Zeugen übergebührlich verbreitet wurde?
Danach könnten die Interessierten sagen, wenn man die Dinge kühl,
vernünftig und praktisch zu betrachten sich die Mühe machen will, wie
will man da nicht sehen, o Mutter des Wortes, daß Deine angebliche
Offenbarung nur ein Betrug der Dämonen ist, um heilige Mönche daran zu
hindern, sich auf Deinem Berg ehrlich ihr Brot zu verdienen?
Anmerkungen:
*) Ich habe mich zur Zeit der Missionare noch stärker ausgedrückt: Die arme Frau, S.100.
**) Das Echo des hl. Berges, von Mlle des Br˚lais, bei Henri Doucher,
bei Mericourt-11 Abbe (Somme). Es gibt kein empfehlenswerteres Buch
über die Anfänge von La Salette.
XXVI. La Salette und Ludwig XVII.
Ausgezeichnete historische Arbeiten haben kürzlich die Frage des
Überlebens Ludwigs XVII. beleuchtet: eine sehr alte Frage, die man
heute ohne ein wenig Scham nicht mehr unbeachtet lassen kann. Mein
"Sohn Ludwigs XVI." 19oo veröffentlicht, hat keinen neuen Beleg
beigebracht, aber die Bezeugung einer äußersten Bewunderung für diese
Großtat Gottes, die in der Geschichte einmalig ist: eine königliche
Rasse, die für die erste in der Welt galt; weder präzise verstoßen noch
ausgelöscht, sondern in unergründliche Schande gefallen ohne Hoffnung,
jemals daraus herauszukommen.
"... Es läßt die Einbildungskraft scheitern, sich zu sagen, daß es
einen Mann gab ohne Brot, ohne Dach, ohne Verwandtschaft, ohne Namen,
ohne Vaterland, irgendein Menschenwesen, verloren am Grunde der Massen,
den der letzte der Flegel beleidigen konnte und der doch der König von
Frankreich war: der anerkannte König von Frankreich, anerkannt im
Geheimen von allen Regierungen, deren Amtsträger in Angstschweiß
gerieten allein bei dem Gedanken, daß er noch immer leben würde, daß
man ihm bei jedem Schritt und Tritt begegnen könne und daß er
vielleicht auf fast nichts Wert lege als auf das arme, fast zu Tode
geschlagene Frankreich, das beim Anblick dieses schmerzvollen Antlitzes
plötzlich das Blut seines ehemaligen Meisters wiedererkennend, sich mit
lautem Schrei auf ihn stürzen könnte in einem erhabenen Schwung des
Wiederauflebens."
"Man tat, was man konnte, um ihn zu töten. Die barbarischsten
Gefängnisse, Feuer, Gift, Verleumdungen, wildeste Lächerlichkeit,
schwarzes Elend und schwerster Kummer, alles wurde angewendet. Endlich
hatte man Erfolg, als Gott ihn lange genug behütet hatte und als er
schon sechsig Jahre alte war, das heißt, als er die Sühne für sechzig
Könige vollzogen hatte..." *)
Das Unglück dieses "Gespensterkönigs" war so vollkommen, daß die Worte
'Niedrigkeit und Schande' nicht mehr genügen. Man verweigerte ihm, was
man den ärgsten Verbrechern nicht verweigert: seine persönliche
Identität; besser gesagt: irgend eine Identität. Man wollte unbedingt,
daß er niemand sei - in des Wortes genauester Bedeutung, und daß seine
Kinder die Kinder von niemandem seien. So erfüllte sich in einer Weise,
die nur Gott ersinnen konnte, das uralte Wort der Carpetinger: Der
König stirbt nicht, weil der legitime Abkömmling Ludwigs XVI.
verurteilt sein würde, nicht leben und nicht sterben zu können.
Dieser Kronprinz, Sohn Ludwig XVI. - nachweislich: Ludwig XVII. -
angeblich in der Kirche gestorben, hauchte seine leidvolle Seele am lo.
August 1845 in Delft in Holland aus, etwas mehr als dreizehn Monate vor
der Erscheinung von La Salette, d.h. also in außergewöhnlicher
Schnelligkeit trat das Wunder ein - in so kurzer Zeit, nachdem der
Leuchter mit den goldenen Lilien, von dem im Pentateuch gesprochen
wird, umgestürzt worden war.
Als die Kunde von der Erscheinung sich verbreitete, hat sich da ein
einziger Christ gefragt, ob nicht irgend etwas äußerst Kostbares
zerbrochen worden war, daß die Herrlichkeit selbst, der unzugängliche
und unerreichbare Ruhm in Trauerkleidung erschin? "Seit der Zeit, da
ich für euch leide!" - Welch verwirrendes und unfaßbares Wort! Die
Katastrophe ist so ungeheuer, daß die, die gar nicht leiden kann,
nichtsdestoweniger leidet und weint! Die Glückseligkeit schluchzt und
fleht. Die Allmacht erklärt, daß sie nichts mehr kann und bittet um
Gnade ... Was ist geschehen, wenn nicht, daß einer gestorben ist, der
nicht sterben sollte ..." **)
Wenn er noch gestorben wäre, wie jedermann stirbt! Aber ich wiederhole,
es war viel schlimmer: der König von Frankreich sollte nicht sterben.
Und das dauert nun schon länger als sechzig Jahre. Ich habe da vor mir
das Bild eines armen kleinen Kindes von vier oder fünf Jahren, das man
den Prinzen Heinrich Karl Ludwig von Bourbon, Kronprinz von Frankreich
nennt. Es scheint, daß er es ist, der die Reihe der Gespensterkönige
fortsetzt.
Mehrere Briefe Melanies, darunter einige an die Prinzessin Amélie von
Bourbon, beweisen, daß die Seherin keinen Zweifel über das Weiterleben
des angeblichen Naundorff und seiner Kinder hatte. Im Jahre 1881 nennt
sie den direkten Erben "legitimen König, König der Lilienblüte" und
empfiehlt Hoffnung. Man weiß andererseits, daß Maximin viele Jahre
zuvor die Reise nach Frohsdorf machte und daß eine Begegnung mit dem
Grafen von Chambord stattfand - mit dem Effekt, daß es tatsächlich zu
einer Aussöhnung zwischen ihm und dem Thron von Frankreich kam. Alles
trägt in der Tat dazu bei zu glauben, Maximin habe zu diesem Anwärter
gesagt, was Martin von Gallardon 1816 zum gemeinen Ludwig XVIII. gesagt
hatte: "Sie sind ein Thronräuber." Der Graf von Chambord wagte es im
Gegensatz zu seinem brudermörderischen Großonkel nicht, den beiden
Kainen der Restauration zu folgen. Aber trotzdem bewahrte er die 3oo
Millionen des königlichen Patrimoniums, und die beraubten Erben blieben
weiter durch drei Generationen arm und mit der größten Niedrigkeit
bedeckt, wie es ihr Vater und vor allem ihr Großvater, der Kronprinz -
der aus der Kirche - war.
Übereinstimmung oder Ähnlichkeit, Übereinstimmung oder geheimnisvolle
Beziehung zwischen dem Wunder von La Salette und dem Wunder des
Schicksals des Sohnes Ludwig XVI.? Ein armer König, vor Hunger und
Elens sterbend, der Sohn mit Schmutz bedeckt und von sechzig Königen
verleugnet, kommt, um Frankreich anzubieten, es zu retten, und man
ermordet ihn, nachdem man ihn lange gefoltert hat: "Nolumus hunc
regnare super nos." ("Wir wollen nicht, daß dieser über uns herrsche.")
Gleich darauf kommt die wahre Königin Frankreichs, der rechtlich,
gültig und unwiderruflich dieses Königtum gegeben wurde, um ihrerseits
ihr Volk und alle Völker, deren Erstgeborenes es ist, weinend
anzuflehen, den schrecklichen Abgrund zu betrachten, der sie
herbeiruft. Da man sie nicht töten kann, antwortet man mit Ungehorsam,
mit der Leugnung ihrer Worte und der jüdischen Steinigung ihrer Zeugen:
"Nolumus HANC regnare super nos." ("Wir wollen nicht, daß DIESE über
uns herrsche.") Ich habe oft gedacht, daß die Geduld Gottes der beste
Beweis des Christentums ist.
Ist heute alles verloren? Gibt es nichts mehr zu hoffen? Gibt es keine
anderen Heilmittel mehr als Züchtigungen? Der Verfasser dieses Buches
ist davon überzeugt. Frankreich will keinen König mehr, keine Königin,
keinen Gott, keine Eucharistie, keine Buße, keine Schönheit, noch sonst
etwas, das Leben oder Tod gibt. Es will in seiner Eigenschaft als
Herrin und Vorbild der Nationen das, was nie durch irgendeinen Verfall
erreicht worden ist: den vollkommenen Stumpfsinn im künstlerischen und
selbsttätigem Engagement. Das nennt sich Sport, was einer der
englischen Namen für Verdammnis sein muß. Im Jahr 1864, sagt das
Geheimnis, werden Luzifer und eine große Anzahl von Dämonen aus der
Hölle losgelassen werden.
Man weiß, daß Leo XIII., betroffen über diese Prophezeiung, gewollt
hat, daß alle katholischen Priester täglich nach ihrer Messe am Fuß des
Altares knieend folgendes Gebet sprechen, das einem Exorzismus
gleichkommt:
HEILIGER ERZENGEL MICHAEL, VERTEIDIGE UNS IM KAMPF. GEGEN DIE BOSHEIT
UND NACHSTELLUNGEN DES TEUFELS SEI UNSER SCHUTZ. GOTT GEBIETE IHM, SO
BITTEN WIR FLEHENTLICH. DU ABER, FÜRST DER HIMMLISCHEN HEERSCHAREN,
TREIBE SATAN UND DIE ANDEREN BÖSEN GEISTER, DIE ZUM VERDERBEN DER
SEELEN IN DER WELT UMHERSCHWEIFEN, MIT GÖTTLICHER KRAFT HINAB IN DEN
ABGRUND.
Anmerkungen:
*) Leon Bloy: Der Sohn Ludwigs XVI. - Hier ist nicht der Ort,
aufzuzeigen, und wäre es nur gekürzt, die schreckliche und unglaubliche
Geschichte Ludwigs XVII. Man lese: Der letzte legitime König
Frankreichs von Henri Provins und das unschätzbare Werk, später
herausgekommen: Correspondance intime et inedite de Louis XVII, von
Otto Friedrichs.
**) Der Sohn von Ludwig XVI.
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