VIII. Das hl. Herz, mit Dornen gekrönt. Maria ist das Reich des Vaters.
"Sein zu mildes Herz". Er selbst hat das gesagt: "Mitis corde". (Mild
von Herzen) Das göttliche Übermaß, wie immer: man möchte sagen, daß es
sich nicht entschließen kann zu strafen. Maria wäre nur da, daß Sein
Arm oben bliebe, Sein Arm, der sonst zerschnettern müßte. Eine berühmte
Seherin hat gesagt, daß der hl. Joseph ein zu weiches Herz hatte, um
die Passion zu ertragen, und daß dies die Ursache war, daß er nicht ihr
Zeuge wurde. Allein die Vorausahnung des Karfreitages genügte, um ihn
aus Mitleid sterben zu lassen. Etwas von dieser Art - unaussprechlich -
muß in Gott sein. Es bedurfte der Stärke Mariens zum Sühneopfer, und
sie wird für die Züchtigung benötigt werden, weil das Opfertier, so
tauglich für die Liebe, ungenügend zu sein scheint für die
Gerechtigkeit.
Es ist schwer zu sagen, wie sehr die frommen Empfindeleien abwerteten
und sie ihrer Krone beraubten. Die braven Christinnen wollen von einer
Königin, daß sie zwar mit Rosen, aber nicht mit Dornen gekrönt sei.
Unter diesem Diadem würde sie ihnen Furcht und Schrecken einflößen. Das
würde nicht passen zu iener Art von Schönheit, die ihr armseliges
Vorstellungsvermögen von ihr entwerfen kann. Die erhabene Liturgie
indessen, die sie nicht kennen, will ausdrücklich, daß der Heiland
durch seine Mutter gekrönt werde. (Missa Spineae Coronae D. N. J. C.
Introitus) Woher anders denn hätte sie diese Krone nehmen können, wenn
nicht von ihrem eigenen Haupt? Bedurfte es nicht für Jesus Christus der
prunkvollsten aller Kronen? und welche andere als die der
Königin-Mutter wäre des Königs, ihres Sohnes, würdig gewesen?
Aber ich habe vom Herzen gesprochen, von jenem Herzen "mild und
demütig", das auf den Altäten ist, das alle Katholiken anbeten. Das ist
die Frömmigkeit der letzten Zeiten - mögen diese letzten Zeiten Jahre
oder Jahrtausende sein. Jesus will durch sein Herz triumphieren, durch
sein Herz, mit Dornen gekrönt. Denn hier ist ein Geheimnis. Man kann
sagen, daß das Antlitz des Meistets, das die Heiligen berauschte,
verschwunden ist in dem Maße, wie sich sein Herz gezeigt hat. Daher
mußte das Zeichen seines Königtums, das wesentliche Zeichen, das er von
seiner Mutter hat, hinabsteigen auf sein Herz, und da dies eine
geschlossene Krone war, überragt vom Kreuz, so wie es den Herrschern
zukommt, ist das Kreuz zur gleichen Zeit hinabgestiegen, für immer in
dieses verzehrende und verwundete Herz gepflanzt, das "die ganze Erde
besitzen wird, weil es unendlich mild ist".
Dies ist das Bild, das man der Frömmigkeit der Gläubigen anzubieten
gezwungen ist, ein Bild kindlicher Betrachtung, erträglich nur, weil es
nur symbolisch sein will. Die schrecklichen Statuen stellen einen
glorreichen und wohlgeformten Jesus dar, im Gewand aus purpurnen Brokat
und mit himmlischer Sittsamkeit halb geöffnet und einer gläubigen Nonne
in Ekstase mit den Fingerspitzen die Brust enthüllend, mit einem großen
Herzen aus Gold, von Flammen umrahmt: Diese beschämenden und
entweihenden Standbilder sollen in einem Typus die Gemeinschaft der
Heiligen, die Vergebung der Sünden, die Auferstehung des Fleisches und
das Ewige Leben darstellen.
Man wird wohl suchen müssen: Die Darstellung des hochheiligen Herzen
Jesu ist nur möglich in Wappen oder in einem Siegel. Es wurde
Margarethe Maria geoffenbart, daß Jesus sein Herz auf den Fahnen
Frankreichs in einem Meer von Lilien wünschte. Der sog. 'große' Ludwig
verachtete diesen göttlichen Wunsch, der erst zwei Jahrhunderte später
erfüllt werden konnte, als nämlich in der tiefsten Dunkelheit, als der
Thron längst verwaist war und nachdem alle Schauplätze französischen
Glanzes geschlossen waren, ein armer Fürst sich darstellte ...
Für die wahrhaft theologischen Einsichten ist die moderne Andacht zum
hl. Herzen Jesu der stärkste Beweis, daß Maria alles erfüllen muß und
daß ihre' Zeit gekommen ist. Wenn die Christen das geheimnisvolle und
so unverständliche Gebet des Herrn beten, wie wenige wissen oder
erahnen, daß das "dein Reich komme" dies die Mutter Gottes bedeutet,
mit absoluter Genauigkeit, und daß sie so stark ruft, daß diese drei
Worte sie ganz in Tränen herabkommen ließen. Sie ist das Reich des
Vaters.
Ach, wie sie uns bittet, sie zu hören! Achtet und seht, ob ein Schmerz
meinem Schmerz gleich sei! Sie weiß so gut, daß alles verloren ist,
wenn man sie nicht hört! Man hat sie gerufen in allen Ländern und allen
Sprachen, morgens und abends, mit Milliarden von Stimmen: Apostel,
Märtyrer, Bekenner, Jungfrauen, Dirnen, Mörder, dem Tod geweihte Greise
und ganz kleine Kinder, die wußten oder nicht wußten, was sie sagten,
sie alle haben sie angefleht zu kommen. Endlich ist sie als
Unglückliche erschienen und hat den siebten Tag beansprucht, der ihr
gehört, und den will man ihr nicht geben. Sie nennt nicht ausdrücklich
das Herz Jesu, aber sie nennt dasjenige Napoleons III., was seltsam und
schrecklich ist. Wie will man aber auch, daß Maria das Wort "Herz"
ausspricht, ohne daß sich die Flut in diesen Abgrund von Blut und Feuer
ergießt - das Untertauchen, das Versenken ihrer selbst und aller Welten
-; jene Flut, welche das Herz Christi ist ... "Die Quelle, die
hervorströmt aus dem Hause des Herrn, um dai Strom von Dornen zu
bewässern" wie es Joel voraussagte, 600 Jahre vor der Passion. (Joel
IV,18. Joel am Anfang klar, wurde er am Ende dunkler, hat der hl.
Hieronymus gesagt, als er von den Menschen sprach, die das heiligste
Herz nicht kennen konnten.)
Aber was für Worte, mein Gott! Ist nicht sie selbst das Herz Christi,
von der Lanze durchbohrt und von den Dornen zerrissen, wo sich das
Kreuz der Torheit aufpflanzt? Was könnte man glauben, wenn dies nicht
zu glauben wäre? Ein Punkt jedoch ist unumstritten: Wir werden
umkommen, weil wir SIE nicht gehört haben.
IX. "Es ist Dir bekannt, o meine liebe Frau von der Durchbohrung,
daß ich nicht weiß, wie ich es anfangen soll ..."
"Ich verde die Häuser segnen, wo das Bild meines Herzens aufgestellt
ist und verehrt wird." So ist die Verheißung. Möge dieses Buch, in dem
ich meine Gedanken unterbringe, also gesegnet sein, dieses Buch, voll
des Wunsches, die schmerzhafte Mutter Gottes zu ehren. - "Es ist Dir
bekannt, o meine Herrin von der Durchbohrung, daß ich nicht weiß, wie
ich es anfangen soll, und daß ich Hilfe brauche, um von Dir angemessen
zu sprechen. Du weißt, o durchbohrtes Herz der Herrin aller Welten, daß
ich Deinen Ruhm vermehren möchte, indem ich den Gedanken einiger meiner
Brüder verbreite. Aber das Unternehmen übersteigt mein Können, und es
scheint mir, daß ich nichts zu sagen habe."
Es sind bald dreißig Jahre her, daß ich diesen kühnen Gedanken
empfangen hatte. Jener Deiner Freunde, den Du mir schicktest, hat jetzt
keine Stimme mehr, um mich zubelehren. Er erwartet die Auferstehung in
Deinem kleinen Bergfriedhof. Aber Du hast mich unaufhörlich verfolgt,
hast mich gezwungen, von La Salette zu sprechen, wenn auch in anderen
Büchern, die nicht für Dich allein waren, und schließlich hast Du mit
der Hand einen Deiner liebevollsten Söhne in meine Höhle geführt, einen
sehr demütigen Weisen, der mir von Dir gesagt hat, ich müsse mich vohl
oder Übel fügen, da ich nach der Ordnung der Natur nicht mehr all zu
viele Jahre auf dieser Erde zu verbringen habe.
Also, meine Herrin, ist es angebracht, daß Du alles tust, denn mein
Unvermögen ist groß, da sich zu allem andern auch mein Geist vegen
einer ganzen Reihe unheiliger Geschehnisse nicht mehr zügeln läßt. In
dem allgemeinen Schweigen, woran wenig fehlt, betrachte, daß Du mir den
Auftrag gibst, laut zu schreien gegen die beispiellose Ungerechtigkeit
des ganzen christlichen Volkes, das Deine Tränen verachtet, aber in
seinem Unglauben dennoch Mitwisser Deiner so kostbaren Warnungen ist.
Du gibst mir den Auftrag, die gierigen Hirten Ezechiels zu brandmarken
- wie Hunde, die man niederschlagen muß (Philip. 111,2) - jene Hirten,
die in ziemlich großer Zahl damit beschäftigt sind, sich selbst zu
weiden und eifrig Deine wichtige Ankündigung zu verheimlichen.
Wieviel andere Dinge noch! Wenn ich schweige, wer wird Deine Zaigen
wieder zu Ehren bringen, Deine bevorzugten Hirten, Deine auserwählten
Boten unter den Milliarden, die schändlich Zurückgewiesenen und
Verleumdeten - durch jene selben Hirten, die sie abwürgten, wo immer
sie konnten? Wenn ich den Mut verliere, wo ist der Christ, der es wagen
wird zu sagen, daß es wirklich wahr ist, daß Du gekommen bist vor 60
Jahren, um uns weinend das Herannahen des Untergangs mitzuteilen, und
daß niemand Dir glauben wollte? Du warst jedoch die rettende Arche, die
zu bauen wie ehemals man sich nicht einmal die Mühe machte, und durch
die sicher mehr als acht Seelen hätten gerettet werden können. (I.
Petr. III,2o)
Betrachte nun das armselige Werkzeug, das ich bin: wie Du Opfer der
Verschwörung des Verschweigens, habe ich seit 2o Jahren die Lippen so
verschlossen, daß ich kaum essen kann. Nur diejenigen, die mir ganz
nahe sind, so zu sagen, Herz an Herz, hören mich.
Selbst wenn Du mir die Sprache eines Jeremias geben würdest, es gäbe so
lange keinen Erfolg, als Du der Menge nicht Ohren geschenkt hättest.
Ich bin in den Augen der Zeitgenossen ein Triefauge. Die armseligsten
Feinde Gottes glauben, das Recht zu haben, mich zu verachten, und die
erklärten Freunde desselben Gottes sind die Freunde meiner Feinde. Du
weißt warum, Du, die den Ewigen geboren hat, damit die Menschen Ihn ans
Kreuz schlugen. Aber ich würde ein anerkannter Botschafter, wenn ich
sofort die Macht hätte, die Wasser in Blut zu verwandeln, worum ich
Dich sehr demütig bitte.
Ich werde also gehorchen, gewiß, damit das, was gesagt werden muß, mir
in den Mund gelegt wird. Ich erhoffe von Dir, o Maria, ich weiß nicht
welche wunderbare und geballte Kraft für den Rest meiner Tage für diese
drückende Ehre.
X. Napoleon III. erklärt Melanie den Krieg.
Er (Pius IX.) soll Napoleon mißtrauen: sein Herz ist zwiespältig, und
wenn er gleichzeitig Papst und Kaiser sein will, wird Gott sich von ihm
zurückziehen. Er ist dieser Adler, der - wann immer er sich erheben
will -, in das Schwert fällt, dessen er sich bedienen möchte, um die
Völker zu zwingen, sich erziehen zu lassen. (Die vier letzten Worte
erwecken den Eindruck einer mangelhaften und zweifelhaften
Wortstellung. Grund, sie zu beachten!)
Dies ist Punkt 8 von Melanies Geheimnis. Er wurde der Hirtin von der
Mutter Gottes am 19. Sept. 1846 anvertraut mit dem Auftrag, es zwölf
Jahre später zu veröffentlichen. Bis dahin wurde das, auf Anweisung
ihres Bischofs von Melanie mit der Hand aufgeschriebene Geheimnis
(zwecks Mitteilung an den Papst) diesem von ehrwürdigen Priestern 1851
überbracht; sie übergaten es verschlossen und versiegelt dem obersten
Hirten - zugleich mit dem Maximins, das noch heute unbekannt ist.
Es ist angebracht, zuerst zu beachten, daß 1846 der künftige Napoleon
III., an den niemand dachte, im Fort von Ham eingekerkert und zu
lebenslanger Haft verurteilt war. Selbst im Juli 1851 waren noch der
Staatsstreich und das 2. Kaiserreich unter den Ereignissen, die
ausschließlich den Propheten angehörten. Eine ebenso überzeugende
Tatsache ist es wert, daß man sie angibt.
Sprach Pius IX.? Man ist gezwungen zu glauben, daß auf die eine oder
andere Weise etwas durchdrang, weil Louis Napoleon "durch die Gnade
Gottes und den Willen des Volkes" Kaiser geworden, sich beeilte,
Melanie den Krieg zu erklären. Das war eine seiner ersten Taten und
sicherlich die eine seiner wenigst bekannten.
Der hochwürdigste Mgr. von Bonillard, Bischof von Grenoble, der das
Wunder ein wenig vor dem Staatsstreich verkündet hatte, bat im November
1852 Napoleon, ihm einen Koadjutor zu geben, wobei er auf sein hohes
Alter und seine Krankheiten hinwies. Der Zehn-Jahres-Präsident, der
bloß einen Diener brauchte, verweigerte den Koadjutor, forderte den
klaren und einfachen Rücktritt, um auf den Bischofsstuhl von Grenoble
einen Prälaten seines Geschmacks zu setzen, der nicht an La Salette
glaubte und das Wunder begrub. So wurde der Nachfolger des hl. Hugo der
Abbé Ginoulhiac von Montpellier, Generalvikar der Erzdiözese von Aix,
ein ehemaliger Professor der gallikanischen Theologie.
"Sehr viele Gläubige", sagte Amédeé Nicolas (in: "Verteidigung und
Erklärung des Geheimnisses von Melanie von La Salette" Nimes 1881),
"erregten sich, als sie erfuhren, wer der neue Bischof sei." Aber die
heilige Jungfrau hatte einen Prälaten gewählt, der, begabt mit großer
Gewandtheit, Scharfblick und Klugheit, Kenntnissen in öffentlichen
Reden, aber ohne Kenntnis der Geheimnisse, die der Schrecken Napoleons
waren, am besten die Andacht und das Heiligtum erhalten konnte, indem
er das Staatsoberhaupt beruhigte und ihm, soweit er konnte, versicherte
- im besten Glauben -, daß es sich in den unveröffentlichten Teilen des
Geheimnisses weder um ihn noch um den Thron handle. Die Vorsehung
verschwendet nicht die Wunder. Am häufigsten bedient sie sich, um ihr
Ziel zu erreichen, der mittelmäßigen Menschen, ihres Charakters, ihrer
Wesensart, ihrer Eigenschaften, sogar ihrer Mängel. Wir glauben, daß
ohne die Erhebung Mgr. Ginoulhiacs auf den Bischofssitz von Grenoble -
der andererseits Gallikaner war und daher auch dem Kaiser gefiel - und
ohne göttliche Fügung La Salette vom Kaiser verfolgt und aufgehoben
worden wäre. Diese Wahl hat viele Nachteile gehabt: für die beiden
Zeugen erwuchsen daraus viele Leiden und unverdiente Kümmernisse, das
ist wahr. Sie hat aber das wichtigste gerettet, nämlieh die Andacht,
die Wallfahrten, das Heiligtum und den Berg.
Der neue Bischof sollte sich indessen bald in äußerster Verlegenheit
befinden. Die Geheimnisse, hauptsächlich das von Melanie, das man so
bedrohlich nannte und das er noch nicht kannte, saßen wie eine Gräte in
seiner Gurgel, wenn er zu seinem Kaiser von den Seeadlern sprechen
mußte. "Aber glücklicherweise" sagte er in seiner pastoralen
Unterweisung vom 4. November 1854, "leben wir unter einer Regierung,
die sich ihrer selbst sicher genug ist, um nicht zu zittern vor den -
angeblich - prophetischen Mitteilungen, die einem Kind zuteil wurden."
Napoleon III., wenig beruhigt, wollte das Heiligtum schließen, und es
bedurfte der Intervention Jules Favres, der damals sehr gefürchtet war
und die Absicht bekundete, die Sache vor die gesetzgebenden
Körperschaften zu bringen. Auf eine parlamentarische Anfrage hin
verzichtete die Regierung darauf, La Salette zu verfolgen. Was
Ginoulhiac angeht, gesättigt von so vielen Gemütsersfchütterungen,
unruhig den kostbaren Hirtenstab in seiner Hand zittern zu fühlen,
entschied er, damit Schluß zu machen, indem er die Zeugen Mariens
verschwinden ließ, diese "beiden unwissenden und gewöhnlichen Kinder",
die "schwachen Werkzeuge", die seiner Größe soviel zu schaffen machten:
das sicherste wäre gewesen, sie umzubringen, aber da gab es zu viele
Leute, zu viele offene Augen. Man brauchte einen nicht weniger
'bischöflichen' Ausweg als den des Kaiphas. Die furchterregende Melanie
wurde nach England verbannt, Ende September 1854, ein Machtmißbrauch,
ein äußerst ungerechter Akt des Oberhauptes, doch verfehlte man nicht,
ihn als vorzügliche Gunst darzustellen, vom Opfer selbst erbeten,
mildernde Wirkung einer priesterlichen Güte, die bis zur Schwäche gehen
konnte.
Im folgenden Jahr fürchtete sich dieser schreckliche Bischof nicht, auf
dem Berge selbst zu versichern, daß die "Aufgabe der Kinder durch die
Übergabe ihrer Geheimnisse an den Papst beendet sei, daß nichts sie
mehr mit dem Wunder verband, daß ihre Taten und Worte seit dem 18. Juli
1851 vollkommen gleichgültig seien, daß sie sich entfernen, in der Welt
zerstreuen, einer empfangenen großen Gnade untreu werden könnten, ohne
daß dadurch die Tatsache der Erscheinung erschüttert werde". Um welchen
Preis? Es ging darum, die beiden Zeugen herabzusetzen.
XI. Wanderleben der Hirtin. Der Kardinal Perraud, Nachfolger von Talleyrand, beraubt sie.
"Warum bist du traurig, meine Seele, und warum betrübst du mich?" Es
war indessen sehr nötig, daß er diese liturgische Frage aussprach, der
traurige Bischof, ehe er am nächsten Morgen und alle folgenden Morgen
bis zum Ende seines Lebens zum Altare emporstieg. Und als die Stunde
des Todes kam, die furchtbare oder süße Stunde der Empfehlung der
Seele, war es ihm nicht möglich, mit den Anwesenden bei seinem
Todeskampf die vorgeschriebenen Worte auch nur mitzudenken, die die
selige Pforte öffnen: "den Weg deiner Gebote bin ich gegangen". Er
konnte es nicht, weil er vorher dem heiligmäßigen Mädchen gesagt hatte:
"Du bist eine Verrückte!" - Seiner Vernunft beraubt starb er -
gerehhterweise.
Eines Tages wird zum Erstaunen und Erschrecken einer großen Menge die
Darstellung aller Züchtigungen veröffentlicht werden, die über die
kirchlichen Verfolger und Lästerer von La Salette verhängt wurden. Die
Liste ist lang.
Melanie sollte keine Ruhe mehr kennen. Nach einem Aufenthalt von sechs
Jahren im Karmel von Darlington, zurück nach Frankreich und Ankunft in
Marseille am 28. Sept. I860. (Anm.: Dort wurde sie von den nicht
feierlichen Gelübden entbunden, die sie im Februar 1856 im Karmel in
England abgelegt hatte. Nach dem Urteil Pius IX. verbot ihr tatsächlich
der Auftrag, den die hl. Jungfrau ihr anvertraut hatte, im Kloster zu
bleiben. Bald kam sogar von Rom, als man in ihrer Angelegenheit dort
anfragte, diese andere Anweisung: "Versteckt sie, so gut ihr könnt!"
Das geschah aus Angst vor dem gekrönten Carbonaro, dem"Mann mit dem
zwiespältigen Herzen", wie ihn die hl. Jungfrau selbst ihrer Vertrauten
gegenüber bezeichnet hatte - mit dem ausdrücklichen Befehl, Pius IX. zu
sagen: "er solle Napoleon mißtrauen", was diese tat in der Enthüllung
ihres Geheimnisses für den hl. Vater, jenes Geheimnisses, das Sr.
Heiligkeit am 18. Juli 1851 übergeben wurde, wie man schon gesehen hat.
Der Kaiser konnte Melanie nicht ertragen, da er sich durch ihre
Botschaft ungünstig beurteilt wußte. So wurde dem klugen Rat Folge
geleistet.) Eintritt in eine religiöse Gemeinschaft in Marseille, um
dort ganz kleinen Mädchen das Alphabet beizubringen. Sendung auf die
jonischen Inseln, nach Kephalonia und Korfu 1861 und 1862. - 1862
Rückkehr nach Marseille, wo sie auf einem ländlichen Gut bis 1867
bleibt, unter der Leitung von Mgr. Petagna, Bischof von Castellamare,
der durch den Einfall der Piemontesen aus seiner Diözese verjagt worden
war und die Jahre seines Exils in Marseille verbrachte. - Abreise nach
Italien im Juli 1867 nach Castellamare, nicht weit von Neapel, wo sie
18 Jahre weilte, immer unter der Leitung von Mgr. Petagna, der im
gleichen Jahr in seine Diözese zurückgekehrt war, bis zum Tode dieses
würdigen und frommen Priesters, und darüber hinaus. - Gegen 1885 mit
der besonderen Erlaubnis Leo XIII. nach Frankreich zurückgekehrt, um
ihre kranke Mutter zu pflegen, in Cannes und im Kännel bis zum Tode der
letzteren. Dann Aufenthalt in Marseille von 189o bis 1892. Rückkehr
nach Italien, wo sie sich diesmal in Galatina, zwischen Lecce und
Otranto, niederläßt, um einige Jahre - nicht weit von ihrem ehemaligen
Leiter, Mgr. Zola, von 1892 bis 1897 zuzubringen.
1895 Reise nach Frankreich, anläßlich eines Aufsei i erregenden und
schändlichen Prozesses, der natürlich gegen sie gewonnen wurde von Mgr.
Perraud, Kardinal-Erzbischof von Autun, dem Nachfolger des verstorbenen
Talleyrand, und selbst Akademiker, der der Hirtin die Ehre erwies, sie
zugunsten seiner bischöflichen Tafelgelder eines ihr gemachten
wichtigen Vermächtnisses, das ihr für die Apostel der letzten Zeiten
gemacht worden war, zu berauben. In dem Erbteil war einbegriffen eine
öffentliche Kapelle, die der Kardinal mit dem Interdikt belegte. (Anm.:
Die Dokumente, die diese schändliche Angelegenheit betreffen, wurden
1898 bei dem Verleger Chammet in Paris herausgegeben: "Melanie, Hirtin
von La Salette und der Kardinal Perraud".)
Vom 14. September 1897 bis 2. Oktober 1898 in Messina im Institut der
Töchter des göttlichen Eifers vom Herzen Jesu, um dort die jungen
Aspirantinnen während ihres Noviziats zu leiten. - Von da nach
Moncalieri. Dann neue und letzte Rückkehr nach Frankreich, wo sie fünf
Jahre weilt, von 1899 bis 1904, in Saint-Pourçairi, Dion, Cusset
(Allier) und Argoeuvres (Somme). Zweimal begibt sie sich nach La
Salette: am 18. September I9o2, um den 56. Jahrestag der Erscheinung zu
begehen, und am 28. Juli 1903. Sie hatte das Sakrament der letzten
Ölung am 26. Januar 19o3 empfangen, während einer schweren Krankheit in
Dion, der keine mehr folgen sollte. Endlich, mitten im Jahre 19o4
verließ sie endgültig ihre Heimat, um sich in der Provinz Bari
niederzulassen, in Italien, wo sie bis zu ihrem Tode Mitte Dezember
unbekannt lebte - bekannt nur ihrem Bischof, Mgr. Cecchini, und einer
frommen Dame, der Signora Gianuzzi. Ihre letzte Kommunion am 14.
Dezember in der Kathedrale von Altamura ist ihre letzte Wegzehrung.
Dieses fortwährende Umherirren, diese unaufhörlichen Wanderschaften -
veranlaßt durch eine gnadenlose Feindseligkeit (was im übrigen für die
Erfüllung ihrer Sendung günstig war) - wurden gegen sie ausgenutzt: Im
schlimmsten Sinne wurden sie als Vagabundieren bezeichnet und in der
gemeinsten und häßlichsten Weise gegen sie gedeutet. Nur wenige Heilige
sind so verleumdet worden!
"Ich werde in Italien sterben", sagte sie weniger als zwei Jahre vor
ihrem Tod in Dion, "in einem Land, das ich nicht kenne, wo ich niemand
kenne, einem fast wilden Land, aber wo man den guten Gott sehr liebt;
iah werde allein sein. Eines schönen Morgens wird man die Fensterläden
geschlossen finden, man wird die Tür gewaltsam öffnen und man wird mich
tot auffinden." Diese Prophezeiung hat sich in allen Einzelheiten
erfüllt. (Anm.: Melanie bewohnte in Altamura ein kleines Haus
"außerhalb der Mauern". Sie war dort seit kurzer Zeit allein; nur Mgr.
Cecchini als einziger in der Diözese wußte, daß sie die Heilige war,
die man seinem Schutz anvertraut hatte. Jeden Morgen begab sie sich zur
Kathedrale, wohnte dem Hl. Opfer bei, kommunizierte und ging dann zum
bischöflichen Palast, um ein wenig Kaffee ohne Brot au nehmen. Dann zog
sie sich in ihre Einsamkeit zurück. Das war die ganze Nahrung für den
Tag. Gegen Mittag ließ ihr Monsignore, der noch nicht die Gelegenheit
hatte, diese Gäbe, fast ohne Nahrung zu leben, an ihr zu bemerken,
durch einen Bekannten des bischöflichen Palastes ihre Mahlzeit bringen,
die sie jedoch den Armen gab. Als er am 14. Dezember sie nicht in der
Kathedrale sah, erfaßte ihn Unruhe, und er schickte nach ihr. Da die
Läden geschlossen, waren und keine Antwort kam, entschloß er sich, die
Behörden zu benachrichtigen. Die Tür wurde geöffnet, und man fand das
fromme Mädchen tot auf dem Boden. Sie war ganz bekleidet, die Kleider
sittsam geordnet, die Arme über der Brust gekreuzt und bildeten eine
Art Stütze für die Stirn. Man mußte sie nut noch fromm in den Sarg
legen. (Sechs Monate nach dem Tod von Melanie ließ Mgr. Cecchini ihr
Grab öffnen, und man fand die Leiche unverwest.)
Die außerordentliche Schönheit dieses Lebens wurde mehr als 6o Jahre
mit wahrhaft teuflischer Kunst verheimlicht und der sehr kostbare Tod
wurde nicht bekannt. Wer dachte übrigens zu jener Zeit an das
Hirtenmädchen? Kaum nannte man sie auf dem Berg, wo man bedauerte, daß
sie sich so übel verändert habe. Eine untadelige Opferung! Maximin,
1878 gestorben, war auch sehr eifrig und in einer Weise entehrt worden,
die nichts zu wünschen übrig ließ. Eine gute Art, sich des einen wie
den anderen zu entledigen!
Die Legende - von da an fest verwurzelt - von der bedauernswerten
Unwürdigkeit der Zeugen, wandte sich im ganzen zum Ruhme Gottes, dessen
übliche Weise es ist - nicht wahr? -, das Gute aus dem Bösen entstehen
zu lassen und sich der verächtlichsten Werkzeuge dazu zu bedienen; Die
Beredsamkeit der Seminaristen bekam freien Lauf. Die unwahrscheinliche
Lüge wurde von allen Christen, Priestern wie Laien, angenommen, die
unnachahmlich getäuscht worden waren. Das Geheimnis war eine
gefährliche oder lächerliche Träumerei geworden, und wieder einmal
triumphierte die alte Schlange über den jungfräulichen Fuß.
Indessen, Gott läßt Seiner nicht spotten! Man verspottet Gott nicht.
Melanie war am Morgen der Oktav des Festes der Unbefleckten Empfängnis
gestorben, und am Vorabend hatte man in verschiedenen Diözesen in jenem
Jahr die Verkündigung der Wunderbaren Medaille begangen, ein vom 27.
November verschobenes Fest. Eine liturgische Mahnung an den Drachen,
der vergeblich die Frau mit den Adlerflügeln verfolgt, die vor ihm in
die Wüste flieht: und für welche andere als diese sterbende Verlassene
hätte sie die prophetischen Worte gesungen: "Posuit in ea verba
signorum suorum et prodigiorum suorum in terra".
Drei Jahre sind inzwischen vergangen. Die begrabene Botschaft
durchläuft nicht mehr die Welt. Sie ist unbeweglich und unverdorben in
einem Grab, das die Völker eines Tages besuchen werden. Aber die
Prophezeiung, die sie brachte, geht ihren Lauf weiter, wie ein Fluß,
immer majestätischer, immer furchtbarer. Man hört ihn schon grollen,
und die Unerschrockensten beginnen bereits, Angst davor zu haben.
XII. Die Priester und Melanies Geheimnis.
Wenn es nur um Napoleon III. gegangen wäre, so hätte die Verschwörung
des Schweigens ihn nich 36 Jahre überlebt. Sogar die erstaunliche
menschliche Schwäche hat die Gewohnheit, die Erinnerung an längst
vergessene Leiden zu verwandeln: alles, was vor der Katastrophe von
1870 sich La Salette und seinen Zeugen entgegenstellen konnte, hätte
sich inzwischen abgenutzt, und die alleinige Wirkung der katholischen
Kraft hätte mehr und mehr nach jedem Lenz die Mauer (des Schweigens)
abbröckeln lassen. Aber da gab es das, was man nicht eingestand, was
man um keinen Preis etwa wissen wollte:
"Die Priester, die Diener meines Sohnes, die Priester sind durch ihr
schlechtes Leben, durch ihren Mangel an Ehrfurcht und Frömmigkeit bei
der Feier der heiligen Geheimnisse, durch ihre Liebe zum Geld, zu Ehren
und Vergnügungen Kloaken der Unreinigkeit geworden. Ja, die Priester
verlangen nach Strafe, und die Strafe hängt über ihren Häuptern.
Wehe über die Priester und gottgeweihten Personen, die durch ihre
Treulosigkeiten und ihr schlechtes Leben meinen Sohn aufs neue
kreuzigen. Die Sünden der gottgeweihten Personen schreien zum Himmel
und rufen die Rache herab; und die Rache steht schon vor ihren Türen,
denn es findet sich niemand, der für das Volk um Erbarmen und
Verzeihung riefe. Es gibt keine großmütigen Seelen mehr, keine
Personen, die würdig wären, das makellose Opfer dem Ewigen zugunsten
der Welt anzubieten." (Anm.: Melanies Geheimnis, 2. Abschnitt: Es ist
dies bemerkenswert, bemerkt Amedei Nicolas, daß keine Gemeinschaft von
Frauen sich beschwert hat. Nur Welt- und Regularpriester haben Schreie
ausgestoßen.)
"Nolite tangere Christos meos ... Qui vos audit, me audit: et qui vos
spernit; me spernit." ("Wer euch hört, hört mich, und wer eufah
verachtet, verachtet mich.") Du hörst es, o Mutter des Wortes, dies
richtet sich an Dich. Du hast gewagt, den Klerus anzugreifen! Man
könnte denken, Du hättest das Recht dazu, da Du die Königin bist,
Königin der Priester. Aber das bedeutet nichts, und hier ist Deine
Strafe: wir beschließen, daß Du vergeblich gesprochen hast.
"Sie wollen ihre Gewissenserforschung nicht machen", sagte Melanie. "Tu
es ille vir, tu fecisti hanc rem absconditi!" ("Du bist dieser Mann, du
hast dies heimlich getan!"), sagt der Heilige Geist. Du bist der
Schuldige! sagt das Gewissen. Welches auch das begangene Verbrechen
sei, an welchem Ort der Welt, dieses Wort muß gerecht und streng auf
jeden von uns angewandt werden. Die Heiligen haben es immer so
verstanden. Und weil die Priester Gott näher sind, demnach auch mehr
Verantwortung tragen, ist es natürlich, daß sie als erste betroffen
sind.
"Ihr seid das Licht der Welt", hat ihnen der Meister gesagt! Es wird
niemals eine gewissere Zusicherung geben. Aber man weiß, daß die
reinste irdische Flamme gegen die Sonne gestellt einen Schatten wirft.
Gleichermaßen würde das Licht Gottes, wenn es sich vor das Licht der
Welt stellte, im Nu einen schwarzen, klebrigen, rußigen Schatten von
äußerster Undurchdringlichkeit von diesem werfen. Das muß das Gefühl
eines Priesters sein, der sein Gewissen erforshht. Warum also sollte er
sich über die Härte gewisser Worte aufregen oder wundern?
Es handelt sich im übrigen genau darum! Das Wort Gottes ist dem Wesen
nach unbestreitbar, unbezweifelbar, unteilbar, endgültig! Man muß es
also als Ganzes annehmen oder sich als Abtrünnigen erklären. Auch das
Wort Mariens ist das Wort Gottes, ebenso wohl in La Salette wie im
Evangelium. Wenn sie sagt, daß wir Hunde sind, ist das die ewige
Weisheit, die spricht. Wenn es ihr gefällt hinzuzufügen, daß die
Priester Kloaken der Unreinheit sind, gibt es nichts Besseres zu tun,
als zu glauben, daß es so ist - unter sehr demütigen Danksagungen für
die Wohltat, einer so kostbaren Enthüllung teilhaftig geworden zu sein,
und ohne eine Minute daran herumzudeuteln. Dieses Wort weiß, was es
sagt, und wir, wir wissen nicht einmal, was widenken.
Man hat von "übertriebener Ausdrucksweise" gesprochen; man hat das
Geheimnis retten wollen, indem man erklärte, das Wort 'Kloake' habe
keinen absoluten Sinn. Als ob Gott nicht immer absolut redet!
Unglauben, schlechtes Leben, Mangel an Ehrfurcht und Frömmigkeit, Liebe
zu Geld, Ehren und Vergnügungen... zusammen: Kloake voll Unreinigkeit.
Was soll man von einem Priester denken, der sagen würde: "Das geht mich
nichts an!" Der hl. Franz von Sales, der hl. Vinzenz von Paul, der hl.
Philipp Neri, der Pfarrer von Ars, fünfzigtausend andere, ohne auf die
Märtyrern zurückzugreifen, hätten weinend gesagt: "Ach, wie wahr ist
das! Wie gut kennt mich unser Herr, und wie nichtswürdig ist meine
Heuchelei in jedem Augenblick!"
Aber es gibt keine großmütigen Seelen mehr. Die strenge Wahrheit, die
niemals ein Mensch bestreiten kann, der dazu berufen ist, sein Leben
für Gott hinzugeben, ist, daß jeder Priester, der nicht nach Heiligkeit
strebt, wirklich - streng genommen - absolut ein Judas, ein Unrat ist.
Gerade eben habe ich zwei Texte angeführt: den ersten aus dem Psalm
Io4: "Nolite tangere ... Rührt nicht an meine Gesalbten", um den
schönen Nutzen sehen zu lassen, den man daraus ziehen kann. Die andere
Hälfte desselben Verses scheint eine zornsprühende Antwort Mariens: "Et
in prophetis meis nolite malignari - und mißhandelt meine Propheten
nicht!"
Diejenigen unter den Verfolgern Melanies und Maximins, die "ihre Seele
nicht ganz umsonst erhalten haben", sollten manchmal beim Lesen dieser
Worte in ihren Brevieren zittern. Was das evangelische Wort betrifft
"Wer euch hört, hört mich" usw. - sieht man nicht, daß es vorzüglich
unserer Lieben Frau von La Salette zukommt?
"Alles, was er euch sagt, das tut!" hatte auf der Hochzeit von Kanaan
die Mutter Jesu gesagt. "Wer dich hört, hört mich, und wer dich
verachtet, verachtet mich", antwortet ihr ihr Sohn neunzehn
Jahrhunderte später, als er sie auf einem Berg weinen hört.
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