K R E U Z W E G
von
Myriam Le Mayeur
übers. von Elisabeth Huttlinger
TODESANGST
Mich schaudert, wie euch Menschen, vor dem Tod...
Ach, Vater! Wenn Du
willst, so mach' ein Ende
Dem Höllenreigen, den ich hier muß schauen!
Mir rinnen Schweiß und Blut vor Angst und Grauen:
Sünden in Überzahl
bis zum Weltenende
Lasten auf mir. Vater! Sieh meine Not!
I
Pilatus, dem der Widerstand gebrochen,
Das Todesurteil Jesu hat
gesprochen
Und sich ganz blaß die Hände abgespült;
Der Herren Herr, der
fortgeschleppt am Strick
Wirft auf den Heiden einen tiefen Blick
Voller
Barmherzigkeit und schmerzerfüllt.
II
's ist nicht genug, daß mich der Dornkranz quält,
Daß Geißelhiebe mir
den Leib zerfleischen,
Des Pöbels Toben und der Schergen Kreischen,
Daß
mich mein Freund verkauft um wenig Geld!
Vater! Ich muß mich obendrein
abplagen
Das schwere Kreuz bis dort hinauf zu tragen.
III
Der Gottes Sohn zieht durch die engen Gassen
Und für uns leidet über
alle Maßen:
Ein Sterbender, den man zu sterben zwingt;
Jetzt stolpert
Er, o weh! zu Boden sinkt!
"Vater!" - spricht Er - "laß mich nicht hier
umkommen,
Das Ziel ist fern, ich muß bis dorthin kommen!"
IV
Ich gab Dir Deine menschliche Natur
Und diese Pein hab' ich
herbeigetrieben,
Mir zollst Du diese grausame Tortur,
Geliebter Sohn!
Ich sollte Dich betrüben?
- Mutter, Du weinst und trägst mit mir die
Sorgen,
Im Gottesschatten sind wir wohl geborgen. -
V
Sieh', jener hilft mir ohne zu verstehen,
Vater! Vergüte ihm, was er
mir tut;
Sieh', seine Kleidertracht befleckt mein Blut,
Ihn drückt die
Last und hemmt das Vorwärtsgehen;
Mir wird es leichter, Vater! Sieh in
bloß,
Von seiner Sündenschuld sprech ich ihn los.
VI
Wie lieb sind mir, die durch den Schwärm sich schlagen,
Der Lieb'
gehorchend suchen sie mich auf,
Trocknen mir Blut und Tränen tröstend
auf;
'Narren' nennt sie die Welt, sie sind verrufen;
Im Lauf der Zeit
kommen sie wie gerufen,
Im Herzen sie mein "wahres Abbild" tragen...
VII
Heil' diese Männer mit starrem Genick
Und häßlichem Gesicht vom vielen
Prassen;
Ihr Leib ist plump, verächtlich ist ihr Blick,
Geldkatzen
führen sie auf Markt und Straßen.
Vater! Dein Sohn, der für sie
aufwärts steigt
Fällt wiederum unter dem Holz gebeugt.
VIII
Ihr zartsinnigen Frauen, weinet nicht!
Jobs Heimsuchung währet nicht
immerfort;
Spart Trauermiene und blasses Gesicht
Für hart're Zeiten
ohne Huld und Hort,
Denn der Gerechte für die Sünden büßt,
Der
Gottesverächter Los viel schlimmer ist!
IX
Mein Gott, mein Gott! Am Boden muß ich kriechen,
Vom Kreuz zermalmt und
überhäuft mit Flüchen...
0 komm, mein Engel! Komm und hilf mir auf!
Mit
Strick und Stoß und diesem Volksauflauf,
Hin und her schwankend, mühsam
wird der Gang
Den steilen Weg hinan am Bergeshang.
X
Ihr Menschen seht! Ich steh hier nackt und bloß,
Schlachtopfer äußerst
rein, Lamm ohne Fehl...
Wendet euch ab vom fleischlichen Chaos!
Kommt
her zum lebendigen Wasserquell!
Um euch vom Sündenstrom herauszuziehen
Läßt man mich nackt an dessen Ufer knien.
XI
Viertausend Jahre lang, Volk Israel,
Habt ihr auf den Messias warten
müssen.
Hier hängt Er hingestreckt, mit Hand' und Füßen
Angenagelt auf
eueren Befehl! Ach!
Möchtet ihr euch doch mit Ihm versöhnen
Bevor des
Jüngsten Tags Posaunen tönen!
XII
- Jesus, dein Tod soll auch mein Ende sein! -
- Weib, siehe da dein
Sohn im Glauben treu,
Dein neuer Sohn, Johannes, fehlerfrei. -
- So sei
es denn! - o abgrundtiefes Leiden!
- Johannes, siehe da die Mutter
dein. -
Sechs Worte spricht Er noch vor dem Verscheiden.
XIII
Schrecken und Reue die Stadt überkommen,
Während zwei Ratsherrn auf dem
Golgotha
Den heil'gen Leib vom Kreuz herabgenommen
Und ihn auf seiner
Mutter Schoß gelegt:
Diese, mit Hilfe der Magdalena
Nach Brauch und
Sitte den Leichnam umschlägt.
XIV
Auf der Bahre, von vier Männern getragen,
Gleicht Jesus der einst'gen
Lade des Herrn.
Maria standhaft hat alles ertragen
Vertrauensselig
folgt die Trauerbahn,
Küßt ihren Sohn am Rand der Grabkavern'.
Reumütig
leuchtet ein Soldat voran.
AUFERSTEHUNG
Sag' dein Geheimnis, österlicher hain!
Grabfels, eherne Tür vermochten
nicht
Den lichtstrahlenden Körper aufzuhalten!
Der Heiland erstand!
Freut euch, groß und klein!
Freut euch, ihr habt Ihn ja wiedererhalten!
Ein Engel sitzt am Grab im Morgenlicht.