ÜBER DEN KATHOLISCHEN WIDERSTAND GEGEN DEN MODERNISMUS UND DIE FRAGE DER BISCHOFSGEWALT IN DER KIRCHE
von
Alvaro Ramirez Arandigoyen
(aus: FIDELIDAD A LA SANTA IGLESIA Nr.18 vom 15.8.1983; übers. von Heinrich Beckmann)
II. Teil
An
S. Exzellenz
Mgr. Moisés Carmona
Kirche de la Divina Providencia
A C A P U L C O / Gro. - MEXIKO
Exzellenz!
Buenos Aires, 3o. April 1983
Ihre liebenswürdige Antwort in EINSICHT (Mai 1983) auf meinen Brief vom
3.5.1982 veranlaßt mich, Ihnen nochmals zu schreiben. Ich möchte hier
einige doktrinäre Aspekte darlegen, die mir beachtenswert erscheinen.
Auch möchte ich Sie jetzt schon wissen lassen, daß ich nachstehende
Überlegungen später, nachdem ich sie in Ihrem Besitz weiß, zu
veröffentlichen beabsichtige.
Ich wende mich an Sie in Ihrer Eigenschaft als Bischof, d.h. als eine
Person, die mit der Bischofswürde ausgestattet ist. Gerade dieser
bischöfliche Charakter und die Weise, wie er Ihnen verliehen wurde,
sind es ja, was diese lebhafte Polemik in den Kreisen des katholischen
Widerstandes hervorrief.
Es erscheint mir fundamental wichtig, über diese Frage einige weitere Überlegungen anzustellen.
Was man als katholischen Widerstand bezeichnet hat, könnte man
schlechthin als Widerstand gegen den Modernismus bezeichnen (einer von
Pius X. förmlich verurteilten Irrlehre), einer Häresie, die nach dem
Tode Pius XII. sich der gesamten sichtbaren Strukturen (des ganzen
Apparates) der römischen Kirche bemächtigte, und dies besonders seit
dem II. Vat. Konzil.
Mit unserer bescheidenen Zeitschrift FIDELIDAD A LA SANTA IGELSIA (auf
deutsch: TREUE ZUR HEILIGEN KIRCHE) haben wir uns bemüht, innerhalb der
Widerstandsbewegung eine klare Linie einzuhalten. Unser Standpunkt ist
umfassend in dem Manifest PROTESTATION DE LA FE CATOLICA (Bekenntnis
zum katholischen Glauben) dargestellt, einer Veröffentlichung, für die
ich mit (dem inzwischen verstorbenen) Hochw. H. Pater Hervé Le Lay
zeichnete, und die - erschienen im Dezember 198o - in den Kreisen des
katholischen Widerstandes eine weite Verbreitung erfuhr.
Ich gebe sie nachfolgend voll inhaltlich wieder:
MANIFEST VOM DEZEMBER 1980
"Angesichts der in der Presse verbreiteten Nachrichten über die
Möglichkeit eines Abkommens zwischen Mgr. Lefebvre und den
gegenwärtigen Machthabern des Vatikans sehen sich die Unterzeichner
veranlaßt, öffentlich die Beweggründe zur Kenntnis zu geben, weswegen
wir uns niemals an einem derartigen Abkommen beteiligen können:
1. Das II. Vat. Konzil hat in seinen Konstitutionen 'Lumen Gentium' und
'Gaudium et Spes' eine irrige Lehre über die Natur der Kirche
erarbeitet. Aus dieser Lehre leiten sich die schwerwiegendsten Irrtümer
anderer Dokumente her, z.B. diejenigen, welche sich auf den
'Ökumenismus' und die 'Religionsfreiheit' beziehen. Der Anspruch, eine
traditionelle Interpretation des II. Vat. Konzils zu erruieren, ist
eine logische Illusion. Das II. Vat. Konzil kann sich nicht als mit der
Tradition übereinstimmend interpretieren lassen, denn es ist in seinen
Texten und seiner Gesamtkonzeption wie auch in Geist und Buchstabe ein
antitraditionalistisches Konzil.
2. Alle Reformen der sakramentalen Riten nach dem II. Vat. Konzil,
speziell des sog. 'Novus Ordo Missae' Pauls VI., haben einen
de-sakralisierenden und die Lehre entstellenden Sinn, der mit der
Apostolischen Tradition unvereinbar ist.
3. Die von Paul VI. und Johannes Paul II. gelehrten religiösen
Grundprinzipien stimmen mit dem Konzil (Vatikanum II) überein und
führen einen Gottesbegriff und eine Lehre vom Menschen und der
Geschichte ein, die nicht mehr die Lehre des katholischen Glaubens
sind, definiert auf den Konzilien von Nicäa und Konstantinopel. Es
handelt sich im Gegensatz dazu um eine innergeschichtliche und
innerweltliche Doktrin, die sich allmählich zu einem Kult und einer
Anbetung des Menschen hinentwickelt.
4. Nach dem Vorhergesagten will es uns scheinen, daß sich eine neue
Kirche und eine neue Religion herausentwickelt, mit denen wir nichts zu
tun haben.
5. Unter dem Gesichtspunkt des katholischen Glaubens befinden sich die
gegenwärtigen kirchlichen 'Autoritäten', einschließlich des Bischofs
von Rom, in Gemeinschaft mit dem (II. vat.) Konzil und der neuen
Religion und so im Zustand der Illegalität, denn nach der Tradition ist
die kirchliche Würde radikal unvereinbar mit der Häresie. Sie besitzen
zwar physisch die Bischofssitze, eingeschlossen den Hl. Stuhl, aber
ihre Autorität kann von uns niemals als legitim anerkannt werden, da
sie sich zu häretischen Lehrsätzen bekennen.
Folgerung:
Aus all diesen Gründen würden wir niemals Anteil nehmen an einem
Abkommen, wie es die Presse berichtet. Für uns sind schwere
Glaubensfragen im Spiel, die die katholische Kirche zu lösen hat:
a) Der universelle Widerruf (Abschwörung) des II. Vat. Konzils seitens aller, die sich mit ihm in Übereinstimmung befinden,
b) Abschaffung aller nachkonziliaren Reformen der Riten,
c) Verurteilung aller von Johannes XXIII., Paul VI., Johannes Paul I.
und Johannes Paul II. gelehrten irrigen Glaubenssätzen und ihre
Aufnahme in die Liste der Gegenpäpste.
Alta Gracia, den 8. Dezember 1980
(gez.:) Pater Hervé Le Lay, Redakteur der Zeitschrift LA TRADICI”N
Buenos Aires, den 8. Dezember 1980
(gez.:) Alvaro D. Ramirez Arandigoyen, Redakteur
der Zeitschrift FIDELIDAD A LA SANTA IGLESIA."
Für die Weltöffentlichkeit war gemeinhin der katholische Widerstand
vertreten durch Mgr. Lefebvre und seine machtvolle und in vielen
Ländern verbreitete Gründung von traditionalistischen Seminarien.
Mgr. Lefebvre wurde "a divinis" suspendiert durch Paul VI. in der
ersten Zeit seiner offensichtlich antimodernistischen Aktivität. Das
trug ihm ein, daß die Hoffnung von Tausenden von Katholiken der ganzen
Welt sich auf ihn richtete und man sich um ihn scharte. Wir machten
jedoch schon seit Anfang 1979 öffentlich darauf aufmerksam, daß es vom
Glauben her unmöglich sei, gewisse seiner Initiativen wie die einer
Interpretation des II. vat. Konzils im Sinne der Tradition anzunehmen.
Im Laufe der Zeit, speziell nach Veröffentlichung unseres vorerwähnten
Manifestes, machten wir uns daran, die Linie unseres radikal
antimodernistischen Denkens zunehmend schärfer zu präzisieren, was eine
Reihe von doktrinären Debatten hervorrief.
Mgr. Lefebvre dagegen fuhr fort, seine Annäherung an den
modernistischen Vatikan auszubauen, speziell nach dem Tode von Paul VI.
Während er bedingungslos die irregulären Konklave der in Rom
versammelten Häretiker akzeptierte, fochten wir sie juridisch auf
Beweismittel an (Impugnation "jure sacro").
Die Lehraussagen Mgr. Lefebvres - neben dem bekannten Rundschreiben
Nr.16 an Freunde und Wohltäter seines Werkes - wurden derart
doppeldeutig und widersprüchlich, daß wir uns veranlaßt sahen, nochmals
unsere Position mittels eines Dokumentes unter dem Titel "Die
hegelianische Dialektik von Mgr. Lefebvre" speziell darzustellen. Der
Titel allein sagt alles. (Wurde in EINSICHT veröffentlicht, Anm.d.Red.)
Heute glaubt gewiß kein wirklich der Tradition verpflichteter Katholik
mehr, daß Mgr. Lefebvre und seine Anhänger als Glieder eines
ernsthaften Widerstandes gegen die modernistische Usurpation angesehen
werden können. Sie scheinen in Wirklichkeit eine Art rechter Flügel der
neuen Konzilskirche zu bilden, dessen Funktion darin besteht, die
Elemente, die von der Rechten für die Stabilität und Konsolidierung in
der Zeit der modernistischen Häresie gefährlich werden können,
aufzufangen und zu neutralisieren.Lassen wir nun den Fall Lefebvre
beiseite.
Es gab (und gibt) einen anderen Bischof - Mgr. Antonio de Castro Mayer
-, der in dem gleichen Zeitraum bei vielen uneingeweihten
Traditionalisten Hoffnungen erweckte, denn seine Diözese (Campos /
Brasilien) war die einzige in der Welt, wo offiziell die heilige Messe
nach dem tridentinischen Ritus weiterhin zelebriert wurde. Aber
abgesehen davon, daß Mgr. Castro de Mayer niemals eine klare Aussage
über die modernistische Besetzung des Hl. Stuhles von sich gab, hat er
gemäß den Instruktionen von Paul VI. über die Altersgrenze der Bischöfe
(über 75 Jahre) auf die Lenkung seiner Diözese verzichtet, d.h. sie
freiwillig aufgegeben. Dieses unerklärliche Verhalten hat seinen Klerus
und die Gläubigen dem neuen vom Vatikan bestimmten modernistischen
Bischof ausgeliefert, der dann auch sogleich die konziliare Ordnung
einführte.
Im vergangenen Jahr erhielten wir Verlautbarungen einer Gruppe von
Priestern dieser Diözese, in denen die tridentinische Messe verteidigt
undgegendie vatikanischen Behörden polemisiert wird. Aber diese
Haltung, die wir im Prinzip mutig und aufrichtig nennen müssen, hat in
keiner Weise Zukunft, solange sie darauf besteht, mit der häretischen
Konzilskirche und ihren Gegenpäpsten verbunden zu bleiben.
Unserer Meinung nach bestand der große Fehler der
'traditionalistischen' Bischöfe wie Mgr. Lefebvre und Mgr. Castro Mayer
darin, nicht die Möglichkeiten wahrgenommen zu haben, ihre
sakramentalen Befugnisse auszuüben-angesichts der Usurpierung der
universalen Apostasie der Kirche - und neue katholische Bischöfe zu
weihen. Indem sie innerhalb der neuen häretischen und apostatischen
Kirche verblieben, haben sie nicht nur keinen Widerstand gegen die
Usurpation geleistet, sondern faktisch zu ihrer erfolgreichen
Konsolidierung beigetragen, und dies in zunehmendem Maße.
Nach gesunder Lehre versteht es sich - und jedermann weiß es -, daß die
Kirche auf Erden im Episkopat fortbesteht (beinahe nicht im
Priestertum), d.h. im Modus der apostolischen Nachfolge. Wer das
abstreitet, leugnet letztlich den wesentlich hierarschischen Charakter
der Kirche.
Wenn wir uns an die Position halten, die wir in unserem Manifest
"Bekenntnis zum katholischen Glauben" vatreten, dann heißt dies, daß
das II. Vat. Konzil mit seiner universellen Apostasie und der
Gemeinschaft des gesamten Episkopats im Abfall uns zu der Annahme
zwingt, daß es zu einem baldigen Verfall der Kirche auf Erden kommt, da
eben der wahre Glaube nicht mehr vermittelt wird und darum auch nicht
die wahren Sakramente, darunter die Bischofsweihe, die wesentlich die
Kontinuität der Kirche garantiert. Auf die Bischöfe und ihre
Konsekrationen muß unvermeidlich die gleiche Doktrin angewendet werden,
wie sie Leo XIII. bei der Urteilssprechung der Ungültigkeit der
anglikanischen Bischofsweihen benutzte. Wenn die neuen Riten einen
neuen Glauben bekunden, handelt es sich nicht mehr um das gleiche
Sakrament.
In dieser Lage hat Mgr. Ng-dinh-Thuc, ehemals Erzbischof von Hue, die
Vakanz des Hl. Stuhles erklärt - wegen Irrlehren - und Bischöfe
geweiht: den Rev. P. M.L. Guerard des Lauriers, den Rev. P. Adolfo
Zamora und Sie selbst, P. Carmona.
Dieses Ereignis löste in den Kreisen des katholischen Widerstandes
einen heftigen Disput aus, und man darf sagen auch in den Kreisen, die
im wesentlichen mit der von uns vertretenen und im erwähnten Manifest
fixierten Position übereinstimmen.
Zunächst war es die Vorgeschichte der Persönlichkeit von Mgr. Thuc,
d.h. seine Intervention bei der Geburt der Sekte von Palmar de Troya in
der Person des Clemente DomÌnguez, die den Verdacht erweckte, daß diese
neue 'Affaire' in ähnlichen Extravaganzen und Torheiten enden würde.
Aber ich für meine Person möchte bei diesem Thema vorerst beiseite
stehen, und zwar einmal angesichts der Tatsache des tadellosen
Vorlebens der geweihten Persönlichkeiten, wie in Ihrem Fall, und zum
zweiten auch im Hinblick darauf, daß Mgr. Thuc in einer öffentlichen
Erklärung seine Verantwortlichkeiten in der Entwicklung dieser Sekte
genau und glaubhaft abgegrenzt hat. (...)
Anm.d.Red.: Hier beginnt nun
der Teil der Abhandlung von Herrn Ramirez, den wir in der vorherigen
Nummer der EINSICHT wegen der größeren Aktualität abgedruckt haben.
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