Ein terminologisches Dilemma
von
Eberhard Heller
Die vorstehenden Ausführungen von Herrn Dlugai über die Terminologie
derjenigen Theologen, die mit ihren neuen Ansätzen und modernistischen
Konzeptionen die Dekrete von Vatikanum II entscheidend beeinflußt bzw.
mitgeprägt haben, zu denen neben Rahner, Danielou u.a. auch der
damalige Peritus von Kard. Frings, Joseph Ratzinger gehörte, weisen ein
Dilemma auf, welches nicht nur die theologische Debatte, sondern auch
die gesamte derzeitige Situation in tragisch verschuldeter Weise
überschattet.
Im folgenden möchte ich versuchen, dieses Dilemma in einem kurzen Abriß
darzustellen, wobei ich wegen der Komplexität der Thematik zu gewissen
Vereinfachungen greifen muß. Deshalb kann ich auch das Problem leider
nicht in jeder Beziehung erschöpfend behandeln, wofür ich um
Verständnis bitte.
Herr Dlugai weist in dem vorstehenden Beitrag deutlich darauf hin, daß
die modernen Theologen nicht nur vom bisherigen Glauben abweichende
Positionen (Häresien) vertreten, sondern auch – abweichend von der
bisherigen Theologie, die sich ihr begriffliches Instrumentarium
mittels der scholastischen Philosophie aufgebaut hatte – sich einer
neuen Terminologie bedienen, die sich eher an das hegelsche System
anlehnt bzw. die sie daraus entlehnt. Deswegen ist es aus theologischer
Sicht sachlich sehr viel schwieriger geworden, die Aussagen dieser
Theologen richtig einzuschätzen, will man nicht einfach in der
Abweichung von der bisherigen Terminologie zugleich einen Verstoß gegen
orthodoxe Positionen sehen. Das nämlich würde eine unzulässige
Gleichsetzung von Begriff und Terminus bedeuten.
Auf unsere Situation angewandt, bedeutet dieses Problem mit der
modernen bzw. modernistischen Terminologie, daß in den Augen
konservativer Theologen bzw. theologisch gebildeten Laien alle
Ausführungen, die nicht im Gewande thomistisch geprägter Terminologie
einherkommen, als suspekt angesehen werden. N.b. das gilt vice versa
auch für die modernen Theologen, die die scholastische Sichtweise als
überholt ansehen: in scholastischer Terminologie abgefaßte Texte
erscheinen diesem Personenkreis als unangemessen, weil sie an ein
Denken geknüpft sind, das einer sich selbst nicht mehr reflektierenden
Seinsmetaphysik verfallen ist, welche deswegen ihre wissenschaftliche
Dignität nicht nachweisen kann.
Diese Situation weist bei nüchterner Betrachtung auf ein doppeltes Versäumnis beider Richtungen hin.
Die klassische Theologie, so wie sie sich im großen und ganzen bis zum
II. Vatikanum präsentiert, bediente sich der Scholastik, die dominiert
wurde durch die philosophischen Traktate des hl. Thomas von Aquin, als
Begriffsgeber nach dem Motto „philosophia ancilla theologiae“ (die
Philosophie ist die Magd der Theologie). Dieses naive Programm, in dem
sich auch eine Portion von theologischer Hybris spiegelt, ging davon
aus, daß sich die Theologie einfach begrifflicher Momente anderer
Wissenschaften bedienen könne. Das ist leider ein Irrtum. Allein die
Beantwortung der Frage, wo denn der logische Ort sei, wo über das
Verhältnis von Theologie und Philosophie gesprochen werden könne, hätte
die Theologie ihre Grenzen einsehen lassen müssen. Denn sie stellt dar
und interpretiert die konkrete Offenbarung Gottes. Über das Verhältnis
ihrer selbst zu anderen Wissenschaften redet sie nicht. Als Theologie
kann sie deshalb auch den Grundsatz „philosophia ancilla theologiae“
selbst nicht rechtfertigen. Dem gegenüber entfaltet die Philosophie,
die das Gesamte der Wirklichkeit in und aus Prinzipien erkennen will,
auch die Möglichkeit der Offenbarung Gottes, d.h. sie ist in ihrer
Systementfaltung genuin daran interessiert, fundamental-theologische
Sachverhalte zu fixieren. D.h. sie ist als Wissenschaft methodologisch
und sachlich der Theologie vorgeordnet. Das bedeutet, daß die
Philosophie nie bloß „Magd“, sondern zumindest „Partner“ der Theologie
sein kann und muß. Die Theologie – will sie die konkrete Offenbarung
darstellen – ist angewiesen auf die Darstellung der Wahrheit im
Prinzipiellen, auf eine wissensmäßig fundierte Philosophie. „Nur eine
selbständige Ph.(ilosophie), die rein in ihrem Felde u. mit ihren
Methoden arbeitet, (...) vermag für den Offenbarungsglauben u.
die Offenbarungswissenschaft den Dienst der praeambula fidei u. der
begrifflichen Vorarbeit für die vernünftige Durchleuchtung der
Glaubensgeheimnisse zu leisten“(vgl. M. Buchberger „Lexikon für
Theologie und Kirche“ 8.Bd. Col. 246, Freiburg im Breisgau 1936).
Darum wäre unter diesem Aspekt auch der Mißbrauch der Philosophie als
„Magd“ im Resultat eher als naiv anzusehen, wenn tatsächlich die
philosophische Basis – in modernem Neu-Deutsch: der Background –
wissenschaftlich abgesichert wäre. Das jedoch kann die Scholastik nicht
leisten. Ihrem eigenen Selbstverständnis nach ist sie „philosophia
perennis“, wie Leibnitz sie nennt, d.h. fortdauernd, offen für weitere
Entwicklungen bzw. „in fortdauernder Fruchtbarkeit lebendig (...) als
organische Weltanschauung“ (vgl. a.a.O., Col. 245). Sie geht nicht von
systematischer Geschlossenheit aus. Die Frage nach der
Wissensbegründung, in dem Sinne, wie sie Descartes gestellt hat – und
vor ihm der hl. Anselm von Canterbury -, wurde in dieser Radikalität
von ihr nicht aufgestellt und nicht beantwortet. Im 14. und 15.
Jahrhundert tritt für die Entwicklung der scholastischen Philosophie
schon ein gewisser Stillstand ein. Sie „macht keinen Fortschritt mehr.
Es taucht wiederum der Nominalismus, vertreten von Wilhelm von Occam,
auf. ... (der dazu beitrug), die Scholastik in unfruchtbare
Streitigkeiten“ zu verwickeln (vgl. Wetzer und Welte’s „Kirchenlexikon
oder Encyklopädie der katholischen Theologie und Hilfswissenschaften“
9. Bd., Col. 2068, Freiburg im Breisgau 1895). Ihre Erkenntnislehre
lehnt sich an Aristoteles „De anima“ an, ein Ansatz, der sich in der
empirischen Psychologie auswirken kann. Selbst in der philosophischen
Gotteserkenntnis kann sich die Scholastik nur auf die thomistischen
Gottesbeweise berufen, die „qiunque viae“, nachdem Thomas v. Aquin die
Ansätze zur Gotteserkenntnis in Anselms „Proslogion“ und „Monologion“
ausdrücklich verworfen hatte. Bei diesen sog. Gottesbeweisen handelt es
sich, wie ich bereits gezeigt habe (vgl. EINSICHT 28/2, S. 39 f.) um
Zirkelschlüsse, die nichts beweisen. D.h. im Grunde verfügt die
Scholastik – so wie sie sich normalerweise präsentiert - nicht einmal
über einen philosophisch gesicherten Gottesbegriff.
Leider haben es die Philosophen katholischer Provenienz, d.h.
Philosophen, die ihrem Bekenntnis nach röm. kath. Christen sind – eine
sog. ‚katholische Philosophie’ gibt es nicht! ein solches Theorem würde
sich bei den Ideologien einreihen! – weitgehend versäumt, sich an der
Durchführung und Darstellung einer Wissenslehre bzw. wie Fichte sie
nennt: Wissenschaftslehre – zu beteiligen, also eine Debatte zu
bereichern, die mit Descartes begonnen hatte und später von Kant,
Reinhold und Fichte fortgeführt wurde. Da Sein immer nur auftaucht im
Denken, im Bewußtsein selbst, galt es die Frage zu beantworten, wie
sich Wissen als Wissen begründet. Das descartesche „cogito ergo sum“
gilt nach dessen Voraussetzung nur, weil „Deus est“. Hier von
Subjektivismus zu reden, wie es bis heute sog. konservative Theologen
in polemischer Absicht gerne tun, zeugt nur von uneinsichtigen
Vorurteilen. Statt dessen sind sie bei einer wissenschaftlich nicht
begründeten Seins-Metaphysik (bis heute) stehen geblieben, zumindest
deren sog. ‚konservativer’ Flügel. Vielen katholischen Wissenschaftlern
war bewußt, daß sie der allgemeinen Entwicklung hinterherhinken würden.
Nicht umsonst gab es den bekannten Minderwertigkeitskomplex in
katholischen Theologenkreisen!
Hier wirkt sich die einseitige Festlegung durch Leo XIII. - in „Aeterni
Patris“ vom 4.8.1879 - auf den hl. Thomas als philosophischen Lehrer in
gewisser Weise tragisch aus. Der Papst wollte eine klare Richtlinie in
der damaligen Vielfalt philosophischer Theoreme geben: „Im selben
Augenblick, in dem er (der hl. Thomas), wie es sich gehört, den Glauben
vollkommen von der Vernunft unterscheidet, vereint er die beiden durch
Bande wechselseitiger Freundschaft: er sichert jeder von ihnen ihre
Rechte zu und schützt ihre Würde.“ Leo XIII. gab aber auch an, daß,
wenn dieser thomistische Entwurf Fehler enthalten sollte, neu geforscht
werden müsse. Doch die kirchenrechtliche Festlegung im CIC 1366 § 2 auf
den philosophischen Thomismus blockierte und blockiert gerade
konservative Theologen, sich mit der modernen Philosophie
auseinanderzusetzen. Sie kennen sie schlicht nicht. Deshalb sind sie
den modernen Theologen theoretisch auch nicht gewachsen. Vielmehr
suggeriert die scheinbar wissenschaftliche Sicherheit, die die
Festschreibung des Thomismus in diesem Paragraphen zu verleihen
vermeint, eine (theoretische) Überlegenheit, die bei vielen in Arroganz
und Hybris gegenüber der modernen Philosophie umschlägt. Ihre
„Orthodoxie“ verbietet ihnen gleichsam, sich mit ihr zu beschäftigen,
auch wenn Pius XII. gerade eine solche Auseinandersetzung empfohlen hat.
Theologen wie Rahner haben dieses Manko systematischer Geschlossenheit
und wissenschaftlicher Dignität gemerkt und waren um Abhilfe bemüht.
Man kann es aus nach-konziliarer Sicht kaum nachvollziehen, daß Rahners
Frühschriften der klassisch-thomistischen Theologie zuzurechnen sind.
Der Versuch der Neuerer, ihre theologischen Ansätze konzeptionell - im
Sinne einer systematischen Einordnung – neu zu fassen, ist jedoch daran
gescheitert, daß sie sich an ein philosophisches System anlehnten (das
von Hegel), welches sich als idealistische Fehlkonzeption erwies (m.E.
verwechselte Hegel u.a. die Ebenen von absoluter Erscheinung und dem
Absoluten selbst). Dabei ist besonders problematisch, daß gerade die
enge Anlehnung an dieses System mit seinen spezifisch methodologischen
Prämissen die Darstellung christlicher Inhalte ideologisch verzerrt –
theologisch gesprochen: verfälscht - hat. So behauptet beispielsweise
Ratzinger über die Trinität, «daß die 'drei Personen', die in Gott
bestehen, die Wirklichkeit von Wort und Liebe in ihrer inneren
Zugewandtheit aufein-ander hin sind. Sie sind nicht Substanzen,
Persönlichkeiten im modernen Sinn, sondern das Bezogensein, dessen
reine Aktualität ('Wellenpaket'!) die Einheit des höchsten Wesens nicht
aufhebt, sondern ausmacht» («Einführung in das Christentum» München
1971, S. 126). Dagegen sagt das Dogma: «Jede der drei Personen ist
jenes Wesen, d.h. jene Substanz, Wesenheit oder göttliche Natur» (DS
804).
Dennoch hatte dieser Versuch, sich aus den engen Fesseln der Scholastik
zu befreien, die Faszination des Aufbruches an sich, einer verengten –
philosophischen! – Sichtweise durch das Ein-beziehen für modern
geltendes Denken zu entfliehen.
Absicht der ‚alten’ Theologie war es, den Offenbarungsgehalt
begrifflich durch Verwendung scholastisch-thomistischer Termini
möglichst genau darzustellen, also durch Rückgriff auf eine
philosophische Konzeption, der es jedoch an systematischer
Geschlossenheit mangelte. Diesen Mangel wollten die Modernisten durch
die Einbeziehung hegelschen Idealismus’ beheben. Dabei preßten sie
jedoch die Offenbarungswahrheiten in ein System, das den objektiven
Inhalt subjektiv, d.i. idealistisch verzerrte, wodurch dessen originale
Gestalt verformt bzw. verfälscht wurde. Schuldig machten sich die
Modernisten nicht dadurch, daß sie auf Mängel hinwiesen, sondern
dadurch, daß sie zwar sagten, systematisch ansetzen zu wollen, dabei
aber das frühere Manko noch dadurch verstärkten, weil sie auf ein
System setzten, das dem wissenschaftlichen Anspruch, den sie stellten,
nicht genügte.
Dennoch bleibt die Forderung einer systematischen Darstellung der
philosophischen Basis – hier die Forderung nach einer Grundlegung der
Religionsphilosophie bzw. der Fundamentaltheologie - für die
Behandlung theologischer Probleme bestehen. Doch man kann das ‚alte’
Haus erst verlassen, wenn das ‚neue’ auf festem Boden verankert ist!
Damit nicht der Eindruck entsteht, die Aufgabe thomistischer
Terminologie sei gleichzusetzen mit dem Verlust des Depositum, verweise
ich auf unsere eigenen apologetischen Versuche, die wir seit
Jahrzehnten in der EINSICHT vorstellen, ohne auf die Scholastik
zurückzugreifen. Auch wenn uns das unsere sog. ‚Freunde’ häufig
vorgeworfen haben und gegenüber unbedarften Gläubigen alle Register der
Demagogie gegen uns gezogen haben, so sollten doch gerade diese
Kritiker nicht vergessen bzw. die Angelegenheit einmal vom Resultat her
sehen, daß nämlich wir es waren, die die betreffenden Häretiker mit
deren eigenen Waffen geschlagen haben, und daß alle entscheidenden
Positionen zur Kritik am sog. N.O.M., an der Konzils-Kirche, die ihren
Absolutheitsanspruch aufgegeben hat, und zu deren Wiederaufbau als
Heilsinstitution - inzwischen Allgemeingut jedes Sedisvakantisten - in
einer Sprache festgehalten wurde, die nicht auf der thomistischen
Terminologie fußt. |