DIE PASTORAL-REGELN DES HL. PAPSTES GREGOR D. GR.
(übers. von Benedikt Sauter O.S.B., Freiburg / Brg 1904)
Fortsetzung:
3. DAS HIRTENAMT IST EINE BÜRDE; DAS WIDRIGE DABEI DARF UNS NICHT EINSCHÜCHTERN, DAS ANGENEHME ABER MUSS MAN FÜRCHTEN.
Wir wollen das bisher Gesagte kurz angeführt haben, um zu zeigen, wie
groß die Last des Hirtenamtes sei, damit kein Unfähiger es wage,
verwegen nach der heiligen Regierungsgewalt zu verlangen, und durch die
Begierde nach hohem Range ein Führer zum Abgrunde werde. Der Apostel
Jakobus warnt eindringlich mit den Worten: "Meine Brüder, wollet doch
nicht euer so viele zu Lehrern werden, da ihr wisset, daß ihr - dadurch
- ein desto größeres Gericht auf euch ladet" (Jak. 3,1). Deshalb wollte
der Mittler zwischen Gott und den Menschen, der die Wissenschaft und
die Begriffe aller himmlischen Geister übersteigt und von Ewigkeit her
im Himmel herrscht, auf Erden sich nicht zum Könige machen lassen. Denn
es steht geschrieben: "Da Jesus erkannt hatte, daß sie kommen und ihn
mit Gewalt nehmen würden, um ihn zum Könige zu macnen, floh er abermals
auf den Berg, er allein" (Joh. 6,15). Wer hätte so ohne Fehl über die
Menschen regieren können, wie er, der ja doch nur über seine eigenen
Geschöpfe geherrscht hätte? Weil er jedoch im Fleische gekommen war,
nicht nur, um uns durch sein Leiden zu erlösen, sondern auch, um uns
durch seinen Wandel zu belehren, so wollte er seinen Nachfolgern ein
Beispiel geben, indem er sich nicht zum Könige machen ließ, wohl aber
freiwillig dem Kreuzestode sich überlieferte. Er floh vor der ihm
angebotenen Herrscherwürde und verlangte nach der Strafe eines
schmachvollen Todes, um auf diese Weise die Glieder seines Leibes,
seine Schüler und Nachfolger, zu belehren, daß sie die Huldigungen der
Welt fliehen, ihre Schrecknisse aber nicht fürchten sollen, das Leiden
für die Wahrheit lieben und dem Wohlergehen in Furcht ausweichen
sollen. Denn das Wohlergehen befleckt gar oft durch Hochmut das Herz,
das Leiden aber reinigt es durch Schmerz. Bei den Leiden erhebt sich
das Herz, im Wohlergehen aber sinkt es danieder, auch wenn es sich
schon erhoben hatte.
Im Wohlergehen vergißt sich der Mensch, im Leiden dagegen wird er auch
wider Willen und trotz seines Widerstrebens sich selbst ins Gedächtnis
gerufen. Im Wohlergehen geht häufig sogar früher erworbenes Verdienst
verloren, durch das Leiden dagegen werden auch längst vergangene Fehler
noch getilgt und abgewaschen. In der Schule des Leidens zumeist wird
unser Herz in Zucht genommen; wenn es aber zur Oberleitung gelangt, so
wendet es sich schnell zur Selbstüberschätzung infolge der
Ehrenbezeugungen, die es empfängt. So ist Saul zuerst geflohen, weil er
sich für unwürdig hielt; bald aber, nachdem er die Regierung übernommen
hatte, wurde er stolz, verlangte von dem Volke geehrt zu werden, ließ
sich keine öffentliche Zurechtweisung gefallen und entfernte sogar
denjenigen von sich, der ihn zum Könige gesalbt hatte (1 Kn. 10,22;
15,3o). So geriet David, der den Augen des Herrn fast in allen seinen
Handlungen wohlgefiel, sobald er den Druck der Leiden nicht fühlte, in
krankhaften Hochmut und zeigte durch Ermordung eines Mannes grausame
Härte, nachdem er in der Begierde nach einem Weib entnervte Schwäche
bewiesen hatte. Vorher wußte er selbst die Übeltäter mildreich zu
schonen, nachher aber lernte er ohne Anstoß auch auf den Tod der Guten
zu sinnen (2 Kn. 11,3/15). Vorher wollte er seinen Verfolger nicht
töten, obwohl er ihn in Händen hatte; später aber ließ er einen braven,
ihm ergebenen Soldaten töten, sogar um den Preis der Schädigung seines
treuen Heeres. Gewiß hätte ihn seine Schuld weit von der Zahl der
Auserwählten hinweggeschleudert, hätte ihm nicht die Bußgeißel
Vergebung erworben.
4. WIE DIE ARBEIT DER HIRTENSORGE SEHR OFT EINE GEDIEGENE FESTIGKEIT UND SAMMLUNG DES GEISTES UNMÖGLICH MACHT.
Oftmals jagt die Übernahme der Hirtensorge das Herz dahin und dorthin,
und indem man dabei verwirrten Geistes in das Vielerlei sich spaltet,
geschieht es, daß man der Besorgung des Einzelnen nicht gewachsen ist.
Darum warnt der Weise vorsichtig: "Mein Sohn, nicht in vielerlei Dingen
sei deine Tätigkeit" (Sir. 11, lo). Denn wenn der Geist nach
verschiedenen Seiten geteilt ist, so wird er nicht imstande sein, für
jede einzelne Arbeit ganz und genügend sich zu sammeln. Und wenn er
sich durch eine ungestüme Sorge nach außen ziehen läßt, verliert er die
ernste Furcht und Zartheit des Gewissens; er bekümmert sich viel um die
Anordnung äußerer Dinge und hat allerlei zu denken, seiner selbst aber
ist er uneingedenk, sich selbst kennt er nicht. Indem er mehr als nötig
ist, in äußere Dinge sich einläßt, vergißt er das Ziel, nach dem er
kommen will, wie einer, der am Wege sich aufhält und zu schaffen macht.
Also dem Streben nach Selbstkenntnis entfremdet, sieht er nicht einmal
den Schaden, den er selbst erleidet, weiß nicht, wie viele Fehler er
begeht. Denn auch Ezechias glaubte keine Sünde zu begehen, da er den
Fremdlingen, die zu ihm kamen, die Gewürzkammern zeigte; und doch trug
ihm das den Zorn des Richters zum Verderben seiner Nachkommenschaft
ein, obwohl er für erlaubt hielt, was er tat (4 Kn. 20,13; Is. 39,4).
Oft, wenn recht viel zu tun ist, und man Dinge leisten kann, deren
Ausführung die Untergebenen bewundern mögen, erhebt sich die Seele in
ihren Gedanken und ruft den vollen Zorn des Richters auf sich herab,
wenn schon der innere Stolz nicht in äußeren Sünden hervorbricht. Im
Innern ist ja der Richter, im Innern auch, was gerichtet wird. Wenn wir
also im Herzen fehlen, so ist es freilich den Menschen verborgen, weil
es nur in uns vorgeht, aber doch sündigen wir, wie der Richter selbst
bezeugt. Auch der König von Babylon hat nicht erst dann durch Stolz
gesündigt, als er zu hochfahrenden Worten sich hinreißen ließ, sondern
schon früher, da er den Stolz noch verschwieg, mußte er aus
Prophetenmund den Spruch der Verwerfung hören (Dn. 4,16 ff). Die Schuld
für stolze Aufführung hatte er nämlich bereits getilgt, da er den
allmächtigen Gott, den beleidigt zu haben er erkannte, allen ihm
unterwürfigen Völkern verkündigte. Später aber ward er hochmütig im
Glücke seiner Herrschaft, er freute sich seiner Großtaten und erhob
sich in seinen Gedanken über alle Menschen, und jetzt erst sprach er in
der Aufgeblasenheit seines Stolzes: "Ist das nicht das große Babylon,
das ich als Königsburg erbaut durch meine starke Macht, zum Ruhme
meiner Herrlichkeit?" (Dn. 4,27) Dies Wort führte das offenkundige
Gericht des göttlichen Zornes herbei, den er bereits durch seine
geheime Selbsterhebung entzündet hatte. Denn der strenge Richter sah
erst im geheimen, was er nachher durch öffentliche Züchtigung rügte.
Deshalb verwandelte er ihn in ein vernunftloses Tier, schloß ihnvon der
menschlichen Gesellschaft aus und versetzte ihn irrsinnig unter die
wilden Tiere des Feldes. So verlor nach strengem und gerechtem Urteil
derjenige das menschliche Dasein, der sich über alle Menschen hoch
erhaben gedünkt hatte.
Indem wir dieses hier anführen, tadeln wir nicht die Macht, sondern
wollen des Herzens Schwäche vor dem Verlangen nach der Macht bewahren,
damit nicht der nächste beste in seiner Unvollkommenheit das Hirtenamt
an sich zu reißen wage und nicht auf steile Höhe den Fuß setze, wer
schon in der Ebene stehend wankt.
5. VON DENJENIGEN, WELCHE IM HIRTENAMT
DURCH IHR TUGENDBEISPIEL NUTZEN BRINGEN KÖNNTEN, ABER AUS RÜCKSICHT AUF
IHRE EIGENE RUHE DASSELBE FLIEHEN.
Es gibt solche, die ausgezeichnete Tugendgaben empfangen und durch gute
Anlagen zur Führung anderer hervorragen. Sie sind rein durch Liebe zur
Keuschheit, stark durch strenge Abtötung, genährt durch das Mahl der
göttlichen Lehre, demütig in geduldiger Langmut, durch die Kraft ihres
Ansehens überlegen, voll Mitleid und Güte, aber auch voll strenger
Gerechtigkeit. Wenn solche sich weigern, dem Rufe zum Hirtenamt Folge
zu leisten, so berauben sie sich gewöhnlich eben jener Gaben, die sie
nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere empfangen haben. Und
da sie nur an ihren eigenen und nicht auch an den Vorteil anderer
denken, so verlieren sie die Güter, die sie nur für sich allein haben
wollen. Daher spricht die ewige Wahrheit zu den Jüngern: "Eine Stadt,
die auf dem Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben; auch zündet
niemand ein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern auf den
Leuchter, damit es allen leuchte, die im Hause sind" (Mt. 5,14 f).
Daher sprach der Herr zu Petrus: "Simon, Sohn des Jonas, liebst du
mich?" und auf seine sofortige Bejahung vernahm er: "Wenn du mich
liebst, so weide meine Schafe" (Joh. 21,16). Wenn also die Sorge des
Weidens ein Zeugnis für die Liebe ist, so beweist ein jeder, der mit
Tugend und Kraft ausgerüstet ist, sich aber weigert, die Herde Gottes
zu weiden, daß er den höchsten Hirten nicht liebt. Daher sagt Paulus:
"Wenn Christus für alle gestorben ist, so sind also alle gestorben, und
wenn er für alle gestorben ist, so erübrigt, daß die, welche leben,
nicht für sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben und
auferstanden ist" (2 Kor. 5,15). Darum befiehlt Moses, "daß der
überlebende Bruder die Frau seines ohne Söhne verstorbenen Bruders
heirate und auf den Namen seines Bruders Söhne zeuge. Wenn er aber sich
weigern sollte, sie zu heiraten, dann soll das Weib ihm ins Angesicht
spucken, ein Verwandter soll ihm den Schuh von einem Fuße ziehen und
seine Wohnung soll das Haus des Unbeschuhten genannt werden" (5 Mos.
25, 5). Der verstorbene Bruder ist derjenige, der bei seiner
Erscheinung nach der glorreichen Auferstehung sprach: "Gehet hin und
sagt!s- meinen Brüdern" (Mt. 28, lo). Ohne Söhne ist er gleichsam
gestorben, weil er die Zahl seiner Auserwählten noch nicht voll gemacht
hatte. Dem überlebenden Bruder wird befohlen, dessen Frau zur Ehe zu
nehmen, weil es sich in der Tat geziemt, daß die Sorge für die heilige
Kirche dem auferlegt werde, der sie wohl zu regieren versteht. Will er
nicht, so spuckt ihm das Weib ins Angesicht; denn wer mit den
empfangenen Gaben andern zu nützen sich nicht bemüht, dem macht die
heilige Kirche seine Gnadengaben zum Vorwurf und spuckt ihm gleichsam
ins Angesicht. Von einem Fuß wird ihm der Schuh gezogen, so daß sein
Haus das des Unbeschuhten genannt wird. Denn es steht geschrieben:
"Beschuht sollen die Füße sein mit der Bereitschaft des Evangeliums des
Friedens" (Eph. 6,15). Wenn wir nun ebenso für den Nächsten wie für uns
selbst Sorge tragen, so tragen wir die Schuhe an beiden Füßen; wer aber
nur für sich selbst sorgt und das Wohl des Nächsten vernachlässigt, der
verliert gleichsam zu seiner Schmach an einem Fuß den Schuh.
Es gibt also manche, die, wie gesagt, mit großen Gaben ausgerüstet
sind, die aber aus lauter Eifer für die beschauliche Beschäftigung dem
Nutzen des Nächsten durch die Predigt nicht dienen wollen. Sie lieben
die stille Ruhe und streben nach beschaulicher Einsamkeit. Legt man
aber an solche den Maßstab des strengen Richters, so machen sie sich
ohne Zweifel des Schadens so vieler Seelen schuldig, wie vielen sie
hätten nützen können, wenn sie in die Öffentlichkeit hinausgetreten
wären. Denn wie wird derjenige, welcher in hervorragender Weise dem
Nächsten nützen könnte, aber sein Stilleben dan Nutzen des Nächsten
vorzieht, sich rechtfertigen, wenn der Eingeborene Sohn des höchsten
Vaters, um vielen zu nützen, den Schoß des Vaters verließ und in unsere
Öffentlichkeit trat?
6. SOLCHE, WELCHE AUS DEMUT DIE BÜRDE
DES HIRTENAMTES FLIEHEN, SIND DANN WAHRHAFT DEMÜTIG, WENN SIE DEM
GÖTTLICHEN BESCHLUSS SICH NICHT WIDERSETZEN.
Es gibt manche, die aus bloßer Demut und nur aus Demut vor dem
Hirtenamte fliehen, weil sie nicht über solche gesetzt werden möchten,
denen sie sich nicht gewachsen fühlen. Wird eine solche Demut auch von
den übrigen Tugenden begleitet, so ist sie doch erst dann vor Gottes
Augen echt, wenn sie nicht eigensinnig zurückweist, was ihr zum Nutzen
anderer zu tragen befohlen wird. Denn derjenige ist nicht wahrhaft
demütig, der zwar den Wink des göttlichen Willens, ein Vorsteheramt zu
übernehmen, versteht, aber dennoch ein solches zurückweist. Er muß
vielmehr, wenn ihm die Oberleitung des Hirtenamtes anbefohlen wird und
er mit den Gaben ausgestattet ist, mit denen er andern nützen soll, in
aller Ergebenheit gegen die göttlichen Anordnungen und fern von der
Untugend hartnäckigen Eigenwillens sowohl von Herzen fliehen, als auch
gegen seinen Willen gehorchen.
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AUS EINEM BRIEF DES HL. ATHANASIUS AN SEINE GLÄUBIGEN
Gott möge euch trösten! (...) Daß die anderen mit Gewalt die Kirchen
besetzt halten, während ihr in diesen Zeiten davor stehen müßt, das
betrübt euch sehr. So ist es eben heute: sie haben die Gebäude, ihr
habt den apostolischen Glauben. Mögen sie auch unsere Kirchen besetzen,
sie stehen außerhalb des Glaubens. Ihr aber bleibt treu, wenn ihr auch
außerhalb der Gotteshäuser verbleiben müßt, denn in euch ist der
Glaube. Denken wir nach: Was ist das Wichtigere? Das Gebäude oder der
Glaube? Der wahre Glaube selbstverständlich! Wer hat in diesem Kampf
gewonnen, wer hat verloren? Jener, der das Gebäude besitzt, oder der,
welcher den Glauben bewahrt? Das Gebäude ist selbstverständlich gut,
wenn man dort den apostolischen Glauben lehrt; es ist heilig, wenn dort
alles heilig ausgeübt wird. (...) Ihr seid die Glücklichen, die in der
Kirche durch ihren Glauben verbleiben, ihr, die ihr festhaltet an den
Fundamenten des Glaubens, der euch durch die apostolische Tradition
überliefert worden ist. Und wenn abscheuliche Umstände ihn, wie so oft,
erschüttern wollten, so haben sie doch nie Erfolg gehabt. Die andern
aber sind in der jetzigen Krisensituation vom Glauben abgewichen.
Niemand wird je euren Glauben überwinden, geliebte Brüder! Wir glauben,
daß Gott uns eines Tages unsere Kirchengebäude zurückgeben wird. Je
mehr sich die andern anstrengen, die heiligen Stätten zu okkupieren,
desto mehr trennen sie sich von der Kirche. Sie behaupten zwar von
sich, sie würden die Kirche darstellen. In Wirklichkeit aber trennen
sie sich von ihr und gehen in die Irre. Die Katholiken, die treu zur
Überlieferung stehen - selbst wenn es nur eine Hand voll ist -, sind
es, die die wahre Kirche Jesu Christi darstellen. |