DER TURM DAVIDS
von
E. Kaufmann
Wir begrüßen die himmlische Mutter in der lauretanischen Litanei als
"Turm Davids" und "elfenbeinernen Turm". Welche Bewandtnis hat es denn
eigentlich mit diesem Turm? Im zweiten Buch der Könige lesen wir (Kp.5)
von König David, dem Ahnen der Gottesmutter. In hartem Kampf hat er die
Jebusiter aus Jerusalem vertrieben und machte nun die Stadt zur
Reichshauptstadt. Der König nahm seinen Wohnsitz in der Burg der Stadt,
die er nach innen und außen zu einer wahren Festung ausbaute. Die Burg
wurde die Sehenswürdigkeit der Stadt, ein wahres Prachtstück. Das ist
die Festung des König David ..., "der Turm Davids".
Von diesem "Turm Davids" erzählt auch der Gesang des Hohneliedes: Er
sei "versehen mit Schutzwehren behangen mit tausend Schildern, mit der
ganzen Rüstung der Starken" (4,4). So war es nämlich Brauch in der
alten Zeit: Schwerter, Lanzen, Pfeile und Bogen, Äxte und Schilder,
kurz alles Kriegsgerät wurde an solchen Türmen aufgehangen, entweder
als Siegeszeichen oder auch zum Schrecken der Feinde.
WELCHE BEZIEHUNG HAT NUN DIESER TURM ZU MARIA?
Die Väter sehen das Bild der Gottesmutter in diesem Turm. Der heilige
Thomas von Villanova sagt: "In jeder Bedrängnis muß der Mensch zu
diesem Turm eilen, ob er nun niedergebeugt ist von seinen Sünden oder
Verfolgungen oder Versuchungen" (conci, de assumpt. B.M.V.).
Die seligste Jungfrau wird "Turm Davids" genannt, weil sie zunächst ein
Sproß Davids ist. Was der Prophet Isaias (11,1) verkündet; das Reis,
dessen Frucht der Heiland ist, wird aus der Wurzel Jesse (-Davids
Vater) hervorgehen, das bestätigt der heilige Erzengel Gabriel bei der
Verkündigung: "Gott wird ihm den Thron seines Vaters Davids geben"
(Luk. 1,33).
Maria trägt das Symbol des "Turmes Davids" auch aus einem anderen
Grunde. Aus Maria ging der Heiland hervor. Die Weisheit hat sich das
Haus (Maria) gebaut. In Maria, diesem herrlichen Turm Gottes, nahm
Jesus die menschliche Natur an oder, wie der heilige Methodius sagt:
..."Die stattliche Waffenrüstung unserer menschlichen Natur" (Serm. de
Simeone et Anna).
Noch ein Gedanke. Maria ist neben Jesus das mächtigste Bollwerk der
Kirche. Dieser Turm ist allen sichtbar. Denn er ist gebaut auf dem
Felsenfundament der heiligen Berge (Ps. 86,1). Die Größe dieses Turmes
reicht buchstäblich in den Himmel hinein. Die arme, wahnwitzige
Menschheit von ehedem wollte Gott zum Trotz "einen Turm bauen",
dessen"Spitze zum Himmel hinaufreiche" (Gen. 11,4). Ihr Werk ist
mißlungen. Sie haben ohne den göttlichen Bauherrn gearbeitet. Und "wenn
der Herr das Haus nicht baut, dann bauen die Bauleute umsonst" (Ps.
126). Aber Gott hat einen Turm, den "Turm Davids", gebaut, dessen Höhe
in den Himmel hineinragt, ein Bauwerk, das seinesgleichen nicht findet.
Mit Recht nennt daher die Lauretanische Litanei unter Anlehnung an das
Hohelied die Gottesmutter "den elfenbeinernen Turm" (Hohel. 7,4).
Maria ist "der Turm der Stärke" (Ps 6o,4), der seine Feuerprobe längst
bestanden hat, der unerschütterlich stehen wird, auch "wenn die Pforten
der Hölle sich öffnen". Der Turm wankte nicht beim furchtbarsten
Angriff der Weltgeschichte, bei der Entscheidungsschlacht auf Leben und
Tod auf Kaivaria. Dort steht Maria unter dem Kreuz, ungebrochen, bis
der göttliche Sieger den Feind der Menschheit im Tode bezwang. Der Turm
wankte nicht.
In diesem Turm sammeln sich die Starken, die Helden, die Kämpfer. Dort
"hängen die tausend Schilde, die ganze Rüstung der Starken". Der
Völkerapostel zieht "die Waffenrüstung Gottes" an. Er schreibt in
seinem Epheserbrief: "Endlich, meine Brüder, seid stark im Herrn durch
seine mächtige Kraft. Legt die Waffenrüstung Gottes an, um den Ränken
des Teufels widerstehen zu können. Denn unser Kampf geht nicht gegen
Fleisch und Blut, sondern gegen die Mächte, gegen die Gewalten, gegen
die Herrscher dieser finsteren Welt, gegen die bösen Geister unter dem
Himmel. Darum legt die Waffenrüstung Gottes an, damit ihr am bösen Tage
widerstehen und allem unerschütterlich standhalten könnt. Steht also
da, umgürtet mit der Wahrheit, angetan mit dem Panzer der
Gerechtigkeit, beschuht mit der Bereitschaft, die frohe
Friedensbotschaft zu künden. Zu alledem nehmt den Schild des Glaubens,
mit dem ihr alle feurigen Geschosse des Bösen auslöschen könnt.
Ergreift den Helm des Heiles und das Schwert des Geistes, das heißt das
Wort Gottes. Mit lauter Bitten und Flehen betet allezeit im Geiste und
dazu wachet in beharrlichem Gebete für alle Heiligen"(6,10-18). Diese
Waffenrüstung erfährt nie eine Änderung. Sie bleibt unüberwindlich. Im
"Turm Davids" liegt sie in sicherem Verwahr. Maria siegt. Maria siegt
mit ihren Auserlesenen.
Der himmlische Bräutigam hat deshalb recht, wenn er seine Braut
vergleicht mit einer schlachtgewohnten Armee: .."sie ist furchtbar wie
ein geordnetes Schlachtheer" (Hohel. 6,3). Er hat recht, wenn er seine
Braut preist als den "Turm Davids", der mit "Schutzwehren" versehen
ist. Er hat recht, wenn er die Frage stellt: "Was werdet ihr bei der
Sulamitin sehen?" und dann die siegreiche Antwort gibt: "Ganze Scharen
von Heereszügen" (Hohel. 7,1). Er hat recht, wenn er seine Braut
regelrecht vergleicht mit dem "Turm des Libanon, der nach Dmaskus
schaut" (Hohel. 7,4), wenn er sie als Beobachtungswarte schildert, die
einen Ausblick gestattet hinein in das Land der Feinde als glänzenden
Beobachtungsposten, um den Angriffen des Feindes zuvorzukommen.
Aus diesem Gedanken heraus betet der heilige Bernhard: "Die sichtbaren
Feinde fürchten nicht so sehr ein gut ausgerüstetes Heer, wie die
Mächte in der Luft (die Dämonen) den Namen, den Schutz und Beispiel
Mariens fürchten. Sie zerfließen und vergehen wie Wachs vor dem Feuer,
wo immer sie das häufige Gedenken, das andächtige Anrufen dieses Namens
und die gewissenhafte Nachfolge Mariens sehen." |