HOMILIE AUF DAS HOHE FEST DER GEBURT DES HERRN
vom
hl. Papst Gregor d. Gr.
gehalten am Weihnachtstage um das Jahr 590 in der Kirche der seligsten Jungfrau für das römische Volk;
aus dem Lateinischen übersetzt von P. M. Feyerabend, Kempten 1810.
"Zu dieser Zeit begab es sich, daß ein Gebot vom Kaiser Augustus
ausging, den ganzen Erdkreis aufzuschreiben. Diese erste Aufschreibung
ist durch die Veranstaltung Cyrinus, des Landpflegers in Syrien
geschehen. Daher gingen alle, um sich anzugeben, ein jeder in seine
Stadt. Und es ging auch Joseph von Galiläa aus der Stadt Nazareth in
das Judenland, in die Stadt Davids, welche Bethlehem heißt, weil er von
dem Hause und Geschlechte Davids war, auf daß er mit Maria, seinem
vermählten Weibe, die gesegneten Leibes war, sich eintragen ließ.
Während sie dort waren, geschah es, daß sich die Tage erfüllten, da sie
gebären sollte, und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, hüllte ihn in
Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil nicht Platz für sie war in
der Herberge. In derselben Gegend waren Hirten auf freiem Felde und
hielten Nachtwache bei ihrer Herde. Da trat ein Engel des Herrn zu
ihnen, und es umstrahlte sie die Herrlichkeit des Herrn, und sie
fürchteten sich sehr. Der Engel aber sprach zu ihnen: 'Fürchtet euch
nicht! Denn seht, ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen
Volk zuteil werden soll: Euch wurde heute in der Stadt Davids ein
Retter geboren, der ist Messias und Herr. Und dies soll euch zum
Zeichen sein: Ihr werdet ein Kindlein finden, in Windeln eingehüllt und
in einer Krippe liegend!' Und auf einmal erschien bei dem Engel eine
große Schar der himmlischen Heerscharen, die Gott lobten und sprachen:
'Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede den Menschen auf Erden, die
eines guten Willens sind.'" (Lk. 2,1-16)
E R K L Ä R U N G
Weil wir heute dreimal mit der Gnade Gottes die feierliche Messe halten
wollen, können wir über die Worte des Evangeliums nicht lange sprechen.
Doch, daß wir etwas weniges sagen, nötigt uns selbst die Geburt des
Erlösers. Nun dann jenes, daß bei der Geburt des Herrn der ganze
Erdkreis beschrieben wird, was anders ist damit gemeint, als daß
derjenige im Fleische erschienen ist, der seine Auserwählten für die
Ewigkeit sammelte? Von den Verworfenen wird im Gegensatz durch den
Propheten gesagt: "Ausgestrichen sollen sie werden aus dem Buche der
Lebendigen, und unter die Zahl der Gerechten sollen sie nicht
eingetragen werden."
Auch sehr wohl wird der Heiland in Bethlehem geboren. Denn Bethlehem
heißt in unserer Sprache ein Haus des Brotes. Nun aber ist er es
selbst, welcher sagt: "Ich bin ein lebendiges Brot, welches von dem
Himmel herab gekommen ist." Den Ort also, wo der Herr geboren wird, hat
man zuvor das Haus des Brotes genannt, weil es ja geschehen mußte, daß
jener im Fleische sichtbar wird, der die Seelen der Auserwählten mit
einer inneren Genügsamkeit sättigte.
Er kommt auch nicht in dem Hause seiner Eltern, sondern auf der Reise
zu Welt, damit er offenbar zeigt, daß er in Hinsicht auf die
menschliche Natur, die er angenommen hatte, wie in einem fremden Lande
geboren werde. In einem fremden Lande, sage ich, in Bezug auf die
angenommene Menschheit, nicht auf seine ewige Macht. Denn in Rücksicht
auf diese steht geschrieben: "Er ist in sein Eigentum gekommen."
Nämlich seiner Gottheit nach ist er vor allem Anfange der Zeiten aus
dem Vater gezeugt, in unserer Menschheit aber ist er erst in der Zeit
erschienen. Und weil durch den Propheten gesagt wird: "Alles Fleisch
ist wie ausgedörrtes Gras; so hat er dasselbe, als er Mensch geworden
ist, in einen Weizen umgeschaffen, wie er selbst spricht: 'Wenn das
Weizenkörnchen nicht in die Erde hinein fällt und erstirbt, so bleibt
es allein.'" Deswegen ward er, so bald er zur Welt geboren worden, in
eine Krippe gelegt, damit er alle Gläubigen als heilige Geschöpfe mit
der Frucht seiner Menschheit erquickte, und damit sie nicht die
nahrhafte Wohltat des ewigen Lichtes entbehren mußten.
Was will aber wohl jenes, daß den wachenden Hirten ein Engel erscheint
und daß sie ein göttlicher Glanz umstrahlt, anders bedeuten, als daß
jene vor andern die erhabenen Geheimnisse einzusehen verdienen, welche
wissen, den gläubigen Herden mit Sorgfalt vorzustehen? Ueber diese, da
sie mit frommer Sorgfalt die Herde bewachen, ergießt sich der Strom der
Gnade weit reichlicher.
Doch den neugeborenen König verkündigt ein Engel, und mit dessen Stimme
vereinigen sich andere Chöre der Engel, und freudig rufen alle
zusammen: Ehre sei Gott in der Höhe, und auf Erde Friede den Menschen,
die eines guten Willens sind. Nämlich ehe unser Heiland in dem Fleische
geboren wurde, lebten wir mit den Engeln, von deren glänzenden Reinheit
wir wegen der ersten Sünde und wegen den alltäglichen Gebrechlichkeiten
weitest entfernt waren, wie in einer Zwietracht. Denn, da wir durch die
Sünde von Gott getrennt waren, sahen uns diese englischen Himmelsbürger
in Hinsicht auf ihre Gemeinschaft nur als Fremdlinge an; nachdem wie
aber unsern König erkannt haben, haben auch sie angefangen, uns für
ihre Mitbürger zu erkennen. Denn von der Zeit, als der König der Himmel
unser irdisches Fleisch angenommen, ist unsere gebrechliche Natur in
den Augen dieser erhabenen Geister nicht mehr verächtlich. Sie nähern
sich uns sogar - sie bieten uns den Frieden an. Sie achten nicht mehr
auf die vorige Mißhelligkeit, und auf welche sie zuvor, als auf
schwächliche und niedrige Geschöpfe wie mit Verachtung herabschauten,
ehren sie jetzt als ihre Freunde, und Reichsgenossen. "Deswegen warfen
sich auch Loth und Jcsue vor den Engeln zur Erde nieder, und die Engel
ließen es geschehen". Als aber Johannes, wie die Geheime Offenbarung
meldet, dem Engel die gleiche Ehrbezeugung erweisen wollte, ließ es der
Engel nicht zu und sprach: "Sieh zu, und tue es nicht, ich bin nur ein
Mitknecht und einer von deinen Brüdern". Was ist's, daß die Engel vor
der Ankunft des Erlösers sich von den Menschen gleichsam anbeten lassen
und sich dabei ganz ruhig verhalten, nachher aber diese Ehrbezeugung
nimmer gestatten, als daß sie unsere Natur, die zuvor in ihren Augen
etwas verächtliches hatte, nachdem sie über die englische ist erhoben
worden, nicht mehr vor ihnen zur Erde gebeugt sehen mögen? Und gewiß,
sie haben es von jener Zeit an nicht mehr gewagt, jene Natur wegen
ihrer Schwächlichkeit für geringe zu achten, welche sie, über die
ihrige erhöhet, selbst an dem König des Himmels verehren. Und sie, die
einen Gottmenschen über sich anbeten, halten es nicht für unanständig,
mit den Menschen Freundschaft zu pflegen.
Lasset uns also Sorge tragen, liebste Brüder, daß uns, die wir nach den
ewigen Ratschlüssen Gottes Bürger seines Reiches, und gleich den Engeln
sind, nicht etwas Unreines beflecke. Lasset uns durch anständige Sitten
unsere Bürde behaupten. Nie soll uns einige Unlauterkeit entehren - nie
ein garstiger Gedanke das Gewissen besudeln - nie eine Bosheit den
Geist verwunden - nie ein rostiger Neid an dem Innersten nagen - kein
Hochmut uns aufblähen - kein unmäßiges Verlangen nach irdischen
Ergötzungen uns außer uns reißen, und kein Zorn uns je in eine tolle
Hitze versetzen. "Denn wir sind Götter genannt wordenª" Behaupte also,
o Mensch, wider das niederträchtige Laster die Würde eines Gottes.
Deinetwegen ist Gott Mensch geworden, welcher lebt und regiert zu
ewigen Zeiten.
Amen. |