DIE WELTGEWANDTEN PRIESTER
von
Leon Bloy
(aus: "Le Sang du Pauvre", übers. von Henriette und Wolfgang Kühne; D. beständige Zeuge)
Die Summe von fünfzig weltgewandten Priestern macht noch nicht einen
einzigen Judas, der das Geld zurückbringt und sich vor Verzweiflung
aufhängt. Diese Leute sind, rundherausgesagt, entsetzlich. Durch sie
wird der Reiche hart gemacht wie Eis durch Schwefelsäure.
Der weltgewandte Priester sagt zu dem Reichen:"Es wird allzeit Arme bei
euch geben", und mißbraucht so die eigenen Worte Jesu Christi, um den
Reichen noch etwas mehr der Verdammnis auszuliefern. Es muß Arme geben,
und wenn es nicht genug davon gibt, muß man welche schaffen. "Selig die
Armen", auch das ist gesagt worden. Wenn ihr also die Zahl der Armen
erhöht, erhöht ihr die Zahl der Seligen. Und da das Beispiel dem Gebot
Nachdruck verleiht, so ist es ganz in der Ordnung, daß solche Apostel
auch selbst reich sind oder es werden, indem sie die Millionäre
beherrschen oder ihnen zu Diensten sind. Jesus ist auf dem Altar, in
seinem Tabernakel. Soll er da doch bleiben. Wir anderen, seine Diener,
müssen hinter unseren Geschäften her sein, die darin bestehen, mit
allen Mitteln, ob sie sich nun mit der Würde unserer Soutane
vereinbaren lassen oder nicht, Geld ergattern. Die Armen müssen sich
damit abfinden. Gott mißt ihnen den Wind zu wie dem geschorenen Schaf.
Und auch die Reichen müssen sich damit abfinden. Jedem seine Last. Es
wäre ungerecht und wider die Vernunft, zu verlangen, die Reichen
sollten die Last der Armen auf sich nehmen und die Armen dafür mit der
ihrigen erdrücken.
Wenn Sie Millionen besitzen, teuerster Bruder, so ist das ein Schatz,
den die göttliche Weisheit Ihnen anvertraut hat. Sie müssen ihn
ungeschmälert für Ihre Kinder bewahren, ihn durch gescheites Anlegen
möglichst reiche Frucht tragen lassen, und der Segen des Himmels wird
nicht ausbleiben, wenn Sie sich nur nicht allzu verwegen zu einer
falsch verstandenen Nächstenliebe hinreißen lassen. Quinqué alia
quinqué. (Die Fünf erbrachten andere Fünf.) Hundert Prozent, wie in dem
Gleichnis von den Talenten. Das ist der Zinsfuß der Tugend. Wir werden
Ihnen übrigens sehr gerne Hinweise geben, denn wir haben auf unseren
Orgeln mancherlei Register. Sollten aber die von uns empfohlenen
Geschäfte Ihnen aus Mangel an Glauben keinen guten Erfolg bringen, so
können Sie wenigstens die tröstliche Gewißheit haben, daß diese
Geschäfte niemals ohne Gewinn für diejenigen unter uns sind, die das
Fett von der Brühe abzuschöpfen verstehen.
Der Reichtum ist dem Herrn angenehm, und darum hat er Salomo mit ihm
überschüttet. Das Vae divitibus (Wehe den Reichen), das uns einige
Anarchisten immer wieder vorhalten wollen, ist ein offensichtlicher
Abschreibefehler, der höchstwahrscheinlich durch irgend einen jenen
sturen und verlausten Mönche hineingekommen ist, die so lange der
Kirche Schande machten. Es war höchste Zeit, die Dinge wieder richtig
zu stellen, und der Klerus ist denn auch eifrig damit beschäftigt.
Hinaus mit den Armen vor die Kinhentür, oder wenigstens zurück bis in
die Vorhalle mit ihnen, in das Gedrängel und in die Zugluft. Es ist
ganz überflüssig, daß sie den Altar sehen. Die zahlungskräftigen
Pfarrkinder sehen ihn für sie. Das genügt...
Der weltgewandte Priester ist für den Reichen von ungemeinem Wert. Man
langweilt sich mit ihm nicht eine Minute. Das Heil ist sichergestellt,
was man auch tut. Die gute Absicht genügt... Wenn der Arme sein
Christsein praktisch betätigen will - was kaum anzunehmen ist -, hat er
die Pflicht, an den vorgeschriebenen Tagen zu fasten und eigentlich
sogar an allen Tagen des Jahres ununterbrochen. Der reiche Christ ist
ein Held und sogar ein Märtyrer, wenn er getrüffelten Truthahn in der
Fastenzeit durch Wasserhuhn oder Lachsforelle ersetzt, und der
weltgewandte Herr Abbé teilt gerne diese Enthaltsamkeit mit ihm. Und
wie viel anderes noch! Aber wer vermag alles zu sagen? Das Wesentliche
vor Gott und vor den Menschen, vor allem vor den Menschen, ist der
Trennungsstrich, und die weltgewandten geistlichen Herren ziehen ihn
denn auch mit einem Finger, der ebenso lichtvoll und nicht weniger
unerbittlich ist als jener, der die zehn Gebote auf die zwei
Steintafeln des Moses schrieb.
Fragt sich bloß, ob jene Gesetzgeber "zu Gott von Angesicht zu
Angesicht sprechen, wie ein Freund zu einem Freunde spricht". Es steht
zu befürchten, und ich wage es zu behaupten, daß diese Frage noch nicht
entschieden ist. Wahrlich, das steht sehr zu befürchten. Man kann den
Reichtum noch so sehr anbeten, es hält sich trotzdem ein hartnäckiges
Vorurteil, das eigensinnig für die Armut eintritt. Es ist, als hätte
die schlichte Lanze, die Jesus durchbohrte, alle Herzen durchbohrt. Und
diese Wunde schließt sich nicht seit zwei Jahrtausenden, Unzählbar ist
die Schar der Leidtragenden, Frauen, Greise und kleine Kinder; da sind
die Lebenden und die Toten. All dies Volk blutet, all diese Menge
verspritzt Blut und Wasser vom Kreuz des Elends herab, im Morgenland
und im Abendland, unter allen Himmeln, unter den Händen aller Henker,
unter den Hieben aller Geißeln und in den Wetterstürmen der Natur -
seit so langer Zeit! Das ist die Armut, ja, die unermeßliche Armut der
Welt, die völlige und weltumspannende Armut Jesu Christi! Das muß doch
alles zählen, das muß doch wiedererstattet werden!
Es gibt Priester, die nicht von dieser Welt sind, die armen Priester
oder die Priester der Armut, wie man sie auch nennen könnte, die gar
nicht wissen, was das ist: nicht arm sein, denn sie haben nie etwas
anderes vor Augen als den gekreuzigten Christus. Für sie gibt es weder
Reiche noch Arme; es gibt nur Blinde in unendlicher Zahl und eine
kleine Herde von wirklich Sehenden, deren demütige Hirten sie sind. Wie
die Hebräer im Lande Gosen sind sie allein im Licht inmitten der sie
dicht umgebenden Finsternis des alten Ägypten. Wenn sie die Arme
ausbreiten, um zu beten, berühren ihre Fingerspitzen die Finsternis. |