"Ein Papst macht es, ein Bischof macht es" -
und doch: es ist nicht richtig!?
Ein Interview mit 'Kard.' Lehmann in der taz vom 28.5.2003
taz: Herr Lehmann, haben Sie schon einmal bewusst einem Protestanten die Kommunion gegeben - was eigentlich verboten ist?
Karl Lehmann: (überlegt lange)
Ja. Aber ich habe vorher gesagt, dass ich das zwar nicht propagiere,
aber in einem einzelnen Fall und unter bestimmten Bedingungen dulde.
Ich habe in diesem Fall erklärt: 'Ich verkünde nicht, dass auch Sie die
Kommunion bekommen, aber wenn Sie zum Altar kommen und die Hostie
nehmen, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.
taz: Sie sind ja in guter Gesellschaft. Selbst der Papst hat dem Anglikaner Tony Biair die Kommunion gereicht.
Lehmann: Ja, auch bei den
protestantischen Brüdem von Taizé hat er das wohl gemacht. In seiner
jüngsten Enzyklika stellt der Papst in aller Klarheit fest, dass es
keine gemeinsame Feier zum Abendmahl geben darf. Aber im einzelnen Fall
wäre es möglich. Das ist nicht ausdiskutiert.
taz: Das ist schwer zu
vermitteln: Der Papst macht es, ein Kardinal macht es, aber in Berlin
beim Ökumenischen Kirchentag darf es nicht stattfinden.
Lehmann: Da geht es um zwei
ganz verschiedene Dinge. Es ist ein Unterschied, ob ein einzelner
Protestant in einem katholischen Gottesdienst die Kommunion empfängt
oder ob es eine gemeinsame Feier beider Konfessionen und eine
wechseiseitige Einladung zum Abendmahl gibt.
taz: Das ist doch katholische
Scheinheiligkeit. Man kann alles machen, wenn es nicht an die große
Glocke gehängt wird. Das gemeinsame Abendmahl wird in den Gemeinden,
wenn auch in aller Stille, massenhaft praktiziert.
Lehmann: Es passiert nicht
massenhaft. Und die Unterscheidung zwischen einzelnen und dem, was eine
Gemeinde oder die Kirche tut, ist etwas Grundlegendes.
taz: In der Realität zeigt sich
hier doch eine Kirchenspaltung zwischen oben und unten: zwischen der
Theologie, die das Abendmahl verbietet, und dem Kirchenvolk, das es
praktiziert.
Lehmann: Das Volk Gottes ist
hier genauso gespalten wie die Theologie. Und außerdem: Was faktisch
passiert, ist deshalb noch längst nicht in Ordnung. Denn hier geht es
um sehr schwerwiegende und tiefreichende Fragen, die auch nicht jedem
Theologen in der Tragweite voll bewusst sind. Beim (...) Sakrament der
Eucharistie kann ich mich auch nicht nur auf das Gewissen berufen.
taz: Sie selbst waren schon
weiter. 1970: "Die Kirchenspaltung ist, theologisch gesehen, ein
größeres Ärgernis als die Vorwegnahme der Einheit der Kirchen durch
lnterkommunion."
Lehmann: Nein, nein, ich war
nicht weiter. Es ging darum, wie man einzelne Menschen zu bewerten hat,
die in dieser Frage sehr drängen. Ich habe Verständnis für Menschen in
konfessionsverschiedenen Ehen, bei denen die Auswirkungen der Spaltung
groß sind. Aber die Leute, die aus Ungeduld ein gemeinsames Abendmahl
erzwingen wollen, verstehe ich nicht. Noch einmal: Mit der Tradition
der Alten Kirche, mit den Orthodoxen Kirchen sagen auch wir:
Kommunionsgemeinschaft und Kirchengemeinschaft gehören untrennbar
zusammen. Etwas anderes sind seelsorglich begründete Ausnahmen im
Einzelfall....
taz: Seit 30 Jahren verlieren
die Kirchen jedes Jahr 100.000 Mitglieder. Was bedeutet das für die
politische Macht der Kirchen, etwa bei der Besetzung von Gremien?
Lehmann: Ich bin nüchtern
genug, Verluste zu sehen. Aber ich bin auch ein Mensch, der das Glas
halb voll sieht. So arg wenig sind wir eigentlich nicht. Jeden Sonntag
sind immernoch mehr Menschen in den Kirchen als auf allen Sportplätzen
und Museen zusammen.(...)
taz: Aber vom Konzept der Volkskirche müssen Sie sich verabschieden.
Lehmann: Das hängt davon ab,
was man unter Volkskirche versteht. Auch wenn wir mal Minderheit sind,
sollten wir doch in einer veränderten Weise Volkskirche bleiben wenn
das heißt: Ich ziehe mich nicht sektenhaft in eine Nische zurück, in
die Wohligkeit und Geborgenheit einer Gemeinde, sondem ich weiß, dass
ich in einer zerrissenen Weit lebe und an ihr nicht vorbeigehen darf.
Ich muss meinen Beitrag leisten und mich daran beteiligen, die Wunden
zu verbinden. (...)
taz: Das betrifft aber nur den
Westen der Republik. Der Osten Deutschlands gilt als das am weitesten
entkonfessionalisierte Gebiet Europas. Ihnen fehlt der Drang zur
Mission.
Lehmann: Für mich wäre das
eines der wichtigsten Themen für den ökumenischen Kirchentag: der
missionarische Aufbruch. Etwa 70 Prozent der Menschen in den neuen
Ländem sind mit dem Christentum noch nicht in Kontakt getreten. Aber
wir haben einen starken Anstieg der Erwachsenentaufe.
(taz Nr. 7065 vom 28.5.2003, das Interview führten Philipp Gessler u. Bernhard Potter)
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