JESUS CHRISTUS IN DEN KOLONIEN
von
Léon Bloy
(aus: "Vier Jahre Gefangenschaft in Cochons-sur-Marne - Tagebücher des
Verfassers 1900-1904" Nürnberg 1951, S.318-325; übersetzt von P. A.
Roesicke.)
"... abgestiegen zur Hölle"
Wohl einer der albernsten Männer unserer Zeit, ja vielleicht aller
Zeiten überhaupt, mein alter Kamerad Hanotaux, Bewunderer Abdul Hamids
und Paul Bourgets, immerdar geschäftiger Kammerdiener aller Mächtigen -
kaiserlichen oder bloß zuhälterlichen Geblüts -, und als solcher
eifrigst bemüht, deren Verdauungsabfälle aufzufangen wo immer sich eine
Möglichkeit dazu bietet, im Nebenberuf Akademiemitglied und Staatsmann
zur Disposition, veröffentlichte kürzlich einen höchst ergötzlichen
Schmöker unter dem lakonischen Titel: "Berufswahl". Gott bewahre mich
vor der Versuchung, diesen Lutschpfropfen näher unter die Lupe nehmen
zu wollen! Mein Verlangen nach der Mitgliedschaft des Institut de
France ist wahrlich nicht intensiv genug, un meine Zeitgenossen auf
solche Weise anzuöden. Es steht mir Gott sei Dank noch eine andere Form
zur Verfügung, die sich weitaus besser bezahlt macht.
Da ich jedoch den Auftrag habe, irgend etwas über die Kolonien und den
kolonisatorischen Geist unseres Gott wohlgefälligen Vaterlandes zu
schreiben, so wäre es mir in der Tat schwer, bei dem Worte "Kolonie"
nicht sofort an meinen guten Gabriel (Hanotaux. D.U.) zu denken, der
dieses Wort so oft und gern im Munde führte, seidem er den verflossenen
Leiter seiner Tunis- und Tongkingjahre (- der beiläufig eine so
prächtige Küchenchef- oder Bordellrausschmeißerschnauze sein eigen
nannte -) ruhmbekränzt aus dieser Welt scheiden sah. Man entsinne sich
nur seiner Begeisterung für Algerien, wo seine eigene Reise derjenigen
Lubets nur un wenige Monate vorausging. Was waren das doch damals für
uns für unterhaltsame Tage! Zweimal in der Woche - zweimal, jawohl! -
entzündete sich das "Journal" an der blumigen Prosa dieses erleuchteten
Reisenden! Durch ihn durften wir endlich erfahren, daß "Vergangenes
nicht wiederkehrt", daß "man nicht alle seine Eier in einen und
denselben Korb tun" und "einen Hund nicht mit einer Wurst anbinden
soll", - daß der Gipfelpunkt menschlicher Verblendung darin besteht,
"sich ein X für ein U vormachen zu lassen", - daß "wo Rauch ist auch
ein Feuer sein muß", - daß "man die Ziege ebenso wie den Kohlkopf
schonen soll" (d.h. man soll es mit keiner Partei verderben. D.U.) und
daß es gut ist, "immer zwei Eisen im Feuer zuhaben". Und hat uns dieser
eminente Politiker und unerhört einfallsreiche Schriftsteller nicht zu
guter Letzt noch sein meistbehütetes Geheimnis ins Ohr geraunt, als er
uns die welterschütternde Weisheit kund und zu wissen tat, daß "man
Fliegen nicht mit Essig fängt" und "Schuhmacher oft die schlechtesten
Schuhe tragen"?
Von dieser sublimen geistigen Warte aus welch erfrischende Flut neuer,
ungeahnter Gesichtspunkte, welche verschwenderische Fülle
planetarischer Erleuchtungen, welch überquellendes Füllhorn großartiger
Fingerzeige für die Zukunft! Durch dies strahlende Genie allein erfuhr
die verdutzte Menschheit von der fleckenlosen Schönheit unserer
kolonialen Einrichtungen, von der liliengleichen Unschuld unserer
Beamten und der urväterlichen Redlichkeit ihres Charakters, von der
durch nichts getrübten Seligkeit der den schutzengelhaft schirmenden
Händen der Republik ausgelieferten Eingeborenen jeglicher
Farbschattierung sowie endlich von den paradiesischen
Zukunftsaussichten ihrer väterlich besorgten Einseifer und Aussauger!
Doch lassen wir Hanotaux, von dem ich ja nur sprach im Hinblick auf den
grausamen Hohn des von dieser Lakaienseele mit unerschütterlicher
Dreistigkeit immerwieder von neuem entfachten Reklamegetöses! Mit dem
gleichen Teleskop wie er hatte schon vor ihm der inzwischen rühmlich
verblichene Herr Zola, nur wenige Wochen bevor er seine edle Seele
inmitten der Exkremente seiner Hunde auszuhauchen geruhte, für uns das
irdische Pradies im Sudan entdeckt. Der Gegenstand ist indessen ernst,
ernster vielleicht als sich mit Worten ausdrücken läßt.
"Hehre Frau", sagt Christoph Kolumbus in Verdaguers "Atlantide" zu
Isabella, "gebet mir Schiffe und ich will sie Euch, sobald der
Augenblick gekommen ist, zurückbringen mit einer Welt im Schlepptau".
Er erhielt sie, die kleinen, schwachen Karavelen, deren Reste man hätte
hüten müssen wie einen unvergleichlichen Schatz, war doch ihr Holz das
kostbarste, das es auf Erden gab, gleich nach dem Holze des Kreuzes des
Erlösers, beide unendlich kostbar aus dem gleichen Grunde. Er erhielt
sie, wie man weiß, nach achtzehn Jahren unablässigen Herunbettelns an
fast allen europäischen Fürstenhöfen, doch was er in seinen
unaussprechlich väterlichen Händen der indianischen Welt am Ende
brachte war der Tod!
Vom ersten Tage an verfälschte man sein Werk. Man schuf Finsternis mit
seinem Lichte und welche Finsternis! Man trank sich satt am Blute
seiner ungezählten Söhne und was von diesem Blute übrig blieb, jenen
Teil, welchen die Schakale der Plünderung, die entsetzlichen Bluthunde
der Eroberung, verschmähten, das fing man mit beiden Händen auf, mit
Bergmannsschaufeln, Schifferkellen, in den Pokalen der Völlerei, auf
beiden Wagschalen der durch den Kot gezerrten Gerechtigkeit, in den
Kelchen selbst der heiligen Altäre und besudelte damit seinen Leib vom
Haupt bis zu den Füßen! Man nötigte das zärtliche Geschöpf, dessen er
wie ein ihm gemäßes Emblem trug (Colombe = Taube. D.U.), einer Aaskrähe
gleich über den Schindanger den Hingemordeten zu stapfen; - die Orgie
der Habsucht und der Blutgier unbrandete seinen hochgemuten Geist wie
ein Sturmwirbel aller Scheußlichkeiten, und über das unermeßliche Grab
der Schmerzen, sein maßlos enttäuschtes Herz, senkte sich bald die
unvorstellbarste Einsamkeit. Kolumbus hatte zur Bedingung gemacht, daß
kein Spanier die neuentdeckten Länder betreten dürfe, dessen
Christentun nicht über jeden Zweifel erhaben sei, wobei er auf den
wahren, eigentlichen Zweck der Unternehmung zielte, der ja "die Mehrung
und der Ruhm des christlichen Glaubens" sein sollte. Die Antwort auf
seinen Ruf war, daß man "für ihn" alle Gefängnisse und Galeeren
Spaniens ausräumte. Was man ihm hinaussandte mit dem Auftrag, das
Beispiel christlicher Tugend an die indianischen Gestade zu tragen,
waren Betrüger, Meineidige, Fälscher, Diebe, Kuppler, Meuchelmörder.
Ihn selbst wagte man der niedrigsten Verbrechen zu bezichtigen und ließ
es zu, daß das ekelhafte Geschmeiß, welches man ihm zuschickte, Zeugnis
ablegen durfte wider den gütigen Hirten, der nichts wollte als seine
Herde schützen und dessen einzige Schandtat darin bestand, daß er sich
erfrecht hatte, die zügellose Freiheit des Plünderns und des Würgens
besagtem Geschmeiß beschneiden zu wollen.
Er wurde abgesetzt, seiner Ämter, seiner Würden und seines Auftrags für
verlustig erklärt und durfte während mehrerer Jahre, ohnmächtig an
Händen und Füßen gefesselt, der Zerstörung seines eigenen Werkes
zusehen. Die willkürlich und ungesetzlich an seine Stelle getretenen
raffgierigen Nachfolger ersetzten, ohne sich lange zu besinnen, seine
väterliche Herrschaft durch den Sklavenkerker und die friedliche
Missionierung durch das grausame System der Repartimientos, was das
Todesurteil für alle jene unglücklichen Völker bedeutete.
Solches war das Morgenrot der modernen europäischen
Kolonisierungstätigkeit. Seit vierhundert Jahren hat sich daran kaun
etwas geänderi.. Der einzige - allerdings beachtliche - Unterschied
besteht darin, daß zur Zeit der Entdeckung der Neuen Welt wenigstens
ein Mann vorhanden war - hehr wie Engel es sind und darun von der Masse
des Gelumpes alsbald hingeschlachtet -, und daß erst unmittelbar nach
seinem Abtritt der koloniale Schauplatz von einer Horde von Lunpen und
Verbrechern betreten wurde, die fortzujagen nie mehr gelingen sollte.
Ja, die Christianisierung der Eingeborenen, die Ausbreitung und Mehrung
von Christi heiliger Kirche in primitiven Menschenseelen, so
leidenschaftlich ersehnt von diesem "Christusträger" (Christophorus),
wie weit sind wir heute davon entfernt! Nicht einmal der Schein eines
sich regenden Gerechtigkeitsempfindens, kaun ein fernes Rühren
menschlichen Mitgefühls mit diesen Unglücklichen! Alle Glieder
schlottern einem vor Entsetzen, wenn man bedenkt, daß die prachtvollen,
eine Gesamtheit von einigen zwanzig Millionen Menschen ausmachenden
indianischen Völker von Chile bis hinauf zun Norden Mexikos in weniger
als einem Jahrhundert von ihren spanischen Besiegern nahezu restlos
ausgetilgt wurden! Das ist in der Tat ein "Idealzustand", der nie
wieder, auch von dem kolonisatorisch so hochbegabten England nicht,
auch nur annähernd erreicht wurde noch je wieder erreicht werden
dürfte.
Es gibt Augenblicke, wo das, was heute vorgeht, selbst Vulkane "zun
Würgen" bringen kann. Wir haben es im vorigen Jahr auf Martinique
erfahren. Nur der sogenannte wissenschaftliche Fortschritt hindert uns,
die wahren Untergründe zu erkennen, und das Grauen bricht keine Minute
ab. Wir brauchen - von dem exotischen Besitz anderer Mächte zu
schweigen - ja nur unsere eigenen französischen Besitzungen zur
Betrachtung heranzuziehen: welch furchtbares Jammergeschrei würde zu
uns herüberdringen, wenn nur die Opfer sich vernehmbar machen könnten!
Welch Brüllen angeschossener Tiere selbst in Algerien und Tunesien,
Ländern, denen doch im gegenwärtigen Augenblick von dem etwas wackligen
Oberhaupt unserer liebenswerten Republik so zahlreiche Gunst- und
Gnadenbezeichnungen entgegengebracht werden! Welch herzzerreißendes
Schluchzen allüberall, auf Madagaskar und auf Neükaledonien, in
Cochinchina und in Tongking!
Selbst dann, wenn man sich weltenweit getrennt fühlt von dem
apostolischen Missionierungswillen eines Kolumbus, was könnte man
gerechterweise anders als Kartätschensalven unseren
Eingeborenenschindern zu bieten haben, welche - unfähig, auch nur ein
Schwein zu schlachten, solange sie in Frankreich sind - kaum zu
Bezirksamtmännern oder Feldwebeln in fernen Ländern aufgerückt in
größter Gemütsruhe unschuldige Menschen vierteilen, zerstückeln, bei
lebendigem Leibe rösten, den roten Ameisen zun Fräße vorwerfen, ihnen
Qualen auferlegen, die keinen Namen haben - und alles das, un sie dafür
zu strafen, daß sie nicht bei der ersten Aufforderung ihre Weiber oder
ihre letzten paar Heller der fremden Gier ausgeliefert haben!
Und dieses Treiben gilt fast für selbstverständlich, ist jedermann
wohlbekannt, und die Bestien, die solch Entsetzliches vollführen, sind
natürlich äußerst ehrenwerte Leute, welche man mit dem Bande der
Ehrenlegion schmückt und die nicht einmal nötig haben, sich zu
verstellen. Kommen sie dann eines Tages mit einem hübschen kleinen
Säckel, manchmal sogar einem recht stattlichen Vermögen heim, gefolgt
von einem unabsehbaren Strome schwarzen Blutes der im Unsichtbaren -
vor dem Antlitz der Ewigkeit - hinter oder neben ihnen herfließt, dann
haben sie - wie das ja jedem Eroberer so geht - im Höchstfall in
exotisch-unsauberen Herbergen ein paar Wanzen totgedrückt und die von
ihren spannenden Erzählungen hingerissenen französischen Mamas können
ihnen nicht schnell genug ihre jungfräulich-zarten Töchter für ein
honettes, bürgerliches Ehebett rüsten.
Während ich dieses schreibe, liegen vor mir verschiedene Dokumente, das
heißt Berichte mannigfacher Art über ganz bestimmte Fälle an deren
Wahrheitstreue nicht zu zweifeln ist. Man könnte Millionen solcher
Berichte zusammenbringen. Die Geschichte unserer Kolonien, besonders
derer im Fernen Osten, ist nichts als eine Aneinanderreihung von
qualvollsten Schmerzen, unsäglichen Grausamkeiten und unvorstellbarer
Schmach. Ich habe von Dingen erfahren, die Steine schluchzen machen
könnten. Möge als einziges Beisiel die Geschichte eines unglücklichen
braven Mannes genügen, der es gewagt hatte, die Sache einiger von
Beamten der Kolonialverwaltung in grausamster Weise drangsalierten
Moisdörfer zu seiner eigenen zu machen. Sein Schicksal war bald
besiegelt. Man wußte an maßgeblicher Stelle recht wohl, daß es ihm an
wirksamer Unterstützung, an einflußreichen Förderern seines Wirkens
fehlte und so besann man sich keinen Augenblick, ihm jene naiven Fallen
zu stellen, in welchen sich noch alle Hochgesinnten mit unfehlbarer
Sicherheit gefangen haben: man trieb ihn mit Vorbedacht ganz unbemerkt
zu Gewalttaten, die das Gesetz als Rebellion bezeichnet und seit
zwanzig Jahren schmachtet er jetzt auf einer Art Teufelsinsel, das
heißt, wenn er noch am Leben ist. Ich habe vor, eines Tages die
Geschichte dieses, weil er an Recht und Gesetz glaubte, auf den
Regierungsleim gekrochenen Mannes mit größter Eindringlichkeit und
Ausführlichkeit, als es hier möglich ist, zu beschreiben.
Es ist einer unserer christlichen Glaubensartikel, daß Jesus nach
SEINEM Kreuzestode unmittelbar zur Hölle niederfuhr, un die
schmerzgequälten Seelen, die nur durch IHN erlöst werden konnten, ans
Licht heraufzuführen. Da alles Göttliche von ewiger Dauer ist, so
besteht auch die gleiche - einzige - Hoffnung fort für gleiches letztes
Leid. Doch ist diese Hoffnung in Wahrheit die einzige und dort in den
Kolonien ist von Menschenseite nichts zu hoffen.
Alle amtlichen Bericht oder ministeriellen Bankettreden sind weiter
nichts als über Fratzen des Grauens gestülpte Masken und es läßt sich
mit absoluter Sicherheit auch ohne viele Dokumente beweisen, daß die
Lage der alteingesessenen Bewohner aller von Europäern eroberten Länder
das Letzte an menschlicher Not und menschlichem Elend darstellt, das
auf Erden geschaut werden kann. Es ist das genaue Abbild der Hölle,
soweit es uns Lebenden gegeben ist, uns von diesem Reich der
Verzweiflung eine Vorstellung zu machen.
Jeder in die Kolonien gehende Christ trägt notwendigerweise den Stempel
des Christentums an seiner Stirn. Er mag wollen oder nicht, wissen oder
nicht wissen, er trägt bei sich Christun den Erlöser den Christus, der
blutet für die, so da elend sind, den Christus, der am Kreuze stirbt,
zur Hölle niederfährt, die Toten auferweckt und da richtet über die
Lebendigen und die Toten. Auch er ist, was er auch tue, als Christ ein
"Christusträger", ein Christophorus wie ein Kolumbus es war, doch ein
Christophorus mit einem Medusenhaupt, ein Christophorus des Grauens,
der Verzweiflungsschreie, des Händeringens und sein wahrer Christus,
der Christus, den er trug, ward auf halbem Wege von den Geistern des
Bösen ihm geraubt.
Der von redlichen geistlichen Vätern sorgfältig aufgezogene und mit
heiligen Grundsätzen ausgestattete "unbeschriebene" Jüngling zieht,
nachdem er Mutter und junge Schwestern in frommer Zärtlichkeit an sich
gedrückt, hinaus in ferne unbekannte Länder, wo man ihm, kaun
angelangt, gestatten wird, die allerärmsten von Gottes Ebenbildern
schmählich zu besudeln und zu martern ...
So also findet das Werk des "Christusträgers" des 15. Jahrhunderts,
jenes sanften Mannes mit dem emblemhaften Namen der "Taube", seine
moderne Fortsetzung; das ist also die Art, wie man den Welterlöser in
die Kolonien trägt! ... |