MITTEILUNGEN DER REDAKTION
München, 23.6.1983, dem Vigiltag vom Fest der Geburt des hl. Johannes des Täufers
Verehrte Leser,
im "Speculum perfectionis" ("Spiegel der Vollkommenheit"), der dem
Bruder Leo zugesprochen wird, antwortet der hl. Franziskus einem
Novizen, der sich mit seiner Erlaubnis ein Psalterium erwerben wollte,
folgendes: '"Kaiser Karl, Roland, Olivarius, alle Paladine und die
starken Männer, die mächtig waren im Kampfe, in der Verfolgung der
Ungläugigen, in Schweiß und Mühe bis zum Tode: ihr Sieg ward im
Gedächtnis der Menschen aufbewahrt; und die heiligen Märtyrer sind im
Kampfe für Gott gefallen; heute jedoch gibt es viele, die allein durch
die Erzählung dessen, was jene vollbracht haben, zu Ehre und
Menschenlob gelangen wollen. So gibt es auch unter uns viele, die nur
durch Vorlesung und Verkündung der Werke, welche die Heiligen
vollbrachten, Ehre und Lob empfangen wollen.' (...) Als aber nach
einigen Tagen der selige Franziskus am Feuer saß, da fragte ihn der
gleiche Novize abermals wegen des Psalteriums. Und es sprach zu ihm der
selige Franziskus: 'Wenn du erst ein Psalterium hast, dann wirst du
begehrlich werden und ein Brevier besitzen wollen; und wenn du ein
Brevier erst hast, dann wirst du auf dem Kacheder sitzen wie ein großer
Prälat und zu deinem Bruder sprechen: 'Bring mir das Brevier'."
(Speculum Perfectionis, München 1953, S.21 f.)
Wie begründet diese Mahnung ist, die vom hl. Franziskus vor fast 8oo
Jahren ausgesprochen wurde, zeigt ein Blick in die eigenen Reihen: man
hat zwar eine rechtgläubige Theorie, aber keinen alles-umfassenden,
lebendigen katholischen Glauben. Man beschwört die Lehrsätze der
Tradition, aber geht der Tradition des Opfers, der Demut und der Liebe
aus dem Weg. Diese Art von Tradition des religiösen Lebens ist zu
anstrengend und störend. Und wie viele Traditionalisten gibt es, die
sich mit der bloß theoretischen Tradition begnügen!!!
Man redet von Opfer und meint das Geldsammeln; man predigt Demut, hält
aber seine Schäfchen für Deppen; man spricht von Bekenntnis, meint aber
politische Demonstration. Mir ist von zwei Männern erzählt worden -
beide sind Priester -: der eine rechtgläubig, der andere modernistisch
angehaucht; der traditionalistische Priester ist wohlgenährt,
unbescheiden, liebt das Geld, ist ästhetisch feinsinnig und hat zu
seinen Pfarrkindern kein Verhältnis (er hält sie weitgehend für
geistige Säuglinge, die man mit Spülwasser abfüttern kann); der andere
ist genügsam, sehnig, im Umgang mit seinen Mitmenschen warm und
freundlich, krempelt auch, wenn Not am Mann ist, seine Ärmel hoch und
packt mit an. Man braucht nicht bis zwei zu zählen, um zu wissen, wem
sich das Vertrauen der Gläubigen, die in den theologischen
Auseinandersetzungen die Übersicht verloren haben, zuwendet.
Heute ist jeder aufgefordert, durch sein gesamtes Leben Zeugnis von der
Wahrheit des Glaubens abzulegen. Vor über 8o Jahren hat Charles Peguy,
als er das Auseinanderbrechen der geistigen Einheit miterlebte, einmal
gesagt, "jeder steht heute an der Front" im Kampf um Gottes Ehre. Und
in unseren Tagen, so muß man hinzufügen, steht jeder isoliert an der
Front. Glaubenskampf heute ist Partisanenkampf und keine Truppenparade
mit Uniformtingeltangel.
Vielleicht haben manche von uns in den nächsten Wochen, abseits vom
zermürbenden Alltag, ein wenig Zeit zur Besinnung in diesem
apokalyptischen Wirrwarr. Ich meine, so ganz unmöglich dürfte es doch
nicht sein, sich zu einer festen Haltung durchzuringen, zu einer
Haltung, die sich auf unser Pilger-Dasein hier auf Erden, auf unser
Dienen vor Gott konzentriert... und nur von diesem Gesichtspunkt aus
läßt sich das Chaos ertragen, lassen sich die Mitmenschen ertragen,
denen wir durch Gottes Auftrag verpflichtet sind.
Ihr Eberhard Heller
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HINWEISE:
1. BEI DER REDAKTION KÖNNEN NOCH ALTE JAHRGÄNGE DER EINSICHT BESTELLT WERDEN (GEGEN EINE ENTSPRECHENDE SPENDE).
2. VON DEM LETZTEN HEFT (MAI 1983) KÖNNEN EBENFALLS ZU WERBEZWECKEN VON
DER REDAKTION NOCH EXEMPLARE BEZOGEN WERDEN (SPENDE DAFÜR ERWÜNSCHT,
ABER NICHT VORAUSSETZUNG).
3. VORRÄTIG IST EBENFALLS NOCH DIE AUTOBIOGRAPHIE VON ERZBISCHOF NGO-DINH-THUC IN FRANZ. SPRACHE.
4 . BITTEN SIE DIE SIE BETREUENDEN SEELSORGER INSTÄNDIG DARUM, SICH ZU
EINER KOOPERATIONSGEMEINSCHAFT ZUSAMMENZUSCHLIESSEN UND ENGEREN KONTAKT
MIT DEN BISCHÖFEN ZU PFLEGEN (ABER NICHT IN DER FORM, DASS MAN SICH UM
EINEN PRÄLATEN ZANKT WIE HUNDE UM EINEN KNOCHEN). BETEN SIE BESONDERS
AUCH DARUM.
5. EINE GANZ HERZLICHE BITTE: UNTERSTÜTZEN SIE DIE BEMÜHUNGEN DER
BISCHÖFE UM DEN FORTBESTAND DES PRIESTERTUMS, HELFEN SIE DEN SEMINARIEN
UND DEN SEMINARISTEN, DURCH OPFER UND GEBET UND DURCH MATERIELLE
SPENDEN.
6. BETEN WIR ALLE UM DIE WIEDERGEWINNUNG DER KIRCHLICHEN EINHEIT, DER
SICHTBARKEIT UND HOHEIT DER KIRCHE. JEDER SOLLTE NACH SEINEN KRÄFTEN
SICH TÄGLICH IM GEBET DIESEM ANLIEGEN WIDMEN.
HL. MESSE IN ST. MICHAEL, MÜNCHEN, BAADERSTR. 56 RCKGBD.II: SONN- UND
FEIERTAGS JEWEILS UM 9 UHR, VORHER BEICHTGELEGENHEIT. AM
HERZ-JESU-FREITAG IST DER GOTTESDIENST UM 9,3O UHR.
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VON DER REDAKTION IST EINE ZUSAMMENFASSUNG VON LEON BLOYS "CELLE QUI
PLEURE" ("DIE, DIE WEINT" - UNSERE LIEBE FRAU VON LA SALETTE)
GEPLANT. WIR BITTEN DIE LESER, UNS MITZUTEILEN, OB AN EINER SOLCHEN AUSGABE INTERESSE BESTEHT. |