EIN SCHLECHTER PAPST
von
Eugen Golla
In gewissen 'traditionalistischen' Kreisen kann man immer wieder hören,
daß wir seit über 20 Jahren schwache Päpste haben (als ob ein
Willensschwacher imstande wäre, fast 2000 Jahre alte Strukturen zu
zerstören!). Wer sich ganz 'radikal' gebärden will, wagt sogar zu
behaupten, jetzt gäbe es leider nur schlechte Päpste. In diesem
Zusammenhang wird dann meist Alexander VI. erwähnt und darauf
hingewiesen, er sei trotz seiner Unwürdigkeit anerkannt worden.
Folglich...
Aber so einfach darf man es sich nicht machen! Ein Arzt, der seine
Kenntnisse nicht dazu anwendet, um den Kranken zu helfen, sondern um
sie zu töten, verdient Mörder genannt zu werden und nicht schlechter
Arzt. Ebenso kann man diejenigen, welche sich nach Pius XII. auf dem
Stuhle Petri niedergelassen haben und die ihr Amt dazu benützen, um die
Kirche zu zerstören, nicht als schlechte Päpste bezeichnen; die
passende Bezeichnung wäre vielmehr Zerstörer der Kirche oder
Seelenmörder.
Was versteht nun die Kirche unter einem schlechten Papst? - Eine alte
Christenlehre 1) schreibt darüber u.a. folgendes: "Die Gegner der
Kirche weisen nicht selten darauf hin, daß es unter den Päpsten viele
schlechte gegeben habe, also Männer, die kein tadelsfreies,
sittenreines Leben geführt haben... (Unterstreichung vom Autor) Darauf
ist zu sagen, daß das Privatleben des Papstes und sein Amt zwei ganz
verschiedene Dingesind. Auch David war in seinem Privatleben eine Zeit
lang ein Sünder, sein Amt, sein Königtum war aber doch von Gott. (...)
Gott hat es zugelassen, daß einige Päpste ein unheiliges Leben führten,
wie das auch bei einem einfachen Priester vorkommen kann.(...) Das
wenigstens ist noch nie vorgekommen, daß ein Papst jemals eine
schlechte oder unsittliche Lehre, einen unsittlichen Grundsatz
aufgestellt hätte." 2)
Betrachten wir nun kurz Alexander VI. (1492-1503), den Prototyp eines
schlechten Papstes. Sämtliche Versuche zu seiner Ehrenrettung - und es
gab solche immer wieder - mußten kläglich scheitern. Es steht vielmehr
fest, daß er auch als Papst nicht die Kraft hatte, seine unsittliche
Lebensweise aufzugeben. Versuche zur Umkehr, besonders nach der
Ermordung seines Lieblingssohnes Juan, ja gelegentlich in aller
Öffentlichkeit und in Briefen ausgesprochene Reue waren von keiner
Dauer, über die Lasterhaftigkeit der Familie Borgia ist von
kirchenfeindlichen Geschichts- und Geschichtenschreibern genüßlich
übergenug geschrieben worden - meist noch unter freiem Walten der
Phantasie und der Übertreibung. Nicht minder schweren Tadel verdient
dieser Papst auch als Herrscher über den Kirchenstaat, da er wie ein
weltlicher Regent reine Machtpolitik betrieb und schließlich in völlige
Abhängigkeit von seinem Sohne Cesar geriet, dessen Ziel es war, mittels
einer Schreckensherrschaft das Patrimonium Petri in ein erbliches
Fürstentum der Borgia umzuwandeln.
Wichtiger ist es, einen kurzen Blick auf die innerkirchliche Tätigkeit
Alexanders VI. zu werfen. Diese konnte natürlich infolge des
Überwiegens rein weltlicher Interessen nicht so intensiv sein, wie es
seiner Pflicht und seiner Begabung hätte entsprechen müssen. Da ist vor
allem eine Bulle zu erwähnen mit sehr heilsaafen Bestimmungen über den
Papst, die Beseitigung von Mißständen im Kardinalskollegium, die Reform
der Apostolischen Kanzlei, das Verbot der Käuflichkeit der Ämter u.s.w.
Leider blieb dies alles nur ein Entwurf.
Das Todesurteil über Savanarola wird von vielen deshalb als ganz
besonders empörend empfunden, weil der sittenloseste Papst den
sittenstrengsten Mönch richtete. Es darf aber nicht außer acht gelassen
werden, daß Savanarola seinen Erfolg als Bußprediger dazu benützte,
sich auf das Gebiet der Politik zu begeben, daß Alexander VI. erst nach
langem geduldigen Warten zur Exkommunikation griff und der eifernde
Mönch schließlich durch seine Konzilspläne, welche die Absetzung des
Papstes zum Ziele hatten, ein Rebell und Schismatiker wurde.
Wie besorgt der Borgia-Papst um die Reinhiet der kirchlichen Lehre war,
beweist das 1501 für Deutschland erlassene Censur-Edikt, das den Druck
und die Verbreitung glaubensfeindlicher Schriften unter strenge Strafen
stellte. Es ist dies die erste Bulle überhaupt, die sich mit dem wenige
Jahrzehnte vorher erfundenen Buchdruck auseinandersetzte.
Für die damalige Zeit war auch der von Alexander VI vorgenommene
Schiedsspruch über die Aufteilung der überseeischen Kolonialgebiete,
insbesondere des eben entdeckten Amerika, unter Spanien und Portugal
von großer Bedeutung; in kirchlicher Hinsicht deshalb, weil den
Herrschern beider Länder gleichzeitig die Verpflichtung auferlegt
worden war, für die Missionierung dieser Länder zu sorgen.
Zum Abschluß einige Sätze aus dem Werke des "Geschichtsschreibers der
Päpste": "Mit vollster Unbefangenheit ergab er sich seinem lasterhaften
Leben bis an sein Ende. Aber merkwürdig: Alexanders VI. Behandlung der
rein kirchlichen Angelegenheiten hat zu keinem begründeten Tadel Anlaß
gegeben, wie denn selbst seine erbittertsten Gegner in dieser Hinsicht
keine weitergehenden speziellen Anklagen formulieren konnten. Die
Reinheit der kirchlichen Lehre blieb unversehrt. Es war gleichsam, als
ob die Vorsehung hätte zeigen wollen, daß die Menschen die Kirche wohl
schädigen, aber nicht zerstören können." 3)
Anmerkungen:
1) Knor, Joh.B.: "Ausgeführte Christenlehre" I.Teil: Glaubenslehre, Rottenburg 1921,S.234.
2) Es gibt insgesamt etwa acht unwürdige, also schlechte Päpste, die meisten im 10. Jhrh., einige in der Renaissance-Zeit.
3) Pastor, Ludwig: "Geschichte der Päpste" 3.Bd., l.Abtlg, 1924, S.599. |