Der Teufel im Kino
Warum der Film "Requiem" an seinem Stoff scheitern mußte
Im November 2005 lief - von Kritik und Publikum leider fast unbeachtet
- der US-Film "Der Exorzismus von Emily Rose" in den Kinos. Basierend
auf dem Buch der deutsch-amerikanischen Kulturanthropologin Felicitas
D.Goodman "Anneliese Michel und ihre Dämonen" (Stein a. Rhein, 1980)
erzählt der Film die Geschichte einer Studentin, die von schrecklichen
Visionen heimgesucht und von dämonischen Mächten attackiert wird.
Nachdem die römisch-katholische Kirche in Gestalt ihrer zuständigen
Diözese die offensichtliche Besessenheit der jungen Frau als echt
anerkannt hat, unterzieht sie sich einem Exorzismus durch einen
Priester, stirbt dann jedoch tragischerweise. Wegen "fahrlässiger
Tötung" vor Gericht gestellt, wird der Geistliche zu einer
Bewährungsstrafe verurteilt, kann jedoch seine Verteidigerin, eine
gestandene Agnostikerin, davon überzeugen, daß die Studentin wahrhaftig
besessen war und keineswegs an den Folgen des Exorzismus, sondern mit
allergrößter Wahrscheinlichkeit an den ihr seit Jahren völlig grundlos
verabreichten Anti-Epileptika starb.
Frau Goodman, deren Spezialgebiet die transkulturelle
Religionsforschung ist, wirkte als Beraterin an dem Film mit. Die
langjährigen Feldforschungen, die sie bei verschiedenen Völkern
betrieben hat, sind für sie Beweis genug, daß dämonische Besessenheit
nichts mit sogenannten psychopathologischen Phänomen, psychogenen
Geisteskrankheiten, hirnorganischen Psychosyndromen oder gar
epileptischen Anfallsleiden zu tun hat, sondern eine in allen Kulturen
vorkommende höchst reale Erscheinung ist. In dem o.g. Film zugrunde
liegenden Besessenheitsfalle der Pädagogikstudentin Anneliese Michel
aus dem mainfränkischen Städtchen Klingenberg, die kurz vor ihrem
sechzehnten Geburtstag im September 1968 erstmals einen dämonischen
Angriff erlebte, bis sie schließlich am 1. Juli 1976 im Alter von 23
Jahren starb, hat Felicitas D.Goodman dankenswerter auf die evidenten
Unterschiede zwischen echter Besessenheit und Geisteskrankheit
hingewiesen. Daß die allermeisten Mediziner, Juristen, Journalisten und
leider auch Kleriker mit einem solchen Wissen nichts anfangen können
ist eine Sache, eine andere ist, daß die modernistischen Theologen, die
heutzutage in der Konzilskirche den Ton angeben, die Existenz des
personhaften Bösen schlichtweg leugnen. Während der Aufklärer Voltaire
und Nietzsche noch wußten, das dies die Substanz der christlichen
Religion ausmacht, ist unserer - dank staatlicher Indoktrination,
falscher Theologie und massen-medialer Manipulation - inzwischen völlig
pervertierten Gesellschaft das Wissen vom Bösen und damit auch die
Furcht vor einer gerechten Vergeltung Gottes mit Erfolg ausgetrieben
worden.
Als Protestantin sind Felicitas D.Goodman bei ihrer wissenschaftlichen
Untersuchung des "Falles Klingenberg" allerdings einige
Fehleinschätzungen unterlaufen. So ist ein Exorzismus keine "alte
Heilmethode" sondern ein "Sakramentale mit imperativem Charakter ohne
physische Wirkung und Gewalt", und natürlich ist ein Besessenheitsfall
auch kein "religiöser Ausnahmezustand", sondern "steht immer in einem
größeren historischen Zusammenhang", und ist im speziellen Fall von
Anneliese Michel "ein einzigartiges Mahnzeichen in einer wirren Zeit,
in der viele Menschen, die überzeugt sind, Christen zu sein, in
erschreckendem Ausmaß nicht nur der Häresie, sondern auch der Apostasie
verfallen, obwohl ihnen ständig das reine Gegenteil eingeredet wird",
wie Prof. Dr. Diether Wendland in seinem 1983 erschienenen Werk "Der
Besessenheitsfall von Klingenberg oder Der Teufel, die Justiz und die
Kirche" schreibt. Sein ausführlicher Bericht, den er nach über
siebenjähriger wissenschaftlicher Recherche vorlegte, und der zum
Besten und Grundlegendsten gehört, was es über Exorzismus im
allgemeinen und den Besessenheitsfall von Klingenberg im speziellen
gibt, befaßt sich vor allem mit dem wahrhaft skandalösen Strafprozeß
gegen die beiden Exorzisten von Anneliese Michel, Pfarrer Alt und Pater
Renz, die wegen angeblich "unterlassener Hilfeleistung" von einem nicht
zuständigen Gericht verurteilt und einer sensationslüsternen Meute
quasi zum Fraß vorgeworfen wurden. Im Rundfunk wurde Bayern als das
Land, "wo die Dämonen heulen" bezeichnet. Presseschlagzeilen forderten:
"Das Unwesen muß ausgerottet werden!"
Daß in der zweitausendjährigen Geschichte der römisch-katholischen
Kirche noch kein einziger Possedierter durch einen nach dem Rituale
Romanum ordnungsgemäß durchgeführten Exorzismus zu Tode kam, wohl aber
die Anzahl der Opfer von Arzneimitteln die Zahl der Verkehrstoten
inzwischen weit übersteigt, spielte in diesem Schauprozeß keine Rolle.
Darüber mag man sich jedoch kaum noch wundern, wenn man weiß, daß
selbst in konzilskirchlichen Kreisen offenbar völlig unbekannt ist, daß
der heutige gültige Exorzismus auf Papst Pius XII., zurückgeht, der
bekanntlich den Wissenschaften gegenüber höchst aufgeschlossen war. Daß
der Auftrag, Besessene zu exorzieren, von Jesus Christus selbst kommt,
der übrigens zahllose Besessene von ihren Dämonen befreite, davon haben
deutsche Richter und Staatsanwälte zwar nicht den blassen Schimmer
eines blauen Dunstes, maßen sich jedoch in ihrem Hochmut an über den
katholischen Glauben zu urteilen. Von der Gefährlichkeit gewisser
Medikamente, wie z.B. dem Anti-Epileptikum "Tegretal", mit dem
Anneliese Michel jahrelang traktiert wurde, obwohl bei ihr - wie
zahlreiche medizinische Untersuchungen zeigten - überhaupt keine
Epilepsie vorlag, war den Herren Juristen und den ansonsten so
kritischen und aufgeklärten Journalisten offensichtlich auch nichts
bekannt. Tatsächlich ruft dieses Medikament bei langjähriger Einnahme
irreversible Leber- und Hirnschäden und zudem - was noch viel
gravierender ist - Schädigungen der roten Blutkörperchen hervor. Der
Verfasser dieser Zeilen hat besagtes Medikament vor ca. dreißig Jahren
im Verlauf einer äußerst schmerzhaften Trigeminus-Neuralgie am eigenen
Leib kennengelernt und mußte es bereits nach ein paar Tagen wegen
erheblicher Nebenwirkungen absetzen - selbst eine normale Büroarbeit
war nicht mehr möglich - und nahm lieber die massiven Schmerzen in Kauf.
Vier Monate nach Scott Derricksons sehenswertem Film "Der Exorzismus
der Emily Rose" kam nun der auf der 56. Berlinale mit einem "Silbernen
Bären" für die schauspielerische Leistung der Hauptdarstellerin Sandra
Hüller ausgezeichnete deutsche Spielfilm "Requiem" in die Kinos. Auch
er basiert auf dem "Fall Klingenberg". Anneliese Michel heißt hier
Michaela Klingler, leidet an epilepsieformen Anfällen, beginnt jedoch
gegen den Willen ihrer tiefgläubigen Eltern ein Pädagogikstudium in
Tübingen. Nachdem sich die Anfälle der seit ihrer Kindheit
gesundheitlich fragilen jungen Frau häufen und sich auch mit schweren
chemischen Keulen nur schlecht kontrollieren lassen, erfahren wir, daß
sie keine Ärzte mehr konsultiert und sich stattdessen ihrem alten
Dorfpfarrer offenbart. Dieser verweist sie an einen jüngeren Kleriker,
der sie mit Unterstützung des alten Priesters einem von der Diözese
schließlich genehmigten Großen Exorzismus unterzieht. Der Film endet
mit der erzwungenen Rückkehr in ihr Elternhaus, von ihrem Tod erfährt
der Zuschauer durch ein eingeblendetes Schriftbild.
Man muß Hans-Christian Schmids "Requiem" zugute halten, daß der Film
auf alles vordergründig Spektakuläre verzichtet, ein sogenannter
Genrefilm wie z.B. William Friedkins Klassiker "Der Exorzist", der
übrigens völlig zu Unrecht als bloßer Horrorfilm unterschätzt wurde,
ist er gewiß nicht. Und er hat eine großartige Hauptdarstellerin:
Sandra Hüller in der heiklen Rolle der Michaela Klingler. Mehr Gutes
läßt sich allerdings über den Film nicht sagen, denn leider stimmt fast
nichts an der Geschichte, die er erzählt. So litt die junge Frau, wie
Felizitas D.Goodman anhand der von ihr recherchierten ärztlichen
Untersuchungsberichte herausfand, weder an Epilepsie noch an einer
Psychose, und ihre Eltern waren auch keineswegs gegen das Studium in
Würzburg, sondern unterstützten sie in ihrer Absicht, Lehrerin zu
werden. Vollkommen falsch ist ebenfalls, daß sie keine Ärzte mehr
konsultiert hätte, ganz im Gegenteil hatte sie eine wahre Odyssee durch
das deutsche Medizinsystem hinter sich, doch die ihr über Jahre hinweg
unkontrolliert verabreichten chemischen Keulen - ohne daß zuvor jemals
irgendwelche krankhaften Befunde erhoben wurden -, erreichten nur, daß
ihre geistig-seelische Abwehrkraft gegen die dämonische Besessenheit
zum Schluß gegen Null tendierte. Und die junge Frau war natürlich auch
nicht im Haus ihrer Eltern eingesperrt, wie der Film suggeriert,
sondern reiste in den Intervallen, in denen sie sich absolut wohl
fühlte, immer wieder - die Exorzismen dadurch unterbrechend - zum
Studium nach Würzburg.
Es gibt zwei annehmbare Thesen, was nun tatsächlich zum Tode von
Anneliese Michel führte. Sowohl die These von Felicitas D.Goodman, daß
die jahrelange, grundlose Verabreichung härtester Anti-Epileptika wie
"Tegretal" ihren Tod herbeigeführt haben kann, wie auch die These von
Prof. Dr.Dieter Wendland, daß der in A.M.´s Besessenheit real
gegenwärtige signifikante Dämon, dem es im Gegensatz zu den bereits
ausgetriebenen Dämonen gelungen war die beiden Exorzisten zu täuschen,
schließlich ihren Tod verursachte und diesen sogar zeitlich exakt
vorhersagte ("Im Sommer geht's wieder rund, wenn's kracht!") dürfen als
glaubhaft und nicht widerlegbar angesehen werden. Sehr wahrscheinlich
ist auch ein Zusammenspiel dieser beiden Faktoren. Für den Film und
seine von der FAZ bis zur "Jungen Freiheit" unkritisch-begeisterten
Kritiker steht indes glasklar fest, daß die Exorzismen zu ihrem Tod
führten. Daß dies gar nicht möglich ist, da es in der gesamten
Kirchengeschichte keinen einzigen Fall gibt, in der ein Besessener
durch einen Exorzismus zu Tode kam, haben wir bereits schlüssig
dargelegt. Was bei dem ganzen "Fall" völlig offen bleibt ist die Frage,
warum weder in dem berüchtigten Schauprozeß noch in dem hochgelobten
Film "Requiem" von den vierzig Tonbandcassetten, die die beiden
Priester von den Exorzismen aufgenommen hatten, überhaupt keine Rede
mehr ist. Der US-Film "Der Exorzismus von Emily Rose" thematisiert dies
dank der Beratung durch Frau Goodman, die die Tonbandcassetten einer
wissenschaftlichen Analyse unterzogen hatte, nach der sie zu dem Schluß
kam, daß hier ein echter Besessenheitsfall vorlag, nämlich durchaus.
Aber "Requiem" ist eben ein deutscher Film, der den Stand heutiger
politik-kultureller und religiöser Korrektheit nie aus den Augen
verliert und sich gerade dadurch an seinem schwierigen Stoff so
gräßlich verhebt und verrenkt, daß man ihn nur als rundum gescheitert
bezeichnen kann. Kenntnisarm, wie er ist, ist er aber vor allem eines
nicht geworden: Anneliese Michels Requiem.
Werner Olles
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