Moderaturus (gequält): Erspare mir bitte weitere Darlegungen. Dein
Vernichtungsfeldzug gegen unseren Glauben hat mich aufgewühlt und in
zunehmendem Maße belastet. Laß uns lieber noch ein wenig über das
Verhältnis von Kirche und Welt sprechen.
Revoluturus (befürchtet erneut, daß sein Freund der Revolution den
Rücken kehrt und fährt in versöhnlichem Ton fort) Zuvor wollen wir uns
aber an diesem erlesenen Assmannshäuser Höllenberg laben, du weißt
doch, der Wein erfreut des Menschen Herz.
Moderaturus: Bei dieser Aussage der Hl. Schrift kann ich wenigstens
sicher sein, daß sie nicht deinem Vernichtungsfeldzug zum Opfer fällt.
Doch nun eröffne mir, wie du das Verhältnis von Kirche und Welt
verändern willst.
Revoluturus: Die Generallinie lautet, Ankopplung der Kirche an die
Welt, so wie sie bisher Ankopplung der Kirche an die anderen
Religionsgemeinschaften lautete. Wir werden der Welt gegenüber einen
völlig anderen Ton anschlagen, wobei die Devise heißt, Dialog und
Kooperation statt Konfrontation im Sinne des Aufrufs zur Bekehrung,
womit wir ihres Beifalls sicher sein können. Endlich werden wir uns den
Wunschtraum erfüllen, von der Welt akzeptiert zu werden.
Moderaturus: Leider spricht die Hl. Schrift eine andere Sprache. Darf
ich dich an die folgenden Stellen erinnern, die leicht vermehrt werden
könnten: „Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott besteht darin, sich
vor jeder Befleckung durch die Welt zu bewahren" (Jak 1, 27). „Ihr
Ehebrecher, wißt ihr nicht, daß Freundschaft mit der Welt Feindschaft
mit Gott ist. Wer also ein Freund der Welt sein will, der wird zum
Feind Gottes" (Jak 4, 4).
Revoluturus (unbeeindruckt): Die von uns angestrebte Freundschaft mit
der Welt hat eben ihren Preis, sie ist nicht zum Nulltarif zu haben. Es
geht darum, den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Kirche und Welt
aufzuheben, der aus den Zitaten spricht, die du soeben erwähntest.
Moderaturus (erschrocken): Du willst dich doch nicht etwa frontal gegen die Hl. Schrift stellen?
Revoluturus: Im Konzilstext muß ich selbstverständlich Vorsicht walten
lassen und wieder einmal zweigleisig fahren, indem ich einerseits
solchen Stellen meine Referenz erweise, die von einer Angleichung an
die Welt warnen, damit ich mit anderen Passagen die Gegenposition
einbringen kann.
Moderaturus: Jetzt geht es ja schon wieder los mit den unlauteren Methoden ...
Revoluturus: ... und der Erkenntnis des Octavio: „Es ist nicht immer
möglich, im Leben sich so kinderrein zu halten, wie’s uns die Stimme
lehrt im Innersten.“ Wir müssen auch auf diesem Feld, sagen wir es
diplomatisch, eine gewisse Robustheit entwickeln, um unser Ziel
erreichen zu können.
Moderaturus: Aha, so heißt das neuerdings, Robustheit, wenn es darum
geht, Widersprüchliches zu lehren, und den Widerspruch zu kaschieren
bzw. zu beschönigen.
Revoluturus: So kommen wir nicht weiter. Wir sollten uns lieber fragen,
wie wir konkret die anthropozentrische Wende vollziehen wollen, von der
wir eingangs sprachen.
Moderaturus: Nun gut, ich denke, du hast auch da schon detaillierte Vorstellungen entwickelt; lasse sie mich wissen.
Revoluturus: Die Abwertungsschritte, die wir bezüglich unserer Kirche
vollzogen haben, bringen uns nicht nur den anderen Denominationen,
sondern auch der Welt nahe. Wir ernten jetzt auch im Hinblick auf das
Verhältnis von Kirche und Welt die Früchte von dem, was wir mit der
Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche gesät haben, denn das
veränderte Selbstverständnis macht einen anderen Umgang mit der Welt
erforderlich. Auf der Basis dieses neuen Selbstverständnisses werden
wir unsere Solidarität mit der Welt bekunden; übrigens ist Solidarität
auch einer der Begriffe, der in nachkonziliarer Zeit in aller Munde
sein wird.
Im Sinne der von uns angestrebten anthropozentrischen Wende wird man im
Konzilstext lesen: „Es ist fast einmütige Auffassung der Gläubigen und
der Nichtgläubigen, daß alles auf Erden auf den Menschen als seinen
Mittel- und Höhepunkt hingeordnet ist."
Moderaturus: Damit erweckst du den Eindruck, daß die Sorge um den
Menschen ein gemeinsames Fundament bei Atheisten und Christen hat, was
nicht der Fall ist. Außerdem ist für die Kirche überall Christus der
Mittel- und Höhepunkt, auf den alles hingeordnet ist.
Revoluturus: Deshalb konnte es ja im Rahmen dieser Theozentrik zwar
eine Zusammenarbeit auf humanitärem Gebiet, aber keine Solidarität mit
den Nichtgläubigen geben, die wir verwirklichen wollen. Voraussetzung
aber dafür ist, daß wir den Menschen in den Mittelpunkt unserer
Bestrebungen stellen, wie es die Nichtgläubigen tun.
Moderaturus: Also ist diese Solidarität nur um den Preis der Selbstverleugnung der Kirche zu haben?
Revoluturus: Wenn du es so nennen willst, jedenfalls werden wir den
Schwerpunkt vom Jenseits ins Dieseits verlagern. Bischöfe und Priester
werden in nachkonziliarer Zeit oft mehr über Frieden, Politik und
Wirtschaft sprechen als über den Glauben. Im Zeichen der angestrebten
Solidarität wird das Konzilsdokument, das sich mit dem Verhältnis von
Kirche und Welt befaßt, mit den programmatischen Worten beginnen:
„Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute,
besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und
Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi."
Moderaturus: Bisher lehrte die Kirche, daß Freude und Hoffnung der
Menschen, die auf innerweltliche Genußentfaltung, Machtentfaltung,
Geltungs- und Besitzentfaltung zielt, nicht Freude und Hoffnung der
Jünger Christi sind. Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen
waren für die Kirche immer ein Feld, das sie zu bearbeiten hatte, und
sie setzt dieser Trauer und Angst die Freude entgegen, welche die
Verkündigung der Frohen Botschaft ihnen schenkt mit dem Ziel, die
Herzen dort zu verankern, wo die wahren Freuden sind.
Revoluturus: Treffend beschreibst du die Kehrtwende, die wir vollziehen
werden. (Während er diesen Satz ausspricht wird ihm klar, daß das ‘wir’
nicht mehr zu halten ist, weil sein Freund längst nicht mehr auf seiner
Linie liegt; um zu vermeiden, daß ihm dieser diesen Tatbestand vorhält,
fährt er in der Ichform fort) Übrigens werde ich im Konzilstext auch
bezüglich des Verhältnisses von Kirche und Welt eine gemeinsame Suche
nach der Wahrheit festschreiben und sagen: „Durch die Treue zum
Gewissen sind die Christen mit den übrigen Menschen verbunden im Suchen
nach der Wahrheit und zur wahrheitsgemäßen Lösung all der vielen
moralischen Probleme, die im Leben der Einzelnen wie im
gesellschaftlichen Zusammenleben entstehen.“
Moderaturus: Die antikatholische Position, die eine Suche nach der
Wahrheit behauptet, brauchen wir nicht erneut zu erörtern. Jedenfalls
kann dann die katholische Kirche auch im weltlichen Bereich nicht mehr
den Ausschlag geben, sondern was sie zu sagen hat, wird zu einem
Beitrag unter anderen degradiert.
Revoluturus: Mein Freund, wer den Anspruch erhebt, den Ausschlag zu
geben, der kann weder mit der Welt, noch mit den anderen Religionen
Freundschaft schließen, deshalb ist es wichtig, daß die katholische
Kirche auf beiden Feldern die Kehrtwende vom Ausschlag zum Beitrag
vollzieht. In diesem Sinne äußere ich mich mit Bezug auf die
Seelsorger, Ordensleute und Gläubige folgendermaßen: „Durch
beharrliches Studium sollen sie sich fähig machen, zum Dialog mit der
Welt und mit Menschen jedweder Weltanschauung ihren Beitrag zu leisten."
Moderaturus: So machst du aus der Braut Christi, die mit unbedingtem
Wahrheitsanspruch der Welt entgegentritt, eine Magd, die Hilfsdienste
für innerirdisches Wohlergehen leistet.
Revoluturus (süffisant): Das mit dem absoluten Wahrheitsanspruch ist
vorkonziliar gedacht, und ich rate dir, nach dem Konzil so etwas nicht
mehr zu äußern, denn vorkonziliares Denken wird dann das Schimpfwort
schlechthin sein. Du scheinst übrigens noch immer nach dem Prinzip
verfahren zu wollen, „wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht naß.“ Du
solltest dir endlich darüber klar werden, welcher Preis für die
Freundschaft mit der Welt und den anderen Religionen zu zahlen ist.
Moderaturus (bedrückt): Da muß ich dir recht geben, auch hier
bewahrheitet sich das Wort der Hl. Schrift „Niemand kann zwei Herren
dienen.“ Ein Revolutiönchen wie es mir vorschwebte, das sehe ich jetzt
klar, ist nicht möglich. Entweder es findet eine Revolution statt, oder
es findet keine Revolution statt, tertium non datur. Der Preis für
diese Freundschaften ist hoch, viel höher als ich dachte, ja mir
scheint jetzt, er ist unverantwortlich hoch.
Revoluturus (ignoriert bewußt die Bedenken seines Freundes): Ich bin
noch nicht zu Ende mit meinen Ausführungen. Es gibt da noch eine harte
Nuß zu knacken, nämlich die überlieferte Lehre der Kirche über die
Religionsfreiheit. Diese Lehre steht der von uns angestrebten
Doppelfreundschaft im Wege, der Freundschaft mit der Welt, weil sie
direkt gegen die Religionsfreiheit gerichtet ist, welche in den
Verfassungen der modernen Staaten steht, und sie steht der Freundschaft
mit den anderen Religionen im Wege, weil wir zu ihnen kein gutes
Verhältnis haben können, solange wir ihnen zugleich, im Sinne der
traditionellen Lehre sagen, daß sie als irrtumsbehaftete
Religionssysteme kein Recht auf Existenz haben und deshalb lediglich
Duldung vonseiten der katholischen Kirche erfahren können.
Moderaturus: Aber diese Lehre, mit der ich mich ausführlich beschäftigt
habe, kann doch nicht aufgegeben werden. Lasse mich ein wenig ausholen,
um sie zu begründen. Wie du weißt, werden die Menschenrechte, zu denen
auch die Religionsfreiheit in den liberalen Verfassungen der modernen
Staaten zählt, mit der Menschenwürde begründet. Religionsfreiheit heißt
dabei, daß jeder Mensch das Recht hat, die Religion zu wählen, die ihm
zusagt, und er hat ebenso das Recht, sie im Rahmen der öffentlichen
Ordnung auszuüben. Eigentlich ist die Rede von der Begründung der
Menschenrechte mit der Menschenwürde nicht korrekt, denn die
Menschenwürde ist im Rahmen der liberalen Verfassungen ein
Grundbegriff, der inhaltlich nicht bestimmt ist, sondern als ein
unbefragtes Basisfaktum ausgegeben wird. Da er unbestimmt bleibt, kann
man im Rahmen dieser Verfassungen auch nicht entscheiden, ob, wie
behauptet, die Menschenrechte, die sie anführen, wirklich aus der
Menschenwürde folgen oder nicht.
Im Raum der Kirche ist hingegen die Menschenwürde keineswegs ein nicht
weiter zurückführbares Basisfaktum, sondern sie ist in der
Gottebenbildlichkeit des Menschen begründet und in dem Anruf Gottes an
ihn, Seinen Willen zu erfüllen. Diese Zurückführung ist außerordentlich
folgenreich. Durch sie verliert nämlich die Menschenwürde zunächst
einmal den Charakter eines bloßen Faktums und steht nun im Zeichen der
Pflicht des Geschöpfes seinem Schöpfer gegenüber, Ihn zu ehren und
Seine Gebote zu halten. Die Menschenwürde kann nur durch ihre
Rückbindung an Gott einsichtig gemacht werden.
Da die Menschenwürde im Sinne der Kirche im Zeichen des Sollens steht,
nämlich der Pflichterfüllung Gott gegenüber, bestimmt dieses Sollen
zugleich die Menschenrechte, die aus dieser Würde abgeleitet werden
können. Nun wird überhaupt erst überprüfbar, ob ein angebliches
Menschenrecht in Wahrheit ein Menschenrecht ist oder nicht. Das
entscheidet sich nämlich an der Frage, ob es mit der Erfüllung der
Pflicht des Menschen Gott gegenüber vereinbar, ob es für sie notwendig
bzw. förderlich ist oder nicht.
Nun kommt es entscheidend darauf an einzusehen, daß Gott nur das Recht
zur Wahl der wahren Religion gewährt, weil das in Seinem ersten Gebot
eingeschlossen ist, das zugleich einschlußweise die Wahl einer falschen
Religion verurteilt. Hätte Gott dem Menschen das Recht gegeben, eine
falsche Religion zu wählen, dann hätte Er ihm das Recht gegeben, sich
gegen Seinen Willen zu entscheiden und damit hätte Er dem Menschen das
Recht gegeben zu sündigen, was natürlich absurd ist. Wohl hat Er dem
Menschen die Freiheit gegeben eine Religion zu wählen, ein Recht gibt
es aber nach dem Willen Gottes nur für die Wahl der wahren Religion. Es
gibt also weder ein Recht, sich der wahren Religion zu verweigern, noch
ein Recht, sich für eine falsche Religion zu entscheiden und da es ein
solches Recht nicht gibt, kann es auch nicht in der Menschenwürde
begründet sein!
Bezüglich der falschen Religionen ist das öffentliche Bekenntnis ebenso
wie die Ausübung derselben gegen den Willen Gottes gerichtet. Beides
geht unmittelbar aus dem ersten Gebot hervorgeht: „Ich bin der Herr,
dein Gott - Du sollst keinen anderen Gott neben mir haben.“ Aber Gott
verhindert im allgemeinen weder das Bekenntnis noch die Ausübung einer
falschen Religion, Er duldet vielmehr diese Übel, abgesehen von
außergewöhnlichen Eingriffen durch Ihn. Und da Christus für die Kirche
in allem Vorbild ist, also auch darin, daß Er das Übel in der Welt
duldet, wozu gehört, daß sich viele Menschen von Seiner Kirche abwenden
und sich entweder gar keiner oder einer falschen Religion zuwenden,
deshalb verbindet die Kirche ihre Intoleranz in dogmatischer Hinsicht
mit einer Toleranz in praktischer Hinsicht, indem sie es akzeptiert,
daß der Staat die öffentliche Ausübung falscher Religionen in gewissem
Umfang duldet.
Revoluturus: Ja, das ist die berühmte Toleranzlehre der Kirche,
Toleranz im Sinne der Duldung eines Übels, mit der sie sich den Haß der
Welt und der anderen Religionsgemeinschaften zugezogen hat. (Versucht
es erneut mit dem ‘Wir-Stil’, um die Gefolgschaft seines
Gesprächspartners zurückzugewinnen) Sie kommt für uns natürlich nicht
mehr in Frage, denn nachdem wir die anderen Religionen so enorm
aufgewertet haben, können wir ihre Ausübung doch nicht mehr unter die
Kategorie „Duldung eines Übels“ fallen lassen. Wir müssen also von
dieser überlieferten Lehre loskommen.
Moderaturus (bemerkt zwar die Umarmungsstrategie seines Freundes,
reagiert aber nicht darauf): Das wird dir schwerlich gelingen, denn
seit der Französischen Revolution, welche das Recht auf
Religionsfreiheit als Menschenrecht proklamierte, hat sich das
kirchliche Lehramt in einer ganzen Reihe von Enzykliken mit aller
Schärfe gegen dieses Recht gewandt, und diese Enzykliken sind den
Konzilsvätern gegenwärtig.
Revoluturus: Selbstverständlich kann ich nicht direkt gegen diese
Enzykliken vorgehen, über die ich mich oft geärgert habe, ich muß
vielmehr noch einmal alle Register der Formulierungskunst ziehen. Du
hast übrigens sehr klar den Unterschied zwischen der Religionsfreiheit
der modernen Staaten und der diesbezüglichen Lehre der Kirche
dargestellt und mir damit zugleich den Weg gewiesen, wie ich vorgehen
muß. Wenn ich schließlich zur Religionsfreiheit im Sinne dieser Staaten
gelangen will, dann muß ich die neue Lehre der Kirche über die
Religionsfreiheit, die ich durchsetzen werde, unabhängig von den
Gottesrechten entwickeln.
Moderaturus: Diesem Vorhaben hat aber, wie gesagt, das kirchliche Lehramt einen Riegel vorgeschoben ...
Revoluturus: ... also muß ich auf eine Methode der Entriegelung sinnen
und diese will ich dir jetzt darlegen. Dabei kommt mir eine Stelle in
der Enzyklika Pacem in terris, von Johannes XXIII., sehr gelegen, mit
der er der Lehre seiner Vorgänger mit folgenden Worten widerspricht:
„Zu den Rechten des Menschen ist auch dies zu zählen, daß er sowohl
Gott nach der rechten Norm seines Gewissens verehren als auch seine
Religion privat und öffentlich bekennen kann.“ Diese Aussage schwächt
zwar enorm die Position meiner Gegner, reicht aber natürlich nicht aus,
um die Bahn für die neue Lehre frei zu machen. Im nächsten Schritt
verabreiche ich ihnen aus taktischen Gründen eine Beruhigungspille,
indem ich im Vorwort zu der Erklärung über die Religionsfreiheit
behaupte, daß die dann folgende konziliare Lehre „die überlieferte
katholische Lehre von der moralischen Pflicht der Menschen und der
Gesellschaften gegenüber der wahren Religion und der einzigen Kirche
Christi unangetastet“ läßt.
Moderaturus: Das ist aber doch, nach deiner Absicht zu urteilen, gar nicht wahr.
Revoluturus (unbeeindruckt) : Ich muß hier, wie gesagt, alle Register
ziehen und darf mich nicht von moralischen Rücksichten lähmen lassen,
sonst kann der beabsichtigte Coup nicht gelingen, eine Lehre über die
Religionsfreiheit einzuführen, die mit dem neuen Selbstverständnis der
Kirche übereinstimmt, die den Beifall der Welt findet und die mit der
Koexistenz-Ökumene harmoniert. Ich will dir nun die Strategie meines
Vorgehens zunächst mit wenigen Worten umreißen und anschließend ins
Detail gehen:
Ich werde lang und breit von den Rechten der Person sprechen und dabei
versichern, daß die überlieferte Lehre von diesen Ausführungen
unangetastet bleibt. Indem ich auf diese Weise die Gottesrechte
wegblende, blende ich auch den Maßstab aus, den die Gottesrechte für
die Menschenrechte setzen, wodurch ich die Öffnung des Konzils für die
von den Gottesrechten entkoppelten Menschenrechte, im Sinne des
liberalen Staates, ermögliche.
Dann stelle ich die Freiheit von Zwang in religiösen Dingen in den
Mittelpunkt der Erörterung. Zwang, mein Freund, ist heutzutage einer
der bestgehaßten Begriffe, und die Aura dieses Begriffs mache ich mir
zunutze, um den mir unliebsamen Teil der kirchlichen Lehre über die
Religionsfreiheit zu kippen. Mit unschuldiger Miene werde ich
ausführen: „Das Vatikanische Konzil erklärt, daß die menschliche Person
das Recht auf religiöse Freiheit hat. Diese Freiheit besteht darin, daß
alle Menschen frei sein müssen von jedem Zwang sowohl von seiten
Einzelner wie gesellschaftlicher Gruppen, wie jeglicher menschlicher
Gewalt, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein
Gewissen zu handeln, noch daran gehindert wird, privat und öffentlich,
als einzelner oder in Verbindung mit anderen innerhalb der gebührenden
Grenzen nach seinem Gewissen zu handeln.“
Moderaturus: Dabei vermischst du ja Wahres mit Falschem. Wahr ist, daß
der Mensch in religiösen Dingen ein Recht hat, nicht gezwungen zu
werden gegen sein Gewissen zu handeln, was das traditionelle kirchliche
Lehramt dem Menschen ausdrücklich zuerkennt und begründet. Falsch aber
ist und gegen die überlieferte Lehre gerichtet, daß der Mensch
unabhängig davon, ob er sich für die wahre Religion oder eine falsche
Religion entscheidet, das Recht hat, ungehindert gemäß seinem Gewissen
zu handeln.
Revoluturus: Diese Vermischung ist gerade meine Absicht, wie überhaupt
das Vermischen von Ebenen eine meiner erfolgreichsten Methoden sein
wird, (ironisch) du hast sie mir ja auch schon mehrmals angekreidet,
mein lieber Beckmesser. Hier ziehe ich ein Recht auf Wahl und Ausübung
einer falschen Religion, sozusagen im Windschatten der Freiheit zu
dieser Wahl, über die Bühne.
Moderaturus: Wieder einmal scheinst du deine Gegner zu unterschätzen.
Glaubst du denn, sie würden diesen Trick nicht durchschauen und sich
auf Pius XII. berufend gegen dich argumentieren: „Was nicht der
Wahrheit und dem Sittengesetz entspricht, hat objektiv kein Recht auf
Dasein, Propaganda und Aktion“?
Revoluturus: Ich bin mir bewußt, daß um die Religionsfreiheit der
heißeste Kampf auf dem Konzil entbrennen wird. Unsere Gegner kennen die
traditionelle Lehre genau und Kardinal Ottaviani ist auch noch
Spezialist für das Öffentliche Recht der Kirche. Wenn ich an ihn denke
und an seine Parteigänger (...), diese Inkarnationen der
Rechtgläubigkeit, dann weiß ich, was mir bevorsteht. Aber in diesem
Punkt laufen sie mir ins offene Messer, denn ich werde sie mit einem
philosophischen Argument überraschen und überrumpeln. Ich behaupte
gegen jenen Satz schlankweg, daß nur Personen Träger von Rechten sein
können und daß hinter jenem Satz von Pius XII. aus seiner Ansprache Ci
riesce eine falsche Auffassung von der Wahrheit stehe, die statisch und
abstrakt sei. Rechte gäbe es, so werde ich sagen, nur im
zwischenmenschlichen Bereich.
Moderaturus: Du tust ja so, als ob die Wahrheit eine Sache wäre. Wenn
sie es wäre, dann könnte sie allerdings nicht Träger von Rechten sein,
weil das nur Personen zukommt. Aber die Wahrheit hat keinen sachhaften
Charakter. Christus straft die gegenteilige Behauptung Lügen, sagt Er
doch von Sich selbst: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben."
Die Wahrheit ist folglich selbst Person.
Revoluturus: Ich kann nur hoffen, daß meine Gegner nicht auf der
philosophisch-theologischen Ebene argumentieren werden, sonst käme ich
allerdings in Argumentationsnot. Was übrigens meine Begründung für die
Forderung nach Freiheit von Zwang der genannten zweifachen Art in
religiösen Dingen betrifft, stütze ich mich nach dem Vorbild der
liberalen Verfassungen auf die Menschenwürde und sage: „Ferner erklärt
das Konzil, das Recht auf religiöse Freiheit sei in Wahrheit auf die
Würde der menschlichen Person selbst gegründet.“
Moderaturus: Deine Auffassung von Religionsfreiheit, welche auch
diejenige der liberalen Staaten ist, folgt aber gar nicht aus der
Menschenwürde. Denn die Menschenwürde besteht wesentlich darin, daß der
Mensch als Ebenbild Gottes von Ihm geschaffen wurde, und er deshalb die
Pflicht hat, Gott zu verehren und folglich auch Seine Rechte zu wahren,
wogegen deine Religionsfreiheit, wie ich soeben zeigte, gegen die
Rechte Gottes gerichtet ist.
Revolutorus: Deshalb habe ich ja durch die genannte Einschränkung der
Thematik die Gottesrechte ausgeklammert. Schließlich behaupte ich sogar
noch, daß dieses Menschenrecht in der Offenbarung begründet ist ...
Moderaturus: ... was auch nicht der Wahrheit entspricht ...
Revoluturus: ... aber eine mir willkommene Stütze für die neue Lehre ist, auf die ich nicht verzichten kann.
Moderaturus: Dennoch hast du dein Ziel damit noch nicht erreicht, denn
du willst diese Religionsfreiheit ja nicht nur für Personen, sondern
auch für Religionsgemeinschaften festschreiben, denn zu diesen soll
doch ein gutes Verhältnis angestrebt werden.
Revoluturus: Du hast recht, diese Hürde muß ich noch überwinden und
habe dafür auch schon eine geeignete Strategie entwickelt. Ich werde
nämlich von der Personenebene zur Ebene der Religionsgemeinschaften
hinübergleiten, indem ich sage: „Die Sozialnatur des Menschen erfordert
aber, daß der Mensch innere Akte der Religion nach außen zum Ausdruck
bringt, mit anderen in religiösen Dingen in Gemeinschaft steht und
seine Religion gemeinschaftlich bekennt. Die Freiheit als Freisein vom
Zwang in religiösen Dingen, die den Einzelnen zukommt, muß ihnen auch
zuerkannt werden, wenn sie in Gemeinschaft handeln. Denn die
Sozialnatur des Menschen wie auch der Religion selbst verlangt
religiöse Gemeinschaften.“ Auf diese Weise übertrage ich das vorher den
Anhängern der Religionen zuerkannte Recht auf öffentliche Ausübung
ihrer Religionen auf deren Religionsgemeinschaften.
Moderaturus: Diese These ist anfechtbar, denn vom inneren religiösen
Akt zu seinem Ausdruck im Äußeren kommt es nicht durch ein Erfordernis
der Sozialnatur des Menschen, sondern durch einen Akt seines freien
Willens! Diesen Akt unterschlägst du bzw. ersetzt ihn durch ein
angebliches Erfordernis der menschlichen Natur. Aus der Tatsache, daß
viele Menschen ihren inneren religiösen Akten nach außen hin Ausdruck
verleihen wollen, bzw. sich zu Religionsgemeinschaften
zusammenschließen wollen, kann man keine Naturgegebenheit konstruieren.
Revoluturus: So zu argumentieren ist nicht der Stil meiner Gegner. Hier
baue ich auf die Suggestivkraft des Begriffs Sozialnatur, und du wirst
sehen, daß ich dabei auf keinen großen Widerstand stoßen werde.
Moderaturus: Dann gelangst du ja tatsächlich zu der Art von
Religionsfreiheit, welche die Verfassungen der modernen, liberalen
Staaten enthalten.
Revoluturus: Genau das war mein Ziel, und ich scheue mich nicht, dieser
Übereinstimmung im Konzilstext Ausdruck zu verleihen, und zwar mit den
Worten: „Bekanntlich ist die Religionsfreiheit, auch in den meisten
Verfassungen schon zum bürgerlichen Recht erklärt, und sie wird in
internationalen Dokumenten feierlich erklärt.“
Moderaturus: Dann legt also das Konzil die Grundlage dafür, die
katholische Religion als Staatsreligion abzuschaffen. Bist du dir denn
im klaren darüber, daß das Konzil sich dadurch dem Herrschaftsanspruch
unseres Herrn über die Gesellschaft widersetzt, zu dem sich die Kirche
durch alle christlichen Jahrhunderte bekannt hat und dem sie in der
Oration des Christkönigsfestes mit den Worten Ausdruck verleiht:
„Allmächtiger ewiger Gott, Du hast in Deinem geliebten Sohne, dem König
des Weltalls, alles erneuern wollen; so gib denn gnädig, daß alle
Völker, die durch das Unheil der Sünde entzweit sind, sich Seiner so
milden Herrschaft unterwerfen.“ Wenn das wirklich beschlossen wird, was
du willst, dann versündigt sich das Konzil an Christus.
Revoluturus: Versündigen hin, versündigen her, jedenfalls kann es keine
Freundschaft mit der Welt geben, wenn die Kirche diesen
Herrschaftsanspruch Christi aufrecht erhält. Und da wir diese
Freundschaft gewinnen wollen, müssen wir eben diesen
Herrschaftsanspruch Christi aufgeben, und ich sage dir voraus: Alle
Staaten der Welt, in denen die katholische Religion Staatsreligion ist,
werden auf Veranlassung der Vertreter der Kirche in nachkonziliarer
Zeit ihre Verfassungen ändern, so daß fortan die katholische Religion
in keinem Staat mehr Staatsreligion ist.
Moderaturus: Damit ist offenkundig, daß das Konzil ein Recht auf
Religionsfreiheit in der katholischen Kirche einführen wird, das in
zentralen Punkten gegen die Gottesrechte verstößt ...
Revoluturus: ... und es wird dir deshalb wie ein Hohn klingen, wenn du
im Anschluß an die Erklärung lesen wirst, daß der Papst die
Veröffentlichung dieser Declaratio zur Ehre Gottes gebietet.
Moderaturus: Das schlägt in der Tat dem Faß den Boden aus. Mein Freund,
dein groß angelegter Plan ist wohldurchdacht, er zeugt von großem
Scharfsinn und alle Schritte zu seiner Verwirklichung greifen
folgerichtig ineinander. Leider aber wird die Umsetzung dieses Planes,
wenn du ihn denn durchsetzen kannst, unserer Kirche unermeßlichen
Schaden zufügen. Ich habe deshalb ernsthafte Zweifel, ob ich dieses
Unternehmen noch mittragen kann.
Revoluturus (versucht seinen Freund mit Spott für die Revolution zurückzugewinnen):
„Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;
Und Unternehmungen voll Mark und Nachdruck,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen.“
Moderaturus (bitter): Spotte nur mit deinen Hamlet-Kenntnissen über
mich. Wenn ich einmal vor meinem ewigen Richter stehe, dann hilfst du
mir nicht. Übrigens bin ich überzeugt, daß du keine Chance hättest für
deinen Plan die erforderliche Mehrheit der Stimmen zu gewinnen, wenn
die Konzilsväter von vornherein deine Absichten durchschauen könnten.
So aber tritt das Antikatholische in den Texten verstreut auf, in
diplomatischen Formulierungen, von denen du mir ja einige Kostproben
gegeben hast und eingebettet in tausend Richtigkeiten, so daß es für
einen Uneingeweihten fast unmöglich ist zu erkennen, worauf das Ganze
hinausläuft; deshalb hast du gute Aussichten, deine Ziele erreichen zu
können. Nicht nur die katholische Lehre wird dabei Zug um Zug
verändert, sondern auch viele Konzilsväter werden das Konzil mit einem
anderen Glauben verlassen als sie ihn beim Eintritt in dasselbe hatten.
Revoluturus: Ich bin noch nicht zu Ende mit der Erläuterung meines
Schlachtplans. Laß uns abschließend noch über die Liturgiekonstitution
sprechen, mit der ich einen Rahmen schaffen will, der in
nachkonziliarer Zeit durch eine Liturgiereform so ausgefüllt werden
wird, daß man in der neuen Messe die überlieferte Messe kaum mehr
wiederzuerkennen vermag.
Moderaturus (möchte das Gespräch beenden): Dazu bedarf es keiner großen
Ausführungen mehr, denn du hast mir ja schon zu Beginn unseres
Gespräches dargelegt, daß du eine „volksnahe“ Liturgie anstrebst, bei
der die Laien eine Mitträgerschaft erhalten. Du willst den Rahmen für
eine „verständliche“ Liturgie schaffen, die ihrer Fassungskraft
angepaßt ist, die sich von der bisherigen darüber hinaus durch
Kürzungen und Vereinfachungen unterscheidet. Gemeinschaftliches Handeln
von Priester und Laien soll dabei Trumpf sein. Diese Ziele kann ich ja
noch mittragen und bin bereit, als Preis dafür sogar eine gewisse
Entsakralisierung der Liturgie in Kauf zu nehmen, denn Erhabenheit,
Entrücktheit und Geheimnishaftigkeit werden auf der Strecke bleiben.
Revoluturus (wittert seine Chance zu einem erneuten Schulterschluß und
bemerkt lobend): Das hast du trefflich zusammengefaßt, du bist eben
doch kein Konservativer, denn für diese Betonköpfe zählt nur die
Heiligkeit der Messe.
Moderaturus (zurechtweisend): Du solltest dir dieses Schimpfwort
sparen. Oder war der hl. Paulus ein Betonkopf, weil er nach seinem Wort
handelte: „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch auch überliefert
habe?“ Vielleicht wirst du dir einmal nichts sehnlicher wünschen, als
treu die Überlieferung bewahrt zu haben, nämlich dann, wenn du vor
deinem ewigen Richter stehst - aber dann ist es zu spät!
Revoluturus (zuckt kurz zusammen, spült mit einem kräftigen Schluck des
Assmannshäusers seinen Schrecken über die Schlußbemerkung seines
Freundes hinunter und vermeidet es wohlweislich, auf sie einzugehen):
Ich habe dir bisher noch nicht eröffnet, daß ich dem Opfer der Kirche
in der Messe einen anderen Inhalt geben werde.
Moderaturus (entsetzt): Bist du denn von Sinnen! Du willst es wagen, an das Heiligste zu rühren?
Revoluturus (kalt und entschlossen): Ich muß hier einen Durchbruch im
Sinne unserer protestantischen Brüder erzielen, sonst wird es nichts
mit dem neuen Ökumenismus. Deshalb hat für mich höchste Priorität, ein
solches Rahmenwerk für die nachfolgende Liturgiereform zu schaffen, daß
diese eine tragende Säule für den neuen Ökumenismus werden kann.
Moderaturus (scharf): Ich dachte eigentlich, die katholische Wahrheit hätte höchste Priorität.
Revoluturus (ignoriert den Seitenhieb): Was unsere protestantischen
Brüder seit eh und je auf die Palme bringt, angefangen von Luther, ist
die Rolle des Priesters in der Messe, daß er nämlich in persona Christi
handelnd das hl. Opfer vollzieht.
Moderaturus: Allerdings, aber diese Glaubenswahrheit kannst du doch
nicht leugnen, geschweige denn darauf hoffen, für eine solche Leugnung
eine Stimmenmehrheit zu finden.
Revoluturus (entkorkt mit einem laut knallenden Geräusch, das bei
diesem Wein zu den schönsten Hoffnungen berechtigt, die dritte Flasche
des Roten und schenkt nach): Natürlich muß ich in diesem hoch sensiblen
Bereich behutsam vorgehen und zu offenen Formulierungen greifen, die
den Widerspruch zur überlieferten Lehre verdecken. Den Weg dazu hat mir
übrigens der Benediktinermönch Odo Casel gewiesen.
Moderaturus: Du meinst den Theoretiker der Liturgischen Bewegung mit
seiner obskuren Lehre, daß der Mensch im Kultmysterium aus der Zeit
heraustreten und in die göttliche Gegenwart eintreten könne?
Revoluturus: In der Tat, diese Lehre ist obskur und ich halte sie,
unter uns gesagt, für eine pseudo-philosophische Spekulation, denn der
Mensch steht auf Erden nun einmal in der Zeit und das gilt auch für das
Kultmysterium. Mir kommt es aber auf die Konsequenz jener Ansicht für
das Opfer der Kirche im Meßopfer an, weil sie für meinen Ökumenismus
von größter Bedeutung ist. Freilich lasse ich den Namen Casel in der
Konzilsaula nicht fallen, denn seine Lehre ist bekanntlich sehr
umstritten.
Moderaturus: Welche Konsequenz meinst du denn?
Revoluturus: In der Konzeption dieses Benediktiners dauert das
historische Kreuzesopfer in der Weise fort, daß es selbst unter dem
Schleier des Mysteriums, wie er sich ausdrückt, in die Gegenwart tritt.
Dadurch schafft er die Voraussetzung dafür, das Opfer der Kirche im
Meßopfer umzudeuten, was zu einer gravierenden Reduktion der Funktion
des Priesters führt.
Moderaturus: Erkläre dich genauer.
Revoluturus: Nun, wenn im Meßopfer das historische Kreuzesopfer selbst
in sakramentaler Weise in die Gegenwart tritt, indem - nach Casel - die
Zeit im Kultmysterium sozusagen aufgehoben ist, dann vollzieht Christus
in der Messe Sein Opfer ohne den Priester. Dieser hat nach ihm
diesbezüglich nur die Funktion, Christus präsent zu machen, und zwar
durch die Wandlung der Gaben Brot und Wein. ohne seine Mitwirkung.
schlägt er eine Brücke zu unseren protestantischen Brüdern.Revoluturus:
Nun, wenn im Meßopfer das historische Kreuzesopfer selbst in
sakramentaler Weise in die Gegenwart tritt, indem - nach Casel - die
Zeit im Kultmysterium sozusagen aufgehoben ist, dann vollzieht Christus
in der Messe Sein Opfer ohne den Priester. Dieser hat nach ihm
diesbezüglich nur die Funktion, Christus präsent zu machen, und zwar
durch die Wandlung der Gaben Brot und Wein. Diese Wandlung gehört für
Casel, im Gegensatz zur überlieferten Lehre der Kirche, nicht zum
Vollzug des hl. Opfers, sondern sie stellt für ihn nur die Vorbedingung
für den Vollzug dieses Opfers dar. Bei dem Vollzug des Opfers bleibt
der Priester bei Casel außen vor, es vollzieht sich also ohne seine
Mitwirkung.
Moderaturus (fassungslos): Dann raubt Casel ja dem katholischen
Priestertum seine wichtigste Funktion, nämlich in persona Christi das
hl. Opfer zu vollziehen!
Revoluturus: Genau so ist es, aber darin besteht ja gerade die enorme
ökumenische Relevanz seiner Theorie. Durch diese fundamentale Reduktion
der Funktion des katholischen Priesters in der Messe schlägt er eine
Brücke zu unseren protestantischen Brüdern.
Moderaturus: Mit dieser Auffassung kannst du gar nicht durchdringen,
denn du verlierst mit ihr das Opfer der Kirche im Meßopfer. Das Konzil
von Trient hat aber eindeutig festgelegt, daß Christus Seinen Aposteln
und damit auch Seinen Priestern aller Zeiten ein Opfer hinterlassen
hat, nämlich Seinen Leib und Sein Blut im Gedenken an Ihn zu opfern.
Revoluturus (mit überlegener Miene): Wenn ich auch das Opfer der Kirche
im Sinn der überlieferten Lehre verliere, so bedeutet das ja nicht, daß
ich es nicht ersetzen könnte. Natürlich ist mir bewußt, daß ich mit
Hinblick auf Trient ein spezifisches Opfer der Kirche brauche, und hier
hatte dieser Benediktinermönch die „geniale“ Idee, die Weise wie nach
der überlieferten Lehre der Priester das Opfer vollzieht, nämlich im
Gedächtnis des Herrn, zu abstrahieren und diese Weise selbst zu einem
Opfer zu erklären. Diesen Grundgedanken übernehme ich, wobei ich mich
natürlich in diesem hochsensiblen Bereich vorsichtig ausdrücken muß.
Moderaturus: Hm. Das ist ja unglaublich raffiniert. Du hältst also vom
wahren Opfer der Kirche im Meßopfer nur die Weise fest, wie es der
Priester vollzieht, nämlich im Gedenken des Herrn, isolierst diese
Weise und machst sie zu einem eigenen Opfergegenstand. Dabei wahrst du
den Schein, am Opfer der Kirche festzuhalten, obwohl du in Wirklichkeit
diesem Opfer einen anderen Inhalt unterlegst. Das ist in der Tat ein
diabolisch inspirierter Plan!
Revoluturus (nimmt erneut einen kräftigen Schluck des Roten, um seinen
Ärger über diese Qualifizierung seines Planes loszuwerden und gibt sich
unbeeindruckt): Übrigens hat diese Konzeption noch einen entscheidenden
Vorteil im Sinne meines Vorhabens. Es ist dann nämlich nicht mehr
einsehbar, wie das Kreuzesopfer real fortdauern kann, wenn das Opfer
der Kirche nur im Gedächtnis der Heilstat des Herrn besteht, es sei
denn man übernimmt die Auffassung Casels, daß im Kultmysterium die Zeit
aufgehoben ist, wozu die wenigsten Kleriker bereit sein dürften. Und
weil die Fortdauer des Kreuzesopfers dann nicht mehr einsehbar ist,
wird die Folge davon sein, daß die Auffassung des Messe als eines
Opfers immer mehr aus dem Bewußtsein des Klerus und der Gläubigen in
der nachkonziliaren Zeit verschwinden wird. Das Meßopfer wird deshalb
im Bewußtsein der meisten zu einer bloßen Mahlfeier werden, denn das
Mahl ist die Weise, wie jenes Gedächtnis gefeiert wird. Zweifellos wird
diese Entwicklung den Beifall unserer protestantischen Brüder finden
und ist somit für den konziliaren Ökumenismus von großer Bedeutung.
Moderaturus (bitter): Allerdings, aber um welchen Preis erkaufst du dir
diesen Beifall! Du zerstörst im Grunde die Lehre vom hl. Meßopfer,
insofern es ein Opfer der Kirche ist und läßt es als solches zu einer
Gedächtnisfeier degenerieren. Dadurch triffst du das katholische
Priestertum ins Herz. Mir bleibt nur noch zu hoffen, daß man dir auf
die Schliche kommt und den Widerspruch zur katholischen Lehre aufdeckt.
Revoluturus: Wenn ich in der Liturgiekonstitution mit meinem Plan
durchdringe, dann kann ich an anderer Stelle großzügig sein und die
Konservativen mit der traditionellen Lehre zum Zuge kommen lassen, was
sie beschwichtigen wird. (Spöttisch setzt er hinzu) Da hast du also
wieder die von dir gerügte Doppelzüngigkeit, aber ...
Moderaturus (angewidert): Genug der Worte, ich will davon nichts mehr
hören. Dein Vorhaben hat mich erschüttert, und ich sage dir offen, mir
graut vor dem, was du vorhast. Wenn ich bisher noch gezweifelt habe, ob
ich dir noch folgen kann, dann weiß ich nun, daß dies nicht der Fall
sein wird. Ich wiederhole: Wenn die Konzilsväter deine Pläne
durchschauen würden, dann hättest du keine Chance sie zu verwirklichen.
Revoluturus: Allerdings, ich muß mich deshalb vor allem hinsichtlich
meines Hauptangriffspunktes bedeckt halten. Rückblickend auf unser
Gespräch wirst du ihn unschwer erkennen: Es ist der absolute
Wahrheitsanspruch unserer Kirche. Die wichtigsten Passagen, die ich
durchsetzen werde, zielen auf die Preisgabe dieses Anspruches, der
schon immer für die Welt und die anderen Religionen der Stein des
Anstoßes, das Ärgernis schlechthin war! Ihn zu Fall zu bringen ist mein
vorrangiges Ziel, und deshalb torpediere ich ihn auf verschiedenen
Ebenen. Wenn der Absolutheitsanspruch der katholischen Kirche gefallen
ist, dann winkt uns die Freundschaft der Welt und der anderen
Religionen. (Bemerkt, daß sein Gesprächspartner von den in Aussicht
gestellten Freundschaften nicht mehr zu beeindrucken ist und erkennt,
daß er infolgedessen seine Gefolgschaft endgültig verloren hat. In
scharfem Ton fährt er fort) Wie gesagt, gerade diese Absicht muß
unbedingt geheimgehalten werden, und deshalb habe ich mir zu Beginn
unseres Gespräches mir dein Wort geben lassen, daß du niemanden über
seinen Inhalt unterrichten wirst. Du wirst dich doch an dein Ehrenwort
halten?
Moderaturus (resigniert): Ja, ich werde mein Wort halten.
Die Freunde verstummen. Sie haben bis tief in die Nacht ein hitziges
Gespräch geführt und sind nun erschöpft; außerdem hat der Rote ihren
Geist ein wenig benebelt. Jeder geht jetzt seinen eigenen Gedanken
nach. Revoluturus genießt seinen künftigen Triumph in der Konzilsaula
und nachdem er sich ihn in den schönsten Farben ausgemalt hat, wendet
er sich erneut dem Assmannshäuser zu, dem er zum guten Teil sein
Glücksgefühl verdankt und versucht, Schluck für Schluck prüfend, die
treffendsten Prädikate für ihn zu finden. So kommt es, daß sein Blick
erst nach längerer Zeit auf seinen Freund fällt. Dieser ist in seinem
Sessel zusammengesunken und Schweißperlen bedecken seine Stirn.
Revoluturus: Was hast du? Ist dir nicht wohl?
Moderaturus (fährt zusammen, murmelt etwas Unverständliches, faßt sich dann und stößt hervor): Schrecklich!
Revoluturus: Was ist schrecklich?
Moderaturus (wischt sich den Schweiß von der Stirn und beginnt nach
einer langen Pause): Höre dir meinen Traum zur Warnung an. Mir träumte,
ich war in Gottes Gericht. Doch vor mir war ein anderer an der
Reih(...). Als er vortrat, ertönte eine starke und zugleich milde
Stimme, welche die Worte sprach: „Da du getreu warst bis in den Tod,
will Ich dir die Krone des Lebens geben.“
Dann trat ich vor und stammelte zu meiner Rechtfertigung: „Ich wollte
die Kirche mit der Welt versöhnen und ihre Freundschaft gewinnen.“ Da
hörte ich dieselbe Stimme, jetzt aber scharf und durchdringend:
„Wußtest du nicht, daß Freundschaft mit der Welt Feindschaft mit Gott
ist?“
Noch einmal versuchte ich mich zu rechtfertigen, zitternd am ganzen
Leibe: „Ich wollte eine Einheit mit den anderen Religionen herstellen.“
Und wieder ertönte diese Stimme, noch furchterregender als zuvor, und
ich vernahm die Worte: „Und dafür hast du Meine Kirche verraten?“
Da stürzte ich in Vernichtung nieder. - In diesem Augenblick hast du mich aus diesem furchtbaren Traum gerissen. (...)
Es tritt erneut eine längere Pause ein. Dann summt Moderaturus etwas vor sich hin.
Revoluturus (gereizt): Was summst du denn da vor dich hin?
Moderaturus: Im Zusammenhang mit unserem Gespräch stellte ich mir
gerade den Einzug der Konzilsväter in den Petersdom am morgigen Tag vor
und da fiel mir plötzlich die folgende Stelle aus dem Lohengrin ein.
Revoluturus ist verstimmt. Er erhebt sich, dankt für die Gastfreundschaft und verabschiedet sich.
(aus: Wolfgang Schüler: "Pfarrer Hans Milch", (Stuttgart) 2005, 2. Bd., S. 973 ff.)
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