Moderaturus: Jetzt schießt du wieder einmal über das Ziel hinaus; es
gibt doch bei den Sakramenten keine Stufung. Ein Sakrament ist gegeben,
oder es ist nicht gegeben.
Revoluturus: In der Tat müssen wir hier vorsichtig zu Werke gehen und
sprechen den protestantischen Denominationen zunächst einmal nur den
Besitz der Taufe als sakramentalen Besitz zu.
Moderaturus: Auch das geht schon zu weit. Du bist doch in der
katholischen Glaubenslehre bewandert genug, um zu wissen, daß die Taufe
allein durch die Kirche Gottes gespendet wird, auch dann, wenn sie ein
Laie spendet und ein protestantischer Pastor ist in Wahrheit ja nur ein
Laie.
Revoluturus: Selbstverständlich weiß ich das, weshalb ich ja auch
anstelle eines durch, listig ein interpretationsfähiges in setzen
werde. Es wird nämlich im Text von den nicht-katholischen Christen
heißen, sie „empfangen das Zeichen der Taufe, wodurch sie mit Christus
verbunden werden; ja sie anerkennen und empfangen auch andere
Sakramente in ihren eigenen Kirchen oder kirchlichen Gemeinschaften."
Moderaturus: Unklarer geht es wohl nicht!
Revoluturus: Klarer darf es leider aber auch nicht sein, denn mit jenem
durch würden wir bei unseren Gegnern auf unüberwindbare Hindernisse
stoßen.
Moderaturus: Was meinst du eigentlich mit „andere Sakramente“?
Revoluturus: Die Eucharistie, was an anderer Stelle deutlich wird, wo
es heißt, daß „die getrennten Kirchen und Kirchlichen Gemeinschaften im
Abendland vor allem wegen des Fehlens des Weihesakraments die
ursprüngliche und vollständige Wirklichkeit des eucharistischen
Mysteriums nicht bewahrt haben." Indem ich einen doppelten Mangel
hervorhebe, jubele ich den Gegnern unter, daß die Protestanten das
eucharistische Mysterium bewahrt haben, nur nicht seine „ursprüngliche
und vollständige Wirklichkeit“. Jedenfalls kann man jenen Satz so
verstehen.
Moderaturus: Ich möchte wissen, was das heißen soll „unvollständige
Wirklichkeit des eucharistischen Mysteriums“. Was ist denn das
eucharistische Mysterium? Die Wandlung der Gaben Brot und Wein in den
Leib und das Blut Jesu Christi. Diese Wandlung findet entweder statt,
oder sie findet nicht statt. Es ist doch sinnlos, von einem mehr oder
weniger verwirklichten eucharistischen Mysterium zu sprechen.
Revoluturus: Natürlich ist diese Ausdrucksweise dunkel, aber da sie von
den genannten Einschränkungen flankiert ist, kann ich sie über die
Bühne ziehen. Wichtig ist mir, daß wir den Protestantismus auch auf der
sakramentalen Ebene aufwerten und darüber hinaus mit dieser
Formulierung den Fuß in der Tür haben, die in nicht allzu ferner
Zukunft zur Anerkennung seiner Ämter und zur Anerkennung des
protestantischen Abendmahles durch die katholische Kirche führt.
Moderaturus: Die Anerkennung einer lediglich unvollständigen
Glaubenslehre und das, was du ihnen auf der sakramentalen Ebene
zuerkennst, bedeuten zweifellos eine enorme Aufwertung der
protestantischen Denominationen. Aber wenn wir uns fragen, was für den
Menschen letztendlich das Entscheidende im Hinblick auf die Religion
ist, dann lautet die Antwort: Ausschlaggebend ist, ob sie eine
Heilsmittlerschaft besitzt oder nicht. Diese besitzen aber die
protestantischen Denominationen nach katholischer Lehre nicht, so daß
hier zumindest ihrer Aufwertung eine Grenze gesetzt ist.
Revoluturus: Genau das ist der springende Punkt. Wenn es nicht gelingt,
ihnen eine Heilsmittlerschaft zuzuerkennen, dann kann es keinen
Durchbruch in der Annäherungsproblematik geben, deshalb werden wir den
protestantischen Gemeinschaften auf Biegen und Brechen eine
Heilsmittlerschaft zuerkennen.
Moderaturus: Bist du von Sinnen, du kannst doch nicht dem Dogma
widersprechen, daß die Zugehörigkeit zur Kirche für alle Menschen
heilsnotwendig ist, das auch in den bekannten Worten ausgedrückt wird:
extra ecclesiam nulla salus - außerhalb der Kirche gibt es kein Heil!
Revoluturus: Diesen Einwand habe ich erwartet. In diesem sensiblen
Bereich ist Formulierungskunst gefragt; wir müssen alle Register
unserer Diplomatie ziehen und dazu gehört, daß wir auch hier
widersprüchliche Aussagen zulassen. Wir werden einerseits den
Konservativen entgegenkommen und sagen: „Darum könnten jene Menschen
nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott
durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht
eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten." Aber in einem anderen
Dokument wird es heißen: „Auch zahlreiche liturgische Handlungen der
christlichen Religion werden bei den von uns getrennten Brüdern
vollzogen, die auf verschiedene Weise je nach der verschiedenen
Verfaßtheit einer jeden Kirche und Gemeinschaft ohne Zweifel
tatsächlich das Leben der Gnade zeugen können und als geeignete Mittel
für den Zutritt zur Gemeinschaft des Heiles angesehen werden müssen.
Ebenso sind diese getrennten Kirchen und Gemeinschaften trotz der
Mängel, die ihnen nach unserem Glauben anhaften, nicht ohne Bedeutung
und Gewicht im Geheimnis des Heiles. Denn der Geist Christi hat sich
gewürdigt, sie als Mittel des Heiles zu gebrauchen, deren Wirksamkeit
sich von der der katholischen Kirche anvertrauten Fülle der Gnade und
Wahrheit herleitet."
Moderaturus: Du willst also den Konzilsvätern schon wieder
widersprüchliche Textpassagen vorlegen und meinst, durch Verteilung auf
verschiedene Dokumente den Widerspruch kaschieren zu können.
Revoluturus: Nicht allein dadurch, denn ich komme ja in der zweiten
Passage unseren Gegnern entgegen, indem ich zwar auch den
protestantischen Denominationen eine Heilsmittlerschaft zuerkenne, aber
hinzusetze, daß „deren Wirksamkeit sich von der der katholischen Kirche
anvertrauten Fülle der Gnade und Wahrheit herleitet.“
Moderaturus: Du bist aber dabei klug genug, nicht darauf einzugehen, wie diese Herleitung zu denken ist.
Revoluturus: Danach zu fragen, wie etwas zu denken ist, entspricht
nicht dem Denkstil unserer Gegner, weshalb ich guten Mutes bin, daß mir
diese Frage erspart bleibt.
Moderaturus: Selbst wenn in den konservativen Reihen der Nachsatz als
Beruhigungspille wirkt, weil man seine Unhaltbarkeit nicht durchschaut,
so werden doch die protestantischen Denominationen auf jeden Fall an
ihm Anstoß nehmen, denn für sie ist es unerträglich, daß sie die ihnen
zuerkannte Heilsmittlerschaft der katholischen Kirche verdanken sollen.
Revoluturus: Deshalb werden wir in den erklärenden Anmerkungen die
Bedeutung dieses Nachsatzes herunterspielen, und zwar dahingehend, daß
die Existenz der katholischen Kirche die Bedingung dafür war, daß sie
jene Elemente bewahren konnten. Die Heilswirksamkeit selbst komme ihnen
direkt durch den Geist Christi zu.
Moderaturus: Das ist aber auch nicht möglich, denn eine von der
katholischen Kirche getrennte Gemeinschaft kann doch nicht den Beistand
des Heiligen Geistes genießen, da ihre Trennung ein Widerstand gegen
Ihn ist.
Revoluturus: Wie gesagt, ich baue darauf, daß der Gegner hier nicht
nachbohrt. Übrigens ist jener Nachsatz nicht nur theoretisch
gegenstandslos, wie du richtig erkannt hast, er ist es auch in
praktischer Hinsicht. Denn ein Mensch, der einer von der katholischen
Kirche getrennten Gemeinschaft angehört, fragt doch nicht warum dieser
eine Heilswirksamkeit zukommt, sondern ihm kommt es darauf an, daß sie
ihr zukommt. Deshalb wird dieser Nachsatz in nachkonziliarer Zeit keine
Rolle spielen, ich mache also mit ihm dem Gegner nur zum Schein eine
Konzession, und zwar sowohl in theoretischer also auch in praktischer
Hinsicht.
Moderaturus: Bist du dir eigentlich im klaren darüber, daß du mit der
Zuerkennung einer Heilsmittlerschaft bezüglich der in Opposition zur
Kirche gegründeten christlichen Denominationen, der katholischen
Mission den Boden entziehst, insofern diese sich auf die Angehörigen
derselben richtet?
Revoluturus: Es ist ja meine Absicht, diesen Missionsbestrebungen den
Boden zu entziehen, denn sie stehen meinem neuen Ökumenismus im Wege.
Wir können doch nicht zu diesen Gemeinschaften ein gutes Verhältnis
aufbauen und zugleich ihre Anhänger mit Mystici corporis auffordern,
„sich aus einer Lage zu befreien, in der sie des eigenen ewigen Heiles
nicht sicher sein können.“
Doch bevor ich dir diesen neuen Ökumenismus erläutere, gilt es noch,
eine grundlegende Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche ins
Auge zu fassen.
Moderaturus (bedrückt): Was willst du denn noch alles ändern? Nach dem Konzil kennen wir unsere Kirche ja nicht mehr wieder!
Revoluturus (befürchtet, daß ihm sein Gesprächspartner von der Fahne geht und versucht ihn zu besänftigen):
Mein Freund, die von uns angestrebte Öffnung zu den anderen Religionen
und zur Welt ist nun einmal nicht zum Nulltarif zu haben (schenkt ihm
ein und trinkt auf sein Wohl) Prosit! Wie recht hat doch Wilhelm Busch,
wenn er sagt:
„Rotwein ist für alte Knaben,
Eine von den besten Gaben.“
Übrigens wird sich das Konzil lange hinziehen, weshalb ich dich
herzlich bitten möchte, einen nicht zu knapp bemessenen Vorrat von
diesem herrlichen Assmannshäuser Höllenberg anzulegen. Wir werden
seiner aus doppeltem Grund bedürfen: Er soll unser Tröster in den
Niederlagen sein, die uns unsere Gegner bereiten und mit ihm wollen wir
unsere Siege über sie feiern.
Moderaturus (stolz): Keine Bange, mein Weinkeller ist wohlgefüllt. Doch
fahre nun fort mit deiner Veränderung des Selbstverständnisses der
Kirche.
Revoluturus: Die folgende Änderung am traditionellen Selbstverständnis
der Kirche zielt ebenfalls darauf ab, den neuen Ökumenismus zu
ermöglichen. Nachdem wir die anderen christlichen Denominationen in der
genannten Weise aufgewertet haben, so daß wir schließlich auch den
protestantischen Gemeinschaften eine Heilsmittlerschaft zuerkannt
haben, ist der Zeitpunkt gekommen, einen neuen Volk-Gottes-Begriff
einzuführen und die Kirche damit zu identifizieren. Übrigens stützen
wir den Begriff der Kirche auf die Volk-Gottes-Beschreibung derselben,
weil die beiden anderen hauptsächlichen Kennzeichnungen der Kirche, als
der mystische Leib Christi bzw. als die Braut Christi für den neuen
Ökumenismus untauglich sind; diesen werden wir deshalb nur flüchtig
unsere Referenz erweisen.
Moderaturus: Das mit dem neuen Volk-Gottes-Begriff kann dir schwerlich
gelingen, denn der Volk-Gottes-Begriff ist, wie du weißt, nach der
Lehre der Kirche durch die folgenden drei Bedingungen festgelegt:
a) Das Bekenntnis des integralen katholischen Glaubens
b) Die sakramentale Einheit, insbesondere die Eucharistiegemeinschaft
c) Die Unterordnung der Gläubigen unter die gottgewollte Hierarchie.
Revoluturus: Wohl kenne ich diese berühmte dreifache Fessel, aber von
dieser werden wir uns befreien, mit der gebotenen Vorsicht, versteht
sich.
Moderaturus: Da bin ich aber gespannt, wie du das anstellen willst.
Revoluturus: Zunächst einmal werde ich die bewährte Methode der
Einbettung unserer zur überlieferten Lehre konträren Aussagen in ein
traditionskonform klingendes Textumfeld anwenden. Das allein reicht
aber nicht aus. Auch hier kommen wir um eine Zweigleisigkeit nicht
herum, diesmal aber ist sie von anderer Art. Wir werden nämlich
parallel zueinander zwei verschiedene Volk-Gottes-Begriffe verwenden,
nämlich den traditionellen und einen neuen, ohne das natürlich
ausdrücklich zu sagen. Du wirst also so kernkatholische Äußerungen
finden wie: „Der Amtspriester nämlich bildet kraft seiner heiligen
Gewalt, die er inne hat, das priesterliche Volk heran und leitet es."
bzw. „Eines ist also das auserwählte Volk Gottes: 'Ein Herr, ein
Glaube, eine Taufe' (Eph 4,5)". Solche Aussagen werden bei unseren
Gegnern den Eindruck erwecken, daß das Konzil den rechtgläubigen
Volk-Gottes-Begriff lehrt. Parallel dazu werden wir aber einen
inhaltlich gewandelten Volk-Gottes-Begriff verwenden, wir führen also
heimlich am alten Begriff eine Sinnmutation durch, was übrigens eine
Methode ist, derer wir uns auch noch in anderen Zusammenhängen bedienen.
Moderaturus: Jetzt rücke endlich damit heraus, wie du deinen neuen Volk-Gottes-Begriff fassen willst.
Revoluturus: Bei dieser Sinnmutation fallen wir selbstverständlich
nicht mit der Tür ins Haus, sondern werden den neuen Begriff vielmehr
ganz nebenbei einfließen lassen, und ich wette, daß man noch Jahre nach
dem Konzil von der Parallelität zweier Volk-Gottes-Begriffe im
Konzilstext nichts merken wird. Die Neudefinition leiten wir ein, indem
wir in hohen Tönen vom Volk Gottes sprechen. Dabei kommen Wendungen vor
wie die folgenden: „Dieses messianische Volk hat zum Haupte Christus.
Von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit
gestiftet, wird es von ihm auch als Werkzeug der Erlösung angenommen
und als Licht der Welt und Salz der Erde (vgl. Mt 5, 13 - 16) in alle
Welt gesandt."
Moderaturus: Was du beschönigend Sinnmutation nennst, ist in
Wirklichkeit ein semantischer Betrug. Mit deinem neuen
Volk-Gottes-Begriff erweckst du ja den Eindruck, als ob Christus
unmittelbar, ohne Seine Kirche, ein neues Volk gestiftet hätte und du
sprichst diesem Eigenschaften zu, die in Wirklichkeit den Aposteln und
ihren Nachfolgern zukommen.
Revoluturus: Das hast du richtig erkannt, denn es kommt mir darauf an,
eine unmittelbare Beziehung zwischen Christus und diesem Volk zu
konstruieren, und auf dieser Grundlage gelange ich dann zu folgender
Definition: „Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem
Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens
glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet,
damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden
Einheit sei.“
Moderaturus (ringt um Fassung): Das ist ja toll, fast genau so hat sich
Luther ausgedrückt. Um zum Volk Gottes bzw. zur Kirche zu gehören ist
es demnach nur erforderlich, „zu Christus als dem Urheber des Heils und
dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufzuschauen.“ Diese
Begriffsbestimmung entspricht doch der im protestantischen Raum
entwickelte Fundamentalartikellehre, derzufolge der Glaube an gewisse
„fundamentale“ Glaubenswahrheiten genügt, um zur Kirche zu gehören.
Alle Protestanten gehören nach deiner Definition zu ihr. Die dreifache
Einheit des überlieferten Volk-Gottes-Begriffs ist damit in jeder
Hinsicht aufgegeben.
Revoluturus (lächelt): Die Befreiung von dieser dreifachen Fessel ist
unverzichtbar, wenn es zu einer alle Christen umfassenden Ausweitung
des Begriffes Kirche kommen soll, die auch deren Gemeinschaften umfaßt.
Übrigens kann ich dir jetzt deine Frage beantworten, was ich mit der
subsistit-in-Lehre anzufangen gedenke. Diese macht ja einen Unterschied
zwischen der Kirche Jesu Christi und der katholischen Kirche ohne die
erstere inhaltlich zu bestimmen. Nun bestimme ich sie, indem ich sie
mit der Kirche identifiziere, die durch das Volk Gottes gegeben ist,
wobei ich natürlich den umgedeuteten Volk-Gottes-Begriff meine.
Moderaturus: Aha, du brauchst also den Unterschied, den die
subsistit-in-Lehre macht, um Platz für deinen neuen Kirchenbegriff zu
bekommen, der sich auf die Kirche Jesu Christi bezieht. Der neue
Volk-Gottes-Begriff ist auf diese Kirche Jesu Christi geschlüsselt und
definiert sie, während der überlieferte Volk-Gottes-Begriff auf die
katholische Kirche geschlüsselt ist.
Revoluturus: Du sagst es, und auf diese Weise gelange ich dazu, daß meine Kirche Jesu Christi die katholische Kirche umfaßt.
Moderaturus: Das hast du raffiniert ausgedacht. Bist du dir eigentlich
darüber im klaren, daß du mit deinem neuen Kirchenbegriff die
Wesenseigenschaft der Katholizität der katholischen Kirche implizit
leugnest? Wenn die Kirche Jesu Christi nämlich die katholische Kirche
umfaßt, dann kann diese nicht mehr die katholische = allgemeine Kirche
sein.
Revoluturus (lacht): Allerdings bin ich mir darüber im klaren; die
Preisgabe dieser Wesenseigenschaft ist ja notwendig, damit ich meinen
neuen Ökumenismus auf die Bahn bringen kann.
Moderaturus (verblüfft): Ich sehe es nun klar, daß die einzelnen
Schritte der Veränderung des Selbstverständnisses, die du vornehmen
willst, folgerichtig ineinandergreifen und sie werden, falls du sie
durchsetzen kannst, in ihrer Gesamtheit eine gewaltige Sprengkraft
erzeugen. Hättest du noch vor 10 Jahren solche Gedanken geäußert, dann
wärest du umgehend zum Widerruf aufgefordert und im Falle der Weigerung
exkommuniziert worden.
Revoluturus (trocken): Deshalb habe ich ja mit meinen Äußerungen auch
gewartet, bis Pius XII. in die Ewigkeit abberufen wurde und nun, da wir
mit Johannes XXIII. einen liberalen Papst haben, brauche ich nichts
mehr zu befürchten. Aber ich habe noch eine grundsätzliche Modifikation
des Selbstverständnisses der Kirche vor, die in eine andere Richtung
geht. Sie zielt auf eine Uminterpretation sowohl des seinshaften als
auch des funktionalen Aspektes der Kirche.
Moderaturus: Dunkel ist deiner Rede Sinn. Der seinshafte und der
funktionale Aspekt der Kirche sind eng miteinander verbunden. Ihr Sein
besteht wesentlich darin, daß Christus durch sie handelt, ihr die
Verwaltung der Heilsmittel anvertraut hat und ihre Funktion besteht in
erster Linie darin, daß sie die Heilsfrüchte ihren Gläubigen zuteilt.
Revoluturus (entschlossen): Ich werde den seinshaften Aspekt
unterminieren, indem ich mit folgendem Satz eine unmittelbare
Verbindung von Christus mit jedem Menschen konstruiere: „Denn er, der
Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem
Menschen vereinigt." Diese Aussage ist zugegebenermaßen
interpretationsfähig, man kann sie im Sinne der überlieferten Lehre
deuten, man kann sie aber auch so deuten, daß Christus Sich, sozusagen
hinter dem Rücken Seiner Kirche, bereits mit jedem Menschen vereinigt
hat, bevor die Kirche überhaupt in Erscheinung tritt, und mir schwebt
vor, daß ein künftiger Papst diese Deutung als die Aussageabsicht des
Konzils festlegt, indem er vom Sein in Christus eines jeden Menschen
spricht [Johannes Paul II.], ganz im Sinne unseres Freundes Karl
Rahner, der dieses Sein in Christus das anonyme Christsein jedes
Menschen nennt.
Moderaturus: Was ist denn dann noch die Aufgabe der Kirche, wenn
sozusagen ohne ihr Zutun bereits eine gewisse Vereinigung zwischen
Christus und jedem Menschen stattgefunden hat?
Revoluturus: Die folgende Schlüsselstelle im Konzilstext wird die
Antwort andeuten: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das
Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung
mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit." Zusammen mit dem
zuvor Gesagten ist danach die Kirche „Zeichen und Werkzeug“ für das,
was Christus am Menschen bereits ohne sie vollzogen hat, genauer, sie
ist Zeichen für die Existenz jenes Seins eines jeden Menschen in
Christus und Werkzeug für die Kundgabe dieses Seins. Denn jeder Mensch
hat nach der neuen Lehre zwar ein Sein in Christus, nur weiß er
zunächst noch nichts davon, deshalb ist es die Aufgabe der Kirche, ihm
dies bewußt zu machen.
Moderaturus (fassungslos): Du gibst ja den Begriffen Zeichen, Werkzeug
und Einheit einen völlig anderen Sinn. Nach katholischer Lehre ist die
Kirche doch Zeichen für die Einheit jener Menschen, die als Volk Gottes
den Leib Christi bilden, also keineswegs Zeichen für die Einheit aller
Menschen, was du auch immer mit dieser Einheit meinst, und sie ist
Werkzeug für jene Einheit, insofern sie vom Herrn den Missionsauftrag
erhalten hat, alle Menschen in die Einheit der Kirche hineinzunehmen,
die hineingenommen werden wollen. Du vollziehst ja eine radikale
Umdeutung ihres Seins und ihrer Funktion unter Beibehaltung der
entsprechenden Worte! Das ist wiederum ein semantischer Betrug! Was du
vorhast ist Wahnsinn, du erschütterst ja Grundlagen der Kirche. Da
bleibt kein Stein mehr auf dem anderen (hält einen Augenblick inne) à
propos „kein Stein mehr auf dem anderen“ - da fällt mir eine Vision der
seligen Anna Katharina Emmerick ein. Sie sah in dieser Vision die
Peterskirche und Menschen, auch Kleriker, die Steine aus dem Mauerwerk
herausbrachen und sie heraustrugen. Sollte durch dein Vorhaben, wenn es
denn verwirklicht wird, diese Vision in Erfüllung gehen? Mir schaudert
vor diesem Gedanken!
Revoluturus (befürchtet erneut, daß sein Freund der Revolution den
Rücken kehrt; er schenkt ihm nach, leert dabei die zweite Flasche und
fährt, von der Thematik ablenkend, besänftigend fort): Du mußt immer im
Auge behalten, was wir durch die Veränderung des Selbstverständnisses
der Kirche gewinnen können, die Freundschaft der Welt und der anderen
Religionen. Laß uns deshalb davon sprechen und zwar zunächst von meinem
neuen Ökumenismus.
Moderaturus (ärgerlich): Was soll das eigentlich heißen „neuer
Ökumenismus“. Aufgrund des Missionsbefehls unseres Herrn, ist es doch
die Aufgabe der Kirche zu versuchen, die Menschen für Seine Kirche zu
gewinnen, was der Terminus „Rückkehr-Ökumene“ zum Ausdruck bringt.
Revoluturus: Mein Lieber, solange die Kirche die Rückkehr-Ökumene
vertritt, kann es keine Freundschaft mit den anderen Religionen geben.
Sie kann doch nicht einerseits ein herzliches Verhältnis zu diesen
Religionen anstreben und andererseits deren Anhänger auffordern, ihre
Religionsgemeinschaften zu verlassen und in die katholische Kirche
einzutreten.
Moderaturus: Das ist logisch, aber wie willst du von der
Rückkehr-Ökumene loskommen, die zweifellos zum Selbstverständnis
unserer Kirche gehört und vom vorkonziliaren Lehramt immer wieder
bekräftigt wurde?
Revoluturus: Hier gilt es zu beachten, daß die Rückkehr-Ökumene auf das
traditionelle Selbstverständnis der katholischen Kirche geschlüsselt
ist, nicht aber zum neuen Selbstverständnis paßt, das wir auf dem
Konzil durchsetzen werden, bevor die Rede auf den Ökumenismus kommt.
Nachdem wir nämlich die anderen christlichen Denominationen enorm
aufgewertet und sogar den protestantischen Denominationen eine
Heilsmittlerschaft zuerkannt haben, kann die Rückkehr-Ökumene nicht
mehr aufrechterhalten werden. Jetzt ernte ich, was ich mit dem neuen
Selbstverständnis gesät habe, denn dieses versetzt mich nun in die
Lage, an die Stelle der Rückkehr-Ökumene eine Koexistenz-Ökumene zu
setzen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß sich alle christlichen
Denominationen gegenseitig anerkennen.
Moderaturus: Es ist wohl zutreffend, daß die Rückkehr-Ökumene nicht zum
neuen, konziliaren Selbstverständnis der Kirche paßt, aber ich vermag
nicht zu erkennen, wie du deine Koexistenz-Ökumene verwirklichen willst.
Revoluturus: Der erste und zugleich folgenschwere Schritt ist der Anschluß der katholischen Kirche an die Ökumenische Bewegung.
Moderaturus: Ein solcher Anschluß wird dir schwerlich gelingen, denn
das bisherige Lehramt hat diesem Vorhaben einen Riegel vorgeschoben,
indem es sogar verbot, an Konferenzen dieser Bewegung teilzunehmen
bzw., wenn katholische Beobachter bei ihnen zugelassen wurden, dann
stand diese Teilnahme im Zeichen der Mission. Diese Zurückhaltung des
Lehramtes ist ja auch kein Wunder, wurde die Ökumenische Bewegung doch
seinerzeit in Opposition zur Rückkehr-Ökumene der katholischen Kirche
ins Leben gerufen, was dir unsere Gegner vorhalten werden.
Revoluturus: Mag sein, daß sie mir das vorhalten, aber argumentativ
sitzen sie am kürzeren Hebel, nachdem die Versammlung die
grundsätzlichen Veränderungen des Selbstverständnisses der Kirche
gebilligt hat. Darauf gestützt, kann ich ihre Einsprüche gegen den
Anschluß an die Ökumenische Bewegung vom Tisch fegen und sie werden
erkennen, daß mit diesen Veränderungen der Rückkehr-Ökumene der Boden
entzogen worden ist.
Moderaturus: Was versprichst du dir denn nun konkret von dem Anschluß an diese Bewegung?
Revoluturus: Zunächst einmal wird mit diesem Anschluß der
Rückkehr-Ökumene der Todesstoß versetzt und sie stirbt sozusagen
lautlos. Ich brauche sie nämlich gar nicht mehr zu debattieren, weil
allein der Anschluß an diese Bewegung sie automatisch beseitigt. Denn
die Ökumensiche Bewegung strebt eine Einheit aller Christen außerhalb
der katholischen Kirche an, wurde sie doch, wie du richtig sagst, in
Opposition zu den Bestrebungen der Kirche gegründet, eine Einheit aller
Christen in ihr zu verwirklichen. Der Anschluß an die Ökumenische
Bewegung ist also die konziliare Revolution in puncto Ökumenismus.
Moderaturus: Wenn ich es recht verstehe, ist die Einheit, welche die
Ökumenische Bewegung anstrebt, eine Einheit in deiner abstrakten
Überkirche, die du Kirche Jesu Christi nennst ...
Revoluturus: ... wobei ich, indem ich dies formuliere, auf keinen
ernsthaften Widerstand stoßen werde, weil (er kichert in sich hinein)
die Konservativen die Kirche Jesu Christi mit der katholischen Kirche
identifizieren. Allerdings gibt es gewisse Punkte, an denen sie
hellhörig werden können. Ich werde nämlich sagen: „In dieser einen und
einzigen Kirche Gottes sind schon von den ersten Zeiten an Spaltungen
entstanden.“
Moderaturus: Da mußt du allerdings mit Widerstand rechnen, denn die
überlieferte Lehre kennt nur Abspaltungen von der Kirche. Hätte es
Spaltungen in ihr gegeben, dann hätte sie ja ihre Einheit verloren, die
eines ihrer vier Wesensmerkmale ist. In der Tat sind es also
Abspaltungen von der katholischen Kirche gewesen, jedoch kann man von
Spaltungen in deiner abstrakten Überkirche sprechen.
Revoluturus: Ich werde ihre Bedenken zerstreuen, indem ich in einem
Atemzug von der „Trennung recht großer Gemeinschaften von der vollen
Gemeinschaft der katholischen Kirche“ spreche, was mit meiner
Konzeption, wie du richtig erkannt hast, verträglich ist, und auf diese
Weise werden sie die Kröte „Spaltungen in“ schlucken. Wie du wohl
bemerkst, löse ich dabei erneut eine Qualität in eine Quantität auf,
indem ich anstatt von einem Getrenntsein der anderen Denominationen von
der katholischen Kirche, von einer Trennung dieser Denominationen von
der vollkommenen Gemeinschaft mit unserer Kirche spreche.
Schwieriger wird es bei den folgenden Aussagen, mit denen ich auf eine
Einheit in meiner christlichen Überkirche abziele. So wird es heißen:
„Fast alle streben, wenn auch auf verschiedene Weise, zu einer einen,
sichtbaren Kirche Gottes hin, die wahrhaft universal und zur ganzen
Welt gesandt ist, damit sich die Welt zum Evangelium bekehre und so ihr
Heil finde zur Ehre Gottes.“ Diese Kirche, kann gar nicht die
katholische Kirche sein, denn anzunehmen, die protestantischen
Gemeinschaften würden z.B. danach streben das Petrusamt anzuerkennen,
ist einfach absurd. Diese Passagen wird noch durch den Zusatz
unterstrichen, das Konzil möchte „allen Katholiken die Mittel und Wege
nennen und die Weise aufzeigen“ wie sie zu dieser Einheit gelangen
können. Denn wenn die angestrebte Einheit die Einheit in der
katholischen Kirche wäre, dann wäre es doch unsinnig, den Katholiken
Mittel und Wege und die Weise aufzuzeigen, wie sie zu ihr gelangen
können, weil sie doch schon in ihr sind. Alle diese Aussagen zeigen,
daß das Konzil sich von der Rückkehr-Ökumene verabschiedet und eine
andere Einheit aller Christen anstrebt als die Einheit in der
katholischen Kirche.
Übrigens stellt der Anschluß an die Ökumenische Bewegung auch noch in
einer anderen Hinsicht die Weichen in unserem Sinn. Uns geht es ja um
die Hochschätzung der anderen christlichen Denominationen, damit wir
schließlich die katholische Kirche an sie ankoppeln und mit ihnen
kooperieren können. Während die Rückkehr-Ökumene ausschließlich
personengebunden ist, ist es das Spezifikum der Koexistenz-Ökumene, daß
sie primär auf die Religionsgemeinschaften der getrennten Brüder
gerichtet ist und deshalb besiegelt der Anschluß an sie die Anerkennung
derselben, was die Bahn für eine Kooperation mit ihnen frei macht.
Moderaturus (mit überlegenem Lächeln, denn er meint einen prinzipiellen
Schwachpunkt in der Konzeption seines Freundes erkannt zu haben): Mit
einer solchen Kooperation wird es wohl nichts werden. Zwar kannst du
einerseits mit einer Anerkennung deiner Einigungsbestrebungen durch die
Protestanten rechnen, andererseits werden sie aber Anstoß nehmen an
deiner Elemente-Ekklesiologie, weil sie implizit bestreitet, daß sie
gleichwertige Partner sind. Denn dieser Ekklesiologie zufolge besitzt
die katholische Kirche die Heilsgüter vollständig, während die anderen
christlichen Denominationen sie nur unvollständig besitzen, ganz zu
schweigen von der angeblichen Herleitung der in ihrem Besitz
befindlichen Heilsgüter von der katholischen Kirche. Das halten sie für
eine Demütigung und werden sich deshalb der von dir angestrebten
Kooperation verweigern. Insofern stellst du dir mit der
Elemente-Ekklesiologie selbst ein Bein.
Revoluturus: Damit sprichst du ein schwieriges Problem an, das mich
auch schon beschäftigt hat und für das ich dir meine Lösung vortragen
möchte. Eine Kooperation mit den anderen christlichen Denominationen
kann nur in einem zweistufigen Prozeß verwirklicht werden. Die erste
Stufe bewältige ich mit der Elemente-Ekklesiologie. Diese ist
unverzichtbar und wir verdanken ihr sehr viel, denn einerseits erfolgt
die fundamentale Veränderung des Selbstverständnisses der Kirche auf
ihrer Grundlage, was den Anschluß an die Ökumenische Bewegung
vorbereitet, und andererseits gelangen wir durch sie zu unserer Lehre
von den Gemeinsamkeiten mit diesen Gemeinschaften, welche die Grundlage
für die Zusammenarbeit mit ihnen bildet. Um dann aber die
Koexistenz-Ökumene verwirklichen zu können, muß ich, aus dem von dir
genannten Grund, behutsam auf Distanz zur Elemente-Ekklesiologie gehen
und die zweite Stufe der Annäherungsstrategie ins Auge fassen, die
nicht nur auf eine Anerkennung aller christlicher Denominationen
abzielt, sondern in diesen gleichwertige Ausprägungen des Christentums
sieht.
Moderaturus (schüttelt den Kopf): Du glaubst doch wohl selbst nicht,
daß du für diese Wahnidee, die eine Selbstverleugnung der katholischen
Kirche bedeutet, eine Stimmenmehrheit erhalten kannst.
Revoluturus: Dein Einwand macht eine grundsätzliche Überlegung zu dem
erforderlich, was wir auf dem Konzil erreichen können. Wie bereits
angedeutet, können wir nicht alle unsere Ziele dort verwirklichen, bei
einigen müssen wir uns damit begnügen, die Weichen in ihre Richtung zu
stellen und einige Anstöße auf sie hin zu geben. Die Verwirklichung
dieser Ziele müssen wir der nachkonziliaren Ära überlassen. Zu diesen
Zielen zählt zweifellos die Anerkennung der anderen christlichen
Religionen als mit der katholischen Kirche gleichwertige Ausprägungen
des Christentums. Dieses Ziel ist unverzichtbar, wenn es zu einem
herzlichen Einvernehmen zwischen unserer Kirche und den anderen
christlichen Gemeinschaften kommen soll. Keine Religionsgemeinschaft
darf sich über die andere erheben.
Moderaturus (ernst): Die katholische Kirche erhebt sich doch nicht aus
sich heraus über die anderen Denominationen, sondern Christus hat sie
hoch über sie alle erhoben.
Revoluturus (lenkt ab): Mag sein, aber laß uns nun über die Schritte
sprechen, die zur Ankopplung an sie führen, und die im Zeichen der
Preisgabe des Denkschemas vollständig-unvollständig stehen, das die
Elemente-Ekklesiologie kennzeichnet.
Zuerst säge ich daran, daß die katholische Kirche alle Heilsgüter
ungeschmälert besitzt, indem ich auf gewisse Defekte hinweise, die in
ihrem Raum existieren. So wird es u.a.heißen: „Zugleich muß aber der
katholische Glaube tiefer und richtiger ausgedrückt werden.“ Indem ich
diese Defekte herausstelle, erreiche ich zweierlei, erstens setze ich
dadurch die katholische Kirche weiter herab und verbessere so die
Möglichkeit, jene Ankopplung zu verwirklichen und zweitens schaffe ich
Raum für die Aussage, daß die anderen christlichen Denominationen
unsere Kirche bereichern können, was ich aber nur andeutungsweise zum
Ausdruck bringen kann. Die Defekte geben mir Anlaß eine Erneuerung zu
fordern, die jedoch keine Erneuerung ist, die allein aus dem Raum der
Kirche kommen soll, sondern die wesentlich aus der Belehrung durch die
getrennten Brüder hervorgeht. Der Ort, an dem diese Erneuerung
eingeleitet wird, ist der Dialog mit ihnen, von dem ich fordere, daß er
auf der Ebene der Gleichheit stattfindet. Gegenseitige Bereicherung im
Dialog, mein Freund, wird in nachkonziliarer Zeit die Zauberformel
sein, die in aller Munde ist.
Moderaturus: Aber trotz deiner, die Fülle der katholischen Kirche
untergrabenden Wühlarbeit, die du in der zweiten Stufe deiner
Kooperationsbestrebungen verrichtest, steht doch immer noch die Säule
des absoluten Wahrheitsanspruches unserer heiligen Kirche, und sie
verhindert es, daß es zur Umarmung mit den anderen christlichen
Denominationen kommt.
Revoluturus (ironisch): Aber diese Säule schwankt bereits und wird
sogleich sogar stürzen, wenn ich dir den Hauptinhalt des ökumenischen
Dialogs nenne, nämlich die Suche nach der Wahrheit.
Moderaturus: Die Rede von der Suche nach der Wahrheit untergräbt in der
Tat den katholischen Wahrheitsanspruch, denn wenn nach der Wahrheit
gesucht werden muß, dann ist sie ja noch nicht gefunden. Ganz anders
verhält es sich mit der Suche in der Wahrheit, welche die Kirche
allezeit durchgeführt hat. Sie besitzt ja das Glaubensganze im
impliziten Glaubenswissen und expliziert es, unter der Leitung des
Heiligen Geistes, im Laufe der Jahrhunderte immer mehr. Deine Lehre von
der Suche nach der Wahrheit stürzt hingegen die Säule des katholischen
Wahrheitsanspruches und erschüttert damit das traditionelle
Selbstverständnis der Kirche in fundamentaler Weise. Dabei ist noch in
der Schwebe, ob bei der Suche nach der Wahrheit der Glaubensbestand der
katholischen Kirche unangetastet bleibt und es um eine wie immer
geartete Vervollkommnung geht, oder ob das Glaubensgut selbst bei
dieser Suche infrage gestellt wird.
Revoluturus: Welche Lesart gemeint ist, erkennst du an dem Kriterium,
an dem sich entscheidet, ob die Vertreter der katholischen Kirche im
ökumenischen Dialog wirklich dialogfähig sind oder nicht. Zweifellos
stehen zahlreiche Dogmen der Kirche diesem Dialog im Wege, insbesondere
die Mariendogmen. Also muß ich den mit diesen Dogmen verbundenen
Wahrheitsanspruch unterminieren, um die Vertreter der Kirche
dialogfähig zu machen, denn dieser Anspruch ist nun einmal ein
Dialogkiller.
Parallel zu dieser Unterminierung muß ich, um die Gegner zu
beschwichtigen, in emphatischer Weise Treue zur katholischen Lehre im
Dialog fordern. Im Windschatten dieser Forderung kann ich dann diesen
Wahrheitsanspruch indirekt attackieren und zwar zunächst mit folgender
Aussage: „Die Art und Weise der Formulierung des katholischen Glaubens
darf keinerlei Hindernis bilden für den Dialog mit den getrennten
Brüdern.“
Moderaturus: Diese Forderung bezieht sich doch wohl nur auf die Form in
welcher der ökumenische Dialog von dem Vertreter der katholischen
Kirche zu führen ist.
Revoluturus (lächelt listig: Es scheint nur so, denn diese könnten mit
Engelszungen reden und würden doch zwangsläufig Anstoß erregen, wenn
sie die Anerkennung aller Dogmen einfordern würden. Diese
Rahmenbedingung enthält also die versteckte Empfehlung, die bei den
getrennten Brüdern anstoßerregenden Glaubenslehren der katholischen
Kirche im ökumenischen Dialog, sagen wir es diplomatisch,
herunterzuspielen.
Moderaturus (ärgerlich): Nein, sagen wir es nicht diplomatisch, sondern
sprechen wir Klartext, sie sollen jene Glaubenslehren im Dialog unter
den Tisch fallen lassen. Du bist doch ein ausgemachtes Schlitzohr. Auf
der einen Seite forderst du von ihnen Treue zum katholischen Glauben
und auf der anderen Seite legst du ihnen nah, unpopuläre
Glaubensinhalte auszuklammern. Damit treibst du die Vertreter der
Kirche doch in die Schizophrenie.
Revoluturus (besänftigend): Zugegeben, das sind im Grunde
widersprüchliche Rahmenbedingungen, auf die ich aber aus den genannten
Gründen nicht verzichten kann. Wenn es zur Tat kommt, sprich zum
Dialog, dann müssen sich jene Vertreter eben entscheiden, auf welche
Seite sie sich schlagen wollen und welche es sein soll, können sie
meinen versteckten Winken entnehmen. Ich werde ihnen übrigens noch
einen weiteren Wink geben, der in nachkonziliarer Zeit großen Wirbel
machen wird.
Moderaturus: Nämlich?
Revoluturus: Du sagtest soeben, daß die Forderung, den katholischen
Glauben so darzustellen, daß er kein Hindernis im ökumenischen Dialog
bildet, impliziere, daß gewisse, für die getrennten Brüder anstößige
Glaubenslehren unter den Tisch fallen müßten. Das ist
selbstverständlich katholischerseits ein Weg, um zu einem
konfliktfreien Dialog zu gelangen, es gibt aber noch einen zweiten Weg,
den ich in den folgenden Sätzen andeute: „Beim Vergleich der Lehren
miteinander soll man nicht vergessen, daß es eine Rangfolge oder
‘Hierarchie’ der Wahrheiten innerhalb der katholischen Lehre gibt, je
nach der verschiedenen Art ihres Zusammenhangs mit dem Fundament des
christlichen Glaubens. So wird der Weg bereitet werden, auf dem alle in
diesem brüderlichen Wettbewerb zur tieferen Erkenntnis und deutlicheren
Darstellung der unerforschlichen Reichtümer Christi angeregt werden.“
Moderaturus: Hm, mir ist nicht bekannt, daß es eine solche Hierarchie
aller Glaubenswahrheiten gibt, wenngleich natürlich gewisse
Glaubenswahrheiten grundlegender sind als andere. Aber was haben diese
Sätze mit dem konziliaren Ökumenismus zu tun?
Revoluturus: Die tieferen Erkenntnisse, die gewonnen werden sollen,
sind Resultate des ökumenischen Dialogs, dessen Hauptaufgabe es ist,
die Einheit in jener christlichen Überkirche herzustellen. Da die Rede
von der Hierarchie der Wahrheiten offensichtlich ökumenische Relevanz
haben soll, kann sie diese nur dadurch haben, daß sie die
unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den Lehren der christlichen
Denominationen mildert oder gar aufhebt.
Moderaturus: Mir scheint, du willst aus unüberbrückbaren Gegensätzen
überbrückbare machen, das aber käme der Quadratur des Kreises gleich.
Revoluturus: Mein Freund, bleiben wir einmal bei der katholischen
Kirche. Das Anstößige an jenen Dogmen sind ja nicht deren Inhalte,
sondern der Wahrheitsanspruch, der für sie erhoben wird. Würden sie im
Sinne einer bloßen Überzeugung der katholischen Kirche, ohne Anspruch
auf objektive Wahrheit vorgebracht, dann wären sie für die anderen
Religionsgemeinschaften nicht anstößig. Die Rede von der Hierarchie der
Wahrheiten legt nah, daß es wichtige und weniger wichtige Glaubenssätze
gibt, und das soll im ökumenischen Dialog beachtet werden. Dies läuft
auf eine Abwertung gewisser Glaubenslehren gegenüber anderen hinaus,
und diese Abwertung betrifft entweder die betreffenden Glaubensaussagen
als Ganze, im Extremfall läßt man sie unter den Tisch fallen, oder aber
die Abwertung betrifft den Wahrheitsanspruch, der für sie erhoben wird,
indem man die absolute Gültigkeit der betreffenden Glaubensaussagen in
eine auf den Raum der katholische Kirche beschränkte Gültigkeit
umwandelt.
Moderaturus: Das ist ja unglaublich, du raubst dem Glauben damit seine
objektive Gültigkeit. Der Glaube, das solltest du wissen, ist ein
unteilbares Ganzes und der Wahrheitsanspruch wird für dieses Ganze
erhoben. Für alle Aspekte des Glaubens, die sich in den Glaubenssätzen
ihren Ausdruck finden, gilt somit genau derselbe Wahrheitsanspruch, der
für das Ganze erhoben wird, denn indem er für das Ganze erhoben wird,
wird er zugleich für alle seine Aspekte erhoben.
Revoluturus (triumphierend): Diesem Argument ist aber mit der
Elemente-Ekklesiologie der Boden entzogen. Denn indem diese die
Glaubenswahrheiten vom Glaubensganzen löst, löst sie diese zugleich von
dem absoluten Geltungsanspruch, der mit dem Glaubensganzen verbunden
ist! Dadurch wird die Möglichkeit geschaffen, Verbindlichkeitsgrade
einzuführen. Die Zerlegung des Glaubensganzen in Teile, was die
Umdeutung einer Qualität in eine Quantität bewirkt, eröffnet die
Möglichkeit zu einer Quantifizierung auf der Geltungsebene! Für den
ökumenischen Dialog bedeutet das, daß der Vertreter der katholischen
Kirche im ökumenischen Dialog das Konfliktpotential, das er einbringt,
dadurch beseitigen kann, daß er alle Glaubenssätze der Kirche in zwei
Klassen einteilt und für die Glaubensinhalte der ersten Klasse absolute
Gültigkeit fordert, während er für die Glaubenssätze der zweiten Klasse
die objektive Gültigkeit preisgibt und sie als bloß subjektive
Glaubensüberzeugungen der Katholiken ausgibt, sozusagen als „Sondergut“
des katholischen Glaubens, wie man es in nachkonziliarer Zeit nennen
wird. In der ersten Klasse sind dabei diejenigen Glaubenssätze
enthalten, die alle christlichen Denominationen bejahen und zur zweiten
Klasse gehören diejenigen Glaubenssätze, denen mindestens eine der
anderen Gemeinschaften widerspricht. Die Mentalität, die für einen Teil
der Glaubensaussagen den Anspruch auf objektive Gültigkeit preisgibt
und ihn durch eine auf den Raum der katholischen Kirche beschränkte
Gültigkeit ersetzt, nenne ich Standpunktsmentalität. Du wirst mir
zugeben, daß die Standpunktsmentalität, wenn die Vertreter der anderen
Denominationen sie sich ebenfalls zu eigen machen, zu einem
konfliktfreien Dialog führen kann.
Moderaturus (wütend): Aber um den Preis des Glaubensverrats, du machst
ja die „anstößigen“ Glaubenswahrheiten zur bloßen Ansichtssache!
(Versucht sich zu fassen) Übrigens stützt du dich bei deiner
Aufsplittung des Glaubensgutes wieder auf deine Elemente-Ekklesiologie.
Du hast sie also gar nicht endgültig abserviert, sondern ziehst sie
immer dann heran, wenn sie dir in den Kram paßt.
Revoluturus (ironisch) Man muß eben flexibel sein. Jedenfalls
garantiert die Standpunktsmentalität, wenn sie die getrennten Brüder
ebenfalls praktizieren, ein konfliktfreies dialogisieren, so daß die
Vertreter aller christlicher Denominationen gemeinsam auf die Suche
nach der Einheit in der christlichen Überkirche gehen können. Übrigens
werde ich mich hüten, einen Weg zu dieser Einheit zu weisen. Wie immer
er aussehen würde, die Konservativen würden rufen: Glaubensverrat ...
Moderaturus: ... und hätten recht damit. Abgesehen davon, treibst du
auch mit deiner Standpunktsmentalität die Vertreter der katholischen
Kirche in die Schizophrenie, denn sie widerspricht ja der geforderten
Treue zum Glauben.
Revoluturus (gelassen): Das soll nicht meine Sorge sein, wenn unsere
Vertreter immer noch nicht wissen, auf welche Seite sie sich schlagen
sollen, obwohl meine Winke deutlich genug sind, dann kann ich ihnen
auch nicht helfen. Es kann ihnen doch wohl nicht entgangen sein, daß
künftig nicht mehr die Wahrheit der höchste Wert in der Kirche ist,
sondern die Einheit. Übrigens werde ich anschließend die
Elemente-Theorie von der Glaubenswahrheit auf die nichtchristlichen
Religionsgemeinschaften ausdehnen und auf ihrer Grundlage zu
erstaunlichen Gemeinsamkeiten mit ihnen gelangen, welche ihrerseits die
Grundlage für ein gutes Einvernehmen mit ihnen bilden. Den ökumenischen
Dialog erweitere ich so zum interreligiösen Dialog, der alle Religionen
einander näher bringt, ...
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