6. Brief an die treuen Bewahrer des katholischen Glaubens
von
P. Albert Steiner
Die hartnäckige Verblendung und Verstocktheit der progressistischen
Modernisten lässt mich nicht in Ruhe. Wenn die Verkrampfung und
Erstarrung mancher, die dem wesentlichen Glauben treu bleiben, etwas
ist, das ich fast mit einem Vor-Fegfeuer auf der Erde vergleichen kann,
dann ist die Verblendung und Verstocktheit etwas, das nicht im Fegfeuer
existiert, mehr nach der Hölle riecht.
Warum sehen und anerkennen sie nicht, was doch einfach und klar ist?
"An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen" (Mt 7,16). Und in jeder
Situation, die begnadete Früchte trug, war der Weg in die gegenseitige
Richtung, genau in die Richtung Christi und der Heiligen und der
Kirchenlehrer. Die progressistischen Modernisten gehen den Weg in die
andere Richtung. Und die Früchte sind erschreckend. Die Frage drängt
mich, noch einmal beim Judas nachzuforschen. Ich denke nämlich, dass
Christus ihn zum Apostelamt erwählt hat in seinem göttlichen
Vorauswissen, um für alle Zeiten den Verrat am Beispiel zu erläutern.
Das muss heute aktueller sein als je.
Warum hat Judas seinen Meister Jesus verraten? Sicher nicht, weil er
ihn verderben wollte. Denn als "er sah, dass Jesus verurteilt war,
bekam er Reue... und sagte: Ich habe gesündigt, denn ich habe
unschuldiges Blut überliefert" (Mt 27,3). Er wollte ihn also nicht
verderben und war gewiss kein Spion des Hohenpriesters, als Christus in
erwählte (vgl. Heinrich Mertens, Handbuch der Bibelkunde, Patmos 1966).
Als Maria, die Schwester des Lazarus, in Bethanien Jesu Füsse mit
kostbarem Nardenöl salbte und Judas dagegen sprach, nennt Johannes ihn
"einen Dieb, der als Verwalter der Kasse deren Einlagen unterschlug"
(Jo 12,7). Doch hielt sich diese Geldgier in gewissen Grenzen, denn die
30 Silberlinge für den Verrat brachte er zurück und warf sie dann in
den Tempel. - Sicher ging es ihm zu sehr um das Irdische.
Nach der wunderbaren Brotvermehrung wollte das Volk Jesus zum Brotkönig
machen, er aber entzog sich ihnen. Und später erklärte er ihnen, dass
er selbst das wahre Brot vom Himmel ist - und viele glaubtan nicht
mehr. Und verliessen ihn. "Aber einige sind unter euch, die nicht
glauben. Jesus wusste nämlich von Anfang an, wer die sind, die nicht
glauben, und wer der ist, der ihn überliefern wird" (Jo 6,64).
Petrus glaubt, möchte aber Jesus vom Schandweg des Kreuzes abhalten.
Und obwohl Petrus vorher die Schlüssel des Himmelreiches verheissen
bekam (Mt 16,19), spricht jetzt Christus: "Hinweg von mir, Satan!... Du
denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern der Menschen" (Mt 16,23). Das
gilt noch mehr für den Judas. Petrus bekehrt sich stufenweise. Judas
glaubt nicht in erster Linie ans Himmelreich, sondern eher ans Reich
der Welt, an den Messias für das irdische Reich (gegen die
Besatzungs-Römer), wie übrigens zunächst auch die andern Apostel, die
sich aber vom Meister aufs Himmlische hin bekehren und führen lassen.
Judas nicht. "Habe ich nicht euch, die Zwölf erwählt? Und doch ist von
euch einer ein Teufel. Er meinte damit Judas." (Jo 6,70-71).
Noch einmal: Die Apostel waren zuerst zu sehr auf das weltliche, auf
das irdische Messiasreich fixiert; die meisten dachten mehr oder
weniger "nicht die Gedanken Gottes, sondern der Menschen" (Mt 16,23).
Aber sie waren von Christus berufen, ihm nachzufolgen auf dem Weg der
Wahrheit und Liebe. Als Petrus in seiner Schwäche nach der
Schlüsselverheissung vom Teufel in seiner menschlichen Denkweise
aufgestachelt wurde, hat Jesus ihm den Satan vertrieben, und Petrus
folgte dann Jesus demütig, äusserlich und innerlich. Judas hat Jesus
die innere Nachfolge versagt; der Teufel hatte über seine nicht
ausgeräumten Laster ("ein Dieb") freien Zugang zu seinem Denken und
Wollen - "einer von euch ist ein Teufel". Und so hat sich sein Geist
wohl in Selbstüberschätzung, im Stolz festgefahren, er wollte Jesus
gleichsam zwingen, das irdische Messiasreich zu errichten, so wie er,
Judas, es sich vorstellte. "Er ist König von Israel? Dann steige er vom
Kreuze herab, dann wollen wir an ihn glauben!" (Mt 23,41). Das hat der
Teufel dem Hohenpriester, den Schriftgelehrten und Ältesten eingegeben,
als sich Judas schon erhängt hatte. Die Wundertaten Jesu waren ihnen
allen, auch dem Judas bekannt. Auch der Teufel wusste darum. Bei der
Versuchung Jesu in der Wüste wollte er erreichen, dass Jesus diese
göttliche Wunderkraft auf irdische Ziele, letztlich auf die Reiche der
Welt und ihre Herrlichkeit anwende. Doch Jesus besiegt ihn: "Hinweg,
Satan! Dem Herrn, deinem Gott, sollst du huldigen und ihm allein
dienen." (Mt 4,10).
Judas hat die Versuchung an Jesus unter der Inspiration des Teufels fortgesetzt und ist erlegen.
Das Konzil Vat. II und die modernistisch-progressistische Ideologie
gehen den gleichen Weg. Äusserlich sprechen und handeln sie als
Anhänger Christi. Sogar als seine höchsten Gesandten. Aber innerlich
folgen sie ihm nicht nach auf seinem Weg, seiner Wahrheit, seiner
Liebe, dem Weg der Gnade. Sie verneinen die innere Nachfolge Jesu
Christi. Sie verneinen in Wirklichkeit das Reich der Gnade. Darum das
jahrzehntelange Schweigen über die Gnade nach dem Vat. II. Und es geht
bei ihnen wie bei Judas um das Verhältnis zur irdischen Welt - in
innerem Widerstand gegen die Führung Christi ins Himmelreich. Irdisches
Messiasreich in Israel - irdische Wissenschaftsgläubigkeit, Verständnis
und Ehre der Welt, irdischer Fortschritt, irdische Einheit mit andern
Religionen, irdischer Frieden bis zur Teilnahme der Kirche an der
Weltregierung... Es ist frappierend, wie bei der Versuchung Jesu in der
Wüste, beim Verrat des Judas und bei der katholischen Revolution zur
Konzilskirche die gleiche Grundproblematik aufscheint. Wie immer man
sie analysiert und darstellt: Es ist der neue Verrat des Judas, aber
viel extensiver.
Alle theoretischen und theologischen Irrtümer des progressistischen
Modernismus, der Konzilskirche, sind die Folge davon. Sie wollen nicht
die innere Nachfolge Jesu Christi; sie wollen nicht seinem Weg folgen,
sie wollen anders. Und sie wollen der Kirche, den Christen (und der
Welt) einen andern Weg weisen. Sie wissen um die geistigen, göttlichen
Reichtümer der Kirche, um ihre Wunderkraft durch alle Jahrhunderte; sie
wissen, dass die Pforten der Hölle die Kirche nicht überwältigen
können. Aber sie wollen diese Wunderkraft nach ihren Vorstellungen auf
einen neuen Weg bringen.
Ihre Vorstellungen sind ihnen von der Welt, vom Fürsten der Welt, vom
Teufel, von Luzifer eingegeben. Denn sie alle haben irgendwann die
Sünden, die Laster nicht aus ihrer Seele ausgeräumt. Warum haben sie
denn die Beichte und die Krankensalbung derart reduziert? Würde man nur
die bekannten Sünden und Laster der Einflussreichsten der katholischen
Revolution ehrlich auflisten, könnte man begreifen, dass es dem Teufel
so wie beim Judas leicht war, sie in seine Nachfolge zu zwingen. Ihr
klerikaler Hochmut, ihre Verbindungen mit den Freidenkern, den
Freimaurern und andern Illuminaten, ihre finanziellen Machenschaften
(z.B. der deutschen Bischöfe in der Abtreibung), ihre moralischen
Entgleisungen, ihr geistlicher Machtmissbrauch gegen treuer Glaubende,
ihre Verleumdungen untereinander (siehe Österreich); in Assisi der Tanz
mit den heidnischen Religionen um das goldene Kalb des nur irdischen
Friedens, von der höchsten 'Kirchenleitung' öffentlich veranstaltet als
einen klar erkennbaren Bruch der Treue zum Neuen Bund Gottes in Christi
Blut... Unter dem so geradezu herbeigerufenen Einfluss, der Inspiration
Lucifers wollen sie die Kirche auf einen andern Weg bringen, wollen sie
Christus verraten, den sie öffentlich vor der Masse in zärtlichen
Gesten küssen.
Judas hatte keinen Sinn mehr für die Gnade und die innere Führung des
Menschen durch Gott. Er hat nicht mehr nach dem aktuellen Willen
Gottes, dem Willen des ewigen Vaters und seinen Plänen gefragt. Dabei
müsste jeder Apostel als "Gesandter" in der Nachfolge Christi soweit
kommen, dass er für sich selber mitempfindet, wenn Christus sagt:
"Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat"
(Jo 4,34). Judas und alle seine Nachfolger widerstehen dem Willen
Christi und dem Willen des ewigen Vaters - das ist ihr Problem - und
sie ergeben sich in der Un-Gnade der Versuchung, dem Willen des Lügners
von Anbeginn, dem Fürsten dieser Welt. Dabei meinen sie, ihren eigenen
Willen durchzusetzen. Luzifer hat schrecklich viele geistige Nachfolger.
Und er wird besiegt werden durch Maria, und durch die verborgenen und
nicht verborgenen Seelen, die sich in ihre königliche Gnadenvermittlung
hineingeweiht haben und diese Weihe leben. So will es Gottes Plan für
heute. Die heute gekreuzigte Kirche beginnt Christi Vermächtnis klarer
zu verstehen: "Frau, siehe da dein Sohn" (Jo 19,26).
In meinem Noviziat habe ich nach einigen Wochen der geistlichen Wonne
eine schwere Krise, eine Prüfung durchlebt. Ich wusste mich zum
Priestertum berufen, mir standen aber, wie mir schien, fast unbegrenzte
Berufsmöglichkeiten in der Welt offen. Alles in der Welt, die ich
äusserlich verlassen hatte, zog mich fürchterlich an, viel intensiver
als vorher. Als nach einem halben Jahr ein Freund das Noviziat
verliess, beneidete ich ihn um seinen Entschluss und sagte es ihm. Ich
selber suchte noch nach einem ehrlichen Grund zum Austritt. Als ich dem
verantwortlichen Priester sagte, dass ich nicht mehr könne - und er mir
kaum etwas erwidern konnte, liess der Sog der Welt nach, und ich
erkannte in den Schriften der hl. Theresia von Avila die radikale
Vitalität der Gnade und blieb auf dem Weg der Berufung, der Führung
Gottes.
Jetzt ist mir klar, der Sog der Weit und ihres Fürsten ist nicht nur
die fürchterliche Prüfung Jesu in der Wüste, es ist die Prüfung
ungezählter Berufener, es ist die verlorene Prüfung der
progressistischen Modernisten, es ist die verworfene Prüfung des
Konzils Vat. II.
Wer nicht einfach weggeht wie mein damaliger Freund (und sich irgendwie
mit dem persönlichen Scheitern abfindet), sondern im Weggehen Christus,
die Kirche mitziehen will, der wird zum eigentlichen Verräter, zum
Judas. Wer auf Christus, auf die Kirche einwirken will, ob von aussen
oder von innen, der muss sich gut überlegen, was er tut. Da ist Himmel
(ewige Glückseligkeit) und Hölle (ewiges Verderben) sehr nahe.
Entspricht es dem Plane des ewigen Vaters, ist es der Wille des
Erlösers? Ist es im Strome der göttlichen Gnade? Oder sind es Gedanken
der Menschen (Mt 16,23), der Strom der Welt, der Sog ihres Fürsten?
Wer nicht der lebendigen Führung Gottes sich ergibt, wie die Apostel
sich der Führung des Meisters ergeben haben, wie sie mit Maria vereint
vom Heiligen Geist erfüllt und lebendig geführt worden sind - sie waren
ein Herz und eine Seele - wer nicht in diesem lebendigen Strom der
Gnade sich ergibt, ist in der kirchlichen Tätigkeit und Stellung bald
in Gefahr, zum Judas zu werden. Denn der täuschende Sog des Luzifer ist
nicht heute vorbei, ist nicht eine Seltenheit, sondern geradezu
offiziell und öffentlich in die Kirche hineingeholt. "Durch eine Ritze
ist der Rauch Satans in die Kirche eingedrungen" (Paul VI.) - nur ist
die Ritze inzwischen mehr als eine Ritze.
Darum kann man nicht genug wiederholen: Es genügt nicht die genaue
logische, fast mathematische oder lexikalische Kenntnis der
aufgeschriebenen katholischen Wahrheit und ihrer äusseren Gebräuche.
Wer das Leben der Christen, der Kirche, ja des Erlösers mitbestimmen
will, der muss auf dem heutigen Weg der Gnade sich verhalten wie der
bekehrte Petrus (Lc 22,32), wie die bekannten Heiligen der Kirche. Er
muss im Reich der Gnade leben, er muss die Gnade kennen, besser kennen
als er die Welt kennt.
Ich denke darum, dass vor der Priesterweihe sicher erkannt werden muss,
ob der Weihekandidat begnadete Tugenden, nicht nur geprüftes Wissen und
offensichtliche Fähigkeiten erworben hat. Sonst darf er nicht geweiht
werden. Und die Bischöfe dürften nur aus den Priestern ausgewählt
werden, die zeigen, dass der Heilige Geist ihre Tugenden verstärkt hat,
dass also wenigstens im Ansatz die Gaben des Heiligen Geistes geschenkt
sind. Jede andere Weihe birgt die Gefahren des Judas in sich.
"Ich bin die Stimme eines Rufenden in
der Wüste: Bereitet den Weg des Herrn" (Jo 1,23). "Kehrt um, denn das
Reich des Himmels ist nahe gekommen" (Mt 3,1).
Herz-Mariä-Samstag, 2. September 2006
P. Albert Steiner
Postfach 746
CH-4102 Binnlngen 2
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