Mediator Dei et hominum, Fortsetzung
276. Das hochheilige Opfer des Altares ist sozusagen das überaus
kostbare Werkzeug, wodurch die vom Kreuz des göttlichen Erlösers
stammenden Verdienste an die Gläubigen ausgeteilt werden: „Sooft die
Gedächtnisfeier dieses Opfers begangen wird, vollzieht sich das Werk
unserer Erlösung“[76]. Ohne jedoch die Würde des blutigen Opfers im
geringsten zu beeinträchtigen, hebt es vielmehr dessen Größe und
Notwendigkeit noch stärker und klarer hervor, wie das Konzil von Trient
betont[77]. Durch die tägliche Darbringung erinnert es uns daran, daß
es kein anderes Heil gibt als im Kreuze unseres Herrn Jesus
Christus[78], und daß Gott selbst die Fortdauer seines Opfers vom
Aufgang der Sonne bis zum Untergang[79]gesichert wissen will, damit der
Lobpreis der Verherrlichung und Danksagung niemals unterbrochen werde,
den die Menschen ihrem Schöpfer schulden, weil sie ständig seiner Hilfe
und des Blutes des göttlichen Erlösers bedürfen zur Tilgung der Sünden,
die seine Gerechtigkeit herausfordern.
277. Es sollen also, ehrwürdige Brüder, alle Gläubigen bedenken, daß es
eine ganz hohe Pflicht und große Würde für sie bedeutet, teilzunehmen
am eucharistischen Opfer, und zwar nicht müßigen und gleichgültigen
Geistes, der zerstreut anderen Dingen nachgeht, sondern so innerlich
und selbsttätig, daß sie aufs engste mit dem Hohenpriester sich
verbinden, gemäß dem Worte des Apostels Seid so gesinnt wie
Christus Jesus[80]; zusammen mit ihm und durch ihn sollen sie jenes
Opfer darbringen und zugleich mit ihm sich selbst aufopfern.
Gewiß ist Christus Priester, aber Priester für uns, nicht für sich,
denn er bringt Gabe und Verehrung im Namen der gesamten Menschheit
seinem himmlischen Vater dar; er ist auch Opfergabe, aber für uns, da
er selbst die Stelle des schuldbeladenen Menschen vertritt. Nun
verlangt aber jenes Wort des Apostels: Seid so gesinnt wie Christus
Jesus, von allen Christen, daß sie, soweit dies dem Menschen möglich
ist, jene Gesinnung in sich erwecken, von der die Seele des göttlichen
Erlösers erfüllt war, als er das Opfer seiner selbst vollzog daß sie
also demütige Unterordnung des Geistes, Anbetung der höchsten Majestät
Gottes, Ehrung, Lobpreis und Danksagung erzeigen. Es verlangt außerdem
von ihnen, daß sie in gewissem Sinne sich selbst zur Opfergabe machen,
gemäß den Vorschriften des Evangeliums sich selbst verleugnen, gern und
freiwillig sich der Buße unterziehen, daß jeder seine Sünden
verabscheue und sühne. Es verlangt endlich, daß wir alle mit Christus
den mystischen Tod am Kreuze auf uns nehmen, so daß wir den Ausspruch
des heiligen Paulus auf uns anwenden können: Mit Christus bin ich ans
Kreuz geheftet[81].
278. Wenn jedoch die Gläubigen am eucharistischen Opfer teilnehmen, so
haben sie deshalb nicht auch die priesterliche Vollmacht. Das müßt ihr
euren Gläubigen ganz klar vor Augen stellen.
279. Es gibt nämlich Leute, ehrwürdige Brüder, die heute bereits
verurteilte Irrtümer streifen[82], indem sie lehren, im Neuen Testament
gebe es nur jenes Priestertum, das sich auf alle Getauften erstrecke;
jenes Gebot ferner, womit Jesus Christus beim letzten Abendmahl den
Aposteln das zu tun auftrug, was er selbst getan hatte, gehe
unmittelbar die gesamte Kirche der Gläubigen an; erst daraus sei dann
in der Folge das hierarchische Priestertum entstanden. Somit behaupten
sie, das Volk besitze wahre priesterliche Gewalt, der Priester dagegen
handle nur kraft des von der Gemeinschaft erhaltenen Auftrages. Daher
halten sie das eucharistische Opfer für ein wahres „Mitzelebrieren“
(Conzelebration) und meinen, es sei besser, wenn die Priester zusammen
mit dem anwesenden Volk „mitzelebrieren“, als daß sie in Abwesenheit
des Volkes das Opfer privat darbringen.
280. Es erübrigt sich auseinanderzusetzen, wie sehr solche verfängliche
Irrtümer den Wahrheiten widersprechen, die Wir weiter oben dargelegt
haben, als Wir von der Stellung handelten, die der Priester im
Mystischen Leibe Christi einnimmt. An folgendes aber glauben Wir
erinnern zu müssen: Der Priester handelt nur deshalb an Stelle des
Volkes, weil er die Person unseres Herrn Jesus Christus vertritt,
insofern dieser das Haupt aller Glieder ist und sich selbst für sie
opfert; er tritt folglich an den Altar als Diener Christi, niedriger
gestellt als Christus, aber höher als das Volk[83]. Das Volk aber, das
unter keiner Rücksicht die Person des göttlichen Erlösers darstellt,
noch Mittler ist zwischen sich selbst und Gott, darf in keiner Weise
priesterliche Rechte beanspruchen.
281. Das alles ist durch den Glauben gesichert; außerdem aber gilt, daß
auch die Gläubigen, jedoch in anderer Weise, die göttliche Opfergabe
darbringen.
Dies haben schon eine Reihe Unserer Vorgänger und mehrere Kirchenlehrer
ganz klar ausgesprochen. So sagt Innozenz III. unsterblichen Andenkens:
„Nicht nur die Priester bringen das Opfer dar, sondern auch die
Gläubigen insgesamt; denn was in besonderer Art durch den Dienst der
Priester ausgeführt wird, das geschieht allgemein durch die Absicht der
Gläubigen“[84]. Von mehreren diesbezüglichen Äußerungen des heiligen
Robert Bellarmin soll wenigstens die eine angeführt werden: „Das
Opfer“, so sagt er, „wird hauptsächlich in der Person Christi
dargebracht. Daher ist jene Darbringung, die auf die Wandlung folgt,
eine Art Bezeugung, daß die ganze Kirche in die von Christus vollzogene
Darbringung einwilligt und zugleich mit ihm opfert“[85].
282. Auch die Riten und Gebete des eucharistischen Opfers bringen
nicht weniger klar zum Ausdruck, daß die Darbringung des Opfers durch
die Priester zusammen mit dem Volke geschieht. So wendet sich nach der
Opferung des Brotes und Weines der Diener des Heiligtums zum Volke hin
und sagt ausdrücklich: „Betet, Brüder, daß mein und euer Opfer
wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater“[86]; außerdem
werden die Gebete, mit denen die göttliche Opfergabe Gott dargeboten
wird, meist in der Mehrzahl gesprochen; mehr als einmal ist darin
angedeutet, daß auch das Volk teilnimmt an diesem hochheiligen Opfer,
insofern es dasselbe darbringt. So heißt es z. B.: „Für sie bringen wir
Dir dar, und sie selbst opfern es Dir... So nimm denn, Herr, wir bitten
Dich, diese Opfergabe huldvoll an, die wir, Deine Diener und Deine
ganze Gemeinde Dir darbringen... Wir, Deine Diener, aber auch Dein
heiliges Volk... bringen Deiner erhabenen Majestät von Deinen
Geschenken und Gaben ein reines Opfer dar, ein heiliges Opfer, ein
makelloses Opfer“[87].
283. Es ist auch nicht verwunderlich, daß die Christgläubigen zu
solcher Würde erhoben sind. Durch das Sakrament der Taufe werden ja
die. Christen in einem allgemeinen Sinn Glieder am Mystischen Leibe des
Priesters Christus, und durch den ihrer Seele gleichsam eingemeißelten
«Taufcharakter »werden sie zur Gottesverehrung bestellt; insofern
nehmen sie, ihrem Stande entsprechend, am Priestertum Christi selbst
teil.
284. In der katholischen Kirche hat zu jeder Zeit die vom Glauben
erleuchtete Vernunft sich bemüht, nach Möglichkeit zu einem größeren
Verständnis der göttlichen Dinge zu gelangen. So ist es natürlich, daß
auch das christliche Volk ehrfürchtig zu begreifen sucht, in welchem
Sinn die Canonworte des eucharistischen Opfers zu verstehen seien, es
bringe selber auch das Opfer dar. Um diesem frommen Verlangen Genüge zu
tun, wollen Wir die Frage hier kurz und klar erläutern. Zunächst sind
es Gründe, die dem Wesen der Sache ferner liegen, insofern es nämlich
nicht selten vorkommt, daß die Gläubigen bei der Teilnahme an der
heiligen Feier ihre Gebete mit denen des Priesters abwech-selnd
sprechen; sodann bringen die Gläubigen manchmal - und das geschah in
früheren Zeiten häufiger - den Dienern des Altares Brot und Wein, damit
sie zum Leib und Blut Christi werden; endlich weil sie Almosen geben,
damit der Priester das göttliche Opfer für sie darbringe.
285. Es besteht aber auch ein innerer Grund, weshalb man von allen
Christen, besonders von denen, die am Meßopfer teilnehmen, sagen kann,
daß sie das Opfer darbringen.
Damit in dieser wichtigen Frage nicht ein verhängnisvoller Irrtum
entstehe, müssen Wir den Ausdruck „Darbringung des Opfers“ in seiner
eigentlichen Bedeutung genau abgrenzen. Die unblutige Hinopferung,
wobei kraft der Wandlungsworte Christus im Zustand des Opferlammes auf
dem Altare gegenwärtig wird, ist das Werk des Priesters allein,
insofern er die Person Christi vertritt, nicht aber insofern er die
Person der Gläubigen darstellt. Dadurch aber, daß der Priester das
göttliche Opferlamm auf den Altar legt, bringt er es Gott dem Vater als
Opfergabe dar zur Ehre der Heiligsten Dreifaltigkeit und zum Wohl der
ganzen Kirche. An dieser Opferdarbringung im strengen Sinne nehmen die
Gläubigen auf ihre Art und in zweifacher Hinsicht teil: sie bringen
nämlich das Opfer dar, nicht nur durch die Hände des Priesters, sondern
gewissermaßen zusammen mit ihm; durch diese Teilnahme wird auch die
Darbringung des Volkes in den liturgischen Kult selbst einbezogen.
286. Daß die Gläubigen das Opfer durch die Hände des Priesters
darbringen, geht aus folgendem hervor: Der Diener des Altares vertritt
die Person Christi als Haupt, das im Namen aller Glieder opfert;
deshalb kann man auch mit Recht sagen, die gesamte Kirche vollziehe
durch Christus die Darbringung der Opfergabe. Die Behauptung aber, das
Volk bringe zugleich mit dem Priester das Opfer dar, hat nicht etwa den
Sinn, als ob die Glieder der Kirche ebenso wie der Priester selbst die
sichtbare liturgische Handlung vollzögen, denn das ist ausschließlich
Aufgabe des von Gott dazu berufenen Dieners; das bedeutet vielmehr, daß
das Volk seine Gesinnungen des Lobes, der Bitte, der Sühne und der
Danksagung mit den Gesinnungen oder der inneren Meinung des Priesters,
ja des Hohenpriesters selbst, zu dem Zwecke vereinigt, daß sie in der
eigentlichen Opferdarbringung auch durch den äußeren Ritus des
Priesters Gott dem Vater entboten werden. Der äußere Opferritus muß
nämlich seiner Natur nach den inneren Kult zum Ausdruck bringen: Das
Opfer des Neuen Bundes stellt aber jene höchste Huldigung dar, in
welcher der hauptsächlich Darbringende, nämlich Christus, und zusammen
mit ihm sowie durch ihn alle seine mystischen Glieder Gott
verherrlichen durch den ihm gebührenden Ehrenerweis.
287. Mit großer Freude haben Wir vernommen, daß diese Lehre zumal in
der neuesten Zeit durch zahlreiche eifrige Studien auf dem Gebiet der
Liturgie in das gebührende Licht gestellt wurde. Wir können aber nicht
umhin, die Ãœberspitzungen und Verzerrungen der Wahrheit, die mit den
echten Weisungen der Kirche nicht übereinstimmen, sehr zu beklagen.
Manche verwerfen nämlich kurzerhand die heiligen Messen, die privat und
ohne Anwesenheit des Volkes gelesen werden, als ob sie von der
ursprünglichen Opferpraxis abwichen. Es fehlt auch nicht an Leuten, die
behaupten, es dürften nicht Priester gleichzeitig an mehreren Altären
das heilige Opfer feiern, weil sie damit die Gemeinschaft lockerten und
deren Einheit in Gefahr brächten. Man stellt sogar die überspitzte
Behauptung auf, das Volk müsse das Opfer bestätigen und genehmigen, um
ihm Geltung und Wirksamkeit zu verleihen.
288. Zu Unrecht beruft man sich dabei auf den sozialen Charakter des
eucharistischenOpfers. Sooft nämlich der Priester das erneuert, was der
göttliche Erlöser beim letzten Mahle tat, wird in Wahrheit das heilige
Opfer vollzogen; dieses Opfer hat aber immer und überall und zwar
notwendigerweise und vermöge seines Wesens einen öffentlichen und
sozialen Charakter; denn derjenige, der es dar-bringt, handelt im Namen
Christi und der Gläubigen, deren Haupt der göttliche Erlöser ist, und
erbringt es Gott dar für die heilige katholische Kirche sowie für die
Lebenden und die Verstorbenen [88]. Das geschieht aber zweifellos, ob
nun Gläubige anwesend - und Wir wünschen und empfehlen, daß sie in
großer Zahl und Andacht beiwohnen -, oder ob keine da sind; denn es ist
keineswegs erforderlich, daß das Volk bestätige, was der Diener des
Heiligtums vollzieht.
289. Wenn sich nun auch aus dem eben Gesagten klar ergibt, daß das
eucharistische Opfer im Namen Christi und der Kirche dargebracht wird,
und daß es auch seiner sozialen Früchte nicht verlustig geht, selbst
wenn es ohne Altardiener vom Priester gefeiert würde, so wollen und
betonen Wir dennoch - was übrigens die Mutter Kirche immer
vorgeschrieben hat -, daß kein Priester an den Altar trete ohne einen
Ministranten, der ihm diene und antworte, gemäß Canon 813.
290. Damit aber jene Darbringung, wodurch die Gläubigen in diesem Opfer
die göttliche Opfergabe dem himmlischen Vater darbieten, ihre volle
Wirkung erziele, müssen sie noch etwas anderes hinzufügen, nämlich sich
selbst als Opfergabe darbringen.
Diese Selbstaufopferung ist aber nicht auf das liturgische Opfer
beschränkt. Der Apostelfürst will, daß wir als heiliges Priestertum
geistige, Gott wohlgefällige Opfer durch Jesus Christus darbringen [89]
können gerade dadurch, daß wir als lebendige Bausteine auf Christus
aufgebaut sind. Der Apostel Paulus ermahnt ferner die Gläubigen aller
Zeiten mit den Worten: Ich beschwöre euch..., bringt euren Leib als ein
lebendiges, heiliges, Gott wohlgefälliges Opfer dar. So verrichtet ihr
einen geistigen Gottesdienst[90]. Wenn aber gerade die Christgläubigen
der liturgischen Handlung so andächtig und gesammelt beiwohnen, daß man
wirklich von ihnen sagen kann: „deren Glauben und Hingabe du
kennst“[91],dann ist es unausbleiblich, daß auch der Glaube eines jeden
sich durch die Liebe eifriger auswirke, die Frömmigkeit erstarke und
sich entflamme, alle und jeder sich ganz der Förderung der Ehre Gottes
weihen und im lebendigen Verlangen nach engster Angleichung an Jesus
Christus, den Dulder bitterster Leiden, sich mit ihm, dem Hohenpriester
und durch ihn als geistige Opfergabe darbringen.
291. Das lehren auch jene Ermahnungen, die der Bischof im Namen der
Kirche den Dienern des Altares an ihrem Weihetag zuruft: „Beachtet, was
ihr tut, und ahmt nach, was ihr vollzieht. Da ihr das Geheimnis des
Todes Unseres Herrn begeht, sollt ihr danach trachten, eure Glieder den
Sünden und Begierden ersterben zu lassen“[92]. Fast in derselben Weise
werden in den liturgischen Büchern die Christen, die sich zur Teilnahme
an den heiligen Geheimnissen dem Altare nahen, ermahnt: „Es walte auf
diesem ... Altare der Kult der Unschuld, es werde hingeopfert der
Hochmut, erstickt der Zornmut, niedergeschlagen die Ausschweifung und
jede Begierlichkeit, es werde statt der Turteltauben dargebracht das
Opfer der Keuschheit und statt der jungen Tauben das der
Schuldlosigkeit“[93]. Während wir also um den Altar versammelt sind,
sollen wir unser Inneres derart umformen, daß alles, was Sünde in ihm
ist, völlig ausgelöscht, alles jedoch mit Eifer gepflegt und gestärkt
werde, was durch Christus das übernatürliche Leben nährt, so daß wir
zusammen mit der makellosen Opferhostie ein dem ewigen Vater
wohlgefälliges Opfer werden.
292. Die Kirche bemüht sich in jeder Weise, durch die liturgischen
Vorschriften dieses heilige Vorhaben nach bestem Vermögen zu
verwirklichen. Diesem Ziele dienen nicht allein die Lesungen, die
Schrifterklärungen und die übrigen Predigten der Diener des Heiligtums
sowie der gesamte Kreislauf der Geheimnisse, wie sie uns im Laufe des
Jahres vor Augen gestellt werden; dem gleichen Zwecke dienen auch die
heiligen Gewänder und Zeremonien, wie deren äußere Zubehör. Das alles
hat den Zweck, „die erhabene Würde dieses großen Opfers zum Bewußtsein
zu bringen und die Herzen der Gläubigen mittels der sichtbaren Zeichen
der Gottesverehrung und Andacht zur Betrachtung der hohen Werte, die in
diesem Opfer verborgen liegen, aufzurufen“[94].
293. Alle Elemente der Liturgie zielen also darauf hin, daß unsere
Seele durch das Geheimnis des Kreuzes das Bild des göttlichen Erlösers
in sich auspräge gemäß dem Worte des Apostels: Mit Christus bin ich
gekreuzigt. Ich lebe, doch nicht mehr ich; Christus lebt in mir[95]. So
werden wir gleichsam eine einzige Opfergabe mit Christus zur größeren
Ehre des ewigen Vaters.
Sooft also die Gläubigen beim eucharistischen Opfer die göttliche
Opfergabe darbringen, sollen sie ihren Sinn auf dieses Ziel richten und
zu ihm erheben. Wenn nämlich, wie der heilige Augustinus schreibt,
unser Geheimnis auf dem Tische des Herrn ruht[96], d. h. Christus der
Herr selber als Haupt und Sinnbild jenes Organismus, durch den wir der
Leib Christi sind[97] und Glieder seines Leibes[98]; wenn der heilige
Robert Bellarmin im Sinne des Kirchenlehrers von Hippo sagt, im Opfer
des Altares werde das allgemeine Opfer versinnbildet, durch das der
gesamte Mystische Leib Christi, d. h. die ganze erlöste Gemeinschaft,
Gott dargebracht wird durch den Hohenpriester Christus[99], so ist
nichts schicklicher und billiger, als daß wir alle zusammen mit unserem
Haupte, das für uns gelitten hat, auch uns selbst dem ewigen Vater
aufopfern. Wie Augustinus wiederum sagt, wird im Altarssakrament der
Kirche kundgetan, daß in dem Opfer, das sie darbringt, auch sie selbst
geopfert wird[100].
294. Die Gläubigen mögen also bedenken, zu welcher Würde sie das
heilige Bad der Taufe erhoben hat; und sie sollen sich nicht damit
zufrieden geben, am eucharistischen Opfer mit der allgemeinen, den
Gliedern Christi und Kindern der Kirche geziemenden Absicht
teilzunehmen; im Geiste der heiligen Liturgie sollen sie darüber
hinaus, aufs innigste verbunden mit dem Hohenpriester und seinem Diener
auf Erden, sich dann in besonderer Weise ihm anschließen, wenn die
Wandlung der göttlichen Opfergabe vollzogen wird; sie sollen dieselbe
zusammen mit ihm aufopfern, wenn die feierlichen Worte ausgesprochen
werden: „Durch Ihn und mit Ihm und in Ihm wird Dir, Gott, allmächtiger
Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Ehre und Verherrlichung
durch alle Ewigkeit“-[101], worauf das Volk antwortet: „Amen“. Und die
Gläubigen sollen nicht vergessen, sich selbst und ihre Sorgen, Leiden
und Ängste, ihr Elend und ihre Nöte zugleich mit dem ans Kreuz
geschlagenen göttlichen Haupt aufzuopfern.
295. Demnach verdienen jene Anerkennung, die, um dem christlichen Volk
die Teilnahme am eucharistischen Opfer leichter und heilbringender zu
machen, bei passender Gelegenheit den Leuten das „Römische Meßbuch“ in
die Hand zu geben suchen, so daß die Gläubigen, dem Priester verbunden,
mit denselben Worten wie er und in derselben Gesinnung wie die Kirche
mitbeten. Ebenso gebührt auch jenen Lob, die sich darum mühen, daß die
Liturgie auch nach außen hin eine heilige Handlung werde, an der
tatsächlich alle Umstehenden teilnehmen. Das kann auf mehrfache Weise
geschehen, indem nämlich das ganze Volk nach den liturgischen Regeln
auf die Worte des Priesters in gehöriger Weise antwortet, oder auch zu
den verschiedenen Teilen des Opfers passende Lieder singt, oder beides
verbindet, oder schließlich indem es im feierlichen Hochamt auf die
Gebete des Dieners Jesu Christi antwortet und zugleich die liturgischen
Gesänge singt.
296. Diese verschiedenen Formen der Teilnahme am Opfer sind jedoch nur
dann zu loben und zu empfehlen, wenn sie sich getreu an die rituellen
Vorschriften und Normen halten. Diese haben vor allem den Zweck, die
Frömmigkeit der Christen und ihre innige Verbindung mit Christus sowie
mit dessen sichtbarem Vertreter zu nähren und zu fördern, ferner jene
Gesinnung und Seelenhaltung anzuregen, durch die wir dem Hohenpriester
des Neuen Bundes angeglichen werden sollen. Sie zeigen auch nach außen,
daß das Opfer, da es vom Mittler zwischen Gott und den Menschen[102]
dargebracht wird, seiner Natur nach als Werk des ganzen Mystischen
Leibes Christi anzusehen ist; dennoch sind sie aber keineswegs
notwendig, um ihm den Öffentlichkeits- und Gemeinschafts-Charakter zu
verleihen. Außerdem kann eine heilige Messe mit abwechselnd
gesprochenen Gebeten nicht die festliche Opferfeier ersetzen; selbst
wenn diese nur in Anwesenheit der Altardiener gefeiert würde, wäre ihr
doch wegen der Erhabenheit der Riten und der Pracht der Zeremonien eine
besondere Würde eigen, deren Glanz und Feierlichkeit allerdings sehr
gesteigert wird, wenn, wie die Kirche es wünscht, das Volk zahlreich
und mit gläubiger Gesinnung daran teilnimmt.
297. Ferner ist folgendes zu bemerken: Von der Wahrheit und vom geraden
Wege derVernunft weichen auch jene ab, die von irrigen Ansichten
verleitet jene Nebensachen so hoch einschätzen, daß sie sich zur
Behauptung versteigen, ohne sie könne die heilige Handlung das ihr
gesteckte Ziel nicht erreichen.
Eine nicht geringe Zahl der Gläubigen ist ja nicht einmal imstande,
sich des „Römischen Meßbuches“ zu bedienen, selbst wenn es in ihre
Muttersprache übersetzt ist; es sind auch nicht alle fähig, die
liturgischen Riten und Formeln recht und gebührend zu verstehen. Geist,
Charakter und Anlage der Menschen sind so verschieden und mannigfaltig,
daß nicht alle in gleicher Weise beeinflußt und geleitet werden können
durch gemeinsam verrichtete Gebete, Gesänge und heilige Handlungen.
Außerdem sind die seelischen Bedürfnisse und Anliegen nicht bei allen
dieselben, noch bleiben sie bei jedem einzelnen immer die gleichen. Wer
möchte darum aus einem solchen Vorurteil heraus behaupten, daß all
diese Christen nicht am eucharistischen Opfer teilnehmen noch dessen
Segnungen erfahren können? Sie können es fürwahr auf andere Weise, die
manchen leichter fällt, z. B. durch frommes Nachdenken über die
Geheimnisse Jesu Christi oder durch andere Andachtsübungen und mit
anderen Gebeten, die, obgleich in der Form verschieden von den heiligen
Riten, ihrem Wesen nach doch damit übereinstimmen.
298. Deshalb ermahnen Wir euch, ehrwürdige Brüder, daß jeder in seiner
Diözese oder in seinem kirchlichen Sprengel die Teilnahme des Volkes an
der liturgischen Handlung gemäß den Normen, die das „Missale“
aufstellt, und nach den von der Ritenkongregation und dem kirchlichen
Gesetzbuch erlassenen Vorschriften leite und ordne. So soll alles in
rechter Ordnung und Würde ausgeführt werden, ohne daß der Einzelne,
auch wenn er Priester ist, das Recht habe, die heiligen Stätten nach
seinem Belieben gleichsam zu Versuchen zu gebrauchen. Zu diesem Zweck
ist es auch Unser Wunsch, daß in den einzelnen Diözesen
- ähnlich wie schon eine Beratungsstelle für Fragen
der Musik und Kunst besteht - ein Rat zur Förderung des liturgischen
Apostolates eingesetzt werde, damit sich unter eurer wachsamen Obhut
alles gemäß den Vorschriften des Apostolischen Stuhles vollziehe.
299. In den Ordensgemeinschaften aber soll alles genau eingehalten
werden, was die eigenen Konstitutionen diesbezüglich bestimmen, und es
sollen keine Neuerungen eingeführt werden, welche die Oberen der
betreffenden Gemeinschaften nicht vorher gebilligt haben.
300. Zwar können die äußeren Verhältnisse und Umstände, unter
denen das christliche Volk am eucharistischen Opfer und an den übrigen
liturgischen Handlungen teilnimmt, sehr mannigfaltig und verschieden
sein; deshalb soll man sich aber stets nur um so eifriger dafür
einsetzen, daß die Seelen der Teilnehmer sich möglichst eng mit dem
göttlichen Erlöser verbinden, damit ihr Leben mit täglich wachsender
Heiligkeit erfüllt und die Ehre des himmlischen Vaters täglich mehr
gefördert werde.
301. Das hochheilige Opfer des Altares wird mit der Teilnahme am
göttlichen Mahl beschlossen. Wie alle wissen, gehört aber nur die
Kommunion des Priesters zur Vollständigkeit des Meßopfers; es ist
hingegen nicht erfordert, daß auch das Volk zum Tische des Herrn gehe,
wiewohl das höchst wünschenswert ist.
Diesbezüglich möchten Wir die Bemerkungen wiederholen, die Unser
Vorgänger Benedikt XIV. zu den Bestimmungen des Trienter Konzils macht:
„Zunächst müssen Wir sagen, daß niemand unter den Gläubigen auf den
Gedanken kommen darf, die privaten Messen. in denen der Priester allein
die heilige Eucharistie empfängt, würden dadurch die Eigenschaft des
wahren, vollkommenen und vollständigen, von Christus dem Herrn
eingesetzten unblutigen Opfers verlieren und seien deshalb als
unerlaubt anzusehen. Die Gläubigen wissen nämlich oder können
wenigstens leicht darüber belehrt werden, daß das Trienter Konzil auf
Grund der von der kirchlichen Ãœberlieferung aller Zeiten bewahrten
Lehre die ihr entgegengesetzte, neue und falsche Meinung Luthers
verurteilt hat“[103].
„Wer sagt, die Messen, in denen der Priester allein sakramental
kommuniziert, seien unerlaubt und deshalb abzuschaffen, der sei
ausgeschlossen“[104].
302. Es weicht also vom Weg der Wahrheit ab, wer das heilige Opfer nur
feiern will, wenn das christliche Volk zum Tische des Herrn hinzutritt;
noch mehr ist im Irrtum, wer um es als unbedingte Not-wendigkeit
hinzustellen, daß die Gläubigen zusammen mit dem Priester das
eucharistische Mahl empfangen - arglistig behauptet, es handle sich
hier nicht nur um ein Opfer, sondern zugleich um ein Opfer und ein Mahl
der brüderlichen Gemeinschaft, und es sei die gemeinschaftlich
empfangene Kommunion sozusagen der Höhepunkt der ganzen Opferfeier.
303. Es muß immer wieder betont werden: Das eucharistische Opfer ist
seiner Natur nach eine unblutige Hinopferung des göttlichen
Opferlammes, was auf geheimnisvolle Weise durch die Trennung der
heiligen Gestalten und durch ihre Darbringung an den ewigen Vater zum
Ausdruck kommt. Die heilige Kommunion gehört zu dessen Vollständigkeit
und zur Teilnahme daran mittels der hochheiligen sakramentalen
Vereinigung; während diese für den opfernden Priester unbedingt
erfordert ist, wird sie den Gläubigen nur dringend empfohlen.
304. Wie aber die Kirche als Lehrerin der Wahrheit die Unversehrtheit
des katholischen Glaubens nach Kräften zu schützen sucht, so ermahnt
sie als besorgte Mutter ihre Kinder eindringlich, sich eifrig und
häufig dieser überaus großen Wohltat unserer Religion teilhaftig zu
machen.
Sie wünscht vor allem, daß die Christen - besonders wenn sie die
eucharistische Speise nicht leicht in Wirklichkeit empfangen können -
sie wenigstens geistigerweise empfangen und zwar so, daß sie durch
lebendigen Glauben, durch demütige und ehrfürchtige Hingabe an den
Willen des göttlichen Erlösers in möglichst innigem Liebeseifer sich
mit ihm verbinden.
305. Doch das genügt der Kirche noch nicht. Da wir nämlich, wie oben
gesagt, durch den Empfang des Engelsbrotes auch in „sakramentaler“
Kommunion des Opfers teilhaftig werden können, will die Kirche, daß wir
wirksamer „die Frucht der Erlösung dauernd in uns erfahren“[105], und
sie wiederholt ihren Kindern, einzeln und insgesamt, die Einladung
Christi des Herrn: Nehmet hin und esset ... Tut dies zu meinem
Andenken[106]. Darum hat das Konzil von Trient die Wünsche Jesu Christi
und seiner makellosen Braut gleichsam erneut ausgesprochen und
nachdrücklich ermahnt, „daß die anwesenden Gläubigen an jeder einzelnen
Messe nicht nur mit geistigem Verlangen, sondern auch durch den
sakramentalen Empfang der Eucharistie teilnehmen, auf daß in ihnen um
so reichere Früchte dieses hochheiligen Opfers gezeitigt werden“[107].
Damit noch mehr und klarer offenbar werde, daß die Gläubigen durch den
Empfang der heiligen Eucharistie am göttlichen Opfer selbst teilnehmen,
lobt Unser Vorgänger unsterblichen Andenkens Benedikt XIV. den frommen
Sinn derer, die bei der heiligen Messe nicht bloß mit der himmlischen
Speise genährt zu werden verlangen, sondern es überdies vorziehen, mit
den in der gleichen heiligen Messe konsekrierten Hostien gespeist zu
werden, obgleich, wie er selbst erklärt, man wahrhaft und wirklich am
Opfer teilhat, auch wenn es sich um eucharistisches Brot handelt,
dessen Verwandlung schon früher ordnungsgemäß vollzogen wurde. Er
schreibt nämlich: „Außer jenen Gläubigen, denen vom zelebrierenden
Priester in seiner Messe selbst ein Anteil an der von ihm dargebrachten
Opfergabe dargereicht wird, nehmen zwar auch diejenigen am gleichen
Opfer teil, denen der Priester die gewohnheitsgemäß aufbewahrte
Eucharistie austeilt; dennoch hat die Kirche nie verboten, noch
verbietet sie jetzt, daß der Priester der Frömmigkeit und der gerechten
Bitte derer willfahre, die bei der heiligen Messe zur Teilnahme an dem
gleichen Opfer zugelassen werden wollen, das sie ja auch selbst in der
ihnen zustehenden Weise darbringen; die Kirche billigt und wünscht
sogar, daß dies nicht unterlassen werde, und sie würde jene Priester
tadeln, durch deren Schuld und Nachlässigkeit den Gläubigen eine solche
Anteilnahme verweigert würde“[108].
306. Gebe Gott, daß alle willig und gern diesen dringlichen Einladungen
der Kirche nachkommen! Gebe Gott, daß die Gläubigen, wenn sie es
können, sogar täglich am göttlichen Opfer nicht nur in geistiger Weise
teilnehmen, sondern auch durch die Anteilnahme am hochheiligen
Sakramente, indem sie den Leib Jesu Christi empfangen, der für alte dem
ewigen Vater dargebracht wurde! Erweckt, ehrwürdige Brüder, in den
Seelen derer, die eurer Hirtensorge anvertraut sind, einen sehnlichen,
gleichsam unersättlichen Hunger nach Jesus Christus! Dank eurer
Unterweisung mögen die Altäre dicht umdrängt sein von Kindern und
jungen Menschen, die sich selbst, ihre Unschuld und ihre jugendliche
Begeisterung dem göttlichen Erlöser darbieten! In Scharen mögen
hinzutreten die Eheleute, damit sie am heiligen Tische Kraft holen, um
die ihnen anvertraute Nachkommenschaft in den Gesinnungen und in der
Liebe Jesu Christi heranzubilden. Es sollen die Arbeiter dorthin
gerufen werden, um jene Speise zu empfangen, die, weil stark und
unversieglich, ihre Kräfte erneuern und für ihre Arbeiten den
immerwährenden Lohn im Himmel vorbereiten möge. Ruft, mit einem Wort,
alle Menschen jeden Standes und drängt sie, herbeizukommen[109], denn
dies ist das Brot des Lebens, dessen alle bedürfen. Die Kirche Jesu
Christi besitzt nur dieses eine Brot, um damit das Sehnen und Wünschen
unserer Herzen zu stillen, sie aufs engste mit Jesus Christus zu
verbinden, damit sie schließlich ein Leib[110] werden und damit
untereinander, Brüdern gleich, alle jene vereint seien, die an der
gleichen Tafel sich einfinden, um im Brechen des einen Brotes das
Heilmittel zur Unsterblichkeit zu empfangen[111].
307. Es ist jedoch sehr angebracht und übrigens von der Liturgie
vorgesehen, daß das Volk zur heiligen Kommunion hinzutrete, nachdem der
Priester die göttliche Speise am Altar genossen hat. Wie Wir oben
geschrieben haben, sind auch jene zu loben, welche die im gleichen
Opfer, dem sie beiwohnen, konsekrierten Hostien empfangen, so daß
wirklich zutrifft, „daß alle, die wir gemeinsam von diesem Altare das
hochheilige Fleisch und Blut Deines Sohnes empfangen, mitallem
Gnadensegen des Himmels erfüllt werden“[112].
308. Dennoch gibt es zuweilen Gründe, ja sie sind nicht selten weswegen
das eucharistische Brot vor oder nach dem Opfer selbst ausgeteilt
werden soll und weshalb - auch wenn die Kommunionausteilung gleich nach
der Kommunion des Priesters erfolgt - dies mit Hostien geschehen muß,
die schor länger konsekriert sind. Wie Wir schon oben andeuteten nimmt
das Volk auch unter diesen Umständen ordnungsgemäß am eucharistischen
Opfer teil, und es ist ihm dann oft leichter, dem Tisch des ewigen
Lebens zu nahen. Wenn auch die Kirche in ihrem mütterlichen Wohlwollen
den geistlichen Bedürfnissen ihrer Kinder entgegenzukommen sucht, so
sollen sie dennoch ihrerseits nicht leichthin vernachlässigen, was die
heilige Liturgie anrät, und sooft kein nennenswerter Grund vorliegt,
sollen sie sich an alles halten, wodurch die lebendige Einheit des
Mystischen Leibes am Altare deutlicher zum Ausdruck kommt.
309. Ist die heilige, von besonderen Normen der Liturgie geregelte
Handlung beendet,so entbindet dies den nicht von der Danksagung, der
die himmlische Speise genossen hat; es ist im Gegenteil sehr
angebracht, daß er sich nach Genuß de eucharistischen Mahles und nach
Abschluß der öffentlichen Zeremonien sammle und, innig dem göttlichen
Meister verbunden, mit ihm, soweit die Umstände es gestatten, traute
und heilsame Zwiesprache halte. Es entfernen sich also jene vom geraden
Pfade der Wahrheit, die mehr auf das Wort als auf den Sinn achten und
behaupten, man brauche nach Vollendung des heiligen Opfers keine
derartige Danksagung anzusetzen, nicht bloß weil das Opfer des Altares
selbst an sich schon Danksagung sei, sondern auch weil dies Sache der
privaten und persönlichen Frömmigkeit jedes einzelnen, nicht aber des
Wohles der Gemeinschaft sei.
310. Ganz im Gegenteil verlangt gerade die Natur des Sakramentes, daß
sein Empfang reiche Früchte christlicher Heiligkeit zeitige. Wohl löste
sich die öffentliche Zusammenkunft der Gemeinschaft auf, aber jeder
einzelne, eng mit Christus verbunden, soll das Loblied in seinem Herzen
nicht unterlassen, allzeit Gott dem Vater für alles dankend im Namen
unseres Herrn Jesus Christus[113]. Auch die heilige Liturgie des
eucharistischen Opfers fordert uns dazu auf, wenn sie uns mit den
Worten beten läßt: „Gib, wir bitten dich darum, daß wir immer in
Danksagung verharren[114] ... und von deinem Lobe niemals
ablassen“[115]. Wenn wir daher zu jeder Zeit Gott Dank sagen müssen und
niemals von seinem Lobe ablassen dürfen, wer möchte da die Kirche zu
tadeln oder zu mißbilligen wagen, wenn sie ihren Priestern[116] und den
Gläubigen rät, nach der heiligen Kommunion wenigstens eine Weile mit
dem göttlichen Erlöser Zwiesprache zu halten, und wenn sie in die
liturgischen Bücher geeignete, mit Ablässen versehene Gebete
aufgenommen hat, damit so die Diener des Altares sich auf die heilige
Messe und Kommunion entsprechend vorbereiten und nach der Feier der
heiligen Geheimnisse Gott ihren Dank bekunden? Weit entfernt davon, die
innersten Gesinnungen der einzelnen Christen zu unterdrücken, regt und
spornt die heilige Liturgie diese vielmehr an, daß sie sich Jesus
Christus angleichen und durch ihn zum himmlischen Vater hingeführt
werden. Deshalb fordert sie, daß jeder, der am Altare das heilige Brot
empfangen hat, Gott auch den gebührenden Dank darbringe. Es gefällt dem
göttlichen Erlöser, unsere Bitten anzuhören, eine innige Zwiesprache
mit uns zu pflegen und uns in seinem flammenden Herzen Zuflucht zu
bieten.
311. Ja, solch persönliche Akte jedes einzelnen sind sogar unbedingt
notwendig, damit wir alle in reicherem Maße die himmlischen, in der
heiligen Eucharistie verborgenen Schätze empfangen und, je nach
Möglichkeit, an andere weiterleiten, auf daß Christus der Herr in allen
Seelen zur Fülle seiner Kraft gelange.
312. Warum, ehrwürdige Brüder, sollten wir also nicht jenen Lob
spenden, die nach Genuß des eucharistischen Mahles und auch nachdem die
öffentliche Versammlung der Gläubigen aufgelöst ist, noch mit dem
göttlichen Erlöser in tiefster Verbundenheit verweilen, nicht bloß um
sich mit ihm hebend zu besprechen, sondern auch um ihm Dank zu sagen,
den gebührenden Lobpreis darzubringen und besonders, um die Kraft zu
erbitten, alles aus der eigenen Seele zu entfernen, was die Wirksamkeit
des Sakramentes vermindern könnte, und um ihrerseits alles zu tun, was
das tiefinnere Wirken Jesu Christi zu begünstigen imstande ist? Wir
ermahnen sie, das mit besonderer Sorgfalt zu tun, indem sie sowohl die
gefaßten Vorsätze ausführen und die christlichen Tugenden üben, als
auch auf ihre Verhältnisse anwenden, was sie von seiner himmlischen
Freigebigkeit bekommen haben. Ganz im Sinne der Vorschriften und im
Geiste der Liturgie spricht der Verfasser des goldenen Büchleins
„Von der Nachfolge Christi“, wenn er dem, der die heilige Kommunion
empfangen hat, empfiehlt: „Bleibe still für dich und genieße deinen
Gott; denn du besitzest den, welchen dir die ganze Welt nicht nehmen
kann“[117].
313. Innigst vereint mit Christus, wollen wir daher alle danach
trachten, uns gleichsam in sein heiligstes Herz zu versenken und so mit
ihm zusammenzuwachsen, um teilzunehmen an jenen Anmutungen, mit denen
er die hochheilige Dreieinigkeit mit dankbarer und wohlgefälliger
Huldigung anbetet; mit denen er dem ewigen Vater erhabensten Dank und
Lobpreis darbringt, wovon Himmel und Erde einmütig widerhallen, gemäß
dem Wort: Preiset den Herrn, all ihr Werke des Herrn![118] mit den
Anmutungen endlich, mit denen vereint wir himmlischen Beistand gerade
in dem Augenblick erflehen, der mehr als jeder andere geeignet ist, um
im Namen Christi[119] Hilfe zu erbitten und zu erlangen, und wodurch
wir uns vor allem als Opfergabe darbringen, wenn wir sprechen: „Laß uns
selbst dir zur vollendeten ewigen Weihegabe werden“[120].
Unablässig wiederholt der göttliche Erlöser seine dringende
Aufforderung: Bleibt in mir![121] Durch das Sakrament der
Eucharistie aber verweilt Christus in uns und wir in ihm; und wie
Christus, in uns verbleibend, lebt und wirkt, so müssen auch wir, in
Christus verbleibend, durch ihn leben und wirken.
314. Die eucharistische Speise enthält, wie bekannt, „wahrhaft,
wirklich und wesentlich den Leib und das Blut zugleich mit der Seele
und mit der Gottheit unseres Herrn Jesus Christus“[122]. Darum ist es
nicht zu verwundern, wenn die Kirche von Anfang an den Leib Christi
unter den Gestalten des Brotes angebetet hat, wie das schon aus den
Riten des hochheiligen Opfers selbst hervorgeht; diese schreiben
nämlich den Verwaltern der heiligen Geheimnisse vor, daß sie durch
Kniebeugungen oder tiefe Verneigungen das heiligste Sakrament anbeten.
Die heiligen Konzilien lehren als Ãœberlieferung der Kirche von ihren
Anfängen an, daß sie „mit einer Anbetung das fleischgewordene Wort
Gottes samt seinem Fleische“[123] verehrt; auch der heilige Augustinus
beteuert: „Niemand ißt von diesem Fleische, ohne es vorher angebetet zu
haben“, und er fügt hinzu, daß wir nicht bloß keine Sünde begehen, wenn
wir es anbeten, sondern daß wir vielmehr sündigen, wenn wir es nicht
anbeten[124].
315. Entstanden aus diesen Lehrgrundsätzen, hat sich der eucharistische
Anbetungskult, der von der heiligen Opferfeier zu unterscheiden ist,
nach und nach entwickelt. Die Aufbewahrung der heiligen Gestalten für
die Kranken und alle jene, die in Todesgefahr geraten können, führte
zum löblichen Brauche, dieses himmlische, in den Kirchen aufbewahrte
Brot anzubeten. Dieser Kult der Anbetung beruht auf einem starken und
festen Grunde. Die Eucharistie ist ja sowohl Opfer wie auch Sakrament
und unterscheidet sich von den anderen Sakramenten dadurch, daß sie
nicht bloß die Gnade mitteilt, sondern den Urheber der Gnade selbst in
fortdauernder Weise enthält. Wenn uns also die Kirche gebietet, den
unter den Schleiern der Eucharistie verborgenen Christus anzubeten und
von ihm jene himmlischen und irdischen Gaben zu erbitten, deren wir
unaufhörlich bedürfen, so bringt sie damit den lebendigen Glauben zum
Ausdruck, kraft dessen sie ihren göttlichen Bräutigam unter diesen
Schleiern gegenwärtig weiß, ihm ihre Dankbarkeit bezeugt und sich der
innigsten Vertrautheit mit ihm erfreut.
316. Im Laufe der Zeit hat die Kirche verschiedene, gewiß immer
schönere und heilbringendere Formen eingeführt, so z. B. fromme und
tägliche Besuchungen beim heiligen Tabernakel, den rituellen Segen mit
dem heiligsten Sakrament, feierliche Prozessionen durch Städte und
Dörfer, besonders anläßlich der eucharistischen Kongresse, und die
Anbetung vor dem öffentlich ausgesetzten Allerheiligsten. Diese
öffentliche Anbetung erstreckt sich zuweilen auf kurze Zeit, manchmal
ist sie auf Stunden und auch auf vierzig Stunden ausgedehnt;
mancherorts wird sie abwechselnd in den einzelnen Kirchen das ganze
Jahr hindurch fortgesetzt, anderswo bei Tag und auch bei Nacht durch
religiöse Genossenschaften immerwährend durchgeführt und nicht selten
nehmen auch die Gläubigen daran teil.
317. Diese Übungen der Frömmigkeit leisteten einen wirksamen Beitrag
zum Glauben und zum übernatürlichen Leben der streitenden Kirche auf
Erden, die auf diese Weise gewissermaßen ein Echo gibt auf den
Lobeshymnus, den die triumphierende Kirche immerdar singt vor Gott und
dem Lamme, das geschlachtet wurde[125]. Daher hat die Kirche diese im
Lauf der Jahrhunderte überall verbreiteten Andachten nicht nur
gebilligt, sondern sich zu eigen gemacht und mit ihrer Autorität
bestätigt[126]. Sie entstammen dem Geiste der heiligen Liturgie und
tragen zweifellos sehr viel bei zum liturgischen Leben, sofern sie mit
gebührender Würde und in jener Gesinnung des Glaubens und der
Frömmigkeit gehalten werden, wie sie die heiligen Riten und
Vorschriften der Kirche fordern.
318. Man kann auch nicht behaupten, daß durch diesen eucharistischen
Kult der historische Christus, wie man sagt, der einst auf Erden lebte
und der im heiligsten Altarssakrament gegenwärtig ist, mit dem
glorreich im Himmel triumphierenden und gnadenspendenden Christus
verwechselt und vermischt werde; man muß im Gegenteil betonen, daß auf
diese Weise die Christen den Glauben der Kirche bezeugen und feierlich
bekennen, wonach das göttliche Wort und der Sohn der Jungfrau Maria,
der am Kreuz gelitten hat, der in der Eucharistie verborgen gegenwärtig
ist und der im Himmel droben herrscht, ein und derselbe Christus ist.
So sagt der heilige Johannes Chrysostomus: „Wenn du dies (den Leib
Christi) dir vorgestellt siehst, so sag zu dir selbst: Diesem Leibe
verdanke ich es, daß ich nicht mehr Erde und Asche bin, nicht mehr
gefangen, sondern frei; um dessentwillen hoffe ich, den Himmel und die
dort mir hinterlegten Güter zu erlangen, nämlich das unsterbliche
Leben, das Lob der Engel, den Umgang mit Christus; dieser Leib, von
Nägeln durchbohrt, mit Geißeln zerschlagen, ward nicht Beute des Todes;
es ist jener Leib, der blutentstellt war, von der Lanze durchstochen,
aus dem zwei heilbringende Quellen strömten Blut und Wasser ... Diesen
Leib schenkte er uns, daß wir ihn halten und daß wir ihn essen: ein
Werk tiefster Liebe“[127].
319. Besonders lobenswert ist die Gepflogenheit, daß viele beim
christlichen Volke eingebürgerte Andachten ihren Abschluß finden mit
dem Ritus des eucharistischen Segens. Es ist ein herrlicher und
segensreicher Brauch, daß der Priester, während die Menge der Christen
sich tief verneigt, das Brot der Engel zum Himmel hebt, nach der
Vorschrift ein Kreuz zeichnet und dabei den himmlischen Vater anfleht,
er möge gnädig niederschauen auf seinen aus Liebe zu uns gekreuzigten
Sohn und um seinetwillen und durch ihn, der unser Erlöser und Bruder
werden wollte, seine himmlischen Gaben auf jene herabströmen lassen,
die das makellose Blut des Lammes erlöst hat[128].
320. Trachtet also, ehrwürdige Brüder, mit der höchsten euch
kennzeichnenden Sorgfalt danach, daß die Kirchen, die durch den Glauben
und die Frömmigkeit der christlichen Generationen im Laufe der
Jahrhunderte erbaut wurden, wie ein immerwährender Hymnus der Huldigung
an den allmächtigen Gott und als ehrwürdige Wohnung unseres unter den
eucharistischen Gestalten verborgenen Erlösers, nun auch möglichst
zahlreichen Gläubigen offen stehen, die, zu Füßen unseres Heilandes
versammelt, seine traute Einladung vernehmen Kommet alle zu mir, die
ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken[129].Mögen es
wirklich Gotteshäuser sein, wo alle, die bittend eintreten, sich der
Gewährung aller erbetenen Wohltaten erfreuen[130] und himmlischen Trost
erlangen. Nur so wird es geschehen können, daß die gesamte
Menschheitsfamilie endlich zu Ordnung und Frieden komme, und daß sie
einmütigen Geistes und Herzens das Lied der Hoffnung und der Liebe
singe: „Guter Hirt, du wahres Brot, - Jesus, erbarm' dich unsrer Not! -
Weide uns, sei uns Behüter, - zeig' uns deine ewigen Güter - im Lande
der Lebendigen“[131].
III. Breviergebet und Kirchenjahr
321. Das Hochziel des christlichen Lebens besteht im engen und
dauernden Anschlußeines jeden Menschen an Gott. Darum ist der Kult, den
die Kirche dem Ewigen zollt, und dessen Kernstück vor allem im
eucharistischen Opfer und im Empfang der Sakramente besteht, so
angeordnet und eingeteilt, daß er im Breviergebet die Stunden des
Tages, die Wochen sowie den ganzen Lauf des Jahres umfaßt und Rücksicht
nimmt auf alle Zeiten und all die verschiedenen Lagen des menschlichen
Lebens.
Da der göttliche Meister das Gesetz aufgestellt hat: Man soll immer
beten und nie müde werden[132] erlahmt die Kirche, treu dieser
Ermahnung, nie im Gebet und richtet an uns die Aufforderung des
Apostels: Durch ihn (Jesus) wollen wir Gott das Lobopfer darbringen
ohne Unterlaß[133].
322. Das öffentliche und gemeinsame Gebet, das alle vereint zu Gott
verrichten, war in der ältesten Zeit auf bestimmte Tage und
festgesetzte Stunden beschränkt. Aber nicht nur in größeren
Gemeinschaften wurde zu Gott gebetet, sondern auch in den einzelnen
Familien, zuweilen im Verein mit Nachbarn und Freunden. Schon bald kam
aber in verschiedenen Teilen der christlichen Welt der Brauch auf,
besondere Zeiten für das Gebet festzulegen, so z. B. die letzte Stunde
des Tages, wenn man bei der Abenddämmerung das Licht anzündete, oder
die erste Stunde, wenn die Nacht zu Ende ging, d. h. nach dem
Hahnenschrei und bei Sonnenaufgang. Weitere zum Gebet besonders
geeignete Zeiten ergaben sich aus der Heiligen Schrift oder aus dem
überlieferten Brauchtum der Juden und aus der Gewohnheit des täglichen
Lebens. So waren nach der Apostelgeschichte die Jünger Jesu Christi um
die dritte Stunde zu gemeinsamem Gebet versammelt, als sie erfüllt
wurden vom Heiligen Geist[134]; der Apostelfürst ging vor dem Essen zum
Gebet ins Obergemach hinauf, um die sechste Stunde[135]; Petrus und
Johannes gingen zum Tempel hinauf zum Gebet der neunten Stunde[136];
Paulus und Silas beteten und lobten Gott um Mitternacht[137].
Verschiedene dieser Gebetsübungen wurden dann vor allem unter dem
Einfluß der Mönche und derer, die sich dem aszetischen Leben widmeten,
im Laufe der Zeit immer mehr ausgebaut und allmählich durch kirchliche
Bestimmungen auch in die eigentliche Liturgie aufgenommen.
323. So ist denn das sogenannte Stundengebet das Gebet des Mystischen
Leibes Christi, das im Namen und zum Frommen aller Christen Gott
dargebracht wird, wenn es verrichtet wird von den Priestern und von
anderen Dienern der Kirche sowie von Ordensleuten, und zwar im
ausdrücklichen Auftrag der Kirche.
324. Eigenart und Wert dieses Gotteslobes ergeben sich aus den Worten,
mit denen nach dem Rat der Kirche das Stundengebet beginnen soll, und
wo es heißt, daß es „würdig, aufmerksam und andächtig“ zu verrichten
sei.
325. Das Wort Gottes hat bei seiner Menschwerdung in dieser irdischen
Verbannung jenen Lobgesang eingeführt, der durch alle Ewigkeit in den
Höhen des Himmels erklingt. Die ganze Menschheit verbindet er mit sich
zur Einheit und läßt sie an diesem göttlichen Lobgesang teilnehmen.
Worum wir richtig beten sollen, wissen wir ja nicht, so müssen wir
demütig gestehen, aber der Geist selbst bittet für uns mit
unaussprechlichem Seufzen[138]. Doch auch Christus selbst fleht durch
seinen Geist für uns zum Vater. „Ein größeres Geschenk hätte Gott den
Menschen nicht gewähren können... Es betet (Jesus) für uns als unser
Priester, er betet in uns als unser Haupt; zu ihm wird gebetet von uns
als zu unserem Gott ... Wir wollen also in ihm unsere eigenen Stimmen
erkennen und seine Stimme in uns ... Es wird zu ihm gebetet in seiner
Gottesgestalt, er betet in seiner Knechtsgestalt; dort ist es der
Schöpfer, hier der Geschaffene, der, ohne Veränderung zu erleiden, die
geschaffene Natur annimmt, um sie zu verwandeln und uns mit sich
vereint zu einem Menschen, Haupt und Leib“[139].
326. Der hohen Würde dieses Gebetes der Kirche müssen auch Andacht und
Frömmigkeit unserer Seele entsprechen. Und da ja die Stimme des
Betenden die Lieder wiedergibt, die unter dem Hauch des Heiligen
Geistes geschrieben wurden und Gottes Vollkommenheit in der ganzen Welt
künden und preisen, so muß auch bei uns dieses Wort begleitet sein vom
inneren Mitschwingen der Seele, so daß wir diese nämlichen Gesinnungen
uns zu eigen machen, auf ihren Fittichen uns zum Himmel erheben, die
heiligste Dreifaltigkeit anbeten, und ihr gebührend Lob und Dank sagen:
„Wenn wir dastehen und Psalmen singen, wollen wir es so tun, daß unser
Herz dabei mit unseren Stimmen zusammenklinge“[140]. Es handelt sich
also nicht nur um ein Hersagen, nicht nur um ein Singen, das jedoch,
mag es auch allen Anforderungen der Kunst und der rituellen
Vorschriften noch so vollkommen entsprechen, nur eine Sache des Gehöres
bliebe; es handelt sich vielmehr darum, daß wir mit Herz und Sinn uns
zu Gott erheben, um ihm uns selbst und all unser Tun in Vereinigung mit
Jesus Christus vollkommen hinzugeben.
327. Das ist es, wovon die Wirksamkeit unserer Gebete zum größten Teil
abhängt. Deshalb schließen sie denn auch, soweit sie sich nicht
unmittelbar an das menschgewordene Wort wenden, mit den Worten: „Durch
unseren Herrn Jesus Christus“. Als Friedensstifter zwischen uns und
Gott zeigt er seine verklärten Wundmale dem himmlischen Vater, immer
lebend, um für uns Fürsprache einzulegen[141].
328. Die Psalmen bilden bekanntlich einen Hauptteil des Stundengebetes.
Sie umfassen den ganzen Tageslauf, heiligen und adeln ihn. Treffend
zeigt das Cassiodor von den Psalmen, wie sie im Stundengebet seiner
Zeit verteilt waren: „Sie gewinnen den kommenden Tag durch den
Morgenjubel, sie weihen unsere erste Tagesstunde, sie heiligen uns die
dritte Stunde, sie erfüllen mit Freude die sechste Stunde beim Brechen
des Brotes, sie lösen unser Fasten zur neunten Stunde, sie beenden den
Tag, sie bewirken beim Hereinbrechen der Nacht, daß es nicht finster
werde in unserer Seele“[142].
329. Sie rufen Wahrheiten ins Bewußtsein, die dem auserwählten Volk von
Gott geoffenbart sind, bald solche voll Schrecken, bald solche voll
köstlicher Wonne. Sie wecken und entflammen die Hoffnung auf den
verheißenen Erlöser, die einst, sei es am häuslichen Herd, sei es in
der hoheitsvollen Pracht des Tempels aus diesen Gesängen sich nährte.
Sie lassen die vorausverkündete Herrlichkeit Jesu Christi und seine
höchste, ewige Macht in wunderbarem Lichte erstrahlen; dann aber auch
sein Kommen in diese irdische Verbannung und seine Erniedrigung, seine
königliche Würde und seine priesterliche Gewalt; und endlich sein
wohltätiges Wirken und sein zu unserer Erlösung vergossenes Blut. Nicht
weniger bringen sie zum Ausdruck unseres Herzens Freude, Kummer, Hoffen
und Bangen sowie unseren guten Willen, ganz auf Gott zu vertrauen und
ihm Liebe mit Liebe zu vergelten, und unseren mystischen Aufstieg zu
den Gezelten Gottes. „Der Psalm ... ist Segen für das Volk, Lob Gottes,
Preislied des Volkes, Beifall aller, Wort der Gesamtheit, Stimme der
Kirche, lautes Bekenntnis des Glaubens, volle Ergebung in den
allerhöchsten Willen, Erlösungsglück, Jubelruf, Jauchzen der
Freude“[143].
330. In früheren Zeiten war die Teilnahme der Gläubigen an diesem
Stundengebet reger. Aber dieser Brauch verlor sich mehr und mehr und,
wie Wir eben ausführten, in unserer Zeit ist das Stundengebet
ausschließlich Sache des Klerus und der Ordensgemeinschaften. Die Laien
haben also diesbezüglich keinerlei rechtliche Verpflichtung. Aber es
wäre dringend zu wünschen, daß sie betend oder singend sich daran
beteiligten, wo es am Abend von Feiertagen in den Pfarreien verrichtet
wird. Dringend ermahnen Wir euch, ehrwürdige Brüder, diesen Brauch
nicht aufzugeben und ihn, wo er schon verschwunden ist, nach
Möglichkeit wieder aufzunehmen. Das wird sicher besonders dann
fruchtbar sein, wenn die Vesperandacht nicht nur würdig und feierlich
abgehalten wird, sondern auch derart, daß sie in mannigfacher Weise auf
den frommen Sinn der Gläubigen anziehend wirkt.
331. Die Feiertage, die in besonderer Weise Gott zu widmen und zu
weihen sind, müssen im öffentlichen wie privaten Leben gewissenhaft
gehalten werden. Vor allem gilt das vom Tag des Herrn, den die Apostel,
auf Eingebung des Heiligen Geistes hin, anstelle des Sabbats eingeführt
haben. Die Juden hatten das Gesetz : An sechs Tagen sollst du arbeiten,
am siebten aber ist Sabbat: Ruhe, die dem Herrn heilig ist; jeder, der
an diesem Tage arbeitet, soll sterben[144]. Wie sollten die Christen
nicht den Tod der Seele befürchten, wenn sie an Feiertagen knechtliche
Arbeit verrichten und die Zeit der Arbeitsruhe nicht auf Frömmigkeit
und Gottesdienst verwenden, sie vielmehr ohne Maß in den Vergnügungen
der Welt verbringen? Der Sonntag und die anderen Feiertage sind also
dem zu weihen, was Gottes ist, wodurch Gottes Ehre gefördert und die
Seele mit himmlischer Nahrung gestärkt wird. Mag auch die Vorschrift
der Kirche nur die Enthaltung von knechtlicher Arbeit und die
Beteiligung am eucharistischen Opfer fordern, ohne über die abendliche
Andacht etwas zu verfügen, so empfiehlt sie doch immer und immer wieder
eine Mehrleistung und wünscht sie dringend; übrigens ist es für jeden
einzelnen ein notwendiges Bedürfnis und eine Forderung, Gottes Huld zu
gewinnen, um seiner Wohltaten teilhaftig zu werden.
332. Mit großem Schmerz ist Unser Herz erfüllt, wenn Wir sehen müssen,
in welcher Weise heutzutage das christliche Volk die Hälfte des
Feiertages, Wir meinen den Nachmittag, verbringt. Öffentliche
Vergnügungslokale und Spielplätze verzeichnen einen Massenzulauf,
während die Gotteshäuser ungebührlich schwach besucht sind. Und doch
sollten alle in die Kirche gehen, um dort über die Wahrheiten des
katholischen Glaubens belehrt zu werden, um Gottes Lob zu singen, um
durch den Priester den eucharistischen Segen zu empfangen und gegen
alle Widerwärtigkeiten dieses Lebens mit himmlischer Kraft gefeit zu
werden. Alle sollten nach Kräften die Texte erlernen, die bei den
abendlichen Andachten gemeinsam gesungen werden, und sich mit ihrer
Bedeutung innerlich vertraut machen; denn unter dem Eindruck dieser
Worte werden sie erfahren, was Augustinus von sich selber sagt: „Wie
habe ich doch geweint bei deinen Hymnen und Liedern, tief bewegt von
den tröstlichen Klängen deiner singenden Kirche. Diese Klänge drangen
in mein Ohr, die Wahrheit strömte mir ins Herz, Liebe und Frömmigkeit
blühten auf, die Tränen rannen, und es wurde mir wohl“[145].
333. Im ganzen Verlauf des Jahres kreist die Feier des eucharistischen
Opfers wie auch das Stundengebet vor allem um die Person Jesu Christi,
und alles ist so zweckmäßig und trefflich angeordnet, daß dabei unser
Erlöser mit den Geheimnissen seines verborgenen Lebens, seines
Erlösungswerkes und seines Triumphes beherrschend hervortritt.
Wenn die heilige Liturgie diese Geheimnisse Jesu Christi in Erinnerung
ruft, so geschieht dies in der Absicht, daß alle Gläubigen derart an
ihnen Anteil nehmen, daß das göttliche Haupt des Mystischen Leibes
seine vollkommene Heiligkeit in den einzelnen Gliedern entfalte. Die
Herzen der Christen sollten wie Altäre sein, auf denen die einzelnen
Augenblicke des Opfers, das der Hohepriester darbringt, gleichsam von
neuem vollzogen werden: die Schmerzen und Tränen, welche die Sünden
tilgen und sühnen; das Gebet zu Gott, das bis zum Himmel dringt; die
Hingabe und gleichsam die Opferung seiner selbst, die aus einem
bereiten, großmütigen und eifrigen Herzen entspringt; und endlich die
innige Verbundenheit, mit der wir uns und all das Unsrige Gott
anvertrauen und in ihm den Frieden finden, „ist es doch Inbegriff der
Religion, dem ähnlich zu werden, den man verehrt“[146].
334. Im Einklang mit diesen Anordnungen, womit uns die Liturgie zu
bestimmten Zeiten das Leben Jesu Christi zur Betrachtung vorlegt, weist
uns die Kirche auf Vorbilder hin, die nachzuahmen sind, und zeigt die
Schätze der Heiligkeit, die wir uns anzueignen haben. Denn was der Mund
singt, muß das Herz glauben, und was das Herz glaubt, muß ins
öffentliche und private Leben übergehen.
In der heiligen Adventszeit weckt sie in uns das Bewußtsein der Sünden,
die wir leider begangen haben, ermahnt uns, durch Beherrschung der
Triebe und durch freiwillige körperliche Buße uns in frommer
Betrachtung zu sammeln und uns mit dem lebendigen Verlangen zu
erfüllen, zu Gott zurückzukehren, der allein mit seiner Gnade uns von
der Makel unserer Sünden und von den verhängnisvollen Übeln, die daraus
entspringen, zu befreien vermag.
335. Wenn der Geburtstag unseres Erlösers wiederkehrt, ist es, als
führte sie uns nach Bethlehem zur Grotte, damit wir dort erkennen, wie
unerläßlich notwendig es für uns ist, wiedergeboren zu werden und uns
gründlich zu erneuern, was nur dadurch erfolgen kann, daß wir uns innig
und lebendig anschließen an Gottes menschgewordenes Wort und teilhaben
an dessen göttlicher Natur, zu der wir erhoben sind.
336. Mit dem Fest der Erscheinung des Herrn erinnert sie an die
Berufung der Heiden zum christlichen Glauben und wünscht, daß wir
täglich dem ewigen Gott für sein großes Geschenk unseren Dank
abstatten, mit starkem Glauben den lebendigen und wahren Gott suchen,
die übernatürliche Welt gläubig und gründlich erfassen, das Schweigen
stiller Betrachtung lieben, um so leichter die Gaben des Himmels zu
schauen und zu erlangen.
337. In den Tagen der Vorfasten und der Fastenzeit geht es unserer
Mutter, der Kirche, in erhöhtem Maße darum, daß wir alle unser Elend
gründlich erwägen, daß wir uns zur eifrigen Besserung unseres Lebens
aufraffen, daß wir mehr als sonst unsere Sünden verabscheuen und sie
mit Gebet und Buße tilgen; denn anhaltendes Gebet und Buße für unsere
Sünden erwirken uns die Hilfe, ohne die all unser Tun nichtig bleibt
und unfruchtbar.
338. Zu der heiligen Zeit aber, in welcher das bittere Leiden Jesu
Christi in der Liturgie dargestellt wird, lädt uns die Kirche nach
Kalvaria ein, damit wir den blutigen Spuren des göttlichen Erlösers
folgen, willig mit ihm das Kreuz auf uns nehmen, sein Verlangen nach
Sühne und Versöhnung auch in unseren Herzen erwecken und alle gemeinsam
mit ihm sterben.
339. Das Osterfest, mit dem Christi Triumph gefeiert wird, erfüllt
unser Herz mit innigster Freude. Da gilt es ernstlich zu bedenken, daß
auch wir zusammen mit dem Erlöser auferstehen müssen aus einem Leben
der Lauheit und Trägheit zu einem Leben größeren Eifers und größerer
Heiligkeit, in voller, großmütiger Hingabe an Gott, indem wir diese
traurige Welt vergessen und nur noch nach dem Himmel streben: Wenn ihr
mit Christus auferstanden seid, sucht, was droben ist; ... auf das, was
droben ist, soll euer Sinn gerichtet sein[147].
340. Zur Pfingstzeit endlich ermahnt uns die Kirche durch ihr Wort und
ihr Tun, uns empfänglich zu erweisen für das Wirken des Heiligen
Geistes, der unsere Herzen mit göttlicher Liebe zu entzünden verlangt,
damit wir täglich eifriger im Tugendstreben Fortschritt machen und
heilig seien, wie Christus der Herr und sein Vater im Himmel heilig
sind.
Das Kirchenjahr muß also aufgefaßt werden als ein herrlicher Lobgesang,
den die Christenheit durch Jesus, ihren ewigen Mittler, dem himmlischen
Vater darbringt; aber zugleich verlangt es auch von uns ein eifriges
und zweckmäßiges Bestreben, das uns immer mehr und mehr unseren Heiland
erkennen und preisen läßt. Dazu erfordert es ein ernstes, tatkräfriges
Bemühen und unermüdliche Übung, seine Geheimnisse nachzuahmen, seinen
Leidensweg willig zu gehen, um schließlich einmal an seiner
Herrlichkeit und ewigen Glückseligkeit Anteil zu haben.
341. Aus den Anweisungen, die Wir bisher gegeben haben, erhellt,
ehrwürdige Brüder, wie sehr sich vom echten und wahren Geist der
Liturgie jene modernen Schriftsteller entfernten, die vom Schein einer
höheren Mystik getäuscht, zu behaupten wagen, nicht der geschichtliche
Christus sei es, auf den wir zu sehen hätten, sondern „der pneumatische
oder verklärte“. Auch behaupten sie unbedenklich, das christliche
Andachtsleben habe sich in einer Weise entwickelt, durch die Christus
gleichsam entthront sei, da der verherrlichte Christus, der lebt und
herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit und zur Rechten des Vaters thront, in
den Hintergrund gedrängt und an seine Stelle jener Christus gesetzt
worden sei, der dieses Erdenleben führte. Darum gehen manche sogar so
weit, daß sie die Bilder des am Kreuze leidenden Erlösers aus den
Kirchen entfernt wissen wollen.
342. Aber die falschen Auffassungen dieser Art stehen im Widerspruch
mit der gesunden Lehre, wie sie von altersher überliefert ist. „Du
glaubst an Christus, geboren im Fleisch“, schreibt der heilige
Augustinus, „und gelangst zu Christus, geboren aus Gott, Gott bei
Gott“[148]. Die heilige Liturgie stellt uns den ganzen Christus vor
Augen in allen Lagen seines Lebens: Als den, der das Wort des Ewigen
Vaters ist, der von der jungfräulichen Gottesmutter geboren wird, der
uns die Wahrheit lehrt, der die Kranken heilt, die Betrübten tröstet,
der leidet und stirbt, und der dann aufersteht als Sieger über den Tod,
der in der Herrlichkeit des Himmels herrschend den Tröstergeist in
unsere Herzen schickt, der schließlich unablässig lebt in seiner
Kirche: Jesus Christus gestern und heute und in Ewigkeit[149].
343. Ãœberdies stellt sie ihn uns nicht nur zur Nachfolge vor, sondern
sie zeigt uns auch den Lehrer, dem wir willig lauschen, den Hirten, dem
wir folgen sollen, den Mittler unseres Heils, den Urquell unserer
Heiligkeit, das mystische Haupt, als dessen Glieder wir leben von
seinem Leben.
Da aber sein bitteres Leiden das eigentliche Geheimnis ist, aus dem
unser Heil erwächst, entspricht es ganz dem katholischen Glaubensgeist,
jenes Leiden in volles Licht zu rücken, ist es doch auch das Kernstück
unserer Gottesverehrung, sofern das eucharistische Opfer es täglich
vergegenwärtigt und erneuert, und alle Sakramente in engstem
Zusammenhang mit dem Kreuze stehen[150].
344. So ist denn das liturgische Jahr, von der Frömmigkeit der Kirche
genährt und begleitet, nicht eine frostige, leblose Darstellung längst
vergangener Dinge oder eine bloße Erinnerung an Ereignisse aus früheren
Zeiten. Es ist vielmehr Christus selbst, der in seiner Kirche
weiterlebt. Er geht da den Weg seines unermeßlichen Erbarmens, den er
in diesem sterblichen Leben, als er Wohltaten spendend umherging[151],
in der liebevollen Absicht begonnen hat, daß die Menschen seine
Geheimnisse erfaßten und in ihnen sozusagen lebten, Geheimnisse, die
dauernd gegenwärtig sind und wirken, nicht in der ungewissen,
nebelhaften Weise, von der gewisse neuere Autoren sprechen, sondern wie
es katholische Lehre ist. Denn nach der Auffassung der Kirchenlehrer
sind sie sowohl Vorbilder der christlichen Vollkommenheit, als auch,
kraft der Verdienste und Fürbitte Christi, Quellen der göttlichen
Gnade. Mit ihrer Wirkung dauern sie fort in uns, ist doch jedes von
ihnen je nach seiner Eigenart Ursache unseres Heils.
345. Dazu kommt, daß die Kirche, während sie die Geheimnisse unseres
Heilandes uns zur Betrachtung vorstellt, mit ihrem Beten uns die Gnaden
erfleht, durch die ihre Kinder in der Kraft Christi vom Geist dieser
Geheimnisse tief durchdrungen werden. In seiner Kraft und unter seinem
Einfluß können wir, vermöge der Mitarbeit unseres Willens, Lebenskraft
in uns aufnehmen wie die Zweige aus dem Baum, wie die Glieder aus dem
Haupt. Auch können wir uns langsam und in ernstlichem B |