Rundschreiben
"Mediator Dei et hominum"
von
Papst Pius XII.
(vom 20. November 1947 über die heilige Liturgie )
(Vollständiger Text der Enzyklika)
Ehrwürdige Brüder,
Gruß und Apostolischen Segen
Einleitung
212. Der Mittler zwischen Gott und den Menschen[1],der Hohepriester,
der die Himmel durchmessen, Jesus, der Sohn Gottes[2] hat das Werk der
Barmherzigkeit auf sich genommen, das Menschengeschlecht mit
übernatürlichen Wohltaten zu überhäufen. Seine Absicht war es dabei
zweifellos, die zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer durch die
Sünde gestörte Ordnung wiederherzustellen und die unglückliche, durch
die Erbschuld belastete Nachkommenschaft Adams dem himmlischen Vater,
dem Ursprung und letzten Ziele aller Geschöpfe, wieder zuzuführen.
Deshalb verkündete er während seines Wandels auf Erden nicht allein den
Anbruch der Erlösung und erklärte das Gottesreich für gekommen, sondern
er trachtete, durch beständiges Beten und Opfern das Heil der Seelen zu
erwirken, bis erschließlich am Kreuze sich als makelloses Opfer Gott
darbot, um unser Gewissen von toten Werken zu reinigen, damit wir dem
lebendigen Gott dienen könnten[3]. So wurden alle Menschen vom Weg, der
zu ihrem völligen Verderben führte, zu ihrem Glück zurückgerufen und
Gott wieder zugeführt; durch das persönliche Mitwirken eines jeden zur
Erlangung der eigenen Heiligkeit, die dem Blute des unbefleckten Lammes
entsprießt, sollten sie Gott die ihm gebührende Ehre erweisen.
213. Der göttliche Erlöser wollte, daß das Priesterleben, das er in
seinem sterblichen Leibe durch sein Gebet und Opfer begonnen hatte,
durch die Jahrhunderte in seinem mystischen Leibe, der Kirche,
ununterbrochen weitergeführt werde. Daher setzte er ein sichtbares
Priestertum ein, damit an jedem Ort ein reines Speiseopfer dargebracht
werde[4] und so die Menschen vom Aufgang bis zum Niedergang, befreit
von der Sünde, dem Ruf des Gewissens folgend, frei und willig Gott
dienten.
214. Die Kirche führt also, getreu dem von ihrem Stifter erhaltenen
Auftrag, das Priesteramt Jesu Christi vor allem durch die heilige
Liturgie weiter. In erster Linie tut sie dies am Altare, wo das
Kreuzesopfer ständig dargebracht[5] und erneuert wird[6], wobei einzig
die Art der Darbringung verschieden ist; dann durch die Sakramente,
besondere Mittel, durch welche die Menschen des übernatürli-chen Lebens
teilhaftig werden; endlich durch den Lobpreis, der täglich dem
allgütigen und allmächtigen Gott dargebracht wird. „Welch wundervolles
Schauspiel - sagt Unser Vorgänger ehrwürdigen Andenkens Pius XI. -
bietet dem Himmel und der Erde die betende Kirche, wenn ohne Unterlaß
Tag und Nacht die unter göttlicher Eingebung geschriebenen Psalmen auf
Erden gesungen werden; wenn keine Stunde des Tages gezählt wird, die
nicht durch ihre eigene Liturgie geweiht wäre; wenn jedes Lebensalter
seine Rolle hat beim Dank-, Lob-, Bitt- und Sühnegebet, diesem
gemeinsamen Flehen des mystischen Leibes Christi, der Kirche“[7].
215. Es ist Euch, ehrwürdige Brüder, sicher bekannt, daß gegen Ende des
letzten und zu Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts ein
außerordentlicher Wetteifer auf dem Gebiet der liturgischen Studien
entfaltet wurde, sowohl durch private Arbeit, wie besonders durch die
weit ausholende und emsige Tätigkeit einiger Klöster des berühmten
Benediktinerordens; so wuchs nicht nur in vielen europäischen Nationen,
sondern auch in den überseeischen Ländern diesbezüglich ein
lobenswertes und fruchtbringendes Bemühen. Die segensreichen Früchte
dieses eifrigen Bemühens konnte man auf dem Gebiet der theologischen
Wissenschaften wahrnehmen, wo die liturgischen Riten der abend- und
morgenländischen Kirche erschöpfender und tiefer durchforscht und
erfaßt wurden, wie auch im geistlichen und privaten Leben vieler
Christen.
216. Die hehren Zeremonien des heiligen Opfers wurden bessererkannt,
erfaßt und geschätzt, die Sakramente wurden allgemeiner und häufiger
empfangen, die liturgischen Gebete inniger verkostet und die Verehrung
der heiligen Eucharistie - was auch fortdauern soll - als Quelle und
Mittelpunkt wahrer christlicher Frömmigkeit gewertet. Außerdem wurde
die Tatsache in helleres Licht gerückt, daß alle Gläubigen einen
einzigen, eng gefügten Leib bilden, dessen Haupt Christus ist, weshalb
dem christlichen Volke die Pflicht obliege, in gebührender Weise an den
liturgischen Handlungen teilzunehmen.
217. Ihr wißt ohne Zweifel sehr wohl, daß der Apostolische Stuhl
jederzeit eifrig bestrebt war, das ihm anvertraute Volk mit richtigem
und lebendigem liturgischem Empfinden zu erfüllen; und wie er mit nicht
geringerem Eifer darauf geachtet hat, daß die heiligen Handlungen auch
nach außen durch angemessene Würde wirkten. Wir selbst haben, als Wir
dem Brauch gemäß im Jahre 1943 zu den Fastenpredigern der Ewigen Stadt
sprachen, sie mit Nachdruck ermahnt, ihre Zuhörer zu einer wachsenden
Teilnahme am eucharistischen Opfer anzuspornen; und erst neulich haben
Wir in der Absicht, das rechte Verständnis der liturgischen Gebete und
die Erfassung ihres kostbaren Wahrheitsgehaltes zu fördern, das Buch
der Psalmen, das in der katholischen Kirche einen großen Teil jener
Gebete ausmacht, aus dem Urtext von neuem ins Lateinische übertragen
lassen[8].
218. Während also diese Bestrebungen infolge ihrer heilsamen Wirkungen
Uns nicht geringen Trost bereiten, fordert doch auch das Gewissen, daß
Wir jene Erneuerungsbestrebungen im Auge behalten und sorgsam darauf
achten, daß die Anregungen nicht ins Maßlose oder Fehlerhafte ausarten.
219. Wenn Wir nämlich einerseits mit großem Bedauern feststellen, daß
in verschiedenen Ländern der Sinn für die heilige Liturgie, ihre
Kenntnis und ihr Studium gelegentlich ungenügend sind oder fast ganz
fehlen, so müssen Wir anderseits mit Besorgnis, ja mit Furcht
wahrnehmen, wie einige allzu neuerungssüchtige Leute vom Weg der
gesunden Lehre und der Klugheit abweichen. Den Plänen und Bestrebungen
zur Erneuerung der Liturgie, an die sie herantreten, mischen sie häufig
Auffassungen bei, die in der Theorie oder Praxis diese heilige Sache
gefährden und bisweilen mit Irrtümern behaften, die den. katholischen
Glauben und die aszetische Lehre berühren. Reinheit des Glaubens und
der Sitte muß aber die hauptsächlichste Richtlinie dieser heiligen
Wissenschaft sein, die mit der weisen Lehre der Kirche in allem
übereinstimmen soll. Es ist demnach Unsere Pflicht, was gut ist, zu
loben und zu empfehlen, was aber vom rechten Weg abweicht, in Schranken
zu halten oder zu verwerfen.
Es sollen jedoch die Säumigen und Lässigen nur nicht meinen, Wir wären
mit ihnen zufrieden, weil Wir die Irrenden tadeln und die Allzukühnen
zügeln; noch sollen die Unklugen es als Lob für sich deuten, wenn Wir
die Nachlässigen und Zauderer zurechtweisen.
Wenn Wir in Unserem Rundschreiben hauptsächlich von der lateinischen
Liturgie sprechen, so geschieht das nicht, weil Wir die ehrwürdigen
Liturgien der Ostkirche weniger schätzten; ihre Riten, durch alte und
kostbare Urkunden überliefert, sind Uns ebenso teuer; das geschieht
vielmehr wegen der besonderen Verhältnisse der abendländischen Kirche,
die so geartet sind, daß sie das Eingreifen Unserer Autorität notwendig
zu machen scheinen.
220. Alle Christgläubigen mögen deshalb gelehrigen Sinnes auf die
Stimme des gemeinsamen Vaters hören, der nur wünscht, daß alle eng um
ihn geschart, sich Gottes Altare nähern, den gleichen Glauben
bekennend, dem gleichen Gesetze sich fügend, am gleichen Opfer in
gleicher Gesinnung und mit gleicher Absicht teilnehmend. Das verlangt
schon die Ehre Gottes; das fordern auch die Bedürfnisse der Gegenwart.
Nachdem ein langer und grauenvoller Krieg die Völker durch Feind-schaft
und blutigen Tod sich gegenseitig entfremdet hat, mühen sich jetzt
Menschen guten Willens, alle nach besten Kräften zur Eintracht
zurückzuführen. Kein Planen und kein Unternehmen hat aber, so glauben
Wir, hierbei eine größere Wirkung als der lebendige religiöse Eifer,
von dem alle Christen beseelt sein und sich leiten lassen müssen, indem
sie dieselben Wahrheiten aufrichtigen Herzens bekennen, den
rechtmäßigen Hirten gern und willig gehorchen, Gott die gebührende
Verehrung erweisen und eine brüderliche Gemeinschaft bilden, denn ein
Leib sind wir viele, wir alle, die wir an einem Brote teilhaben[9].
I. Wesen, Ursprung und Entfaltung der Liturgie
221. Die erste Pflicht des Menschen ist es zweifelsohne, sich und sein
Leben auf Gott hinzuordnen. „Er ist es, dem wir als unserem ewigen
Urgrund vor allem verbunden sein müssen, auf den als letztes Ziel auch
unsere Wahl immerfort zu richten ist, den wir verlieren, wenn wir ihn
in der Sünde hint-ansetzen, und den wir durch den Glauben und das
Bekenntnis des Glaubens wieder gewinnen müssen“[10].Der Mensch ist aber
richtig auf Gott hingeordnet, wenn er dessen höchste Majestät und
Lehrgewalt anerkennt, wenn er die von Gott geoffenbarten Wahrheiten
bereitwillig aufnimmt, wenn er die von ihm erlassenen Gesetze in
gläubiger Unterwerfung beobachtet, wenn er sein ganzes Tun auf ihn
ausrichtet, wenn er, um es kurz zu sagen, durch die Tugend der
Gottesverehrung dem einen und wahren Gott den gebührenden Kult und die
gebührende Hingabe erweist.
222. Wenn diese Aufgabe in erster Linie den Einzelmenschen
verpflichtet, so obliegt sie doch auch der ganzen durch soziale
Bindungen gebildeten Menschengemeinschaft, da diese gleicherweise von
Gottes höchster Autorität abhängt.
223. Dabei ist zu beachten, daß jene Pflicht die Menschen noch in
besonderer Weise bindet, weil sie Gott nämlich zur übernatürlichen
Ordnung erhoben hat.
Wenn wir deshalb Gott als Gesetzgeber des Alten Bundes betrachten, so
sehen wir, wie er auch über die sakralen Riten Vorschriften erläßt und
genaue Richtlinien gibt, die das Volk bei dem ihm zu er-weisenden
gesetzmäßigen Kult einhalten soll. Er verordnete dementsprechend
verschiedene Opfer und verschiedene Zeremonien zur Darbringung der ihm
geweihten Gaben; alles bestimmte er genau, was die Bundeslade, den
Tempel und die Festtage betraf. Er setzte einen Priesterstamm und einen
Hohenpriester ein; sogar die Gewänder, welche die Kultdiener tragen
sollten, bestimmte und beschrieb er, und was sonst noch zum
Gottesdienst gehörte[11].
224. Indessen war dieser Gottesdienst nur ein schattenhaftes Bild[12]
jenes Kultes, den der Hohepriester des Neuen Bundes dem himmlischen
Vater erweisen sollte.
Kaum nämlich ist das Wort Fleisch geworden[13], als es auch schon mit
dem Priesteramt bekleidet sich der Welt offenbart, indem es sich dem
Ewigen Vater unterwirft und diese Unterwerfung sein ganzes Leben
hindurch ununterbrochen fortsetzt Beim Eintritt in die Welt
spricht Christus: ... Siehe ich komme . . . Deinen Willen, O Gott, zu
erfüllen . . .[14], und im blutigen Kreuzesopfer hat er dies wunderbar
erfüllt : Kraft dieses Willens sind wir ein für allemal geheiligt durch
die Hingabe des Leibes Jesu Christi[15]. Sein tatenreiches
Menschendasein strebt diesem einen Ziele zu. Als kleines Kind wird er
im Tempel zu Jerusalem dem Herrn dargestellt; als Knabe begibt er sich
wieder dorthin; später betritt er den Tempel immer und immer wieder, um
das Volk zu lehren und dort zu beten. Bevor er seine öffentliche
Tätigkeit beginnt, beobachtet er ein vierzigtägiges Fasten; durch
seinen Rat und sein Beispiel mahnt er alle, ihre Bitten bei Tag und bei
Nacht an Gott zu richten. Er, der Lehrer der Wahrheit, erleuchtet jeden
Menschen[16]damit die Sterblichen den unsichtbaren Gott gebührend
anerkennen und nicht Söhne feigen Versagens seien zu ihrem Verderben,
sondern Kinder des Glaubens, durch den das Leben gewonnen wird[17]. Als
Hirt leitet er seine Herde, führt sie auf die Weide des Lebens und
erläßt sein Gesetz so, daß niemand von ihm und dem rechten Wege, den er
weist, sich abbringen lasse, sondern alle unter dem Hauch seines
Geistes und in seiner Kraft heilig leben. Beim letzten Abendmahle
begeht er in feierlicher Form das neue Pascha, dessen Fortbestand er
durch die Einsetzung der heiligen Eucharistie sichert; am folgenden Tag
bringt er, zwischen Himmel und Erde schwebend, das heilbringende Opfer
seines Lebens dar und läßt seiner durchbohrten Brust gleichsam die
Sakramente entströmen, die den Menschen die Schätze der Erlösung
zuführen sollen. Bei alledem schaut er einzig auf die Ehre seines
himmlischen Vaters und darauf, die Menschen mit immer größerer
Heiligkeit zu erfüllen.
225. Nach seinem Einzug in die ewige Herrlichkeit will er, daß der
Gottesdienst, den er im Laufe seines irdischen Lebens eingesetzt und
ausgeübt hat, ununterbrochen weiterbestehe. Denn er überläßt die
Menschheit keineswegs hilflos sich selbst, sondern wie er ihr durch
seinen mächtigen und lebendig gegenwärtigen Schutz immerfort beisteht,
indem er des Amtes eines Fürsprechers beim Vater waltet[18] kommt er
ihr auch zu Hilfe durch seine Kirche, in der seine göttliche Gegenwart
durch die Jahrhunderte fortdauert, die er zur Säule der Wahrheit[19]
und Spenderin der Gnade bestimmt und durch sein Kreuzesopfer gegründet,
geheiligt und auf ewige Zeiten gefestigt hat[20].
226. Die Kirche hat daher Zweck, Aufgabe und Amt gemeinsam mit dem
menschgewordenen Gottessohn; sie hat alle die Wahrheit zu lehren, die
Menschen richtig zu lenken und zu leiten, Gott ein wohlgefälliges Opfer
darzubringen und so jene wunderbare Zusammengehörigkeit und Eintracht
zwischen Gott dem Schöpfer und den geschaffenen Dingen
wiederherzustellen, die der Völkerapostel mit folgenden Worten
anschaulich umschreibt: So seid ihr nun nicht mehr Fremdlinge und
Beisassen, sondern ihr seid Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen
Gottes, auferbaut auf dem Fundament der Apostel und Propheten, wobei
der Eckstein Jesus Christus selbst ist. In ihm ist der ganze Bau fest
zusammengefügt und wächst empor zu einem heiligen Tempel im Herrn, in
dem auch ihr miterbaut werdet zu einer Wohnung Gottes im Geiste[21].
Deshalb zielt die vom göttlichen Erlöser gestiftete Gesellschaft mit
ihrer Lehre und Leitung, dem von ihm eingesetzten Opfer und den von ihm
gestifteten Sakramenten, mit der von ihm überkommenen Verwaltung und
dem von ihr verströmten Gebet und Blut nur auf das eine hin, daß sie
täglich sich weite nach außen und innerlich zusammenwachse; das wird
auch erreicht, wenn Christus in den Menschenseelen Leben gewinnt und
sich ent-faltet, und umgekehrt die Menschenseelen durch Christus
gleichsam auferbaut werden und wachsen; so daß in der irdischen
Verbannung der heilige Tempel sich täglich weiter wölbt, in dem der
göttlichen Majestät die rechte und ihr wohlgefällige Verehrung gezollt
wird.
227. Deshalb ist in jeder liturgischen Handlung zugleich mit der Kirche
ihr göttlicher Stifter zugegen. Zugegen ist Christus im hochheiligen
Opfer des Altares, in der Person des seine Stelle vertretenden
Priesters und vor allem unter den eucharistischen Gestalten. Zugegen
ist er in den Sakramenten durch die Kraft, die er ihnen zuströmen läßt
als den Werkzeugen der Heiligung. Zugegen ist er endlich im Lob Gottes
und im Bittgebet, gemäß dem Worte: Wo nämlich zwei oder drei in meinem
Namen vereint sind, bin ich mitten unter ihnen[22].
228. Die heilige Liturgie bildet folglich den öffentlichen Kult, den
unser Erlöser, das Haupt der Kirche, dem himmlischen Vater erweist und
den die Gemeinschaft der Christgläubigen ihrem Gründer und durch ihn
dem Ewigen Vater darbringt; um es zusammenfassend kurz auszudrücken:
sie stellt den gesamten öffentlichen Gottesdienst des mystischen Leibes
Jesu Christi dar, seines Hauptes nämlich und seiner Glieder.
229. Die liturgische Betätigung nahm ihren Anfang, sobald die Kirche
von Gott gegründet war. Die Christen der Urkirche, so heißt es ja,
verharrten in der Lehre der Apostel, in der brüderlichen Gemeinschaft,
im Brotbrechen und im Gebet[23].Wo es den Hirten gelingt, eine
Gemeinschaft von Gläubigen zu sammeln, dort errichten sie den Altar,
auf dem sie das Opfer darbringen und um den alle übrigen Riten sich
ranken, damit sich die Menschen durch sie heiligen und Gott die ihm
gebührende Ehre erweisen. Unter diesen Riten nehmen die erste Stelle
ein die Sakramente, die sieben Hauptquellen des Heils; dann der
Lobpreis Gottes, mit dem die Christen auch als Gemeinschaft der Mahnung
des Apostels Paulus gehorchen: Belehrt und ermahnt einander in aller
Weisheit. Singt Gott dankbaren Herzens Psalmen, Lobgesänge und
geistliche Lieder[24]. Weiter die Lesung aus dem Gesetz und den
Propheten, aus den Evangelien und den Briefen der Apostel, und endlich
die Homilie oder Predigt, wodurch der Vorsteher der Gemeinde die
Vorschriften des göttlichen Meisters in Erinnerung ruft und sodann
nutzbringend erklärt, wichtigere Begebenheiten aus dem Leben Christi
erwähnt und den Anwesenden geeignete Mahnungen und Beispiele vorlegt.
230. Je nach den Umständen und den Bedürfnissen der Christen wird der
Gottesdienst veranstaltet, ausgebaut und mit neuen Riten, Zeremonien
und Gebetsformen bereichert, immer zu dem Zwecke, „daß wir durch jene
Sinnbilder uns selbst anspornen und innewerden, wieviel Fortschritt wir
gemacht haben, und zu dessen Förderung uns entschieden aneifern denn
die Wirkung wird um so wertvoller sein, je stärker der Eifer ist, der
ihr vorausgeht“[25] So erhebt sich das Gemüt beschwingter und leichter
zu Gott, und das Priestertum Jesu Christi lebt und wirkt jederzeit
durch alle Jahrhunderte hindurch, da die heilige Liturgie nichts
anderes ist als die Ausübung dieses Priesteramtes. Wie ihr göttliches
Haupt, so ist die Kirche ihren Kindern immerfort gegenwärtig, sie hilft
ihnen, mahnt sie zu einem heiligen Leben, damit sie einmal mit dieser
übernatürlichen Zier geschmückt zum himmlischen Vater zurückkehren. Die
zum irdischen Leben Gebotenen bereichert sie in einer Art von
Wiedergeburt mit dem übernatürlichen Leben; für den Kampf gegen den
unversöhnlichen Feind stärkt sie dieselben mit der Kraft des Heiligen
Geistes; sie ruft die Christen zu den Altären, eifert sie durch
wiederholte Einladung an zur andächtigen Feier des eucharistischen
Opfers und nährt sie mit der Engelspeise, damit sie immer mehr
erstarken; die durch die Sünde Verwundeten und Befleckten söhnt sie aus
mit Gott und tröstet sie; die unter dem Antrieb der Gnade zum
Priestertum Berufenen weiht sie mit dem rechtmäßigen Ritus. Die aber
zur Gründung und zum Aufbau einer christlichen Familie bestimmt sind,
deren reine Ehe unterbaut sie mit himmlischen Gnadenpfändern. Nachdem
sie endlich für die letzte Stunde des irdischen Daseins durch die
eucharistische Wegzehrung und die Heilige Ölung Mut und Kraft
verliehen, begleitet sie die sterblichen Ãœberreste ihrer Kinder in
liebevoller Gesinnung zu Grabe, bestattet sie ehrfürchtig und stellt
sie unter den Schutz des Kreuzes, damit sie einstens nach siegreicher
Ãœberwindung des Todes auferstehen. Aber auch jene, die zur Erreichung
der religiösen Vollkommenheit sich ganz dem Dienste Gottes weihen,
segnet sie mit feierlichem Segen und Gebet. Schließlich reicht sie den
Seelen im Fegfeuer, die ihre Fürbitte anrufen, ihre hilfreiche Hand, um
sie glücklich der ewigen Seligkeit zuzuführen.
231. Der gesamte Kult, den die Kirche Gott darbringt, muß äußerlich und
innerlich sein. Äußerlich, weil es so das Wesen des aus Leib und Seele
zusammengesetzten Menschen verlangt; dann weil es von Gott so gefügt
ist, daß „dieweil wir Gott mit leiblichem Auge erkennen, er in uns die
Liebe zum Unsichtbaren entflammt“[26]; ferner liegt es in unserer
Natur, daß alles Seelische sich sinnenhaften Ausdruck gibt; weiterhin
ist die Gottesverehrung nicht nur Sache der Einzelnen, sondern ebenso
der menschlichen Gemeinschaft und muß deshalb sozialen Charakter
tragen, was sie nicht kann, wenn nicht auch der Bereich des Religiösen
äußere Bindungen und Kundgebungen kennt. Endlich offenbart das
Sinnenfällige in besonderer Weise die Einheit des mystischen Leibes und
stellt sie ins rechte Licht, spornt dessen heiligen Eifer an, stärkt
seine Kraft und erhöht sein Wirken. „Denn wenn auch die Zeremonien aus
sich selbst keine Vollkommenheit und Heiligkeit beinhalten, so sind
sie doch äußere religiöse Akte, durch die der Geist wie durch
Zeichen zur Verehrung alles Heiligen angeeifert, der Sinn zum
Himmlischen emporgehoben, die Frömmigkeit genährt und die Liebe
entflammt wird; durch sie wächst der Glaube und wird die Andacht
vertieft; durch sie werden die weniger Gebildeten unterrichtet, der
Gottesdienst verschönert, die Religion erhalten und die wahren
Gläubigen von den unechten Christen und Irrgläubigen unterschieden“[27].
232. Jedoch ist das Hauptgewicht bei der Gottesverehrung auf das Innere
zu verlegen.Wir müssen immer in Christus leben und uns ihm ganz
hingeben, damit in ihm, mit ihm und durch ihn dem himmlischen Vater die
gebührende Ehre erwiesen werde. Die heilige Liturgie verlangt aber, daß
die beiden Elemente aufs engste miteinander verknüpft seien; sie selbst
wird nicht müde, das immer und immer wieder zu empfehlen, sooft sie
nämlich einen äußeren Akt religiösen Kultes vorschreibt. So mahnt sie
uns z. B. beim Fasten, „unser sittliches Verhalten möge das, wovon es
nach außen Zeugnis gibt, in unserem Innern verwirklichen“[28]. Sonst
wird die Religion zweifelsohne zum leeren Ritus und reinen Formalismus.
Wie euch, ehrwürdige Brüder, bekannt ist, hält der göttliche Meister
jene des Gotteshauses für unwürdig und möchte sie aus ihm entfernt
wissen, die vermeinen, sie könnten allein schon mit klangvollen schönen
Stimmen nach Art der Schauspieler Gott verehren, und die sich
einbilden, für ihr ewiges Heil ordentlich Sorge zu tragen, auch wenn
sie ihre tief eingewurzelten Fehler nicht mit der Wurzel ausrotten[29].
Die Kirche wünscht also, daß alle Christgläubigen sich zu den Füßen des
Erlösers niederwerfen, um ihm ihre Verehrung und Liebe zu erzeigen; sie
wünscht, daß die Scharen nach dem Beispiel der Jugend, die Christus bei
seinem Einzug in Jerusalem mit Freudengesang entgegenzog, lobsingen und
dem König der Könige, dem höchsten Geber aller Güter Jubellieder
ertönen lassen und Danksagung darbringen; daß ihren Lippen Gebete
entströmen, Bittgebete und froher Lobpreis, durch die sie wie die
Apostel am See Genesareth seine barmherzige und allmächtige Hilfe
anrufen; oder daß sie, wie Petrus auf dem Berge Tabor vom Lichtglanz
und der Wonne seliger Beschauung hingerissen, sich und das Ihrige dem
Ewigen Gott anheimstellen.
233. Daher haben jene vom wahren Begriff und Sinn der heiligen Liturgie
entschieden eine falsche Vorstellung, die unter ihr nur den äußeren und
sinnfälligen Teil des Gottesdienstes oder etwa eine würdige Aufmachung
von Zeremonien verstehen. Und ebenso gehen jene fehl, die sie nur für
eine Sammlung von Gesetzen und Vorschriften halten, wonach die
kirchliche Hierarchie die heiligen Riten regelt.
Es muß allen eine Selbstverständlichkeit sein, daß Gott nicht würdig
verehrt werden kann, wenn nicht Geist und Herz zur Vollkommenheit
angeeifert werden, und daß der Kult, den die Kirche in Einheit mit
ihrem göttlichen Haupt Gott darbringt, die höchste Wirkkraft zur
Weckung wahrer Heiligkeit in sich birgt.
234. Diese Wirkkraft kommt, wo es sich um das eucharistische Opfer und
die Sakramente handelt, vor allem und an erster Stelle ex opere operato
(aus der heiligen Handlung selbst). Wenn wir hingegen die Funktionen
der unversehrten Braut Jesu Christi ins Auge fassen, wodurch sie mit
Gebeten und heiligen Zeremonien das eucharistische Opfer und die
Sakramente umrankt, oder wenn die Rede ist von den Sakramentalien und
den übrigen Riten, die von der kirchlichen Hierarchie angeordnet sind,
so kommt die Wirkkraft vor allem ex opere operantis Ecclesiae (aus der
Handlung als einer Handlung der Kirche), insofern sie heilig ist und in
engster Verbindung mit ihrem Haupte wirkt.
235. In diesem Zusammenhang möchten Wir, ehrwürdige Brüder, eure
Aufmerksamkeit auf jene neue Theorie der christlichen Frömmigkeit
hinlenken, die man „objektive“ (sachliche) Frömmigkeit nennt; während
diese Theorie das Geheimnis des Mystischen Leibes, die wahrhaft
heiligende Wirkkraft der Gnade sowie die göttliche Wirkung der
Sakramente und des eucharistischen Opfers klar herausstellt, scheint
sie dahin zu zielen, die „subjektive“ oder „persönliche“ Andacht
herabzumindern oder ganz zu übersehen.
In den liturgischen Feiern und besonders im hochheiligen Opfer des
Altares wird das Werk unserer Erlösung weitergeführt und seine Frucht
uns zugewendet. Christus wirkt in den Sakramenten und in seinem Opfer
tagtäglich unser Heil; durch sie entsühnt er jederzeit die Menschheit
und weiht sie Gott. Sie besitzen also eine „objektive“ (in ihnen selbst
liegende) Kraft, die unseren Seelen das göttliche Leben Jesu Christi
tatsächlich mitteilt. Also nicht aus unserer, sondern aus Gottes Kraft
wohnt ihnen jene Wirksamkeit inne, welche die gläubige Gesinnung der
Glieder mit jener des Hauptes verbindet und sie gewissermaßen zur
Haltung der ganzen Gemeinschaft macht. Aus diesen scharf-sinnigen
Gedankengängen schließen manche, die ganze christliche Frömmigkeit
müsse im Geheim-nis des Mystischen Leibes Christi ihren Bestand haben
ohne „persönliche“ oder „subjektive“ Beziehung; und sie sind sogar der
Meinung, die übrigen religiösen Übungen, die nicht eng mit der heiligen
Liturgie verbunden sind und sich außerhalb des öffentlichen Kultes
vollziehen, seien hintanzusetzen.
So richtig nun die oben dargelegten Grundsätze sind, die
Schlußfolgerungen bezüglich der beiden Arten von Frömmigkeit erkennt
jedermann als irreführend, verfänglich und sehr verderblich.
236. Gewiß ist daran festzuhalten, daß die Sakramente und das Meßopfer
eine durchaus innere Kraft in sich bergen, weil sie eben Handlungen
Christi sind, welche die Gnade des göttlichen Hauptes den Gliedern des
Mystischen Leibes zuleiten und zuteilen; damit sie aber die
entsprechende Wirksamkeit haben, muß notwendig von unserer Seite die
richtige seelische Verfassung dazukommen. Deshalb mahnt der Apostel
Paulus bezüglich der Eucharistie : So prüfe sich denn der Mensch, und
dann esse er von dem Brot und trinke aus dem Kelch[30]. Deshalb nennt
die Kirche alle Übungen, durch die besonders während der Fastenzeit
unser Inneres geläutert wird, „Wachtpostendienst des christlichen
Kampflebens“[31], sind sie doch tatkräftige Bemühungen der Glieder, die
auf Anregung und mit Hilfe der Gnade ihrem göttlichen Haupt anhangen
wollen, damit, wie Augustinus sagt, „uns in unserem Haupte die Quelle
der Gnade selbst erscheine“[32]. Aber wohlgemerkt, diese Glieder leben
und sind mit eigenem Verstand und freiem Willen begabt; deshalb müssen
sie unbedingt selber die Lippen an die Quelle legen, die lebenspendende
Nahrung aufnehmen und in sich umwandeln sowie alles ausstoßen, was der
Wirksamkeit dieser Nahrung hinderlich sein könnte. Es gilt also: das
Erlösungswerk, das in sich etwas von unserem Willen Unabhängiges ist,
verlangt unser inneres Mittun, damit wir das ewige Heil erlangen können.
237. Wenn die private und persönliche Frömmigkeit der einzelnen das
heilige Meßopfer und die Sakramente vernachlässigt und sich der
heilbringenden Kraft entzieht, die vom Haupt in die Glieder strömt, so
wird sie zweifelsohne eine verwerfliche und unfruchtbare Sache sein.
Wenn aber alle mit der Liturgie nicht eng verbundenen Weisungen und
Übungen der Frömmigkeit sich gerade deshalb mit den menschlichen
Handlungen befassen, um sie auf den himmlischen Vater hinzurichten, die
Menschen heilsam zur Buße und heiligen Gottesfurcht anzueifern, sie von
den Verlockungen der Welt und Sünde hinweg und auf steilem Pfade
glücklich zum Gipfel der Heiligkeit zu führen, so sind sie wahrlich
nicht nur höchsten Lobes würdig, sondern einfachhin notwendig, weil sie
nämlich die Gefahren des geistlichen Lebens aufdecken, uns zur
Tugendhaftigkeit erziehen und jenes lebendige Streben in uns stärken,
wodurch wir uns und all das Unsrige dem Dienste Jesu Christi weihen
sollen.
238. Die echte und wahre Frömmigkeit, die der engelgleiche Lehrer
„devotio, Hingabe“ nennt und die der hauptsächlichste Akt ist, - durch
den wie von selbst im Menschenleben Ordnung und zwar Hinordnung auf
Gott geschaffen wird, und durch den die Menschen sich bereitwillig all
dem hingeben, was die Gottesverehrung in sich begreift[33] - diese
echte Frömmigkeit also bedarf der Betrachtung der übernatürlichen Welt
sowie der geistlichen Übungen, damit sie genährt und lebendig erhalten
werde, damit sie kräftig sei und uns zu höherer Vollkommenheit
ansporne. Die christliche Religion verlangt nämlich, richtig gepflegt,
daß vor allem der Wille Gott geweiht werde und mit seiner Kraft auf die
übrigen Seelenfähigkeiten einwirke. Nun aber setzt jeder Willensakt
Verstandestätigkeit voraus; und bevor das Verlangen und der Vorsatz
zustande kommen, sich dem ewigen Gott durch das Opfer zu weihen, ist
die Erkenntnis der Tatsachen und Wahrheiten, welche die Gottesverehrung
zur Pflicht machen, unbedingt erfordert; dazu gehören z. B. das letzte
Ziel des Menschen und die Erhabenheit der göttlichen Majestät, die
Pflicht der Unterwerfung unter den Schöpfer, sodann die unergründlichen
Schätze der Liebe, mit denen Gott uns zu bereichern wünscht, die
Notwendigkeit des übernatürlichen Lebens zur Erreichung des uns
gesteckten Zieles und jener besondere, von der göttlichen Vorsehung uns
gewiesene Weg, insofern wir ja alle als Glieder des Leibes mit Christus
dem Haupte verbunden sind. Weil aber die Beweggründe der Liebe nicht
immer über unseren bisweilen von verkehrten Regungen verwirrten Geist
Gewalt haben, ist es sehr angebracht, daß die Betrachtung der
göttlichen Gerechtigkeit uns in heilsamer Weise erschüttere und uns zu
christlicher Demut, Buße und Besserung des Lebens führe.
239. Das alles darf aber nicht in bloßer Erinnerung und in
unfruchtbaren Erwägungen versanden, sondern es muß wirksam dahin
zielen, unsere Sinne mit ihren Fähigkeiten der von der katholischen
Wahrheit erleuchteten Vernunft unterzuordnen, unser Inneres zu
entsühnen und zu reinigen, damit es täglich enger mit Christus
verbunden, damit es mehr und mehr ihm gleichgestaltet werde und den
göttlichen Geist und die göttliche Kraft, deren es bedarf aus ihm
schöpfe; alles soll die Menschen immer wirksamer anspornen und
entflammen zum Guten, zu treuer Pflichterfüllung, zu religiösem Eifer
und zur Tugendübung: Ihr gehört Christus, Christus aber Gott[34]. Alles
geschehe deshalb in gehöriger, organischer Ordnung und, um den Ausdruck
zu gebrauchen, „theozentrisch“, sofern wir wirklich wollen, daß alles
zur Ehre Gottes gereiche durch das Leben, das aus dem göttlichen Haupt
in uns einströmt: So haben wir denn, Brüder, kraft des Blutes Jesu die
zuversichtliche Hoffnung auf den Eintritt in das Allerheiligste. Das
ist der neue Lebensweg, den er uns durch den Vorhang hindurch, nämlich
durch sein Fleisch, erschlossen hat. Auch haben wir einen erhabenen
Hohenpriester, der über dem Hause Gottes waltet. Laßt uns darum
aufrichtigen Sinnes voll Glaubenszuvericht hinzutreten, das Herz
gereinigt vom bösen Gewissen und den Leib gewaschen mit reinem Wasser.
Laßt uns unerschütterlich festhalten am Bekenntnis unserer Hoffnung...
Seien wir auch darauf bedacht, einander zur Liebe und zu guten Werken
anzuspornen[35].
240. Daraus ergibt sich ein harmonisches Gleichgewicht der Glieder im
Mystischen Leibe Jesu Christi. Indem die Kirche uns im katholischen
Glauben unterrichtet und zum Gehorsam gegen die christlichen Gebote
ermahnt, bereitet sie den Weg zu ihrer eigentlich priesterlichen,
unsere Heiligung bewirkenden Aufgabe; ebenso leitet sie uns zu einer
eingehenderen Betrachtung des Lebens unseres göttlichen Erlösers an und
führt uns zu einer tieferen Erkenntnis der Glaubensgeheimnisse. So
spendet sie uns überirdische Nahrung, damit wir durch sie gestärkt und
mit der Hilfe Christi sicheren Fortschritt in der Vollkommenheit machen
können. Nicht allein durch ihre Diener, sondern auch durch die
einzelnen Gläubigen, die so den Geist Jesu Christi in sich aufgenommen
haben, bemüht sich die Kirche, das private, eheliche, soziale, ja
selbst das wirtschaftliche und politische Leben und Handeln der
Menschen zu durchdringen, damit alle, die Kinder Gottes heißen, das
ihnen gesteckte Ziel leichter erreichen können.
Derlei private Übungen der Gläubigen und der religiöse Eifer, der sie
zur inneren Läuterung treibt, wecken daher in ihnen gerade jene Kräfte,
die es ihnen ermöglichen, besser am hochheiligen Opfer des Altares
teilzunehmen, die Sakramente fruchtbringender zu empfangen und die
gottesdienstlichen Handlungen so mitzufeiern, daß sie noch
entschlossener und befähigter werden zum Gebet und zur christlichen
Entsagung, zur bereitwilligen Aufnahme der Anregungen der göttlichen
Gnade und zur täglich vollkommeneren Nachahmung des Tugendlebens
unseres Erlösers; und das nicht nur zum eigenen Nutzen, sondern ebenso
zu dem der ganzen Kirche: denn alles Gute, das in ihr gewirkt wird, ist
ein Kraftstrom, der ausgeht von ihrem Haupte und sich heilsfördernd auf
alle Glieder auswirkt.
241. Im geistlichen Leben kann es also keinen Widerstreit geben
zwischen dem göttlichen Wirken, das zur ununterbrochenen Fortführung
unserer Erlösung den Seelen die Gnade zuleitet, und dem willigen
Mitwirken der Menschen, die Gottes Geschenk nicht vergeblich empfangen
dürfen[36]; keinen Widerspruch zwischen der Wirksamkeit des äußeren
Zeichens der Sakramente, die ex opere operato, d. h. aus dem Sakrament
selber kommt, und dem verdienstlichen Werk derer, welche die Sakramente
spenden oder empfangen, was wir opus operantis, d.h. das Werk des
Handelnden nennen; keinen Widerspruch zwischen öffentlichem und
privatem Gebet, zwischen Sittenlehre und Mystik, zwischen Aszese und
liturgischer Frömmigkeit; keinen Widerspruch schließlich zwischen der
Rechts- und Lehrgewalt der kirchlichen Hierarchie und ihrer
priesterlichen Gewalt im eigentlichen Sinne, die sich im heiligen Amt
betätigt.
242. Aus schwerwiegenden Gründen besteht die Kirche darauf, daß die
amtlichen Diener des Altares und die Ordensleute zur festgesetzten Zeit
der Betrachtung, der eifrigen Gewissenserforschung und
Gewissensreinigung, sowie den übrigen geistlichen Übungen obliegen[37],
gerade weil sie in besonderer Weise zu den liturgischen Funktionen des
heiligen Opfers und des Lobes Gottes bestimmt sind. Zweifellos hat das
liturgische Gebet als öffentliches Gebet der erhabenen Braut Jesu
Christi eine höhere Würde als das private. Allein diese höhere Würde
besagt keinen Gegensatz oder Widerspruch zwischen diesen beiden
Gebetsarten. Da sie von ein- und demselben Geiste beseelt sind, fließen
sie zu harmonischer Einheit zusammen nach dem Worte alles und in allem
Christus[38]und streben demselben Ziele zu, bis Christus in uns Gestalt
gewinnt[39].
243. Um aber das Wesen der heiligen Liturgie vollständiger zu erfassen,
muß man sie noch nach einer anderen, nicht weniger wichtigen Seite der
Betrachtung unterziehen.
Die Kirche ist eine Gesellschaft, und deshalb erhebt sie Anspruch auf
eine eigene Autorität und Hierarchie. Wenn alle Glieder des Mystischen
Leibes Christi an denselben Gütern teilhaben und nach denselben Zielen
streben, so besitzen doch nicht alle dieselbe Vollmacht, noch können
alle dieselben Handlungen vollziehen. Denn der göttliche Erlöser
wollte, daß sein Reich auf eine heilige Ordnung gegründet sei und auf
einem unerschütterlichen Fundament beruhe. Diese Ordnung ist gleichsam
ein Abbild der himmlischen Hierarchie.
Nur den Aposteln und späterhin denen, die rechtmäßig von ihnen und
ihren Nachfolgern die Handauflegung empfangen haben, wird die
priesterliche Gewalt erteilt, kraft deren sie gegenüber dem ihnen
anvertrauten Volk die Person Jesu Christi darstellen, vor Gott aber
eben dieses ihr Volk vertreten. Dieses Priestertum wird nicht durch
Vererbung oder leibliche Abstammung weitergeleitet; auch stammt es
nicht von der Gemeinschaft der Gläubigen und wird nicht vom Volke
verliehen. Bevor der Priester im Namen des Volkes vor Gott erscheint,
ist er schon der Gesandte des göttlichen Erlösers; und weil Jesus
Christus das Haupt jenes Leibes ist, dessen Glieder die Gläubigen sind,
vertritt der Priester Gottes Stelle bei dem ihm anvertrauten Volk. Die
ihm übertragene Gewalt ist also ihrem Wesen nach nicht
irdisch-menschlich; sie ist vielmehr wesentlich übernatürlich und geht
von Gott aus : Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch[40]...
Wer euch hört, der hört mich [41]... Geht hin in alle Welt und predigt
das Evangelium allen Geschöpfen: wer glaubt und sich taufen läßt, wird
gerettet werden[42].
244. Deshalb wird das sichtbare, nach außen in Erscheinung tretende
Priestertum Jesu Christi in der Kirche nicht als ein der Gesamtheit
allgemein und gemeinhin zustehendes Anrecht weitergegeben, vielmehr
wird es auserwählten Männern übertragen durch eine Art geistlichen
Zeugungsaktes jener Priesterweihe, die eines der sieben Sakramente ist
und die nicht allein die diesem besonderen Lebensstand und Amt
eigentümlichen Gnaden verleiht, sondern außerdem ein unauslöschliches
Merkmal einprägt, das die Diener des Heiligtums dem Priester Jesus
Christus gleichförmig macht und sie befähigt, rechtmäßig jene
religiösen Handlungen vorzunehmen, wodurch die Menschen geheiligt
werden und Gott die gebührende Ehre erwiesen wird gemäß den von Gott
gegebenen Weisungen und Vorschriften.
245. Wie die Taufe alle Christen als solche bezeichnet und von den
übrigen Menschensondert, die im Läuterungsbad nicht gewaschen und keine
Glieder Christi sind, so unterscheidet gleicherweise das Sakrament der
Priesterweihe die Priester von allen übrigen mit dieser Gnadengabe
nicht ausgestatteten Christen, weil lediglich sie, von einer höheren
Macht berufen, in den heiligen Dienst eingetreten sind, der sie dem
Altar weiht und sozusagen zu göttlichen Werkzeugen macht, durch welche
das von oben stammende übernatürliche Leben dem Mystischen Leibe Jesu
Christi mitgeteilt wird. Außerdem sind sie allein, wie wir schon vorhin
sagten, mit dem unauslöschlichen Merkmal gekennzeichnet, wodurch sie
dem Hohenpriester Jesus Christus gleichförmig werden; nur ihnen werden
die Hände geweiht, „damit alles, was sie segnen, gesegnet, und alles,
was sie weihen, geweiht und geheiligt sei im Namen unseres Herrn Jesus
Christus“[43]. Zu ihnen mögen deshalb alle eilen, die in Christus zu
leben verlangen, denn bei ihnen finden sie Trost und Nahrung für das
innere Leben; von ihnen empfangen sie das heilbringende Mittel, dank
dem sie genesen und gekräftigt, der unheilvollen Verstrickung in die
Sünde glücklich entrinnen können. Von ihnen wird schließlich ihr Ehe-
und Familienbund gesegnet, von ihnen noch der letzte Hauch ihres
sterblichen Lebens zum Eingang in die ewige Seligkeit geweiht.
246. Weil also die heilige Liturgie an erster Stelle von den Priestern
im Namen der Kirche vollzogen wird, muß ihr Aufbau, ihre Regelung und
ihre Form von der kirchlichen Obergewalt abhängen. Wenn sich dies schon
aus der Natur des christlichen Gottesdienstes ergibt, so wird es auch
durch das Zeugnis der Geschichte bestätigt.
247. Noch etwas anderes bestätigt dieses unbestreitbare Recht der
kirchlichen Hierarchie: nämlich die enge Beziehung der heiligen
Liturgie zu den Grundwahrheiten der Glaubenslehre, die von der Kirche
als Hauptstücke der vollkommen gesicherten Wahrheit vorgelegt werden.
Deshalb ist die Liturgie in Einklang zu halten mit den katholischen
Glaubensvorschriften, die das oberste kirchliche Lehramt erlassen hat,
um die Unversehrtheit der von Gott geoffenbarten Religion zu schützen.
In diesem Zusammenhang glauben Wir, etwas, das euch, ehrwürdige Brüder,
sicher nicht unbekannt ist, in seinem wahren Licht zeigen zu müssen.
Wir meinen den Irrtum und Trugschluß jener, welche die heilige Liturgie
gewissermaßen als ein Unterscheidungsmittel für die aus dem Glauben
beizubehaltenden Wahrheiten betrachten; das ist so zu verstehen: wenn
eine bestimmte Lehre mittels der Liturgie Früchte der Frömmigkeit und
Heiligkeit gezeitigt habe, sei sie von der Kirche zu bejahen,
andernfalls jedoch abzulehnen. Daher der bekannte Ausspruch: „Lex
orandi, lex credendi, das Gesetz des Betens ist das Gesetz des
Glaubens“.
248. So lehrt die Kirche jedoch nicht, so unterweist sie nicht. Der
Kult, der von ihr Gott dem Herrn erwiesen wird, ist, wie Augustinus
kurz und treffend sagt, ein fortgesetztes Bekenntnis des katholischen
Glaubens und eine Übung der Hoffnung und Liebe: „Durch Glaube, Hoffnung
und Liebe - so erklärt er - ist Gott zu verehren“[44]. In der heiligen
Liturgie bekennen wir den katholischen Glauben ausdrücklich und offen
nicht nur durch die Feier der Geheimnisse, die Darbringung des heiligen
Opfers und die Spendung der Sakramente, sondern ebenso durch das Beten
oder Singen des Glaubensbekenntnisses, welches das Kennzeichen oder
sozusagen der Ausweis der Gläubigen ist, sowie durch die Lesung anderer
Texte und besonders der unter Eingebung des Heiligen Geistes
aufgezeichneten Heiligen Schrift. Die Liturgie als Ganzes enthält daher
den katholischen Glauben, insofern sie den Glauben der Kirche
öffentlich bezeugt.
249. Sooft es sich deshalb um die feierliche Entscheidung über eine
göttlich geoffenbarte Wahrheit handelte, haben die Päpste und
Konzilien, wenn sie aus den sogenannten theologischen Quellen
schöpften, nicht selten auch dieser theologischen Disziplin Beweise
entnommen; so tat es z.B. Unser Vorgänger unvergeßlichen Andenkens Pius
IX., als er die Unbefleckte Empfängnis der Jungfrau Maria zum
Glaubenssatz erhob. Und in ähnlicher Weise haben, wenn Zweifel oder
Streitfragen über eine Wahrheit zur Erörterung standen, die Kirche und
die heiligen Väter es nicht versäumt, auch aus den ehrwürdigen,
althergebrachten Riten Licht zu schöpfen. Daher der bekannte,
ehrwürdige Satz: „Legem credendi lex statuat supplicandi, das Gesetz
des Glaubens soll bestimmt werden durch das Gesetz des Betens“[45]. Es
ist also nicht so, daß die heilige Liturgie einfachhin und aus eigener
Autorität den katholischen Glauben umschreibt und bestimmt; wohl aber
kann sie, da auch sie ein stets dem obersten kirchlichen Lehramt
unterstelltes Bekenntnis der übernatürlichen Wahrheiten ist, nicht zu
unterschätzende Beweise und Zeugnisse zur Klarstellung eines einzelnen
Punktes der christlichen Lehre an die Hand geben. Wollen wir aber das
Verhältnis zwischen Glauben und Liturgie in allgemein und unbedingt
gültiger Form genau erfassen und abgrenzen, so kann vollkommen richtig
gesagt werden: „Lex credendi legem statuat supplicandi, durch das
Gesetz des Glaubens soll das Gesetz des Betens bestimmt werden“. Ganz
dasselbe gilt von den übrigen theologischen Tugenden: „In ... Glaube,
Hoffnung und Liebe beten wir immer mit unablässigem Verlangen“[46].
250. Die kirchliche Hierarchie hat jederzeit von ihrem Recht in
liturgischen Dingen Gebrauch gemacht; sie hat den Gottesdienst
eingeführt, geregelt und mit immer neuer Pracht und Würde zur Ehre
Gottes und zur Erbauung der Gläubigen bereichert. Sie hat auch kein
Bedenken getragen - immer unter strenger Wahrung der wesentlichen
Eigenart des eucharistischen Opfers und der Sakramente - zu ändern, was
sie nicht für angebracht hielt; hinzuzufügen, was geeignet schien zur
größeren Verherrlichung Jesu Christi und der Heiligsten Dreifaltigkeit,
wie zur Belehrung und heilsamen Aneiferung des christlichen Volkes[47].
251. Die heilige Liturgie besteht nämlich aus menschlichen und
göttlichen Bestandteilen; die letzteren lassen, da sie vom göttlichen
Erlöser festgesetzt sind, natürlich in keiner Weise Änderungen durch
Menschenhand zu; die ersteren hingegen können, den Forderungen der
Zeiten, Verhältnisse und Seelen entsprechend, mannigfache
Umgestaltungen erfahren, so wie sie die kirchliche Hierarchie unter dem
Beistand des Heiligen Geistes gutheißt. Daher jene staunenswerte
Vielfalt der morgen- und abendländischen Riten; daher die allmählich
voranschreitende Entwicklung einzelner religiöser Bräuche und frommer
Werke, von denen frühere Zeiten nur schwache Spuren aufweisen; daher
aber auch die Erscheinung, daß bisweilen fromme Gepflogenheiten, die im
Laufe der Zeit außer Übung gekommen waren, von neuem aufleben und
wieder zu Ehren kommen. Das alles zeugt von der durch die vielen
Jahrhunderte anhaltenden Lebenskraft der unversehrten Braut Jesu
Christi; es ist das heilige Gespräch, das sie im Laufe der Zeiten mit
ihrem göttlichen Bräutigam führte, um ihm ihren Glauben und den Glauben
der ihr anvertrauten Völker, sowie ihre nicht zu erschöpfende Liebe zum
Ausdruck zu bringen; es zeigt aber auch die Erziehungsweisheit, womit
sie den „Geist Christi“ in den Gläubigen weckt und täglich wirksamer
macht.
252. Nicht gering an Zahl waren die Ursachen, aus denen die Entfaltung
und Entwicklung der heiligen Liturgie in den langen und ruhmvollen
Jahrhunderten der Kirche vor sich gingen. So sind, um Beispiele
anzuführen, mit der bestimmteren und klareren Erfassung der
katholischen Lehre von der Menschwerdung des Göttlichen Wortes, von der
Eucharistie als Sakrament und Opfer, von der Jungfrau und Gottesmutter
Maria rituelleNeuerungen getroffen worden, durch welche die
gottesdienstlichen Handlungen das aus den Erklärungen des kirchlichen
Lehramtes heller erstrahlende Licht vollständiger und anschaulicher
wiedergaben, ja gleichsam widerspiegelten, damit es leichter in Geist
und Herz des christlichen Volkes Eingang finde.
253. Die Weiterentwicklung der kirchlichen Ordnung in der Spendung der
Sakramente, wie z. B. in der Verwaltung des Bußsakramentes, die
Einführung des Katechumenates und dessen spätere Aufhebung, und dann
die heilige Kommunion unter einer einzigen Gestalt in der Lateinischen
Kirche: das alles hat zweifellos nicht wenig dazu beigetragen, daß
uralte Riten im Laufe der Zeit abgeändert und allmählich neue
eingeführt wurden, die zu den diesbezüglichen Neubestimmungen besser zu
passen schienen.
254. Zu dieser schrittweisen Umgestaltung trugen die nicht streng
liturgischen Andachtsformen und Übungen der Frömmigkeit nicht wenig
bei; nach Gottes wunderbarem Ratschluß sind sie im Laufe der Zeiten
aufgekommen und wurden bald heimisch im Volk; so z. B. die zunehmende
und täglich innigere Verehrung der heiligen Eucharistie, des bitteren
Leidens unseres Erlösers, des heiligsten Herzens Jesu, der
jungfräulichen Gottesmutter und ihres keuschen Bräutigams.
255. Einen zeitbedingten Beitrag lieferten ferner die in gläubiger
Gesinnung veranstalteten Volkswallfahrten zu den Gräbern der Märtyrer,
besondere Fastenübungen in gleicher Absicht, endlich die
Bußprozessionen zu den Stationskirchen in Unserer Ewigen Stadt, an
denen nicht selten die Päpste selbst teilnahmen.
256. Natürlich wirkte sich auch die fortschreitende Vervollkommnung der
schönen Künste, insbeson-dere der Baukunst, Malerei und Musik, in nicht
geringem Maße auf die Festlegung und Anpassung von äußeren liturgischen
Formen aus.
257. Des gleichen Vorrechtes in liturgischen Dingen hat sich die Kirche
bedient, um die Heiligkeit des Gottesdienstes vor Mißbräuchen zu
schützen, die von einzelnen Gläubigen oder Einzelkirchen ohne
vorsichtige Überlegung eingeführt worden waren. Als daher im 16.
Jahrhundert derlei Gewohnheiten und Bräuche zu sehr überhand genommen
hatten und als Neuerungen auf diesem Gebiet von seiten Unberufener die
Reinheit des Glaubens- und Andachtslebens gefährdeten, übrigens sehr
zum Vorteil der Irrgläubigen und zur Ausbreitung ihrer verfänglichen
Lehre, gründete Unser Vorgänger unsterblichen Andenkens Sixtus V. zum
Schutz der rechtmäßigen kirchlichen Riten und zu ihrer Säuberung von
jenen ungehörigen Einschlägen im Jahre 1588 die Heilige
Ritenkongregation[48], deren Aufgabe es auch heute noch ist, in
wachsamer Obsorge Anordnungen und Bestimmungen auf dem Gebiet der
Liturgie zu treffen[49].
258. Deshalb steht nur dem Papst das Recht zu, eine gottesdienstliche
Praxis anzuerkennen oder festzulegen, neue Riten einzuführen und
gutzuheißen, sowie auch jene zu ändern, die er für änderungsbedürftig
hält[50]. Die Bischöfe aber haben das Recht und die Pflicht, sorgfältig
darüber zu wachen, daß die kirchenrechtlichen Vorschriften betreffs des
Gottesdienstes genau eingehalten werden[51]. Es ist also nicht erlaubt,
dem Gutdünken von Privatpersonen, auch wenn sie zum Klerus zählen, all
das Heilige und Verehrungswürdige zu überlassen, das zum religiösen
Leben der christlichen Gemeinschaft, zur Ausübung des Priestertums Jesu
Christi und zum Gottesdienst, zur würdigen Verehrung der Heiligsten
Dreifaltigkeit, des Menschgewordenen Wortes, seiner gebenedeiten Mutter
und der anderen Heiligen, sowie zur seelsorglichen Tätigkeit gehört;
und ebenso ist kein Privater irgendwie befugt, auf diesem Gebiet äußere
Handlungen anzuordnen, die mit der kirchlichen Disziplin, mit dem
Aufbau, der Einheit und Eintracht des Mystischen Leibes Christi, ja
nicht selten auch mit der Reinheit des katholischen Glaubens in engster
Beziehung stehen.
259. Die Kirche ist ohne Zweifel ein lebendiger Organismus; deshalb
wächst sie und entfaltet sie sich auch im Bereich ihrer heiligen
Liturgie und paßt sich den zeitbedingten Notwendigkeiten und Umständen
an, immer jedoch unter Wahrung der Unversehrtheit ihrer Lehre. Ganz zu
verurteilen ist aber das vermessene Unterfangen jener, die mit Absicht
neue liturgische Bräuche einführen, oder überlebte, mit den geltenden
Gesetzen und Rubriken nicht mehr übereinstimmende Gepflogenheiten
wiederaufleben lassen. Daß dies vorkommt, geliebte Söhne und ehrwürdige
Brüder, und zwar nicht nur in unbedeutenden Dingen, sondern auch in
solchen von sehr großer Tragweite, haben Wir nicht ohne bitteren
Schmerz erfahren. Es gibt tatsächlich Leute, die bei der Darbringung
des hochheiligen eucharistischen Opfers sich der Volkssprache bedienen;
die bestimmte, aus reiflich erwogenen Gründen schon genau festgelegte
Feste auf andere Termine verlegen; die schließlich aus den amtlichen
Gebetbüchern die Schrifttexte des Alten Testamentes ausmerzen, weil sie
nach ihrem Dafürhalten unserer heutigen Zeit wenig entsprechen und
nicht recht zu ihr passen.
260. Der Gebrauch der lateinischen Sprache, wie er in einem großen Teil
der Kirche Geltung hat, ist ein allen erkennbares und schönes Zeichen
der Einheit und eine mächtige Schutzwehr gegen jegliche Verderbnis der
wahren Lehre. Bei manchen kirchlichen Zeremonien kann indes die
Verwendung der Landessprache dem Volke sehr nützlich sein;
nichtsdestoweniger ist es ausschließliche Sache des Apostolischen
Stuhles, dies zu gestatten. Deshalb darf ohne seine Befragung und
Billigung nichts Derartiges geschehen, weil eben, wie Wir schon sagten,
die Regelung der Liturgie ganz von seinem Entscheid und seinem Willen
abhängt.
261. Gleich zu beurteilen sind die Versuche und Bestrebungen, alle
möglichen alten Riten und Zeremonien wieder in Gebrauch zu bringen.
Ganz gewiß, die Liturgie der alten Zeit ist zweifelsohne
verehrungswürdig. Aber ein alter Brauch ist nicht allein schon deshalb,
weil er Altertum ausstrahlt, in sich oder für spätere Zeiten und neue
Verhältnisse als geeigneter und besser zu betrachten. Auch die neueren
liturgischen Riten sind ehrfürchtiger Beobachtung würdig, weil sie
unter Eingebung des Heiligen Geistes entstanden sind, der immerdar der
Kirche beisteht bis zur Vollendung der Zeiten [52]; und auch sie sind
gleichberechtigte Werte, mit deren Hilfe die ruhmreiche Braut Christi
die Menschen zur Heiligkeit anspornt und zur Vollkommenheit führt.
Mit Geist und Herz zu den Quellen der heiligen Liturgie zurückzukehren,
ist sicher weise und sehr lobenswert, da das Studium dieses
Wissenszweiges durch Zurückgreifen auf dessen Anfänge nicht wenig dazu
beiträgt, die Bedeutung der Feste und den Sinn der verwendeten heiligen
Texte und Zeremonien tiefer und genauer zu erforschen; dagegen ist es
nicht weise und nicht lobenswert, alles um jeden Preis auf das Altertum
zurückzuführen. So würde z. B. vom rechten Weg abweichen, wer dem Altar
die alte Form der Mensa, des Tisches, wiedergeben wollte; wer die
liturgischen Gewänder nie in Schwarz haben wollte; wer die
Heiligenbilder und Statuen aus den Kirchen entfernen wollte; wer die
Nachbildung des gekreuzigten Erlösers so machen ließe, daß sein Leib
die bitteren Qualen, die er erduldete, nicht zum Ausdruck brächte; wer
endlich den polyphonen (mehrstimmigen) Gesang mißbilligte und ablehnte,
auch wenn er den vom Heiligen Stuhl gegebenen Weisungen entspräche.
262. Denn wie kein vernünftiger Katholik in der Absicht, zu den alten,
von den früheren Konzilien gebrauchten Formeln zurückzukehren, die
Fassungen der christlichen Lehre ablehnen kann, welche die Kirche unter
der Leitung des Heiligen Geistes in der neueren Zeit zum größten Nutzen
der Seelen vorgelegt und als verbindlich erklärt hat, oder wie kein
vernünftiger Katholik die geltenden Gesetze ablehnen kann, um zu den
aus den ältesten Quellen des kanonischen Rechtes geschöpften
Bestimmungen zurückzugreifen, so ist gleichermaßen, wenn es sich um die
heilige Liturgie handelt, offensichtlich von keinem weisen und gesunden
Eifer getrieben, wer zu den alten Riten und Bräuchen zurückkehren und
die neuen ablehnen wollte, die doch unter dem Walten der göttlichen
Vorsehung mit Rücksicht auf die veränderten Verhältnisse eingeführt
worden sind.
263. Diese Denk- und Handlungsweise läßt jene übertriebene und
ungesunde Altertumssucht wiederaufleben, der die unrechtmäßige Synode
von Pistoja Auftrieb gegeben hat, und ebenso trachtet sie, die
vielfachen Irrtümer wieder auf den Plan zu rufen, welche die Ursache
zur Einberufung jener Synode waren und zum großen Schaden der Seelen
sich aus ihr ergaben, und welche die Kirche, die immer treue Hüterin
des ihr von ihrem Stifter anvertrauten Glaubensgutes, mit vollem Recht
verworfen hat[53]. Denn solch verkehrtes Beginnen geht nur darauf aus,
die heiligmachende Tätigkeit zu beeinträchtigen und zu schwächen, durch
welche die Liturgie Gottes Gnadenkinder auf dem Wege des Heils dem
himmlischen Vater zuführt.
264. Alles möge daher so geschehen, daß die gehörige Verbindung mit der
kirchlichen Hierarchie gewahrt bleibe. Niemand nehme sich heraus, sich
selbst Gesetze zu geben und sie dann eigenmächtig anderen aufzuzwingen.
Der Papst als Nachfolger des heiligen Petrus, dem der göttliche Erlöser
die Sorge anvertraut hat, die gesamte Herde zu weiden[54], und mit ihm
die Bischöfe, die in Unterordnung unter den Apostolischen Stuhl vom
Heiligen Geiste bestellt sind ..., die Kirche Gottes zu regieren[55],
sind allein im Besitz des Rechtes und der Pflicht, das christliche Volk
zu lenken und zu leiten. Sooft ihr deshalb, ehrwürdige Brüder, eure
Autorität wahrt, wenn nötig auch mit Strenge, erfüllt ihr nicht nur
eure Amtspflicht, sondern nehmt auch den Willen des Stifters der Kirche
in sicheren Schutz.
II. Der eucharistische Kult
265. Höhe- und gewissermaßen Mittelpunkt der christlichen Religion ist
das Geheimnis der heiligsten Eucharistie, die der Hohepriester Christus
einstens eingesetzt hat und die er durch seine Diener in der Kirche
immerdar erneuern läßt. Da es sich hier um den Höhepunkt der heiligen
Liturgie han-delt, scheint es Uns angebracht, ein wenig dabei zu
verweilen und eure Aufmerksamkeit, ehrwürdige Brüder, auf diesen
überaus wichtigen Gegenstand hinzulenken.
Christus der Herr, Priester von Ewigkeit nach der Ordnung des
Melchisedech[56], wollte, da er die Seinen, die in der Welt waren,
liebte[57], „beim Letzten Abendmahle, in der Nacht, da er verraten
wurde, seiner geliebten Braut, der Kirche, ein sichtbares, einer
Forderung der Menschennatur entsprechendes Opfer hinterlassen; dadurch
sollte das blutige, am Kreuze zu vollziehende Opfer vergegenwärtigt,
das Andenken daran bis zum Ende der Zeiten bewahrt und uns seine
heilbringende Kraft zur Vergebung unserer täglichen Sünden zugewendet
werden. Seinen Leib und sein Blut brachte er Gott dem Vater dar unter
den Gestalten von Brot und Wein, reichte sie den Aposteln, die er
damals zu Priestern des Neuen Bundes bestellte, unter denselben Zeichen
zum Empfang und befahl ihnen und ihren Nachfolgern im Priestertum,
dieses Opfer darzubringen“[58].
266. Das hochheilige Opfer des Altares ist also kein bloßes und
einfaches Gedächtnisdes Leidens und Todes Jesu Christi, sondern eine
wahre und eigentliche Opferhandlung, bei welcher der göttliche
Hohepriester durch seine unblutige Hinopferung das tut, was er schon am
Kreuze getan, sich selbst dem ewigen Vater als wohlgefälligste
Opfergabe darbringend. „Es ist ein ... und dieselbe Opfergabe und es
ist derselbe, den jetzt durch seinen Dienst der Priester opfert und der
sich selbst damals am Kreuze darbrachte, nur die Opferweise ist
verschieden“[59].
267. Es ist demnach der gleiche Priester, Christus Jesus, dessen
heilige Person sein geweihter Diener vertritt. Durch die Priesterweihe
dem Hohenpriester angeglichen, besitzt er die Vollmacht, mittels der
Kraft und an Stelle der Person Christi selbst zu handeln[60]. Durch
seine priesterliche Handlung leiht „er also Christus gleichsam seine
Zunge und reicht ihm seine Hand“[61].
268. Es ist auch die gleiche Opfergabe, nämlich der göttliche Erlöser
nach seiner menschlichen Natur und in der Wirklichkeit seines Leibes
und Blutes. Verschieden jedoch ist die Art und Weise, wie Christus sich
opfert: Am Kreuze hat er ganz sich selbst und seine Leiden Gott
dargebracht, und die Hinopferung der Opfergabe geschah durch den
blutigen Tod, den er mit freiem Willen auf sich nahm. Auf dem Altare
aber hat, infolge des verklärten Zustandes seiner menschlichen Natur,
der Tod keine Macht mehr über ihn[62], und darum ist das Vergießen
seines Blutes nicht mehr möglich; auf Beschluß der göttlichen Weisheit
wird jedoch die Hinopferung unseres Erlösers durch äußere Zeichen, die
Sinnbilder des Todes sind, in wunderbarer Weise deutlich gemacht. Durch
die Wesensverwandlung des Brotes in den Leib und des Weines in das Blut
Christi ist nämlich sein Leib ebenso gegenwärtig wie sein Blut; die
eucharistischen Gestalten aber, unter denen er gegenwärtig ist,
versinnbilden die gewaltsame Trennung des Leibes und des Blutes. So
wird das Gedächtnis seines Todes, der sich auf Kalvaria wirklich
vollzogen hat, in jedem Opfer des Altares neu begangen, insofern durch
deutliche Sinnbilder Jesus Christus im Opferzustand dargestellt und
gezeigt wird.
269. Ferner sind es die gleichen Opferzwecke, deren erster die Ehrung
des himmlischen Vaters ist. Von der Geburt bis zum Tode war Jesus
Christus vom Eifer für die Ehre Gottes beseelt, und vom Kreuze stieg
die Hinopferung seines Blutes mit lieblichem Wohlgeruch zum Himmel
empor. Damit nun diese Huldigung niemals unterbrochen werde, vereinigen
sich im eucharistischen Opfer die Glieder mit ihrem göttlichen Haupt
und bringen zugleich mit ihm und mit den Engeln und Erzengeln Gott
immerwährenden Lobpreis dar[63], indem sie dem allmächtigen Vater alle
Ehre und Verherrlichung zuteil werden lassen[64].
270. Der zweite Opferzweck ist die Gott geschuldete Danksagung. Nur der
göttliche Erlöser kannte als des ewigen Vaters vielgeliebter Sohn
dessen unermeßliche Liebe und war imstande, ihm eine würdige Huldigung
des Dankes zu entbieten. Das beabsichtigte und das wollte er, als er
beim letzten Abendmahle Dank sagte[65]. Davon ließ er nicht ab, als er
am Kreuze hing, und davon läßt er nicht ab im hochheiligen Opfer des
Altares, das ja „Eucharistische Handlung“, d.h. Danksagung bedeutet;
und das ist ja auch „wahrhaft würdig und recht, billig und heilsam“[66].
271. Der dritte Zweck ist Sühne, Genugtuung und Versöhnung. Zweifellos
konnte kein anderer als Christus dem allmächtigen Gott für die Schuld
der ganzen Menschheit volle Genugtuung leisten; darum wollte er am
Kreuze geopfert werden als Sühnopfer für unsere Sünden, und nicht nur
für die unsrigen, sondern auch für die der ganzen Welt[67]. Ebenso
opfert er sich auf den Altären täglich für unsere Erlösung, damit wir
vor der ewigen Verdammnis bewahrt und in die Schar der Auserwählten
eingereiht werden. Und dies nicht allein für uns, die wir uns in diesem
sterblichen Leben befinden, sondern auch „für alle in Christus
Ruhenden, die uns mit dem Zeichen des Glaubens vorangegangen und im
Frieden entschlafen sind“[68];denn ob wir leben oder sterben, „wir
trennen uns doch nicht von dem einen Christus“[69].
272. Der vierte Zweck schließlich ist die demütige Bitte. Als
verlorener Sohn hat der Mensch alle vom himmlischen Vater empfangenen
Güter vertan und vergeudet und ist daher in äußerste Bedürftigkeit und
tiefstes Elend geraten. Doch vom Kreuze aus brachte Christus Gebet und
Flehen unter lautem Rufen und Weinen vor ... und fand wegen seiner
Gottesfurcht Erhörung[70]. Desgleichen ist er auf den heiligen
Altären in derselben wirksamen Weise unser Mittler bei Gott, auf daß
wir mit jeglicher Segnung und Gnade erfüllt werden.
Man versteht also, warum die heilige Kirchenversammlung von Trient
versichert, daß durch das eucharistische Opfer die heilbringende Kraft
des Kreuzes uns zugewendet wird zur Vergebung unserer täglichen
Sünden[71].
273. Der Völkerapostel aber verkündet die reiche Fülle und
Vollkommenheit des Kreuzesopfers, wenn er erklärt, daß Christus mit dem
einen Opfer für immer jene vollendet hat, die sich heiligen lassen[72].
Da nämlich die Verdienste dieses Opfers einfachhin unendlich und
unermeßlich sind, kennen sie keine Grenzen; sie erstrecken sich auf die
Gesamtheit der Menschen aller Zeiten und Zonen, und dies insofern der
Gottmensch dessen Priester und Opfergabe ist; insofern seine
Hinopferung wie seine Willfährigkeit gegenüber dem Willen des ewigen
Vaters ganz vollkommen war, und insofern er selbst den Tod auf sich
nehmen wollte als das Haupt der ganzen Menschheit: „Be-trachte den
Vollzug unseres Loskaufs; Christus hängt am Kreuzesholz; schau, um
welch hohen Preis er kaufte; ... sein Blut vergoß er, mit seinem Blute
hat er erkauft, mit dem Blute des makellosen Lam-mes, mit dem Blute des
einzigen Sohnes Gottes hat er erkauft. . . Der Käufer ist Christus, der
Kaufpreis istsein Blut, der erworbene Besitz ist der Erdkreis[73].
274. Dieser Loskauf hat jedoch nicht sofort seine volle Wirkung:
Christus muß nämlich, nachdem er um den hohen Preis seiner selbst die
Welt erlöst hat, erst wirklich in den wahren Besitz der Menschenseele
gelangen. Damit also ihre Erlösung und Rettung für jeden einzelnen
Menschen und für alle bis ans Ende der Zeiten aufeinanderfolgenden
Menschengeschlechter sich verwirkliche und von Gott angenommen werde,
ist es unerläßlich, daß jeder einzelne Mensch in lebendige Berührung
mit dem Kreuzesopfer komme, und daß ihnen also die aus jenem Opfer
fließenden Verdienste zuteil werden. Man kann gewissermaßen sagen, daß
Christus auf Kalvaria ein Bad der Versöhnung und Heilung errichtet hat,
das er mit seinem vergossenen Herzblut füllte; wenn indes die Menschen
nicht in dessen Fluten untertauchen und dort n |