"ZEIGE MIR, HERR, DEINE WEGE"
ZUM TODE VON S.E. ERZBISCHOF NGO-DINH-THUC
von
Eberhard Heller
Am 13. Dezember letzten Jahres verstarb kurz nach Vollendung seines 87.
Lebensjahres Mgr. Pierre Martin Ngo-dinh-Thuc in einem Krankenhaus von
Carthage / U.S.A., nachdem er nach seinem Fortgang aus Rochester
zunächst in New York (im Hotel Carter) und anschließend in einem
Reformer-Seminar der Exil-Vietnamesen untergebracht worden war. Zwei
Tage vor Heiligabend, am 22.12.84 wurde seine sterbliche Hülle
beigesetzt. Die modernistischen Trauerfeierlichkeiten fanden im Rahmen
einer sog. 'neuen Messe' statt, die vom Reformer-Bischof (bzw.
'Bischof') von Springfield - Missouri gelesen wurde. Eine Nichte von
Mgr. Thuc, die eigens aus Australien nach Carthage angereist war, um
ihn noch einmal zu sehen, wurde von ihm nicht mehr erkannt.
Wie die DEUTSCHE TAGESPOST vom 19.12.84 und LE FIGARO vom 18.12.84
übereinstimmend berichten, soll Mgr. Thuc in einem Brief vom 11.7.1984
den Vatikan "um Vergebung" für "seine Irrtümer" gebeten haben,
woraufhin ihm Wojtyla verziehen haben soll. Nach Darstellung des LAKE
SHORE VISITOR / U.S.A. vom 21.12.84 soll Mgr. Thuc jedoch bereits im
Februar 1984 um die Rekonziliation nachgesucht haben. Im Juni letzten
Jahres wurde nach dieser Quelle die Möglichkeit einer Gewährung
geprüft. Den von ihm geweihten Kandidaten soll er die Empfehlung
gegeben haben, sich ebenfalls mit Rom zu versöhnen (nach FIGARO).
Soweit die dürftigen Nachrichten über die letzten Lebensmonate und das
Ableben von Erzbischof Ngo-dinh-Thuc, die wir der Presse entnehmen
mußten. Andere Quellen standen uns fast nicht zur Verfügung. Selbst von
dem Verschwinden aus Rochester im Januar 1984 haben wir nur auf Umwegen
erfahren.
"Doce me, Domine, vias tuas." ("Zeige mir, Herr, Deine Wege.") Das war
das Motto, welches Mgr. Thuc seiner Kurzbiographie vorangestellt hatte.
Mit seinem Tod ging jetzt ein Leben zu Ende, welches zunächst mit
soviel persönlichem Erfolg begonnen hatte und welches schließlich nach
der Katastrophe seiner Familie 1963, nach dem Fall von Vietnam 1975 in
völlige Erniedrigung und Vereinsamung gemündet war. Dieser Weg, der ihm
vorgezeichnet war, an und für sich schon bitter genug, wurde ihm
letztlich zur Qual durch die Anmaßung und Arroganz von Modernisten und
Konservativen gleichermaßen. Er selbst schrieb einmal: "Danach begann
mein Kreuzweg."
Mgr. Thuc hat sein Leben in seiner Autobiographie*) genauestens
beschrieben, er war aber zu vornehm, von seinem persönlichen Schicksal
großes Aufsehen zu machen. Einige Einzelheiten verdienen, erwähnt zu
werden, um seine Situation, seine letzten Lebensjahre schlaglichtartig
zu erhellen, nachdem er 1968 von Paul VI. als Erzbischof von Hue
abgesetzt worden war: von seinem ehemaligen Sekretär wurde er
bestohlen; von dem angeblich gleichgesinnten Kard. Siri wurde er als
Kaplan in die Genueser Berge versetzt, wo er dahindarb und wo ihn die
Bauer mit Speisen versorgen mußten; die Bemühungen, ein rechtgläubiges
Priesterseminar in Nizza zu eröffnen, scheiterten; der Versuch, der
zugrunde gehenden Kirche in Palmar de Troya Bischöfe zu weihen, endete
bekanntlich in einem Skandal für die Kirche; Mgr. Thuc mußte fortan mit
der Verachtung aller 'Besserwisser' leben. Seine äußeren Umstände waren
zuletzt mehr als dürftig: ein bescheidenes Zimmer in Toulon diente als
Wohn- und Schlafzimmer ... und als Kapelle. Versorgt wurde er dort von
Frau N., einer Heidin (!) aus Vietnam... (N.B. es gibt
traditionalistische Schwachköpfe, die ihm seine Bedürftigkeit zum
Vorwurf gemacht haben!)
Bedrückend in den Berichten ist zunächst die Mitteilung, Erzbischof
Ngo-dinh-Thuc habe in einem Brief vom 11.7.84 seine "Irrtümer" bereut
und Rom um "Vergebung" gebeten. Wenn dies zuträfe - bisher haben wir
keinen Beweis, daß es sich dabei wieder einmal um eine Fälschung des
Vatikans (wie z.B. bei dem angeblichen Schreiben, das Mgr. Thuc
anläßlich des Debakels von Palmar an Paul VI. gerichtet haben sollte -
was nicht zutraf!) handelt -, dann käme dies einem Widerruf der
DECLARATIO gleich und unser Kirchenkampf wäre in der Tat in gewisser
Hinsicht bloßgestellt, zumindest in den Teilen, die sich auf seine
Erklärung vom 25.2.1982 stützen. Betroffen wären auch die von ihm
unmittelbar (und mittelbar) geweihten Bischöfe durch die Aufforderung,
sich Rom zu unterwerfen. Gut ein Jahr zuvor hatte er in Amerika noch
eindringlich an sie appelliert, sein Werk fortzusetzen; er hätte getan,
was in seinen Kräften gesteckt habe. Aber was haben die Bischöfe und
Priester gemacht? Anstatt die Kirche wieder aufzubauen,haben sie
untereinander gestritten und den Rest des Vertrauens bei den Gläubigen
verspielt.
Ohne aus Sarkasmus den makabren Appell, den ihnen Mgr. Thuc in dem
betreffenden Brief vom 11.7.84 gegeben haben soll, zu wiederholen,
müssen sich die Bischöfe fragen lassen, was viele von ihnen auf dem
Parkett des Kirchenkampfes suchen und warum sie es überhaupt betreten
haben.
Obwohl, wie gesagt, der Beweis einer Fälschung (bisher) nicht vorliegt,
gibt es dennoch eine ganze Reihe von Hinweisen und Überlegungen, die
die Authentizität der in besagtem Brief gemachten Aussagen fraglich
erscheinen lassen bzw. zumindest ihre Bedeutung für unseren
Kirchenkampf einschränken würden.
Zunächst muß festgehalten werden, daß sich Mgr. Thuc Anfang 1982 mit
allen Mitteln dagegen wehrte, nach Rom verschleppt zu werden, nachdem
der 'engagierte' P. Barbara die Bischofsweihen verraten hatte. Deswegen
hielt er sich ja in München versteckt! Mit Rom und Mgr. Wojtyla, dessen
Enzyklika "Laborem exercens" er als kommunistisches Manifest eingestuft
hatte (worüber er noch eine Abhandlung beabsichtigt hatte, aber aus
Krankheitsgründen nicht mehr ausführen konnte) wollte er partout nichts
zu tun haben. Er wußte auch, daß der Vatikan (Paul VI.) der Ermordung
seiner Brüder (im Auftrag der Kennedys) zugestimmt hatte. Zum anderen
soll Mgr. Thuc - nach Auskunft von Mgr. Vezelis - nach seiner
Verschleppung im Januar 1984 am Telephon geäußert haben, er werde
nichts unterschreiben; er sei doch nicht so dumm, seine gesamte Arbeit
zu zerstören. (N.B. der Aufenthaltsort von Mgr. Thuc wurde erst dann
der Öffentlichkeit mitgeteilt, nachdem besagter Brief verfaßt worden
war. Wahrscheinlich geschah die Mitteilung von dem neuen Domizil (in
einem Blatt für Exil-Vietnamesen) auch nur deshalb, um den Eindruck,
man habe Mgr. Thuc gekidnappt, zu vermeiden.
Man darf nicht vergessen, daß die Reform-'Kirche' gesteigertes
Interesse hatte, sich von dem Makel der Sedisvakanz und der Häresie,
deren sie Mgr. Thuc angeklagt hatte, zu befreien. Und das würde am
schnellsten und effektivsten dadurch geschehen, wenn der Ankläger seine
Anschuldigen widerrufen würde. Man kann annehmen, daß sie alles daran
setzte, eine entsprechende Erklärung zu erhalten. Darauf deutet auch
die Verbreitung der Nachricht von der Wiederversöhnung mit dem Vatikan
selbst in den kleinsten Kirchenblättern hin. (N.B. zum Vergleich: Als
wir nach der Erteilung der sog. 'Exkommunikation' im April 1983 die
Pressedienste um eine Notiz über die DECLARATIO baten, wurde diese
nicht einmal in einer einzigen Zeitung erwähnt!!!)
Die gewissenhafte Abfassung der DECLARATIO habe ich miterlebt, es gibt
mehrere handschriftliche Entwürfe dazu. Und Mgr. Thuc war nicht der
Mann, der solch ein Dokument widerruft!
Andererseits gibt es jedoch Anzeichen auch dafür, daß Mgr. Thuc
Rochester verlassen wollte. Auf jeden Fall ist auffallend und
merkwürdig, daß sich Mgr. Vezelis offensichtlich keine all zu große
Mühe gemacht hat, Mgr. Thuc ins Seminar zurückzuholen. Als sein
Aufenthaltsort im vietnamesischen Reformer-Seminar von der "Mother
Co-Redemptrix" von Carthage Mitte Juli 1984 bekannt geworden war,
machte ihm Fam N. den Vorschlag, ihn wieder nach Toulon zurückzuholen,
was er jedoch ablehnte.
Vieles bleibt ungeklärt; derjenige, der uns wirklich informieren
könnte, ist tot. Sein neuer Aufenthaltsort in Carthage wurde uns von
einem ehemaligen Seminaristen aus Rochester erst Anfang Dezember
letzten Jahres mitgeteilt. Ich setzte gleich einen Brief an den
Erzbischof auf... da erfuhr ich von seinem Ableben. Meine Zeilen haben
ihn nicht mehr erreicht.
Wir haben uns um den Kontakt mit Mgr. Thuc bemüht, nachdem wir das
Dokument zu den Bischofsweihen von Palmar de Troya gelesen hatten: die
Kirche sei am Ende, die Ortsbischöfe kämen nicht mehr ihrer Pflicht
nach, es herrsche allgemein eine solche Notlage, daß außergewöhnliche
Maßnahmen gerechtfertigt seien. In vielen Punkten dachten wir ähnlich.
Im Sommer 1978 haben wir ihn zusammen mit dem verstorbenen H.H. Dr.
Katzer zum ersten Mal in Toulon besucht. Wir lernten in ihm einen
geistig souveränen Prälaten kennen, ungemein gebildet, der durch seine
Würde die Armseligkeit seiner häuslichen Umstände überstrahlte und
durch seinen Humor vergessen ließ. Er war lakonisch; langes
theologisierendes oder frömmelndes Geschwätz konnte er nicht ertragen.
Er konnte befehlen; er war außerordentlich exakt und genau in allen
Angelegenheiten, die er zu regeln hatte. Und er war ein frommer Mensch,
der auf Gottes Gerechtigkeit baute. Haß oder Rache waren ihm fremd. Und
welches Schicksal hatte er, hatte seine Familie zu erleiden! Acht Ngos
waren bereits ermordet worden!
Das Problem möglicher Bischofsweihen wurde gleich beim ersten Besuch
angesprochen: er würde unter Umständen weitere Priester konsekrieren.
Die erfolgten Bischofsweihen, bei denen ich anwesend sein durfte, und
die Umstände, unter denen sie stattfinden mußten, werden mir
unvergeßlich bleiben!
Unverständlich ist nur der Haß und die Arroganz, mit denen er verfolgt
wurde, besonders von sog. konservativen Klerikern aus Frankreich! Es
gibt für mich nur eine Erklärung: sie konnten es nicht ertragen, daß
dieser Prälat aus Vietnam, für sie: aus der Kolonie, ihnen ihre eigene
Kläglichkeit demonstrierte: er war ihnen allen in allen Bereichen weit
überlegen, und das konnte man diesem 'Reisbauern1 nicht verzeihen. Als
er aus Gesundheitsgründen Anfang Mai 1982 von München wieder nach
Südfrankreich mußte, hatten wir einen von ihm geweihten Priester
gebeten, sich um ihn zu kümmern... vergebens.
Wenn die Gleichgültigkeit schon solche Ausmaße erreicht, dann reden die
Steine... oder die Kinder. Welche Würde, welche Güte, welchen Respekt
Mgr. Ngo-dinh-Thuc persönlich ausstrahlte, haben meine Kinder erfahren.
In der Zeit, als er sich bei uns zu Hause versteckt halten mußte und
sie sich deswegen enorm einschränken mußten, haben sie, die sonst ihren
Gefühlen und ihrem Gemeckere freien Lauf lassen, sich nicht ein
einziges Mal beklagt.
Beten wir, daß Gott seinen Diener nach diesem mühevollen Lebensweg in Sein Vaterhaus heimholt. R.I.P.
*) Die Autobiographie von Mgr. Ngo-dinh-Thuc in franz. Sprache (mit
Photos seiner Familie; im Anhang die feierliche Verkündigung seiner
DECLARATIO, ebenfalls illustriert) kann gegen eine entsprechende Spende
bei der Redaktion bestellt werden.
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