DIE ENTFÜHRUNG VON S.E. MGR. NGO-DINH-THUC
aus: THE SERAPH vom Sept. 1984; übers. von Eugen Golla
19. Januar 1984
Am 19. Januar 1984 reiste Erzbischof Ngo-dinh-Thuc, der bei den
Franziskanern in Rochester / New York zu Gast weilte, in Begleitung
einiger Personen nach New York-Stadt, wo er von ehemaligen Mitgliedern
der Regierung seines Bruders, Familienmitgliedern und guten Freunden
geehrt werden sollte. Vorher hatte der Erzbischof telephonische Anrufe
von Vietnamesen erhalten. Es war uns nicht möglich zu erfahren, um
welche Leute es sich handelte, da wir die vietnamesische Sprache nicht
verstehen. Wir können nur vermuten, daß S.E. Erzbischof Ngo diese Leute
kannte, weil er nicht den Eindruck erweckte, irgendwie beunruhigt zu
sein.
Schon lange vor der Abfahrt nach New York hatte Bischof Vezelis bei
Bischof Musey angerufen und ihm vorgeschlagen, ob er es nicht
ermöglichen könne, daß Erzbischof Thuc etliche Wochen im Süden
zubringe, denn die Kälte von Rochester halte den Erzbischof ab, das
Haus zu verlassen. Man merkte, daß ihm eine kleine Abwechslung nach dem
langen Winter, der nicht zu Ende gehen wollte, gut tun würde, ihm, dem
86 Jahre alten Prälaten.
Bischof Musey versprach, er werde sehen, was sich machen lassen würde;
aber von ihm hörten wir in dieser Angelegenheit weiter nichts mehr.
Inzwischen riefen die Vietnamesen den Erzbischof an. Bischof Vezelis
sprach mit einem von ihnen, der sehr schlecht Englisch und auch kein
Französisch sprach. Sein Name war Herr Truong. Dieser Mann gab sich als
Freund der Familie der Ngos aus und erkundigte sich, ob der Erzbischof
nicht nach New York auf einen Besuch der gesamten Familie kommen könne.
Man wies ihn darauf hin, daß der Gesundheitszustand des Erzbischofs
nicht besonders gut sei und solch ein Besuch äußerst schwierig sei.
Darauf machte Herr Truong den Vorschlag, auf einen Besuch nach
Rochester zu kommen. Dies war akzeptabel. Am 19. Januar kam Herr Truong
in einer Limousine, begleitet vom Fahrer, einer Sicherheitswache seines
Hotels und seinem Sohn. Erzbischof Ngo machte mit diesem Mann Besuche,
und als er auf französisch gefragt wurde, ob ihm Herr Truong bekannt
sei oder nicht, antwortete er bejahend und versicherte uns, es sei kein
Grund vorhanden, sich Sorgen zu machen.
Herr Truong erkundigte sich, ob der Erzbischof aus Anlaß des
Mond-Neujahrsfestes nach New York fahren könne. Wie sich zeigte, hatte
der Erzbischof Interesse an dieser Fahrt. Es war nichts Auffälliges zu
bemerken außer einer ungemeinen Nervosität von Herrn Truong. Der
Erzbischof drückte seinen Wunsch aus, mitzufahren. Man kam zu dem
Resultat, daß ihm eine kleine Reise nach dem langen und kalten Winter
gut tun würde. Und da keine Aussichten bestanden, daß er nach dem Süden
reisen könne, um einige Zeit bei Mgr. Musey oder bei den von ihm
geweihten mexikanischen Bischöfen zu verbringen, respektierten wir den
Wunsch Seiner Exzellenz. Herr Truong wurde jedoch informiert, daß einer
der Brüder den Erzbischof begleiten werde, um für seine persönlichen
Bedürfnisse und seine Sicherheit zu sorgen. Br. Francis Miller O.F.M.
reiste mit dem Erzbischof nach New York und er mußte erleben, was für
ihn ein wahrhafter Alptraum werden sollte.
Nach einer Reihe von Besuchen bei vietnamesischen Laien und Priestern
kam die für die Rückkehr nach Rochester vereinbarte Zeit. Herr Truong
versuchte, den Erzbischof unter einem fadenscheinigen Vorwand länger
zurückzuhalten, aber Bischof Vezelis bestand darauf, daß der Erzbischof
aus gesundheitlichen Gründen mit Br. Francis nach Rochester
zurückkehren müsse. Außerdem wies er darauf hin, daß sich auch der
Bruder nur wenige Tage in New York aufhalten könne. Es zeigte sich nun,
daß es sich um eine richtige Entführung handelte. Ohne Zweifel war
diese Verschwörung schon lange vorbereitet und geprobt worden. Nur wir,
das Opfer und die Betroffenen, hatten nichts davon gemerkt. Sie wurde
mit Hilfe vieler kirchlicher Würdenträger durchgeführt, unter denen
sich letztlich auch der 'apostolische' Delegai, Mgr. Laghi, sowie der
verhängnisvolle und illegitime Nachfolger von Mgr. Ngo-dinh-Thuc in
seiner Erzdiözese befanden. Die Einzelheiten dieser Ereignisse müssen
erst noch gesammelt werden. In Zukunft ist eine ausführliche
Darstellung zu erwarten. Wichtig ist zu erwähnen, daß ein
Alternativplan für den Fall bestand, daß der Erzbischof nicht mit nach
New York gehen würde. Für uns steht fest, daß er dann direkt von
Rochester aus entführt worden wäre, nachdem man ihn durch
Telephongespräche und Wochenendbesuche vietnamesischer Priester in
einen hierzu geeigneten Zustand versetzt hätte. Wir besitzen keine
neuen Nachrichten über den Aufenthaltsort des Erzbischofs. Wir leiteten
auf geeigneten und legalen Wegen alles ein, was seine Rückkehr nach
Rochester ermöglichen hätte können. Indessen sind wir nicht allzu
optimistisch, günstige Resultate zu erzielen, weil der Erzbischof
Ngo-dinh-Thuc der Bruder des ehemaligen Präsidenten von Süd-Vietnam,
Ngô-dinh-Diem ist. (...) |