PAPST HONORIUS I. (625-638) UND DIE HONORIUSFRAGE
von
Eugen Golla
Das Anliegen dieses Aufsatzes ist möglichste Objektivität. Er ist daher
weder als Anklage noch als Verteidigung der früheren Kirche gedacht.
Absurd wäre es aber, aus den Verfehlungen dieses Papstes und den
Fehlern seiner Verteidiger ein Modell für die Exkulpation der 'Päpste'
nach Pius XII. konstruieren zu wollen.
21 Jahre nach dem Tode Gregor d.Gr. wurde Honorius zum Papste gewählt.
Wie von den meisten Inhabern des Stuhles Petri im ersten christlichen
Jahrtausend sind Nachrichten über seine Person nur spärlich vorhanden.
Fest steht, daß er der Sohn eines Vornehmen, der den Titel "Konsul"
führte, war und Gregor d. Gr. zum Lehrer hatte, den er sich in seinem
Pontifikat auch zum Vorbild nahm.
So übernahm er u.a. die große Aufgabe seines Vorgängers, die in einem
Teile Italiens angesiedelten Langobarden, die Arianer waren, zum
katholischen Glauben zu bekehren, und setzte die Missionierung der
Angelsachsen weiter fort. Die unzureichende Verwaltung des restlichen
Italiens, insbesondere Roms, durch das byzantinische Reich zwang ihn
wie Gregor d.Gr., Teile der dem Staate obliegenden Aufgaben zu
übernehmen. Infolge seiner Tüchtigkeit warf das Patrimonium Petri
reiche Fürchte ab, die es ermöglichten, für die Bevölkerung z.B. durch
den Wiederaufbau der durch die Gotenkriege zerstörten Wasserleitungen
zu sorgen. Auch durch einen Kirchenbau verewigte sich Honorius: Die
über der Begräbnisstätte der hl. Agnes errichtete Kirche Sankt Agnes
vor den Mauern ließ er wieder herstellen. Im Mosaik der Apsiskuppel
dieses Gotteshauses ist auf Goldgrund die hl. Agnes zwischen den
Päpsten Symmachus und Honorius dargestellt.
Dennoch liegt über diesem Pontifikat ein düsterer Schatten: da er durch
ein Konzil als Häretiker verurteilt worden war - wenn auch erst über 4o
Jahre nach seinem Tode -, gehört Honorius I. zu den umstrittensten
Päpsten und schadete so dem Ansehen des Stuhles Petri vielleicht mehr
als manche Amtsträger mit anstößigem Lebenswandel.
Auf dem unter Leo d.Gr. tagenden 4. Allgemeinen Konzil von Chalkedon
(451) erhielt die Christologie - die systematische Lehre über die
Person Christi - ihre grundlegende Formulierung: "In Jesus Christus
sind zwei Naturen - die göttliche und die menschliche - unvermischt und
ungetrennt in einer einzigen Person und Hypostase". Hierdurch wurde der
Monophysitismus als Häresie verurteilt, der die Verschiedenheit von
Gottheit und Menschheit des Erlösers leugnet, somit seine Menschheit
als bloße Erscheinungsform des Logos annimmt. Trotz dieser dogmatischen
Entscheidung behielt diese Lehre denrr noch viele Anhänger, besonders
in Syrien und Ägypten, wo sie vor allem Mönche in verschiedenen Abarten
verbreiten konnten.
Es war für das immer schwächer werdende und an seinen Grenzen von
vielen Feinden bedrohte Byzantinische Reich, das sich von Rom bis zum
Euphrat und vom Balkan bis Ägypten erstreckte, nicht unbedenklich,
solche Anschauungen, die mit der Reichskirche nicht übereinstimmten,
sich selbst zu überlassen, waren doch die Kaiser von Konstantinopel
sozusagen "Schirmherrn" der Kirche und Vorsitzende auf den Konzilien.
Schließlich sind im Ostreich dogmatische Streitigkeiten - man denke an
den Arianismus! - oft eine politische Angelegenheit von gefährlicher
Brisanz geworden.
"Der Kaiser und die Patriarchen der Hauptstadt versuchten deshalb immer
wieder, die monophysitischen Strömungen zu befriedigen, um mit dem
religiösen Zusammengehörigkeitsgefühl auch die politische Loyalität zu
stärken. Bei aller Treue zum Konzil von Chalkedon konnte dies
geschehen, indem man die Einheit der göttlichen Person stärker betonte,
als man es auf dem Konzil getan hatte - selbst auf die Gefahr hin, daß
die Echtheit des Menschenlebens Jesu vor dem Glänze des göttlichen
Subjekts verblaßte." 1) Der Patriarch von Konstantinopel, der Syrer
Sergios, hatte den Kaiser Heraklios schon einige Jahre vor der
Thronbesteigung des Honorius geraten, den Monophysiten durch eine
Formel entgegenzukommen, die besagt, daß der Gottmensch zwei Naturen
(wie in Chalkedon verkündet) habe, aber nur mit einer gottmenschlichen
Tätigkeit (Energie) wirke. Beim Willen wird unterschieden zwischen der
ruhenden Willenskraft, der Fähigkeit zu wirken und dem einzelnen
Willensakt, dem akuten Willen und Wollen (Energie).
"Ein menschliches Wollen neben dem göttlichen muß aber in Christus
absolut zugegeben werden, da nur der menschliche Wille Christi das
Erlösungswerk ausführen, nur der menschliche Wille verdienen, genug
tuen, Tugend, Gehorsam, Demut, Sanftmut üben konnte. Es ist gerade der
menschliche Wille, den der Heiland selbst gegenüber dem göttlichen so
ausdrücklich bekundet, wenn er zum Vater betet: 'Vater nicht mein Wille
geschehe, sondern der Deine'. Der Wille des Vaters ist aber derselbe
wie der göttliche Wille des Sohnes. Von diesem unterscheidet der Herr
den seinen so stark, daß er ihn sogar im Gegensatz zu demselben zu
stellen scheint. Nun dieser Gegensatz braucht kein absoluter,
freigewollter zu sein. Der Wille, der sich gegen das Leiden sträubt,
ist zunächst der Wille der sinnlichen Natur, der als solcher nicht frei
ist. Einen solchen müssen wir aber in Christus annehmen, weil er zum
Wesen der menschlichen Natur gehört." 2)
Mit Hilfe der vorgenannten Verwässerung des christologischen Dogmas von
Chalkedon gelang zwar eine gewisse Union mit den Monophysiten; aber ein
palästinensischer Mönch, Sophronios, bekämpfte diese Kompromißformel,
die ihm als der Beginn des Abfalls vom wahren Glauben erschien. Da er
aber auch keine Stellen in den Kirchenvätern nachweisen konnte, die von
einer zweifachen Wirkungsweise Christi sprachen, einigte er sich mit
dem Patriarchen Sergios, daß künftig der Ausdruck "Energie" ganz fallen
gelassen werden sollte. Sergios wandte sich nun in der Hoffnung,
Rückendeckung für seine Kompromißformel in Rom zu finden, an den Papst
Honorius. Er verzichtete dabei zwar auf die Formel von der einen
Energie, betonte aber zugleich, daß die Annahme einer doppelten
Wirksamkeit (Energie) in Christus auch einen zweifachen Willen
erfordere, was ein Ärgernis bedeute.
In seinem Antwortschreiben bezeichnet Honorius den Sophronios als einen
Menschen, der um neue Worte Streitigkeiten und Händel veranlaßt habe
und lobt den Sergios, den neuen Ausdruck abzulehnen, da er den
einfachen Gläubigen zum Ärgernis werden könne, zumal in der Heiligen
Schrift dieses Wort gar nicht vorkomme. Dann erklärte er: "Wir bekennen
einen Willen unseres Herrn Jesus Christus, da offenbar die Gottheit
unserer Natur, nicht aber unsere Schuld in ihr angenommen hat und zwar
unsere Natur, wie sie vor der Sünde war". Wenn daher in der Hl. Schrift
von einem göttlichen und menschlichen Willen Christi gesprochen werde,
z.B.: "Mein Gericht ist gerecht, weil ich nicht meinen Willen suche,
sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat" (Joh. 5,3o), handle es
sich nicht um zwei verschiedene Willen, sondern um eine Sprechweise
Christi, um uns zur Nachfolge (d.h. unseren eigenen Willen
hintanzusetzen) aufzufordern.
Der zweite Honoriusbrief, der nur in Fragmenten erhalten ist, enthält
wieder das Verbot, sich auf eine oder zwei Energien festzulegen.
Der Verfasser des ersten Briefes ist wahrscheinlich Johannes, ein Abt
eines römischen Griechenklosters. Inwieweit es sich um eigene
Gedankengänge des Sekretärs handelt bzw. Formulierungen des Papstes
übernommen worden sind, ist nicht feststellbar. Jedenfalls ist dieser
allein schon durch seine Unterschrift für den gesamten Inhalt
verantwortlich, selbst wenn die Behauptung mancher Autoren stimmen
sollte, er als Römer sei nicht imstande gewesen, den von der
griechischen Philosophie geprägten Gedankengängen der byzantinischen
Theologen zu folgen.
Hinsichtlich der Argumentationsweise kann man über diese Briefe
urteilen: ein Tiefpunkt theologischer Bildung. 3) Auffallend ist der
Mangel an Zitaten aus den Kirchenvätern (im Gegensatz zum hl. Gregor
d.Gr.). Hauptquelle ist die Hl. Schrift allein. Jedenfalls bedeutet das
Nichteingehen auf die Frage nach den Willensäußerungen einen Vorschub
für die Häresie, und war umso weniger zu verantworten gewesen, als
Sophronios, der inzwischen Patriarch von Jerusalem wurde, nach der
Abfassung des ersten Briefes sein Inthronisationsschreiben überbringen
ließ, in welchem er die Lehre von zwei Willen und zwei Wirkungsweisen
auseinandersetzte und verteidigte.
Drei Jahre später starb Papst Honorius (638). Zu seiner Kenntnis
gelangte nicht mehr der als Reichsgesetz verkündete Beschluß der im
gleichen Jahre zu Konstantinopel abgehaltenen Synode, die Ekthesis
(Auslegung). Diese verkündete: "Christus eine Person aus zwei Naturen
und in beiden ein göttlicher Wille". Die unheilvollen Folgender Briefe
traten im Ostreich also klar zu Tage. Soweit die Ekthesis dazu
beitragen sollte, die unruhigen südöstlichen Provinzen Ostroms zu
beruhigen, kam sie zu spät: wenige Jahre vorher begann die neue
Religion des Islam ihren Siegeszug, und Syrien nebst Palästina waren
bereits in die Hände der Araber gefallen.
Die Nachfolger des Honorius leisteten aber der kaiserlichen
Religionspolitik Widerstand und verurteilten die Ekthesis. Trotz ihrer
rechtgläubigen Haltung anathematisierten sie aber ihren Vorgänger
nicht, ja, sein zweiter Nachfolger, Papst Johannes IV., verteidigte ihn
sogar in einer allerdings nicht sehr gelungenen Rechtfertigungsschrift.
Am schärfsten ging gegen den Montheletismus (Lehre von nur einem Willen
in Christus) Papst Martin I. (649-655) vor. Bereits im Jahre seiner
Erwählung berief er eine Synode nach Rom, welche die Lehre von zwei
Willen und zwei Wirkungsweisen festsetzte.
Die Feindseligkeit des Kaisers gegen den Papst ging soweit, daß er ihn
653 verhaften und nach Konstantinopel bringen ließ. Obwohl von der
Kirche als Märtyrer für den Glauben verehrt (Gedenktag: 12. November),
wurde ihm kein Glaubens-, sondern ein Hochverratsprozeß gemacht. Nach
schweren Mißhandlungen wurde er zum Tode verurteilt, dann aber zur
Verbannung auf der Halbinsel Krim begnadigt, wo er auch starb.
Nach 678 trat in den mehr schlechten als guten Beziehungen zwischen Rom
und Konstantinopel ein Umschwung ein. Der Kaiser lud Papst Agatho
(678-681) zu einem in der Reichshauptstadt abzuhaltenden Konzil ein.
Der Herrscher Ostroms erkannte, daß nach dem Verlust so vieler
Provinzen wenigstens Italien, insbesondere Rom, gehalten werden müsse;
dies war zu dieser Zeit nur noch bei gutem Einverständnis mit dem Papst
möglich, der seit Gregor d.Gr. der eigentliche Herr der Ewigen Stadt
wurde. Der Papst sandte an den kaiserlichen Hof seine Legaten mit einem
Brief, der - trotz der Honoriusaffäre - sehr selbstbewußt die
lehramtliche Unfehlbarkeit des Papstes betonte, in Anschluß an Luk.
22,31: "Simon, Simon, der Satan hat versucht, euch zu sieben wie
Weizen, aber ich habe für dich gebetet, daß dein Glaube nicht
nachlasse". Die folgenden Zitate, insbesondere "Stillschweigen" weisen
auf Honorius hin: "Die Häretiker verfolgen diesen apostolischen Stuhl
durch falsche Vorwürfe und gehässige Verleumdungen (...). Und doch
haben meine Vorgänger auch diesen Neuerungen in Konstantinopel
gegenüber nie aufgehört, die Urheber derselben zu ermahnen und zu
beschwören, von ihrer häretischen Lehre wenigstens durch Stillschweigen
abzustehen". 4) Der Papst wollte somit verhindern, daß die griechischen
Konzilsväter, welche die Mehrheit bildeten, Honorius verurteilten.
Auf dem in Konstantinopel abgehaltenen Konzil - dem sechsten
ökumenischen - wurde zwar das Schreiben des Papstes Agatho - im ganzen
gesehen ein Lehrschreiben gegen den Monotheletismus - von den Vätern
angenommen. In der 13. Sitzung vom 28. März 681 wurde aber mit den
Urhebern und Führern der monotheletischen Irrlehre zugleich auch
Honorius, "der Bischof von Altrom" mit dem Anathem belegt, weil er in
seinen Briefen an Sergios dessen Ansicht in allem gefolgt sei und seine
gottlosen Lehren bestätigt habe. Kurz zusammengefaßt kann man sagen:
Die Griechen unterwarfen sich Rom hinsichtlich der Lehre von den zwei
Willen in Christus, verlangten aber dafür als 'Opfer' Honorius. Über
die zwei, die Irrlehre begünstigenden, inzwischen verstorbenen Kaiser
Heraklios und Konstans, einst die mächtigen Schutzherrn der Kirche,
ging man mit Stillschweigen hinweg!
Was die Verurteilung eines der Häresie Angeklagten betrifft, der im
Frieden mit der Kirche gestorben war, so war dies bereits seit längerer
Zeit in Gebrauch. Das auf diesem Konzil verfaßte Glaubensbekenntnis
betont in Erweiterung des Symbolums von Chalkedon: "Wir bekennen gemäß
der Lehre der Väter zwei natürliche Willen und zwei natürliche
Wirkungsweisen, ungeteilt, unverwandelt, ungetrennt und unvermischt;
nicht so, als ob sie entgegengesetzt wären, sondern so, daß der
menschliche Wille dem göttlichen folgt und sich ihm unterordnet".
Während des Konzils starb Papst Agatho. Sein Nachfolger, Leo II. befand
sich in einer schwierigen Lage: eine schroffe Haltung gegenüber dem
oströmischen Kaiser hätte den Verlust der Kirche seines Reiches und die
immer noch bedeutende Unterstützung dieses Herrschers bedeutet. Zudem
wäre ein Widerruf des Anathems schon deshalb nicht durchführbar
gewesen, weil die päpstlichen Legaten kein Wort zur Verteidigung des
Honorius gesprochen hatten, sondern vielmehr das Anathem
mitunterzeichnet hatten. Hierdurch übertraten sie eigentlich die ihnen
vom Papst Agatho erteilte Vollmacht, da ihnen verboten war, etwas zu
unternehmen, was der Lehre des apostolischen Stuhles zuwider sei - und
wie vorher erwähnt, sah ja keiner der Päpste, die Honorius nachgefolt
waren, diesen als Ketzer an.
Papst Leo kennzeichnete das Verschulden seines Vorgängers dennoch auf
eine besondere Art, denn er fügte zum Namen Honorius hinzu: "der sich
nicht bemüht hat, diesen apostolischen Sitz mit der Lehre der
apostolischen Tradition rein zu erhalten, sondern es durch profanes
Preisgeben zuließ, daß die unversehrte (d.i. die römische) Kirche
befleckt wurde".
Ähnlich äußerte sich der Papst gegenüber spanischen Bischöfen, denen er
schrieb: "Honorius hat nicht, wie es der apostolischen Autorität
geziemt hätte, den Brand der häretischen Lehre im Keime erstickt,
sondern ihn durch Nachlässigkeit gefördert".
Es mag kontrovers sein, in diesen Ergänzungen eine Abschwächung des von
den Konzilsvätern ausgesprochenen Anathems zu sehen. Diese aus
"Nachlässigkeit" entstandene Schuld war aber immerhin so groß, daß laut
dem Liber diurnus - dem ältesten Kanzleibuch der Kirche - die Päpste
eine Zeitlang anläßlich ihrer Thronbesteigung das Anathem über Honorius
aussprechen mußten. Auch das römische Brevier gedachte am Feste des
heiliggesprochenen Papstes Leo II. in seiner bis Klemens VIII.
(1592-16o5) gültigen Form der Verurteilung, ohne dabei zu erwähnen, daß
es sich bei dem Häretiker Honorius um den Papst handelt.
Dennoch geriet im Abendland während des Mittelalters diese Verurteilung
in Vergessenheit. So erwähnen beispielsweise die großen Theologen
dieser Epoche, wie z.B. Thomas v. A., den Fall Honorius gar nicht.
Anders war es in der Ostkirche, wo das Anathem häufig wiederholt und
Honorius von den meisten Theologen unter den Häretikern aufgeführt
wurde. In der Neuzeit lassen sich in der Honorius-Frage im großen und
ganzen drei Theorien unterscheiden:
a) Die Akten des Konzils wurden von den Griechen gefälscht;
b) Honorius war ein Häretiker als Privatperson;
c) Honorius war ein Häretiker als Lehrer der Kirche.
Der bedeutenste Vertreter von a) war der große Kirchenhistoriker
Kardinal Cäsar Baronius (1538-1607), dessen Argumentation häufig
übernommen wurde. So bezeichnete der hl. Alfons v. Liguri, der in
seiner Moraltheologie auch die Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit
behandelte, diese Hypothese als brauchbare Lösung. Die spätere
Geschichtsforschung hat allerdings ihre Unhaltbarkeit nachgewiesen. Der
letzte Theologe, der sie akzeptierte, dürfte der Jesuiten-Kardinal
Louis Billot (1846-1931) gewesen sein, einer der bedeutendsten
Thomisten seiner Zeit und Gegner des Modernismus. Er entschied sich
zwar zu keiner klaren Aussage, empfahl aber in erster Linie die
Meinungen von Baronius und von Kardinal Bellarmin (1542-1621). In
seinen Kontroversschriften gegen die Reformatoren beschäftigte sich
letzterer vielfach auch mit Honorius. Seine Auffassung ist zwiespältig:
einerseits schließt er sich der Fälschungshypothese an, andererseits
sagt er aber von dem im zweiten Honorius-Brief stehenden Bekenntnis zu
der natürlichen Vereinigung beider Naturen in Christus, ihrer
unvermischten Unterschiede, daß dies das allerkatholischste Bekenntnis
sei, welches die monotheletische Häresie ganz und gar vernichtete. 5)
Die Auffassung b) ist zwar kirchlich fundiert - auch Bellarmin weist
sie nicht gänzlich ab, hält sie sogar für probabel, obwohl ihm das
Gegenteil für probabler erscheint. Sie ist aber in der Honorius-Frage
nicht akzeptabel: wenn ein Papst einem Bischof in einer Glaubensfrage
antwortet, handelt es sich um keinen Privatbrief, auch wenn das
betreffende Schreiben nur an eine Person gerichtet ist.
Die Anhänger der Auffassung c) waren außer protestantischen Theologen
auch Gallikaner, wie z.B. Bossuet (]627-17o4). Er betont, Honorius sei
vom sechsten ökumenischen Konzil als Papst verurteilt worden, da er als
Papst von der Kirche über den Glauben befragt, seinem Amt untreu
geworden sei. Er habe seine Brüder nicht im Glauben bestärkt, sondern
sie zu Fall gebracht und sich selbst mit ihnen ins Verderben gestürzt.
Auf dem Vatikanischen Konzil von 1869/70 erhielt die Honorius-Frage
wegen der Verkündigung des Dogmas von der päpstlichen Unfehlbarkeit
eine besondere Bedeutung. Nur eine Minderheit der Konzilsväter
opponierte gegen die Dogmatisierung. Einer ihrer bedeutendsten
Vertreter war der Tübinger Kirchenhistoriker Karl Joseph von Hefele
(1808-1893), seit 1869 Bischof von Rottenburg. Er sah nämlich ein ernst
zu nehmendes Hindernis in der Honorius-Frage, die er dahin gehend
interpretierte, daß der Papst zwar orthodox gedacht habe, aber von
einem ökumenischen Konzil verurteilt wurde, weil er excathedra eine
Häresie gelehrt habe. 1871 unterwarf sich von Hefele als letzter der
deutschen Bischöfe den Beschlüssen des Konzils. In der Neuauflage
seiner Konzilsgeschichte milderte er dann seine Aussagen dahingehend,
daß er behauptete, Honorius habe in seinen Briefen auch rechtgläubige
Gedanken auszusprechen gesucht; ebenso gab er den Hinzufügungen von Leo
II. eine, das Anathem abschwächende Bedeutung. Letztendlich ist
unschwer zu erkennen, daß der spätere Bischof von Hefele die "Causa
Honorii" mit dem Infallibilitätsdogma in Einklang zu bringen suchte.
Vom katholischen Standpunkt ist durch die Verkündigung dieses Dogmas
die Honorius-Frage gelöst. Seither bewegt sich daher ihre Behandlung in
der katholischen Theologie auf Bahnen, die der Dogmatisierung der
Unfehlbarkeit nicht widersprechen. Als Beleg seien einige Zitate zu
diesem Problem angeführt:
"Die Frage, ob die beiden Honorius-Briefe sog.
Ex-cathedra-Entscheidungen sind, die Hefele noch 1877 bejahte, wird
heute verneint". 6)
"Aber der Papst (...) hat nicht monotheletisch gedacht". 7)
"Zwar hat Honorius den häretischen monotheletischen Ausdruck gebraucht
und den orthodoxen verworfen, aber was er wirklich ablehnt, ist wohl
ziemlich eindeutigein menschlicher Wille in Jesus, der dem göttlichen
zuwiderlaufen könnte. Mit Recht hat also Papst Leo II. die Verurteilung
in dem genauen Sinn für berechtigt erklärt, daß Honorius seine
Pflichten verletzt habe, insofern er der Irrlehre nicht klar genug
entgegengetreten sei." 8)
"Der historische Kontext (...) läßt es als höchst zweifelhaft
erscheinen, daß Honorius hier eine Entscheidung Ex-cathedra im heutigen
Verständnis treffen wollte." 9)
"Papst Honorius wurde dabei als Mitläufer verurteilt, ist aber nicht als Häretiker zu betrachten", 10)
"Der Papst dachte gar nicht im eigentlichen Sinne monotheletisch oder
mono-ergetisch. (...) Das Urteil der Synode von Constantinopel über
Honorius ist also zu streng." 11)
Benützte Literatur:
Beck, Hans Georg: "Geschichte der orthodoxen Kirche im byzantinischen Reich" Göttingen.
Bihlmeyer-Tüchle: "Kirchengeschichte" l.Teil, Paderborn 1955.
Grillmeier, Alois: "Monotheletismus" in: "Sacramentum mundi" 3.Bd., Freiburg
Grisar: "Honorius" in: "Kirchenlexikon" von Wetzer und Weite, 6.Bd., Freiburg 1884.
Gutberiet, Konstantin: "Der Gottmensch Jesus Christus" Regensburg 1913.
Haller, Johannes: "Das Papsttum, Idee und Wirklichkeit" Bd.l, Stuttgart 1934.
Jedin, Hubert: "Handbuch der Kirchengeschichte" Bd.II, Freiburg 1975.
Kreuzer, Georg: "Die Honoriusfrage im Mittelalter und in der Neuzeit" Stuttgart 1975.
Lortz, Joseph: "Geschichte der Kirche" 1.Bd., Münster.
"Mysterium salutis. Grundriß der heilsgeschichtlichen Dogmatik" Bd.III/1, 197o.
Seeberg, Reinhold: "Lehrbuch der Dogmengeschichte" 2.Bd., Basel-Stuttgart.
Seppelt, F. X.: "Geschichte der Päpste von den Anfängen bis zur Mitte des 2o. Jahrhunderts" Münster 1955.
Anmerkungen:
1) Mysterium salutis, S.469.
2) Gutberiet, S.82.
3) Kreuzer, S.56.
4) Zitiert nach Grisar, Col.246.
5) Grisar, Col.241.
6) Lexikon für Theologie und Kirche: "Honorius.
7) Seppelt, S.54 f.
8) Lortz, S.137.
9) Jedin, S.211.
10) Grillmeier, Col.6o9.
11) Bihlmeyer-Tüchle, S.3o9.
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