DIE 'VERKEHRTE' MESSE
von
Paul Claudel (1868-1955)
aus: FIGARO LITTERAIRE vom 29.1.1955; Übersetzung nach UVK 3/1983, S.3o8-3o9
Vorbemerkung:
Als sich eine liturgische Änderung hinsichtlich der Stellung des
Priesters am Altar in Frankreich abzeichnete, schrieb der Konvertit
Claudel, der sich als religiöser Schriftsteller einen Namen gemacht
hatte, folgenden Beitrag - man übersehe das Datum (1) der Abfassung
nicht: 1955 - kurz vor seinem Tod.
E. Heller
Mit allen meinen Kräften möchte ich protestieren gegen die sich in
Frankreich immer weiter ausbreitende Sitte, die Messe dem Publikum
zugewandt zu lesen. Das Prinzip der Religion selbst besagt, daß Gott an
erster Stelle kommt und daß das Wohl des Menschen nur eine Konsequenz
der Anerkennung und Anwendung im praktischen Leben dieses Ur-Dogmas
ist. Die Messe ist die Huldigung im höchsten Grade, die wir Gott
erweisen in dem Opfer, das der Priester Ihm in unserem Namen auf dem
Altar Seines Sohnes darbringen. Wir sind es, die hinter dem Priester
und mit ihm eine Einheit bildend zu Gott gehen, um Ihm hostias et
preces aufzuopfern. Nicht Gott ist es, der kommt, sich uns vorzustellen
wie einem gleichgültigen Publikum, um uns in größtmöglicher
Bequemlichkeit zu Zeugen des Mysteriums zu machen, das sich vollziehen
wird.
Die neue Liturgie entkleidet das christliche Volk seiner Würde und
seines Rechtes. Es ist nicht mehr dieses Volk, das die Messe mit dem
Priester 'sagt1, das ihr 'folgt', wie man sehr richtig sagt, und dem
sich der Priester von Zeit zu Zeit zuwendet, um sich seiner Gegenwart,
seiner Teilnahme und seiner Mitwirkung bei dem Werke, mit dem er in
unseren Namen beauftragt ist, zu vergewissern. Es gibt nur noch
neugierige Zuschauer, die ihn bei der Ausübung seines Handwerkes
betrachten. Die Gottlosen haben leichtes Spiel, ihn mit einem
Zauberkünstler zu vergleichen, der seine Nummer inmitten höflicher
Bewunderung ausführt. Es ist sicher wahr, daß ein großer, rührender,
ergreifender Teil des Heiligen Opfers bei der alten Liturgie den
Blicken der Gläubigen entgeht. Doch er entzieht sich nicht ihrem Herzen
und ihrem Glauben. Das geht so weit, daß während der feierlichen
Hochämter sich der Subdiakon am Fuße des Altares bei der gesamten
Opferung mit der linken Hand das Gesicht verhüllt. Auch wir sind dann
aufgerufen zu beten, in uns selber einzukehren, aufgeopfert nicht zur
Neugierde, sondern zur Sammlung.
Bei allen östlichen Riten vollzieht sich das Wunder der Wandlung
außerhalb des Gesichtskreises der Gläubigen hinter der Ikonostase. Erst
dann erscheint der Zelebrant auf der Schwelle der heiligen Pforte, Leib
und Blut Christi in der Hand haltend. Ein Überbleibsel dieser
Vorstellung hat sich in Frankreich lange gehalten, wo die alten
Meßbücher die Kanongebete nicht übersetzen. Dom Guéranger hat gegen die
Leichtfertigen, die diese Zurückhaltung verletzen, energisch
protestiert. Die beklagenswerte derzeitige Handhabung hat das
altehrwürdige Zeremonial völlig umgestürzt zur größten Verwirrung der
Gläubigen. Es gibt keinen Altar mehr. Wo ist er, jener konsekrierte
Stein, mit dem die Geheime Offenbarung den Leib Christi selber
vergleicht? Da ist lediglich noch ein Undefiniertes Gestell, mit einem
Tuch bedeckt, das schmerzlich an den kalvinistischen Werktisch
erinnert. Nun, da die Bequemlichkeit zum obersten Prinzip erhoben ist,
galt es selbstverständlich auch, besagten Tisch so weit als möglich von
den 'Nebensächlichkeiten' zu befreien, und zwar nicht nur von Leuchtern
und Blumenvasen, sondern auch vom Tabernakel, ja sogar vom Kreuz! Der
Priester spricht seine Messe in der Leere! Fordert er das Volk auf,
Herz und Augen zu erheben - wohin? -, so gibt es nichts mehr über uns,
um die aufgehende Sonne aufzufangen! Behält man Leuchter und Kruzifix
bei, so sieht sich das Volk noch mehr ausgeschlossen als bei der alten
Liturgie. Denn in diesem Fall wird nicht nur die Feier, sondern auch
der Priester selber gänzlich verdeckt. (...)
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