ÜBER DIE VOLLMACHT DES PRIESTERS
von
Leon Bloy
(aus: "Mon Journal I" Paris 19o4; übers, v. Henriette u. Wolfgang Kühne.)
An einen Mathematiker:
Ihre Briefe zeigen mir nichts anderes als den Zusammenbruch Ihrer
Vernunft. Ja was denn, lieber Freund, Sie zweifeln an der Kirche, weil
es unwürdige Priester und Gläubige gibt, und dabei können Sie noch
nicht einmal wissen, wie es in Wahrheit um sie steht. Anders
ausgedrückt, Sie zweifeln an der Mathematik, weil Sie einen oder
meinetwegen sogar dreihundertsiebenundsiebzig Algebra- oder
Trigonometrielehrer kennengelernt haben, die Schweine waren.
Wahrhaftig, das ist doch einfach zu dumm, lassen Sie es mich Ihnen in
aller Liebe sagen, wie ich es so oft de Groux gesagt habe, das ist zu
billig, zu sehr Stil möblierter Herrn, kleine Familienpension,
Handlungsreisender in Petroleum oder Kuhhäuten. Alles kann verziehen,
entschuldigt, hingenommen werden, nur mittelmäßig darf man nicht sein.
Das ist einfach unmöglich. Sie sagen, Sie haben nie "einen Priester
kennengelernt, der Sie zu gläubigem Gehorsam hätte veranlassen können".
Warum sagen Sie mir so etwas, gerade mir, lieber Freund? Ich bin kein
Tischnachbar im Café, kein Bureauanges£ellter, kein Schutzmann, kein
Hauswart und schon gar nicht einer von den tiefsinnigen Schuhmachern,
deren Weisheit in Erstaunen versetzt. Sie müssen sich doch eigentlich
etwas geschämt haben, als Sie diese Worte schrieben. Ich habe Priester
gekannt, die bewunderungswürdige Männer waren, ich kenne auch heute
noch solche, und ich werde immer wieder welche kennenlernen, die nur
die Herrlichkeit Gottes, das Heil der Seelen, die Predigt der
Frohbotschaft für die Armen im Sinn haben. Wir sind so tief gesunken,
daß solche Worte grotesk geworden sind, aber ich scheue mich nicht, sie
hinzuschreiben...
Einwände aus dem Gefühl heraus haben nicht den geringsten Wert. Haben
wir die Pflicht, Gott und der Kirche zu gehorchen, ja oder nein? Hierin
liegt alles, Von diesem ganz einfachen Gesichtspunkt aus ist der
Priester nichts anderes als ein Werkzeug der Übernatur, ein Erzeuger
des Unendlichen, und man muß ein Esel sein, um es anders zu sehen, denn
all dieses spielt sich im Absoluten ab und muß sich dort abspielen.
Seit mehr als dreißig Jahren höre ich die Messe von mir unbekannten
Priestern lesen, und ich beichte Priestern, von denen ich nicht weiß,
ob sie Heilige sind oder Mörder. Bin ich denn ihr Richter, und wie
albern wäre ich, wenn ich erst Erkundigungen über sie einziehen wollte?
Es genügt mir, zu wissen, daß die Kirche göttlich ist, daß sie gar
nichts anderes als göttlich sein kann, und daß die Sakramente genau
dieselbe Wirksamkeit haben, ob sie nun von einem schlechten Priester
gespendet werden oder von einem Heiligen.
Ist es nicht zum Heulen, lieber Freund? Ich bin hier, bei Kamelen,
allen Qualen ausgeliefert und muß Ihnen, einem Katholiken, in einem
Brief diese Anfangsgründe auseinandersetzen, die schon jeder gebildete
Häretiker von Rechts wegen kennen sollte, es ist trostlos...
Hier noch eine ganz einfach Bemerkung, die, glaube ich, Ihren Geist
ansprechen muß, denn sie hat etwas Mathematisches an sich. Die
protestantische Welt um mich herum ist unbestreitbar häßlich,
mittelmäßig, so weit des Absoluten entblößt, wie es nur sein kann. Was
ist der besondere Charakter dieser Welt hier? Es ist die Ausschließung
des Übernatürlichen, es ist das vom Christentum ausgeschlossene
Übernatürliche, das heißt, die unlogischste und widersinnigste Idee,
die jemals in ein menschliches Gehirn dringen konnte. Und die Folge
davon: Verachtung des Priesterstandes, Herabwürdigung der
priesterlichen Funktion, außerhalb deren das Übernatürliche nicht
greifbar gemacht werden kann. Ohne die Macht zu konsekrieren, zu lösen
und zu binden, verschwindet das Christentum, um in den Ställen Luthers
und Calvins einem verächtlichen Nationalismus Platz zu machen, der
zweifellos noch tiefer steht als der Atheismus. Der katholische
Priester ist zu einem solchen Amt berufen, daß die Erhabenheit seines
Standes auch dann leuchtend hervorbricht, wenn er selbst unwürdig ist.
Auch ein verbrecherischer Priester, ein Priester, der, wenn man will,
die umfassendste Verdammnis verdient, hat noch die Macht, die Wandlung
zu vollziehen!... Wie kann man diese unendliche Schönheit nicht spüren? |