AUS EINEM SCHREIBEN
AN HERRN BUNDESFAMILIENMINISTER DR. HEINER GEISSLER
(aus: "Medizin und Ideologie", 4.Jg. Nr.2; hrsg.v. Dr.med. S. Ernst)
29.11.1982, Säntistr. 16, 79oo Ulm
Betr.: Ihre Erklärung zum § 218 StGB.
Sehr geehrter Herr Minister,
Ihre Erklärungen zum § 218 betr. der Weiterfinanzierung der
sog."sozialen" Indikationsabtreibungen durch die Pflichtkrankenkassen,
hat gerade beim aktiven Teil der CDU Verbitterung und Enttäuschung
verursacht. Ihre Antwort an die Schwäbische Zeitung zeigt uns in
besonderem Maße, daß Sie offensichtlich für den entscheidenden Teil
dieses Skandals überhaupt kein Gespür haben.
Wenn Sie meinen, daß man diese "Kürzungen" nicht auch noch
psychologisch und wahltaktisch verkraften könne, nachdem man schon das
Kindergeld gekürzt habe, - also sozusagen den Frauen diese
Ausweichmöglichkeit lassen müsse bis sich die "sozialen Bedingungen"
der Gesellschaft geändert hätten, so zeugt diese Meinung davon, daß Sie
offensichtlich das Hauptanliegen der Krankenkassenmitglieder und Ärzte
bei dieser Mitfinanzierung der Massentötungen überhaupt nicht berührt,
nämlich die Frage des Gewissens derjenigen, die Tötung finanzieren
müssen!
Ich weiß nicht, ob Sie sich überhaupt vorstellen können, welche
Reaktion Sie damit gerade bei den wirklichen Christen verursachen, bei
denen Ihre Reden von der moralischen Erneuerung damit vollkommen
unglaubwürdig geworden sind! Denn ein Familienminister, der sich dafür
öffentlich einsetzt, daß Tötungen von ungeborenen Kindern ohne jeden
zwingenden ärztlichen Grund durch die Mitglieder der
Pflichtkrankenkassen finanziert, durch die Ärzteorganisationen
ausbezahlt und von den Arbeitgebern und Betrieben mitgetragen werden
müssen, ist selbst untragbar als CDU Mann.
Wir haben bereits bei unserer Einladung nach Speyer, Sie auf den
Skandal hingewiesen, daß die "legalen" Abtreibungen ja nur noch zu
einem geringen Prozentsatz, der vermutlich bei ca. 3o% liegen dürfte,
nach Wiesbaden gemeldet werden. Denn welcher Tötungsmediziner würde so
verrückt sein, daß er die Zahl seiner Massentötungen genau meldet, wenn
es verboten ist, den Namen der Abtreiberin zu nennen und in den letzten
6 Jahren niemand jemals nachkontrolliert hat, ob die Meldungen
ordnungsgemäß gemacht werden, weil ja niemand eine Möglichkeit zur
Kontrolle hat. Die automatische Folge ist natürlich, daß die Zahl der
gemeldeten Abtreibungen ständig zurückgehe während die
Krankenkassenkosten für diese Tötungen immer höher klettern. Dabei
werden mit Sicherheit auch noch viele Abtreibungen unter "Abrasio" oder
ähnlichen Positionen laufen.
Das Verbot der Finanzierung von "sozialen" Tötungen würde natürlich
einen gewissen Umsteigeeffekt in "pseudomedizinische" Indikationen
auslösen. Aber hier hätte der Vertrauensarzt der Kassen zum mindesten
die Möglichkeit, die Diagnosen im Einzelfall nachzuprüfen.
Wir machten Sie auf die verheerenden Folgen der bereits entstandenen
Abtreibungsmentalität einer Lebenswegwerfgesellschaft aufmerksam und
insbesondere auf die Beseitigmg der gesamten ärztlichen Standesethik,
weil es für den Arzt nichts Schwerwiegenderes gibt, als absichtlich zu
töten und bisher gesunde Frauen künstlich krank zu machen. Eine
Ärzteschaft aber ohne Standesethik ist das mit Schlimmste, was einem
Volk passieren kann und ein Gesundheitsminister, der von "Moral" redet,
müßte doch wenigstens den Mund halten, wenn er schon glaubt, daß er den
Skandal nicht ändern könne!
Wir haben Ihnen deshalb angeboten, in Speyer zu der Frage der
Erneuerung auch der ethischen Grundlagen der Heilberufe zu sprechen.
Wir verstehen heute, daß Sie gar nicht die Absicht hatten, an dem
derzeitgen für das Arzttum tödlichen, Zustand etwas zu ändern. Damit
haben Sie sich aber auch als Gesundheitsminister einer CDU Regierung
unmöglich gemacht.
Die Landessynode der Evangelischen Kirche von Württemberg hat eben in
ihrer Novembertagung einen Antrag an die EKD und den Oberkirchenrat
weitergeleitet, in dem wir fordern, daß die Kirchenleitung sich an das
Feststellungsverfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der
Krankenkassenfinanzierung von sozialen Tötungen anhängt, weil ja selbst
die Kirchen als Arbeitgeber gezwungen werden, angesichts der sehr
großen
Zahl weiblicher Angestellter bei den durch solche sozialen Tötungen
eintretenden Arbeitsunfähigkeiten diese Verbrechen mitzufinanzieren.
Der Vorsitzende des Rechtsausschusses der Evang. Landessynode,
Landesgerichtspräsident Dr. Knoll, hielt dabei eine Rede über den
unglaublichen juristischen "Skandal", der durch das derzeitige Gesetz
entstanden ist. Landesbischof v. Keler wandte sich ebenfalls mit
außerordentlicher Intensität gegen diese ganze Abtreibungspraxis.
Sie, Herr Minister und Generalsekretär der CDU, haben mit Ihren
Äußerungen in der Öffentlichkeit alle Christen innerhalb der CDU in den
"Status Confessionis" gegen die CDU bzw. ihren Generalsekretär und
Familien- und Gesundheitsminister gezwungen.
Wenn man schon das heiße Eisen - im Gegensatz zur FDP und SPD - als
Wahlkampfthema vermeiden wollte, was eine Riesendummheit ist, dann
hätte man darüber den Mund halten sollen, so wie Franz Josef Strauß,
der immer noch nicht begriffen hat, daß Norddeutschland nur deshalb
fürchten muß, daß das Abtreibungsthema der CDU Stimmen kostet, weil
dort niemand die Menschen über das Wesen der Abtreibung aufgeklärt hat
und niemand den Leuten klarmachte, welche Schweinerei sie mit ihren
Krankenkassenbeiträgen finanzieren müssen.
Dort, wo man dies machte, wie in zahlreichen Städten des Südens, schlug
dieses Thema immer positiv für die CDU zu Buche. Das Reden allein über
die Wirtschaft hat in der Vergangenheit schon immer zur Pleite geführt
und wird es erst recht am 6. März, wenn die wirtschaftliche Krise immer
stärker wird und die CDU keine schnell wirkende Antwort auf die
Probleme geben kann.
Wenn aber ein Familienminister einen Zustand öffentlich rechtfertigt,
bei dem jedes 3.-4. deutsche Kind zur Zeit vor der Geburt liquidiert
wird, hat er sich unmöglich gemacht.
Sie haben damit die mögliche Absicht von Bundeskanzler Kohl, dieses
Thema auszuklammern, dazuhin durchkreuzt, weil Sie uns alle zwingen,
nun auf die Barrikaden gegen den CDU Generalsekretär in der
Öffentlichkeit zu gehen. Die Abtreibungsfrage ist nun durch Sie zum
Wahlkampfthema geworden. Damit bleibt der CDU überhaupt kein anderer
Weg, als daß Sie selbst als Familienminister zurücktreten und wir die
Beseitigung der Krankenkassenfinanzierung, der Lohnfortzahlung und der
Abrechung dieser Massenliquidationen durch die Körperschaften
öffentlichen Rechtes, die Kassenärztlichen Vereinigungen zum
offiziellen Wahlkampfthema machen .... |