"'Liberale' Gesinnung galt mehr als Gemeinwohl"
Im Gespräch:
Der Soziologe Robert Hepp
Interviewer: Moritz Schwarz
Vorwort der Redaktion:
Als wir 1986 Prof. Hepps Artikel „Der Bevölkerungsrückgang als soziale
Errungenschaft“ (EINSICHT vom Nov. 1986 - 16. Jahrg, Nr. 4, S. 92 ff.)
über die demographische Entwicklung in Deutschland - geprägt durch
jährlich 300.000 Abtreibungen und durch den „Pillenknick“ -
veröffentlichten, war man überhaupt noch nicht willens, die sich
anbahnende Katastrophe hinsichtlich der Geburtenrate und den sich
daraus für die vielschichtige Entwicklung ergebenden Folgen zur
Kenntnis zu nehmen. Prof. Hepp wurde damals wegen seiner düsteren
Aussichten als Rechtsradikaler verketzert. Heute, nach zwanzig Jahren
von Hepps Publikation hat die Wirklichkeit ihm Recht gegeben und uns
Deutsche eingeholt. Sein Zahlenwerk gilt heute als völlig seriös. Nun
hat Prof. Hepp in einem Interview, welches er der JUNGEN FREIHEIT gab,
erneut die demographische Situation beschrieben. Sein Resumee wollen
wir Ihnen, verehrte Leser, nicht vorenthalten. (Der Abdruck geschieht
mit der freundlichen Genehmigung des Autors.)
E. Heller
***
Moritz Schwarz: Herr Professor Hepp,
in letzter Zeit hat ein atemberaubender Wandel in der Debatte um
Zuwanderung und Integration, "multikulturelle Gesellschaft" und die
demographische Katastrophe stattgefunden. Die meisten
Debattenteilnehmer aus Politik, Öffentlichkeit und Medien erwecken
allerdings den Eindruck, als hätte man nicht ahnen können, welche
Folgen die über Jahrzehnte verfolgten gesellschaftlichen und
politischen Konzepte einmal haben würden. Man tut so, als hätte es
Warner wie Sie nicht gegeben.
Hepp: Es ist in der Tat erstaunlich, plötzlich sprechen alle von diesen
Problemen. Man hat fast den Ein??druck, es gebe nichts, was unsere
Landsleute mehr bekümmert. Beispiel Geburtenrückgang: Nach einer
Umfrage des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung mit dem Titel
"Population Policy Acceptance Study" sind 84 Prozent der Deut?schen vom
Rückgang der Geburtenzahlen alles andere als entzückt.
Ausgerechnet Sie sagen heute: "Das ist doch kein Thema mehr!"
Hepp: Daß heute alle Welt davon redet, wäre für mich schon Grund genug,
nicht mehr davon zu sprechen Ich überlasse es gern anderen, Eulen nach
Athen zu tragen, zumal in der Dämmerung, wenn die Eule der Minerva
ihren Flug beginnt. Dann ist es bekanntlich zum Handeln immer schon zu
spät.
Ist der Geburtenrückgang etwa zu spät erkannt worden?
Hepp: Heute hört man in der Tat oft, der Geburtenrückgang sei leider zu
spät bemerkt worden. In Wirklichkeit wurde er durchaus rechtzeitig
bemerkt, man hat daraus nur keine Konsequenzen gezogen. Als sich der
demographische Niedergang der Bundesrepublik abzuzeichnen begann - seit
1971 wurde bei der deutschen Bevölkerung ein Geburtendefizit
registriert, und seit 1975 lag ihre Geburtenziffer mit weniger als 1,4
Geburten pro Frau durchweg um ein Drittel unter dem erforderlichen
Reproduktionsniveau von durchschnittlich 2,1 Geburten -, erschien eine
ganze Reihe von Schriften, die vor den fatalen sozialen Folgen des
Geburtenrückgangs warnten. Etliche schockierten die Öffentlichkeit
damals schon mit Titeln, die mit der rhetorisch gemeinten Frage
aufwarteten, ob die Deutschen zum Aussterben verurteilt seien. Der
Geburtenrückgang wurde schließlich sogar zum Auslöser einer
Wiederbelebung der Bevölkerungswissenschaft in Deutschland, die nach
1945 einer blindwütigen Entnazifizierung zum Opfer gefallen
Bitte? Sie haben die Tabuisierung einer Bevölkerungspolitik in den siebziger und achtziger Jahren doch immer wieder beklagt!
Hepp: Schon im Februar 1973 wurde zum Beispiel auf Initiative der
Deutschen Gesellschaft für Bevölkerungswissenschaft, die dem Thema
mehrere ihrer Jahrestagungen widmete, vom FDP-Innenminister Werner
Maihofer unter ausdrücklicher Berufung auf die Notwendigkeit der
Erforschung von Ursachen und Folgen des Geburtenrückgangs ein
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung eingerichtet, das die
Regierung beraten sollte. Und seit Anfang 1975 gab dieses Institut auch
eine eigene Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft heraus, in der das
Thema einen breiten Raum einnahm. In der Ansprache zur Eröffnung des
Bundesinstituts sagte sein Direktor, die Tatsache, daß die
Bundesrepublik die niedrigste Geburtenziffer ihrer Geschichte und wohl
auch die niedrigste der Welt aufweise, habe in der Öffentlichkeit eine
breite Diskussion ausgelöst. Er meinte jedoch, unter Hinweis auf die
Schreckensrufe aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in
denen uns ver?meintlich schon einmal ein Volkstod gedroht habe,
unbe?dingt vor "überhöhten Äußerungen" und "wilden Spekulationen"
warnen zu müssen. Das ist für die Behandlung des Themas in diesen
Jahren bezeichnend! Und tatsächlich war dem Institut von der Regierung
offenbar vor allem die Funktion zugedacht, die Öffentlichkeit zu
beruhigen und die Situation zu bagatellisieren. Tatsächlich antwortete
die sozialliberale Regierung in den Jahren 1975 und 1977 auf
wiederholte Anfragen der Opposition, sie sei nicht der Meinung, daß die
deutsche Bevölkerungsentwicklung einen Anlaß zu größten Besorgnissen
gebe. In ihrer Antwort auf eine Umfrage der Vereinten Nationen räumte
sie im Jahr 1976 zwar ein, daß die Wachstumsrate der deutschen
Bevölkerung und ihr Fruchtbarkeitsniveau "nicht zufriedenstellend"
seien, verneinte aber gleichzeitig die Frage, ob sie eine "formulierte
Politik" mit dem Ziel habe, "die Auswirkungen der Fruchtbarkeit auf die
Wachstumsrate der Bevölkerung zu beeinflussen".
Was war der Grund, daß unsere Regierungen sich so beharrlich weigerten, etwas zu unternehmen?
Hepp: Die Hauptgründe waren rein ideologischer Natur, in erster Linie
eine vage "liberale" Gesinnung, die man für demokratisch hielt. Der
Staat, hieß es allgemein, dürfe nicht "in die Schlaf?zimmer
hineinregieren"; das "generative Verhalten" der Bürger sei ihre höchst
private Angelegenheit. Der damalige Leiter der Planungsabteilung des
Bundeskanzleramtes unter Helmut Schmidt, ein gewisser Albrecht Müller,
für den "'Bestandserhaltung' ein Begriff aus der Viehhaltungsstatistik"
war, pflegte den Befürwortern bevölkerungspolitischer Maßnahmen
vorzuwerfen, sie seien noch in "völkisch-kollektivistischen
Vorstellungen" befangen. Für diese Leute gab es in der Tat kein
Gemeinwohl und kein nationales Interesse, sie meinten, die Politik habe
nur für die maximale Entfaltungsfreiheit der Bürger zu sorgen. In der
zitierten Antwort auf die Uno-Umfrage begründete die sozialliberale
Regierung ihre bevölkerungspolitische Zurückhaltung damit, daß das
niedrige Fruchtbarkeitsniveau gegenwärtig im allgemeinen zum Wohl der
Familie beitrage, indem es das Erreichen der gewünschten Kinderzahl
ermögliche und "partnerschaftliche Ehestrukturen" sowie "die
Wahrnehmung eigenen Lebenschancen der Frau" begünstige. Die Regierung
spielte damit auf ihre Reform des Ehe- und Familienrechts und auf die
Reform des Paragraphen 218 an. Da damit die Hauptursachen des deutschen
Geburtenrückgangs benannt sind, kann man sagen, daß die deutsche
Regierung den Geburtenrückgang aus ideologischen Gründen begrüßte. Und
da es in dieser Zeit noch möglich gewesen wäre, den Geburtenrückgang
"rückgängig" zu machen, mache ich die sozialliberale Ideo?logie
hauptsächlich für das Desaster verantwortlich. Ich erinnere an meine
Kritik, die ich mit der Formel vom "sozialen Aufstieg in die nationale
Dekadenz" zusammenfaßte.
Sie haben zum Beispiel 1982
kritisiert, daß in der Regierungserklärung Helmut Kohls kein Hinweis
auf eine Bevölkerungspolitik zu finden war. Was hätte man damals tun
können, um die Katastrophe abzuwenden?
Hepp: Unter denen, die sich an den Diskussionen über Maßnahmen zur
Bekämpfung des Geburtenrückgangs beteiligen, war ich einer der wenigen
- es dürften nicht viel mehr als eine Handvoll gewesen sein -, die für
eine "pronatalistische" Bevölkerungspolitik eintraten. Damit ist eine
Politik gemeint, die eine Veränderung des generativen Verhaltens der
Deutschen, eine Anhebung ihrer Fruchtbarkeit auf das zur
Selbsterhaltung erforderliche Niveau, bewirken sollte. Wenn dies damals
gelungen wäre, wäre die heutige Elterngeneration um ein gutes Drittel
stärker, und es würde auf absehbare Zeit keine ernstlichen
Rentenversicherungs-, Krankenversicherungs- und
Pflegeversicherungsprobleme geben. Wir hätten auch weitgehend auf die
teure Einfuhr und Integration von Ausländern verzichten können.
Mußten Sie nicht fürchten, daß eine
pronatalistische Politik durch die Bevölkerungspolitik des Dritten
Reiches, die ja auch nicht besonders erfolgreich war, als diskreditiert
gelten würde?
Hepp: Die bloße Tatsache, daß Adolf Hitler etwas für richtig hielt, war
für mich noch nie ein Grund, es unbesehen für falsch zu halten. Im
übrigen will ich hier nicht erörtern, ob die Legende von der
Wirkungslosigkeit der national-sozialistischen Bevölkerungspolitik
einer unbefangenen Untersuchung standhalten würde. Ich halte sie für
falsch. Im Unterschied zu dem demographischen Starberater der
sozialliberalen Bundesregierungen jener Jahre, einem gewissen Dr.
Hermann Schubnell, der seinen Doktortitel im "Tausendjährigen Reich"
mit einer linientreuen pronatalistischen Arbeit erworben hatte und
daher in der Bundesrepublik von einer solchen Bevölkerungspolitik nur
abraten konnte, weil er sonst schnell als "Altnazi" dekuvriert und als
Regierungsberater abserviert worden wäre, hatte ich als
Nachkriegsdeutscher gegenüber einer solchen Bevölkerungspolitik zwar
keine Berührungsängste, aus meiner Sicht mußten die Mittel, die im
Deutschen Reich der dreißiger Jahre noch mit Erfolg eingesetzt werden
konnten, vierzig Jahre später in der ganz anderen sozialen
Konstellation der Bundesrepublik allerdings weitgehend versagen.
Gab es für Sie andere erfolgreiche Modelle?
Hepp: Ich wies vor allem auf das Beispiel der erfolgreichen
Bevölkerungspolitik Frankreichs hin, dessen Geburtenziffern nur wenig
unter dem Reproduktionsniveau lagen. Ich hatte meine demographischen
Kenntnisse während eines Studiums in Frankreich erworben. Da florierte
die Demographie als Hilfswissenschaft einer Politik, die das Land aus
dem demographischen Niedergang herausgeführt hatte, der mit
wiederholten Geburtendefiziten bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts
begonnen hatte und dem man die militärische Niederlage im Zweiten
Weltkrieg zuschrieb. Da es den Franzosen tatsächlich mit einem Bündel
pronatalistischer Maßnahmen gelungen war, eine Wende in ihrer
Bevölkerungsentwicklung herbeizuführen, die zu Beginn des Jahrhunderts
niemand für möglich gehalten hätte, gab ich mich eine Zeit lang der
Hoffnung hin, daß vielleicht auch in Deutschland noch ein solcher
Umschwung zu schaffen sei, wenn man dafür nur tüchtig die Werbetrommel
rührte.
Sie begannen damals für diese Sache
"durch die Lande zu ziehen" und malten, wie Sie einmal gesagt haben,
"die drohende Bevölkerungsschrumpfung und Überalterung anhand
statistischer Modellrechnungen im Stil eines alttestamentarischen
Unheilspropheten an die Wand".
Hepp: Ich habe versucht, die Leute davon zu überzeugen, daß es nur ein
aussichtsreiches Rezept gäbe: die Anhebung der Fruchtbarkeit auf 2,1
Geburten pro Frau. Ich wollte zu diesem Zweck auch eine Verschärfung
des Paragraphen 218 - natürlich in Abstimmung mit den benachbarten
europäischen Staaten - nicht ausschließen, falls die anderen in
Frankreich mit Erfolg angewandten pronatalistischen Maßnahmen,
besondere Prämien für dritte und weitere Kinder, Steuertarife nach
Kinderzahl etc., in Deutschland nicht greifen sollten. Irland mit
seinem rigorosen Abtreibungsverbot war schließlich schon in den
achtziger Jahren das einzige Land der EG mit Geburtenziffern, die sich
noch sehen lassen konnten. Und wenn man bei uns die Abtreibungen und
die Geburten addierte, gab es auch in Deutschland statistisch kein
Geburtendefizit mehr.
Statt zu mehr Geburten kam es aber zu mehr Einwanderung.
Hepp: Rein statistisch betrachtet konnten die Lücken, die der
Geburtenrückgang hinterließ, ebensogut durch die Anlockung Fremder
geschlossen werden wie durch den "natürlichen" Zuwachs eigener
Geburten. Und da sich die Bundesregierung für diese Alternative
enschieden hatte, mußte ich mich notgedrungen auch mit ihrer
"Wanderungspolitik" auseinandersetzen. Im Endeffekt spitzte sich also
meine Argumentation auf die Demonstration der Überlegenheit einer
pronatalistischen Bevölkerungspolitik über die Wanderunpolitik zu.
Was Sie allerdings erst recht in Verruf gebracht hat.
Hepp: Über die Reaktion des linksliberalen Establishments brauche ich
mich wohl nicht auszulassen. Im akademischen Raum blies mir von Anfang
an ein scharfer Gegenwind ins Gesicht. Das Konzil der Universität
Osnabrück etwa war nur durch einen Gerichtsbeschluß daran zu hindern,
meine "frauen- und ausländerfeindlichen Irrlehren" anzuprangern.
Einzelne Kollegen veranstalteten Kolloquien und Pressekonferenzen, in
denen sie sich von mir distanzierten. Mein Dienstherr meinte mich zur
Verfassungstreue ermahnen zu müssen und ließ mich per Zeitung wissen,
daß er meine Aktivitäten "auf das genaueste" observiere. Wenn ich zu
Gastvorlesungen an anderen Universi?täten eingeladen war, wurde ich
gewöhnlich von einem Pulk von Chaoten in Empfang genommen und mit
Gewalt am Vortrag gehindert. Da hagelte es faule Eier und Tomaten. Das
war zwar recht lustig, aber effektiv war es nicht.
Wie war das Echo auf der anderen Seite des politischen Spektrums?
Hepp: Das Ziel einer Änderung des generativen Verhaltens wurde
allenfalls von einigen alten Konservativen, die sich selber nicht mehr
davon betroffen fühlten, mit Beifall aufgenommen. Die elitäre Rechte
hat sich allerdings über den "Gebärprediger" Hepp eher lustig gemacht.
Die Verächter der Masse brachten unverhohlen ihre Freude darüber zum
Ausdruck, daß nach Jahrhunderten eines hemmungslosen proletarischen
Bevölkerungswachstums endlich die Zeit des "Gesundschrumpfens"
angebrochen sei. Auch die Befunde des Ethologen Paul Leyhausen - über
das mit steigender Bevölkerungsdichte zunehmende asoziale Verhalten
wilder Tiere - wurden mir in diesen Kreisen oft unter die Nase
gerieben. Und schließlich spielten dort auch ökologische Argumente eine
große Rolle. Das Nullwachstum war nicht nur die Lieblingsidee der
Linken. Im Bürgertum war die vorherrschende Grundstimmung ohnehin
malthusianisch. Es mag sein, daß ich mich irrte, aber ich hatte bei den
Diskussionen über meine Vorschläge immer den Eindruck, daß ich es mit
einer Gesellschaft zu tun hatte, die sich zur Ruhe begeben wollte. Daß
sich das Land vor der Alternative "wachsen oder altern" - und etwas
anderes gibt es für eine Bevölkerung nicht - letztlich für das Altern
entschieden hat, war meines Erachtens in der morosen Mentalität dieser
Jahre schon vorgezeichnet. Von einer Revitalisierung der Deutschen, wie
sie mir vorschwebte, konnte unter diesen Umständen nicht mehr die Rede
sein.
Dennoch beunruhigten einige Menschen immerhin Ihre Prognosen zur Einwanderung.
Hepp: Wirklich angekommen bin ich beim Publikum nur mit meinen
Argumenten gegen die Wanderungspolitik, die ich ursprünglich lediglich
als Kontrastmittel zur Unterstützung meiner Haupforderung in mein
Repertoire auf?genommen hatte. Das Thema machte sich aber selbständig.
Wenn ich zu Diskussionen im Fernsehen eingeladen wurde, bei denen es um
Probleme der deutschen Bevölkerungentwicklung gehen sollte, wurde unter
der stillschweigend von allen akzeptierten Prämisse, daß gegen den
Geburtenrückgang nichts mehr zu machen sei, immer nur über die mit der
Wanderungspolitik zusammenhängenden Ausländerprobleme und über die
"Ausländerfeindlichkeit" der Deutschen diskutiert.
Immerhin wurden Sie in den achtziger Jahren recht häufig ins Fernsehen eingeladen.
Hepp: Ja, ich diente dort aber nur als Anheizer, der die übrigen
Teilnehmer - lauter handverlesene Gutmenschen, unter denen der
Streitgegenstand im Grunde unstrittig war - in Rage versetzen sollte,
damit sie keine gar zu langweilige Show ablieferten. Ich habe die Posse
lange mitgespielt. Als mir schließlich bei einer Runde im NDR der
Kragen platzte, haben alle Sendeanstalten wie auf Kommando auf weitere
Gastspiele verzichtet. Ich war darüber nicht unglücklich, denn das
immer gleiche Stück hatte allmählich, wie der Berliner sagt, "einen
Bart mit Dauerwellen". Und der politische Effekt war gleich Null.
Warum aber sagen Sie heute, der
Geburtenrückgang sei für Sie kein Thema mehr? Vielleicht könnten Sie
mit neuen Vorschlägen nun eine bessere Wirkung erzielen?
Hepp: Sie meinen, ich sollte ebenfalls kostenlose Kinderkrippenplätze
und steuerfreie Tagesmütter für die Einzelkinder akademischer
Doppelverdiener fordern?
Damals warben Sie dafür, daß der
Staat potentielle Eltern mit materiellen Anreizen zum Kinderkriegen
animiert. Die Wirkung dieser Anreize ist allerdings von der
Bedürfnisstruktur und dem Lebensstandard der Adressaten abhängig.
Könnte es also nicht durchaus gelingen, mit Hilfe unentgeltlicher
Kinderkrippen und steuerlich absetzbarer Tagesmütter kinderlose
Akademikerinnen auf andere Gedanken zu bringen?
Hepp: In den siebziger und achtziger Jahren war die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf noch kein aktuelles Problem. Diese Frage ist
überhaupt erst mit der späteren Haushaltsrevolution virulent geworden,
die durch die Kumulation mehrerer Einkommen in einem Haushalt völlig
neue Aufstiegschancen und Abstiegsrisiken eröffnete. Ich bezweifle im
übrigen auch, daß die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf heute
der Königsweg zu einer höheren Fertilität ist. Die Makrostatistik
spricht jedenfalls nicht unbedingt dafür. In Schweden, das immer noch
als Paradebeispiel gilt, weil die Geburtenziffer dort im Jahr 1990
trotz einer hohen Frauenerwerbsquote - über 80 Prozent der 25- bis
50jährigen - bei 2,14 Kindern angekommen war, ist die Ziffer inzwischen
auf 1,5 heruntergegangen. Frankreich hat bei einer vergleichbaren
Betreuungsinfrastruktur eine niedrigere Frauenerwerbsquote und trotzdem
eine höhere Fertilität. Oder, um im Lande zu bleiben: Brandenburg kann
mit einem deut?lich besseren Krippenangebot aufwarten als Bayern, aber
in Bayern liegt die Geburtenziffer trotzdem noch um einiges höher. Ich
will nicht ausschließen, daß das Modell unter bestimmten Umständen
funktionieren könnte. In Island beispielsweise mit einer - anno 2000 -
Frauenerwerbsquote von 80 Prozent und stolzen 2,08 Kindern pro Frau (im
Jahr 2003 noch 1,99) scheint es zu funktionieren. Die Zusammenhänge
sind aber jedenfalls komplexer, als Lieschen Müller - oder Ursula von
der Leyen - meint.
Diese Zusammenhänge könnten Sie ja
berücksichtigen und so eine überzeugende Alternative zu Konzepten à la
von der Leyen ins Spiel bringen.
Hepp: Als ich mich noch für eine geburtenfördernde Politik stark
machte, lag der durchschnittliche Kinderwunsch noch über dem
Reproduktionsniveau und weit über den realisierten Geburten. Und die
Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit war aus sozialer
Perspektive die beste Rechtfertigung einer pronatalistischen
Bevölkerungspolitik, die die Barrieren zu beseitigen versprach, die der
Verwirklichung des Kinderwunsches der Bürger entgegenstanden. Heute
liegt der durchschnittliche Kinderwunsch der 18- bis 39jährigen
Deutschen nach einer Eurobarometer-Umfrage von 1999/2000 weit unter dem
Reproduktionsniveau, ziemlich dicht bei der tatsächlich realisierten
Zahl der Geburten. Bei den deutschen Frauen im Alter von 18 bis 39
Jahren ist der durchschnittliche Kinderwunsch mit 1,52 einer der
niedrigsten in Europa! Und auch bei den deutschen Männern unter 35
Jahren ist er mit 1,31 der mit Abstand niedrigste. Unter solchen
Umständen dürfte jede noch so gut gemeinte "Familienpolitik" zum
Scheitern verurteilt sein.
Es wäre ja immerhin denkbar, daß das Kinderwunsch wieder auf ein höheres Niveau ansteigt.
Hepp: Das ist natürlich nicht völlig auszuschließen, aber bisher ist
immer behauptet worden, daß eine pronatalistische Bevölkerungspolitik
den Kinderwunsch an sich kaum beeinflussen könne, sondern allenfalls
dessen Erfüllbarkeit beziehungsweise den Zeitpunkt seiner Realisierung.
Zur Zeit wird in der Fachliteratur schon diskutiert, ob der niedrige
Kinderwunsch der Deutschen eine neue Etappe des Geburtenrückgangs
ankündige.
Fazit: Es ist für jede Beeinflussung des generativen Verhaltens durch materielle Anreize definitiv zu spät?
Hepp: Es gibt noch andere Gründe, die dafür sprechen, daß der
Geburtenrückgang nicht mehr "rückgängig" zu machen ist, ja daß es nicht
einmal mehr zu wünschen wäre, ihn "rückgängig" zu machen. Bei einer
Geburtenziffer, die seit nunmehr über dreißig Jahren unter 1,4 Geburten
pro Frau liegt, sind alle Kohorten der heute unter Dreißigjährigen -
gemessen an den durchschnittlich 2,1 Geburten -, die zur Reproduktion
der Elterngeneration erforderlich wären, bereits um ein gutes Drittel
zu gering ausgefallen. Da die Kinder, die in den siebziger und
achtziger Jahren nicht geboren wurden, heute als Eltern fehlen, könnte
auch ein künftiger Anstieg der Fruchtbarkeit auf das
Reproduktionsniveau - mit dem im Ernst niemand rechnet - die fatalen
Folgen des demographischen Regimes der letzten Jahrzehnte nicht
verhindern. Nach den Modellrechnungen des Statistischen Bundesamtes
wäre auch unter dieser Voraussetzung in Deutschland - selbst bei einer
jährlichen Nettoeinwanderung von 150.000 Ausländern - bis zur
Jahrhundertmitte noch ein Geburtendefizit und damit eine ständige
Abnahme der Bevölkerung zu verzeichnen.
Wobei der Begriff
"Bevölkerungsabnahme" nur die eine Hälfte des Problems beschreibt.
Damit einher geht schließlich automatisch eine "Überalterung".
Hepp: Ja, und die ließe sich selbst bei einem sofortigen Anstieg der
Fruchtbarkeit auf das Reproduktionsniveau nicht mehr verhindern. Es
handelt sich dabei um eine unvermeidliche Konsequenz der unzureichenden
Fruchtbarkeit der letzten drei Jahrzehnte. Nach der zitierten
Modellrechnung des Statistischen Bundesamtes wird der sogenannte
Altenquotient, der das Verhältnis der über 60jährigen zu den 20- bis
60jährigen angibt, bei der deutschen Bevölkerung - wenn man von
weiteren Einwanderungen absieht - bis zum Jahr 2050 von heute 43
Prozent auf 83 Prozent steigen. Bei einer geringen Steigerung der
Lebenserwartung könnte er sich sogar auf 100 Prozent erhöhen, so daß
also auf jeden potentiellen Erwerbstätigen ein potentieller Rentner
käme! Ich brauche nicht auszumalen, was das für die Renten- und
Krankenversicherungen bedeutet.
Der Bevölkerungswissenschaftler
Herwig Birg hat ausgerechnet, daß die Fruchtbarkeitsrate auf den
extremen Wert von 3,8 Kindern pro Frau steigen müßte, um die Zunahme
des Altenquotienten zu verhindern.
Hepp: Und das wäre eine Reproduktionsrate so hoch wie in Nicaragua und
Paraguay! Hinzu kommt, daß bei einem Fruchtbarkeitsanstieg der
Jugendquotient, der das Verhältnis der unter 20jährigen zu den 20- bis
60jährigen angibt und der nach der zitierten Modellrechnung bei
gleichbleibend niedriger Fruchtbarkeit bis zum Jahr 2050 von 38 Prozent
auf 33 Prozent fallen würde, bei einer Erhöhung der Fruchtbarkeit
ebenfalls ansteigen würde. Somit würde auf den "Tragkörper" der
"mittleren Generation", der durch den vorangegangenen Geburteneinbruch
geschwächt ist, nicht nur eine höhere Belastung durch Alte, sondern
gleichzeitig auch noch eine steigende Belastung durch Kinder und
Jugendliche zukommen. Es ist unvorstellbar, daß er dieser
Doppelbelastung standhalten würde.
Es ist also wirklich und wahrhaftig zu spät!
Hepp: Hier zeigt sich ein fatales Phänomen, das man in der Demographie
als das "Gesetz der Trägheit" bezeichnet. Die Zahl der Geburten hängt
eben nicht nur von der Fruchtbarkeit der Eltern ab, sondern auch von
der Zahl der Personen, die jeweils als Eltern in Betracht kommen.
Selbst ein Anstieg der Geburtenziffer auf die ideale Zahl von zwei
Kindern je Frau könnte daher nicht verhindern, daß die Bevölkerung noch
jahrzehntelang abnimmt und immer älter wird. Man kann eben auf diesem
Feld eine politische Fehlentscheidung nicht einfach revidieren. Hier
gilt wirklich, was für die sogenannte "Vergangenheitsbewältigung" nicht
unbedingt gelten müßte, daß der Herr "der Väter Missetaten heimsucht an
den Kindern bis in das dritte und vierte Glied", wie es in der Bibel
heißt.
Das klingt nun aber gar nicht
österlich. Was bleibt uns denn dann noch zu tun? Sie werden uns doch
nun nicht auch noch das Sauerbier der "Bestanderhaltungsmigration" als
die einzig mögliche Lösung der Probleme einer schrumpfenden und
alternden Bevölkerung anbieten wollen?
Hepp: Sie spielen auf die verrückte Uno-Studie an, die keine andere
Möglichkeit sieht, in Deutschland auf lange Sicht die Anhebung des
Rentenalters auf 77 Jahre und den Rückgang der Bevölkerung zu
vermeiden, als die Aufnahme von jährlich 458.000 Ausländern, womit der
Ausländeranteil bis 2050 auf 36 Prozent ansteigen würde. Es tut mir
leid, aber wir haben tatsächlich nur noch die Wahl zwischen der Pest,
der Cholera und dem Typhus! Meinhard Miegel und Stephanie Wahl haben
das bevölkerungspolitische Trilemma, vor dem wir stehen, schon vor
dreizehn Jahren in einem Buch mit dem schönen Titel "Das Ende des
Individualismus - Die Kultur des Westens zerstört sich selbst"
schonungslos dargelegt.
Danach haben wir grundsätzlich nur noch drei Optionen ...
Hepp: ... die alle mit Nachteilen verbunden sind.
Erstens: Wenn wir die Bevölkerungszahl Deutschlands bis 2050 bei 80
Millionen konstant halten wollen, müssen wir den Anteil der
Eingewanderten von 10 Prozent auf etwa 30 Prozent und den Anteil der
über 60jährigen von 20 Prozent auf ebenfalls etwa 30 Prozent anheben.
Zweitens: Wenn wir den Ausländeranteil bei 10 Prozent konstant halten
wollen, müssen wir bereit sein, eine Abnahme der Bevölkerungsgröße um
25 Prozent und eine Verdoppelung der über 60jährigen von 20 Prozent auf
40 Prozent hinzunehmen.
Drittens: Wenn wir den Anteil der über 60jährigen bei 20 Prozent
konstant halten wollen, müssen wir uns auf den Anstieg des
Ausländeranteils von 10 Prozent auf etwa 50 Prozent und eine Zunahme
der Bevölkerungsgröße auf über 100 Millionen akzeptieren.
Zu welcher Option raten Sie?
Hepp: Das ist nicht die Frage, sondern, für welche werden sich die
Deutschen entscheiden? Das Dumme dabei ist, daß die Mehrheit der
Deutschen alle drei Größen konstant halten möchte. Nach den Ergebnissen
der "Population Policy Acceptance Study" des Bundesinstituts für
Bevölkerungsforschung finden 84 Prozent den Rückgang des Anteils der
Jungen, also die Überalterung, schlecht; 82 Prozent sind für eine
Begrenzung des Ausländerzuzugs. Und nach einer von Miegel und Wahl
zitierten Umfrage aus dem Jahr 1989 war die Mehrheit der Befragten
sowohl gegen eine Zunahme als auch gegen eine Abnahme der Bevölkerung.
Alles zugleich geht aber nicht. Man kann nicht den Kuchen essen und das
Ei behalten.
Also bitte: Ihre Lösung! Ihren Ratschlag! Ihre Empfehlung!
Hepp: Es wird langsam Zeit, daß wir uns von luftigen Illusionen
verabschieden. Politik ist nach Bismarck die Fähigkeit, in jedem
wechselnden Moment der Situation das am wenigsten Schädliche zu wählen.
Wenn Sie's unbedingt wissen wollen: Ich bin für die Cholera.
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 16/06 14. April 2006
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