DIE PASTORAL-REGELN DES HL. PAPSTES GREGOR D. GR.
(übers, v. Benedikt Sauter O.S.B., Freiburg / Brsg. 19o4)
4. WIE UNTERGEBENE UND WIE VORGESETZTE ZU ERMAHNEN SIND.
Anders sind Untergebene, anders Vorgesetzte zu ermahnen: jene nämlich
so, daß ihre untergebene Stellung sie nicht mutlos, diese, daß ihr
Vorrang sie nicht übermütig macht; jene, daß sie in Erfüllung dessen,
was befohlen wird, nicht zurückbleiben, diese, daß sie nicht mehr, als
billig ist, zu erfüllen auferlegen; jene, daß sie demütig sich
unterwerfen, diese, daß sie mit Mäßigung vorstehen. Jenen ist gesagt,
was auch auf sie übertragen werden kann: "Ihr Kinder gehorcht euren
Eltern im Herren"; diesen aber wird befohlen: "Ihr Väter reizet eure
Kinder nicht zum Zorne" (Kol. 3,2o). Jene sollen lernen, wie sie vor
den Augen des verborgenen Richters ihr Inneres einzurichten haben;
diese, wie sie auch äußerlich den ihnen Anvertrauten das Beispiel eines
guten Lebens geben können.
Die Vorgesetzten sollen also wissen, daß sie, wofern sie etwas Böses
tun, sich ebenso oft des Todes schuldig machen, als sie das Beispiel
des Verderbens ihren Untergebenen vorhalten. Umso sorgfältiger müssen
sie daher vor jeder Schuld sich hüten, da sie durch das Böse, das sie
tun, nicht nur sich selbst den Tod zuziehen, sondern auch des Todes
anderer Seelen sich schuldig machen, die sie durch ihr böses Beispiel
zu Grunde richten. Während also jene, die Untergebenen, zu warnen sind,
damit sie nicht eine strengere Strafe treffe, wenn sie nicht einmal für
ihre eigene Person als schuldlos erkannt werden können, sollen dagegen
diese, die Vorgesetzten, ermahnt werden, auf daß sie nicht wegen der
Fehler ihrer Untergebenen gerichtet werden, auch dann, wenn sie sich
ihrer selbst wegen schon beruhigt finden. Die Untergebenen sollen umso
größere Sorgfalt auf ihr eigenes Leben verwenden, je weniger sie sich
um andere Sorge zu machen haben; die Vorgesetzten aber sollen sich so
um andere annehmen, daß sie darüber die Sorge um ihr eigenes Heil nicht
vernachlässigen; und so sollen sie vom Eifer in der Sorge für ihre
eigene Seele erglühen, daß sie darob nicht lau werden in der
Wachsamkeit über die ihnen Anvertrauten. Denn jenem, der für sich
selbst ungehindert Sorge tragen kann, ist gesagt: " Gehe zur Ameise, o
Fauler, und betrachte ihre Wege und lerne Weisheit" (Spr. 6,6). An den
andern aber ergeht die furchtbar ernste Mahnung: "Mein Sohn, wenn du
Bürge geworden bist für deinen Freund, so hast du einem Fremden deine
Hand gegeben; du bist durch deines Mundes Worte gebunden und gefangen
durch die eigenen Reden" (Spr. 6,1). Bürgschaft für einen Freund
leisten heißt, um die-Seele eines anderen sich annehmen auf die Gefahr
hin, wie er sich verhalten werde. Einem Fremden hat man da die Hand
gegeben, weil der Geist durch die Sorge um ein Anliegen, welche man
zuvor nicht hatte, sich bindet. Und durch seines eigenen Mundes Worte
ist man da gebunden und sozusagen in seiner eigenen Rede gefangen, weil
man, um für die Anvertrauten gut sprechen zu können, zuerst selbst
halten muß, was man gesprochen hat. Man wird also durch das Wort seines
eigenen Mundes gebunden, während man sonst vernünftigerweise zu nichts
anderem in seinem Leben verpflichtet ist, als was geboten wird. Der
Bürge ist vor dem strengen Richter überdies gezwungen, so viel im Werke
zu vollbringen, als er seinen Worten gemäß anderen sich verpflichtet
hat. Darum wird an jener Stelle sogleich die Ermahnung beigefügt und
gesagt: "Tu' also, was ich dir sage, mein Sohn, und rette dich selbst;
denn du bist in deines Nächsten Hand gefallen. Laufe, eile, wecke auf
deinen Freund. Gönne deinen Augen keinen Schlaf, laß nicht schlummern
deine Augenlider" (Spr. 6,3). Denn wer andern als Vorbild für das Leben
aufgestellt wird, dem gilt die Mahnung, nicht nur selbst zu wachen,
sondern auch seinen Freund aufzuwecken. Es genügt für ihn nicht, daß er
selbst durch ein gutes Leben wache, wenn er nicht auch den, dessen
Vorgesetzter er ist, aus dem Sündentaumel aufrüttelt. Mit Recht heißt
es deshalb: "Gönne deinen Augen keinen Schlaf, und laß nicht schlummern
deine Augenlider".
Schlaf gönnt man den Augen, wenn man von der Anstrengung abläßt und die
Sorge für die Untergebenen gänzlich vernachlässigt. Die Augenlider
schlummern, wenn unsere Gedanken unter dem Druck der Trägheit das nicht
weiter beachten, was sie doch tadelnswert an den Untergebenen erkennen.
Ein vollständiges Einschlafen aber ist es, wenn man die Handlungen
nicht mehr kennt, viel weniger sie bessert. Und nicht ein gewöhnliches
Schlafen, sondern ein fester Schlaf ist eingetreten, wenn man zwar
einsieht; was zu tadeln wäre, aber aus geistigem Überdruß es doch nicht
durch verdienten Vorhalt bessert. Das Auge verfällt also in den
tiefsten Schlaf, wenn der Vorgesetzte, welcher die erkannten Fehler
nicht abschneidet, infolge dieser seiner Nachlässigkeit zuletzt soweit
kommt, daß er die Fehler seiner Untergebenen gar nicht mehr sieht.
Die Vorgesetzten sind also zu ermahnen, daß sie mit umsichtigem Eifer
sowohl nach innen als nach außen wachsame Augen haben und jene lebenden
Wesen im Himmel nachahmen, von denen es heißt, daß sie ringsum sowie
nach innen voll Augen waren (Ez 1,18). Denn es geziemt sich, daß alle
Vorgesetzten innen und rings um sich Augen haben, damit sie sowohl in
sich selbst dem inneren Richter zu gefallen suchen, als auch nach außen
durch ihr Leben ein Beispiel geben und beachten, was an andern zu
tadeln ist.
Die Untergebenen sind zu ermahnen, daß sie das Leben ihrer
Vorgesetzten, wenn sie etwa dieselben tadelnswürdig handeln sehen,
nicht vermessentlich beurteilen, damit sie nicht, während sie nach
Verdienst das Böse tadeln, vom Stolze erfaßt, in tiefere Abgründe
versinken. Man muß sie also ermahnen, daß sie ob der Fehler, welche sie
an ihren Vorgesetzten beobachten, nicht keck gegen sie werden, sondern,
auch wenn jene Fehler bedeutend wären, so in ihrem Innern darüber
denken, daß sie aus Furcht vor Gott sich nicht weigern, das Joch der
Unterwürfigkeit mit Ehrerbietung zu tragen. Wir werden dies klarer
machen, wenn wir an einem Beispiel zeigen, wie David gehandelt. Als
nämlich sein Verfolger Saul zu einem Notbedürfnisse in eine Höhle
gegangen war, befand sich alldort David mit seinen Mannen, der schon
lange Zeit hindurch dessen Verfolgungen erduldet hatte. Als daher
Davids Leute ihn aufstachelten, seinen Feind Saul zu erschlagen, wies
David sie zurück, indem er entgegnete, er dürfe an den Gesalbten des
Herrn nicht Hand anlegen. Doch erhob er sich leise und schnitt ein
Stück von seinem Mantel ab (1 Kn 24,4).
Was anders wird durch Saul bezeichnet als die schlechten Vorgesetzten?
was anders durch David als die guten Untergebenen? Saul pflegt der
Leibesnotdurft. Solches tun die schlechten Vorgesetzten, wenn sie die
in ihrem Herzen erzeugte Bosheit in Werke von üblem Geruch umsetzen und
ihre bösen Gedanken in Taten öffentlich zur Schau stellen. Doch scheut
sich David, ihn zu erschlagen, weil die gottesfürchtigen Untergebenen
ihre Seelen vom Laster der üblen Nachrede frei halten und nicht mit dem
Schwerte der Zunge das Leben der Vorgesetzten richten, auch dann nicht,
wenn sie das Fehlerhafte an ihnen nicht gutheißen. Und wenn sie je
einmal aus Schwachheit sich nicht ganz enthalten können, über gewisse
Fehler der Vorgesetzten, die besonders weit gehen und nach außen
hervortreten, sich zu äußern, obgleich in aller Bescheidenheit, so
schneiden sie gleichsam leise ein Stück des Mantels ab; denn da sie das
Ansehen ihrer Vorgesetzten, obschon ohne Schaden und nur im geheimen,
beeinträchtigen, beflecken sie gleichsam das Gewand dessen, der als
König gesetzt ist. Sie kehren jedoch wieder in ihr Herz ein und machen
sich die bittersten Vorwürfe auch über das leiseste Tadelwort. Darum
heißt es daselbst treffend: "Hierauf schlug David an sein Herz, weil er
ein Stück vom Mantel des Saul geschnitten hatte" (1 Kn 24,6). Denn die
Handlungen der Vorgesetzten darf man nicht mit dem Schwerte der Zunge
richten, auch wenn sie mit Recht für tadelnswert erachtet werden. Haben
Untergebene gegen Vorgesetzte auch nur im mindesten mit der Zunge sich
vergangen, so muß ihr Herz, von Reueschmerz durchdrungen, wieder in
sich einkehren, so daß sie wegen ihres Vergehens gegen die
obrigkeitliche Gewalt das strafende Urteil dessen fürchten, der ihnen
die Vorgesetzten gegeben. Denn wenn wir gegen die Vorgesetzten uns
verfehlen, so widerstehen wir der Anordnung dessen, der sie über uns
gesetzt hat. Darum sprach auch Moses, als er das Murren des Volkes
gegen sich und Aaron vernahm: "Was sind wir denn? Nicht gegen uns geht
euer Murren, sondern gegen den Herrn" (Ex 16,8).
5. WIE DIE KNECHTE UND WIE DIE HERREN ZU ERMAHNEN SIND.
Anders muß man die Knechte, anders die Herren ermahnen: Die Knechte
sollen immer die Niedrigkeit ihrer Stellung im Auge behalten, die
Herren aber nie vergessen, daß ihnen die gleiche Natur wie den Knechten
anerschaffen ist. Die Knechte muß man ermahnen, daß sie ihre Herren
nicht verachten und nicht Gott durch stolze Auflehnung gegen seine
Anordnung beleidigen. Aber auch den Herren soll man es zu Gemute
führen, daß sie im Stolze sich gegen Gott gerade um seiner Gabe willen
erheben, wenn sie diejenigen nicht als von Natur aus Gleichgestellte
anerkennen, die durch ihren Stand ihnen Untertan sind. Jenen ist
beizubringen und einzuschärfen, daß sie Knechte ihrer Herren sind,
diesen aber, daß sie sich als Mitknechte ihrer Knechte betrachten.
Jenen wird gesagt: "Ihr Knechte, gehorcht den leiblichen Herren" (Kol
3,22). Und wiederum: "Die als Knechte unter dem Joche sind, sollen ihre
Herren für aller Ehre würdig erachten" (1 Tim 6,1). Für diese aber ist
das Wort: "Und ihr Herren, tut ihnen das Gleiche, und lasset ab von
Drohungen, wissend, daß ihr und euer Herr im Himmel ist" (Eph 6,9).
***
ZITAT:
WO UNGEHORSAM ZUR PFLICHT WIRD...
(aus der Enzyklika "Diuturnum illud" vom 29.6.1881 von Papst Leo XIII.:)
"Nur einen Grund haben die Menschen, nicht zu gehorchen, wenn nämlich
etwas von ihnen gefordert werden sollte, was dem natürlichen oder
göttlichen Gesetze offenbar widerspricht; denn nichts von all dem,
wodurch das Naturgesetz oder der Wille Gottes verletzt wird, ist zu
gebieten oder zu tun erlaubt. Kein Grund besteht, jene, die so handeln,
der Verweigerung des Gehorsams zu zeihen; wenn nämlich der Wille der
Machthaber Gottes Willen und Gesetzen widerspricht, dann überschreiten
sie ihre Machtbefugnis und zerstören die Gerechtigkeit; dann wird ihre
Autorität hinfällig, denn wo die Gerechtigkeit fehlt, da ist auch keine
Autorität." |