VOM LEID DER ANDEREN
(aus den Mitteilungen der IGFM - Frankfurt, Nov. 85, Nr.4.)
"DDR": Die Rache
Ein totalitärer Staat vergißt nichts, verzeiht nichts, er straft jeden
- auch einen Schwerkranken, der versucht, seine unmenschlichen
Verordnungen zu umgehen. Gisela Herrmann und ihre Familie sind eines
der zahlreichen Opfer. Frau Herrmann erfuhr einen schweren
Schicksalsschlag, als sie 1981 an Krebs erkrankte. Es folgten mehrere
schwere Operationen, bis hin zu der Entfernung einer Niere. Nach zwei
Jahren wurde sie als zu 8o % Schwerbehinderte nach Hause entlassen.
Aber ihr Mann und die Kinder halfen ihr, ihr Schicksal zu ertragen -
die Familie war trotz allem glücklich.
Als Invalidenrentnerin durfte Gisela Herrmann nun Verwandte und Freunde
im anderen Teil Deutschlands besuchen - und das tat sie auch. Bald
erkannte sie, daß es hier weit bessere Voraussetzungen für die
Behandlung ihrer Krankheit gibt als in der (sog., Anm.d.Red.) DDR.
Darum entschloß sie sich, nicht zurückzukehren. Diese schwerwiegende
Entscheidung teilte sie schriftlich ihrem Ehemann Rainer (47) und ihrem
zwölfjährigen Sohn Sven mit. Sie bat sie, zu ihr zu kommen. Für die
beiden gab es nur eine Entscheidung: die Frau und Mutter nicht alleine
zu lassen - zu ihr überzusiedeln. Rainer Herrmann hat nicht erwartet,
daß man ihn ohne weiteres ziehen läßt, aber die Ausweglosigkeit der
Situation wurde ihm erst voll bewußt, als er seinen ersten
Ausreiseantrag im Oktober 1984 stellte. Man sagte ihm, seine Frau
gehöre vor Gericht, sie habe den Paragraphen 213 - "Ungesetzlicher
Grenzübertritt" - verletzt. Dafür gäbe es zwei Jahre Haft. In solchen
Fällen käme eine Familienzusammenführung gar nicht in Frage. Es folgten
übelste Beschimpfungen, seine Frau sei der Abschaum der Menschheit. Das
alles mußte sich der Ehemann über seine geliebte Frau anhören, ohne
sich dagegen wehren zu können. Das war die Rache des totalitären
Staates.
Nun trafen die Polizeiorgane die üblichen Maßnahmen: Schikanen am
Arbeitsplatz, anonyme Anrufe mit Drohungen und Beschimpfungen, die
Korrespondenz mit Gisela Herrmann wurde abgefangen. Die nervliche
Belastung für alle Familienangehörige wurde unerträglich. Aber nach
Meinung der Staatsorgane war das Vergehen der kranken Frau noch lange
nicht 'gesühnt'. Am 7. Juni 1985 wurde Rainer Herrmann an seiner
Arbeitsstelle verhaftet und einige Zeit später zu 3 Jahren und 6
Monaten Gefängnis verurteilt. Das Strafregister' des unschuldigen
Ehemanns ist lang: § 99 (Weitergabe von der Geheimhaltung nicht
unterliegenden Nachrichten), §219, §63. Gisela Herrmann ist
verzweifelt: wie geht es dem Sohn Sven - wie übersteht ihr Mann die
harten Strafbedingungen? Briefe kommen nicht durch. Ein
Einschreibebrief kam zurück mit folgendem Vermerk: "Sehr geehrte Frau
Herrmann! Ich sende Ihren Einschreibebrief vom 19.7.1985 mit Rückschein
zurück, da eine Genehmigung für den Briefverkehr mit dem Empfänger
nicht vorliegt. Im Auftrag Schwarz,
Staatsanwalt (Bezirk Halle-Salle)".
Ein totalitärer Staat kennt kein Erbarmen.
Am 1. August 1985 fand in Helsinki eine Jubiläumsfeier anläßlich des
10. Jahrestages der Unterzeichnung der KSZE-Schlußakte statt.
Bekannterweise geht es dort auch um die Menschenrechte und speziell um
die Familienzusammenführung. Politiker aus Ost und West dinierten
reichlich, tranken Sekt und lobten die Ergebnisse des
"Helsinki-Prozesses". Für die Familie Herrmann sind das alles leere
Worte. Für sie hat die Schlußakte von Helsinki keinen Wert.
Wo die Politiker versagen, dort müssen sich die Bürger selbst helfen.
Dafür ist die IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte)
gegründet worden. Die Zahl der politischen Gefangenen in der "DDR" wird
auf 7ooo-8ooo geschätzt. Für diese Menschen und ihre Familien bitten
wir Sie um eine Spende. Noch vor Weihnachten soll das dem einen oder
anderen zugute kommen. Herzlichen Dank! Kennwort bei Überweisungen "Für
verfolgte Familien-'DDR'".
UdSSR: "Ich schrieb meine Beschwerden mit meinem eigenen Blut."
Vor kurzem erreichte uns ein Hilferuf aus dem hohen Norden der
Sowjetunion. Hier ein Auszug: "An die Internationale Gesellschaft für
Menschenrechte vom inhaftierten Sowjetbürger Ismidin Sagatow. Beginn
der Haft: 1976. Ende der Haft: 1988. - Appell - 1976 wurde ich in
Femidalija (Tschetscheno-Inguschskaja ASSR) zum Verbrecher gestempelt.
Alle gegen mich vorgebrachten Beschuldigungen waren erfunden und das
Gerichtsurteil stand von vornherein fest. Es lautete: 12 Jahre
Freiheitsentzug zuzüglich einer Gedlstrafe in Höhe von 3618 Rubel.
Dieses Urteil entspricht jedoch nicht der Wirklichkeit:
tatsächlichkommt es für mich einer verzögerten Todesstrafe gleich.
Damals schrieb ich an alle Behörden Beschwerdebriefe, daß ich zu
Unrecht inhaftiert worden sei - doch dafür wurde ich schwer mißhandelt.
Meine Beschwerden schrieb ich mit meinem eigenen Blut - woher sollte
ich wissen, daß in diesem Land selbst Blut nichts mehr wert ist.- 1978
wurde ich von den Offizieren des Straflagers so schwer mißhandelt, daß
ich an Lungentuberkulose erkrankte und eine Zeit lang zwischen Leben
und Tod schwebte. Man verweigerte mir jegliche medizinische Hilfe und
steckte mich in eine betonierte Zelle, zu der die Ärzte keinen Zugang
hatten. Dort habe ich die "sozialistische Demokratie" am eigenen Leibe
zu spüren bekommen: schwere Schläge, nur in Unterwäsche bei 4o Grad
Kälte, lange Zeit in der Dunkelzelle, Inszenierungen von Hinrichtungen
durch den Galgen, Behandlungen mit Drogen und ähnliches mehr.
Ich weiß, daß ich wegen dieses Appells mit neuen Verfolgungen rechnen
muß. Doch ich fürchte mich deswegen nicht - wenn ich nur meinen
Mitgefangenen helfen kann. Ich bin ein Todeskandidat und habe nicht
mehr lange zu leben. Ich Ismidin Sagatow, wurde 1947 im Dorf
Karlan-Jurt in Dagestan geboren. Meiner alten Mutter ist es nicht
möglich, mich zu besuchen, da ihr Geld für die weite Reise hierher
fehlt - und das nun schon neun Jahre lang. Unter Berücksichtigung des
oben Gesagten bitte ich Ihre Organisation, mir in meiner Not zu helfen
und sich beim Obersten Sowjet der UdSSR dafür einzusetzen, daß mein
Gerichtsurteil revidiert wird.
Gegenwärtig erwarte ich Ihre Antwort im Betonbunker des Straflagers
KL-400 in Mikun. - Mit inständiger Bitte um Ihre Hilfe, der Gefangene
der Sowjetunion
Ismedin Sagatow. 2o.6.1985".
Wie und was können wir antworten? Resignation und Hilflosigkeit
überfällt einen beim Lesen dieser Zeilen. Ein Mensch wird zu Tode
gequält, aber sein Ruf verhallt in der Leere. Die Verantwortlichen
dafür, ob das Andropow oder Michail Gorbatschow ist, übertönen die
Schreie der Gefangenen durch markante Worte, die von den Medien der
ganzen Welt millionenfach wiederholt werden: Humanismus, Freundschaft,
Frieden, Frieden, Frieden. Dürfen wir aufgeben - nicht hören, nicht
sehen, alles verdrängen? Das wäre Selbstbetrug. Wir müssen tun, was in
unserer Kraft steht, um den Verfolgten zu helfen - Ihre Spende ist uns
dabei unentbehrlich. Bitte das Kennwort "Für Gefangene in der UDSSR"
angeben.
Rumänien: "Laßt uns nicht im Stich, Vater!"
Der rumänische orthodoxe Priester Gheorghe Calciu Dumitreasa verbrachte
16 Jahre seines Lebens in Haft. Doch das war noch nicht das Ende. 1979
wurde er erneut verhaftet und zu 10 Jahren Kerker verurteilt. Die IFGM
und viele andere Organisationen bemühten sich sehr um seine
Freilassung. Dies war nicht vergeblich. Am 2o. August 1984 (nach 5
Jahren und 5 Monaten) wurde er entlassen. Die Verfolgungen gingen
weiter. Dutzende von Polizisten bewachten Tag und Nacht seine Wohnung.
Auf der Straße wurde er beschattet und verprügelt. Das Schlimmste
jedoch war das Verbot der Ausübung seines Priesteramtes von Seiten der
kirchlichen Hierarchie!!! Trotzdem behielt er seinen Glauben an Gott
und die Menschen. Einige Auszüge aus dem Bericht des Priesters sollten
Sie, lieber Leser, zur Kenntnis nehmen:
"Ich bin zutiefst gerührt: Es ist, als ob ich bei der Niederschrift
dieser Zeilen mit der Seele der Welt sprechen würde - mit jener Welt,
die mich während meines ganzen Leidens mit ihrer Liebe, mit ihrem
Gebet, mit ihrer Anteilnahme unterstützt hat. Selbst in meinen
tragischsten Augenblicken, als mich meine Einsamkeit erdrückte, brachte
mir der leuchtende Gedanke unserer geistigen Solidarität den rettenden
Trost. (...) Nach einem zehntägigen Hungerstreik, als endlich zwei
Staatsanwälte aus Bukarest angereist kamen, sprachen sie über völlig
andere Dinge, kein Sterbenswörtchen fiel über das, was mir widerfahren
war. Ich protestierte gegen das Verbrechen, das gegen mich und andere
Strafgefangene in der sogenannten 'Sonderabteilung' begangen worden war
- Folter, Hunger, Beleidigungen. Das Ergebnis war, daß am nächsten Tag
die Schläge und die Schmerzensschreie nur noch schrecklicher wurden.
Dasselbe geschah auch, als ich bei dem örtlichen Staatsanwalt
protestierte. Im Krankenhaus des Gefängnisses von Jilava (ich möchte
das Wort Krankenhaus betonen) wurde ich mit dem Gummiknüppel
geschlagen, weil ich betete. Der Schläger war der Feldwebel Petre.
(...) Als ich mich in der Haftanstalt AIUD wiederholten
Ausrottungsaktionen ausgesetzt sah, angeordnet vom Direktor der Anstalt
Panait, schützte mich kein einziges Gesetz. Als derselbe befahl, mich
mit zwei verurteilten Mördern in eine Zelle einzusperren (in der
unverhohlenen Hoffnung, sie würden mich zu Todeprügeln) schützte mich
kein Gesetz. Es war die göttliche Fügung im versteinerten Herzen der
beiden, die sie vor einer schicksalhaften Missetat abhielt - zu meinem
und zu ihrem Glück. Sie, diese verurteilten Mörder, sagten mir
offenherzig: 'Das sollen sie doch selber tun, Hochwürden, denn dafür
haben sie Rangabzeichen und Sold!' - Meine Liebe und mein Geist mitsamt
des riesigen Schatzes an Leiden habe ich meinem Land und unserer Kirche
gewidmet. Hier befindet sich das Wesen und der Sinn meiner Existenz.
Und nun sehe ich mich gezwungen, das Land zu verlassen. Ich würde es
nie tun, wenn ich allein wäre. Aber ich bin nicht allein. Auch meine
Familie leidet unter dem Terror. Menschen, die ich nie gekannt habe,
sagten mir: 'Laßt uns nicht im Stich, Vater!1 Ausgerechnet mir sagten
sie es, dem gedemütigten, unterdrückten, dem gefesselten Menschen.
Andere wiederum sagten mir: 'Rettet Euch, Vater!"'
Die Schikanen nahmen kein Ende. Der Priester Calciu entschloß sich zur
Ausreise. Wieder ein Kampf, der ein Jahr lang dauerte. Die IGFM und
Sie, verehrte Leser durch Ihre Spenden, unterstützten ihn dabei. Im
August 1985 durften der Priester und seine Familie die sozialistische
Republik Rumänien endlich verlassen, um in die USA auszuwandern.
Konten: IGFM - Internationale
Gesellschaft für Menschenrechte - Deutsche Sektion e.V. Kaiserstr. 72,
D - 6000 Frankfurt / M. - Postgiroam Frankfurt / M, Ktnr. 9858-6o9
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