PREDIGT ZUM WEIHNACHTSFEST
vom
hl. Papst Leo d.Gr.
Sermo XXII (Bibliothek der Kirchenväter, Bd.54, München 1927, S.78 ff):
Geliebteste!
1. Laßt uns frohlocken im Herrn, laßt uns im Geiste vor Freude
jauchzen; denn erschienen ist der Tag, der uns neue Erlösung bringt,
auf den die alten Zeiten hinwiesen, und der uns ewiges Glück beschert!
Kehrt doch alljährlich das Geheimnis unseres Heiles wieder, jenes
Geheimnis, das von Anfang an verheißen wurde, am Ende der festgesetzten
Zeit in Erfüllung ging und endlos dauern soll. Recht und billig ist es,
daß wir an diesem Tag unser Herz zum Himmel erheben und dieses
göttliche Mysterium verehren, damit das, was Gott in seiner großen
Gnade wirkt, in der Kirche unter großem Jubel gefeiert werde. Hat doch
der allmächtige und mildreiche Gott, dessen Wesen Güte, dessen Wille
Macht, dessen Werk Erbarmung ist, sobald uns die Bosheit des Teufels
durch das Gift seines Neides den Tod gebracht hatte, schon in den
ersten Zeiten der Welt im voraus die Heilmittel bezeichnet, die seine
Liebe für die Erlösung der Menschen in Bereitschaft hielt. Wies er doch
die Schlange auf den künftigen Samen des Weibes hin, der durch die ihm
innewohnende Kraft ihr stolzes schädliches Haupt zermalmen sollte (vgl.
Gen 3,15; Offenb. 12,1). Damit meinte er Christus, den im Fleisch
kommenden Gottmenschen, der, von einer Jungfrau geboren, den Verderber
des Menschengeschlechts durch eine makellose Geburt vernichten sollte.
Der Teufel brüstete sich, daß der Mensch infolge seiner Umgarnung der
göttlichen Gnadengaben verlustig gegangen sei und - des Geschenkes der
Unsterblichkeit beraubt - das harte Todesurteil habe hören müssen. Er
brüstete sich damit, daß er selbst in seiner Pein einigen Trost in
jenen gefunden habe, die mit ihm seine Pflichtvergessenheit geteilt. Er
brüstete sich, daß auch Gott infolge der Forderung des Prinzipes
strenger Gerechtigkeit seinen früheren Beschluß dem Menschen gegenüber,
den er in so hoher Würde erschaffen hatte, geändert habe. Darum
bedurfte es, Geliebteste, der Aufstellung eines geheimen Planes. Diesem
zufolge wollte der unwandelbare Gott, dessen Wille seiner Güte nicht
verlustig gehen kann, die erste Bestimmung seiner väterlichen Liebe in
einem verborgeneren Geheimnisse verwirklichen. Sollte doch der durch
die List teuflischer Bosheit in Schuld geratene Mensch nicht gegen die
Absicht Gottes zugrunde gehen.
2. Als demnach, Geliebteste, die Zeit erschien, die im voraus für die
Erlösung der Menschen bestimmt war, kehrt der Sohn Gottes, Jesus
Christus, auf unserer niedrigen Erde ein, indem er von seinem
himmlischen Throne herabsteigt und, ohne die Herrlichkeit seines Vaters
zu verlieren, unter neuen Verhältnissen, auf neue Art Mensch wird.
Unter neuen Verhältnissen, weil er, unsichtbar in seinem Wesen,
sichtbar in unserem wurde, weil er, der Unfaßbare, erfaßt sein wollte,
weil er, der vor aller Zeit schon war, in der Zeit seinen Anfang nahm,
weil er, der Herr des Weltalls, zur Knechtsgestalt griff, indem er die
Würde seiner Majestät verhüllte, weil der des Leidens unfähige Gott es
nicht verschmähte, ein leidensfähiger Mensch zu sein und, wenngleich
unsterblich, sich vor den Gesetzen des Todes zu beugen. Auf neue Art
aber kam er zur Welt, da er von einer Jungfrau empfangen, von einer
Jungfrau geboren wurde, ohne fleischliche Lust von Seiten des Vaters,
ohne Verlust der Reinheit von Seiten der Mutter. Ziemte doch dem
künftigen Erlöser der Menschen eine solche Geburt, die das Wesen
menschlicher Natur an sich hätte und von der Befleckung menschlichen
Fleisches nichts wußte. Ist ja G O T T der Erzeuger des im Fleische zur
Welt kommenden G O T T E S nach der Versicherung des Erzengels, die
dieser der seligen Jungfrau Maria gab: "Der Heilige Geist wird auf dich
herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten;
darum wird auch das Heilige, das aus dir geboren wird, Sohn Gottes
genannt werden." (Luk. 1,35) Die Erzeugung ist verschieden, die Natur
jedoch ganz ähnlich. Seine Geburt hat nichts zu tun mit dem
gewöhnlichen Verkehr der Menschen. Nein, auf göttlicher Macht beruht
es, daß eine Jungfrau empfing, eine Jungfrau gebar und dennoch immer
Jungfrau blieb. Hierbei muß man nicht die menschliche Natur der
Gebärenden im Auge haben, sondern den Willen dessen, der geboren wird,
der in der Weise Mensch wurde, wie er es wollte und konnte. Suchst du
seine wahre Natur, so erkenne die menschliche Materie, forschest du
nach der Art und Weise seiner Menschwerdung, so bekenne dich zu
göttlicher Kraft! Denn erschienen ist der Herr Jesus Christus, um von
uns alle Befleckung zu nehmen, nicht um sich beflecken zu lassen, nicht
um unseren Gebrechen zu unterliegen, sondern um sie zu heilen.
Erschienen ist er, um jegliches Siechtum der Verderbni's und alle
Eiterbeulen schmutzstarrender Seelen zu kurieren. Darum mußte auch der
unter neuen Umständen geboren werden, der dem Leib des Menschen das
neue Gnadengeschenk unbefleckter Reinheit brachte. Mußte doch die
Makellosigkeit dessen, der geboren wird, die ursprüngliche
Jungfräulichkeit seiner Mutter wahren, und die auf sie ausgeströmte
Kraft des göttlichen Geistes das ihm wohlgefällige Bollwerk der
Keuschheit und den Wohnsitz der Züchtigkeit rein erhalten, uatte ja
dieser Geist beschlossen, das Gestürzte wieder aufzurichten und das
Zerbrochene wieder ganz zu machen und der Keuschheit zum Siege über die
Lockungen des Fleisches gesteigerte Kraft zu verleihen, auf daß die
Jungfräulichkeit, die bei anderen durch die Geburt nicht unversehrt
bleiben konnte, auch bei (diesen) anderen durch ihre Wiedergeburt ein
Ziel der Nachahmung würde.
3. Scheint aber nicht gerade der Umstand, Geliebteste, daß die Wahl
Christi für seine Geburt auf eine Jungfrau fiel, die Folge
gründlichster Überlegung gewesen zu sein? Dadurch erfuhr ja der Teufel
nichts davon, daß dem Menschengeschlechte das Heil geboren wurde. Und
da ihm die Empfängnis durch den Heiligen Geist verborgen blieb, so
glaubte er, daß derjenige, der in seinen Augen nichts anderes als die
anderen war, auch nicht auf andere Weise als die übrigen zur Welt
gekommen sei. Meinte er doch, daß jener mit allen den gleichen Ursprung
habe, dessen Natur, wie er sah, mit allen Ähnlichkeit besaß. Auch
erkannte er nicht, daß der von den Banden der Übertretung des
göttlichen Gebotes frei sei, den er von den Schwächen der sterblichen
Natur nicht ausgeschlossen. Denn obwohl Gott, der wahrhaft mit uns
Mitleid fühlte, unsäglich viele Mittel für die Erlösung des
Menschengeschlechtes zu Gebote gestanden wären, wählte er doch vor
allem diesen Weg zur Rettung. Zur Vereitlung des teuflischen Werkes
wollte er nicht von der Kraft seiner Allmacht, sondern von dem Prinzip
der Gerechtigkeit Gebrauch machen. Nicht ganz ohne Grund beanspruchte
ja der stolze Erbfeind über alle Menschen das Recht eines Gebieters.
Nicht mit Unrecht übte er über jene eine drückende Herrschaft aus, die
er mit ihrer eigenen Zustimmung dem Gebote Gottes entfremdet und durch
List seinem Willen dienstbar gemacht hatte. Zu Unrecht also würde er
der seit den ersten Zeiten bestehenden Dienstbarkeit des
Menschengeschlechtes verlustig gehen, wenn er nicht gerade in dem
besiegt würde, was er sich unterworfen hatte. Damit dies geschehen
könne, wurde Christus ohne den Samen eines Mannes von einer Jungfrau
empfangen, die nicht menschliche Begattung, sondern der Heilige Geist
befruchtete. Und während bei allen Müttern die Empfängnis nicht ohne
sündige Befleckung vor sich geht, ist für sie das eine Quelle der
Reinheit geworden, woraus sie empfangen hat: Wo kein väterlicher Same
sich ergoß, da drang auch kein Keim der Sünde ein. Ihre ungeschwächte
Jungfräulichkeit wußte nichts von sinnlicher Lust, gab aber den Leib.
Der Herr nahm von seiner Mutter nur die menschliche Natur, nicht auch
die Schuld. Zur Welt kam eine Knechtsgestalt, doch ohne sich im Zustand
der Knechtschaft zu befinden, da der neue Mensch sich so mit dem alten
verband, daß er auf der einen Seite unsere wahre Art annahm, auf der
andern die alte Stammessünde von sich ausschloß.
4. Da also der erbarmungsreiche und allmächtige Erlöser in der Weise
den Beginn seiner Menschwerdung gestaltete, daß er die Macht der von
seiner menschlichen Natur unzertrennlichen Gottheit unter dem Schleier
unserer Schwachheit verbarg, wurde der verschlagene und siegesgewisse
Feind getäuscht, nach dessen Meinung der zum Heile des
Menschengeschlechtes zur Welt gekommene Knabe durch seine Geburt ihm
ebenso unterworfen war wie all die übrigen Kinder. Sah er ihn doch
wimmern und weinen, in Windeln gehüllt (vgl. Luk. 2,12), der
Beschneidung unterworfen und die Opfergabe darbringen, die das Gesetz
erheischte. Er nahm an ihm die gewöhnliche Entwicklung des Knabenalters
in seinen einzelnen Stufen wahr und zweifelte nicht, daß er wie jeder
andere zum Manne heranwachsen würde. Inzwischen fügte er ihm Kränkungen
zu, häufte die Ungerechtigkeiten und griff zu Schmähungen, Vorwürfen,
Verleumdungen und Spott. Und zuletzt überschüttete er ihn mit der
ganzen Flut seiner Wutausbrüche, und wandte alle Arten der Versuchung
an. Und da er wußte, womit er des Menschen Natur vergiftet hatte,
glaubte er es nie und nimmer, daß jener keinen Anteil an der ersten
Sünde habe, den er auf Grund so vieler Anzeichen als sterblichen
Menschen kennenlernte. Es beharrte also der schurkische Räuber und
unersättliche Gläubiger darauf, gegen den vorzugehen, der nichts mit
ihm gemein hatte. Und während er das über unser verderbtes Geschlecht
einmal gesprochene allgemeine Urteil vollstrecken will, überschreitet
er den Vertrag, auf den er sich stützte, da er bei jenem Bestrafung für
Vergehen verlangt, bei dem er keinerlei Schuld entdeckt. Annuliert wird
also die tückische Verschreibung des todbringenden Paktes (vgl.Kol.
2,14; Ep. 124,7 ), und infolge der Ungerechtigkeit einer Überforderung
geht die ganze Schuldsumme verloren. Gebunden wird der Starke mit
seinen eigenen Banden, und der ganze Anschlag des boshaften Feindes
fällt auf sein eigenes Haupt zurück. Und nachdem der Fürst der Welt in
Fesseln geschlagen, werden ihm die "Gefäße der Gefangenschaft"
entrissen (vgl. Matth. 12,29; Mark. 3,7). Die von der alten Befleckung
gereinigte menschliche Natur gewinnt ihre frühere Würde wieder, der Tod
wird durch den Tod bezwungen, die Geburt durch die Geburt erneut; denn
gleichzeitig wird durch die Erlösung die Knechtschaft aufgehoben, durch
die Wiedergeburt die Geburt geändert und durch den Glauben der Sünder
gerechtfertigt.
5. Wer immer also du sein magst, der du dich frommgläubig des
christlichen Namens rühmst, würdige wohl die Gnade dieser
Wiederversöhnung in einem gerechten Urteile! Wurde doch dir, dem einst
Verworfenen, dem aus des Paradieses Wohnsitzen Vertriebenen, dem
infolge der langen Verbannung dem Tode Nahen, dem zu Staub und Asche
Gewordenen, der keine Lebenshoffnung mehr hatte, durch die
Menschwerdung des Wortes die Möglichkeit gegeben, aus der Ferne zu
deinem Schöpfer zurückzukehren, deinen Vater zu erkennen, aus einem
Sklaven zu einem Freien zu werden und aus der Stelle eines Fremdlings
in die eines Sohnes vorzurücken. So wirst du, der aus vergänglichem
Fleische Geborene, aus dem Geiste Gottes wiedergeborenen und erhälst
durch die Gnade, was du durch deine Natur nicht hattest: So darfst du
Gott deinen Vater nennen, wenn du dich selbst als Kind Gottes im Geiste
der Adoption anerkennst. Von der Schuld eines bösen Gewissens befreit,
richte dein Sehnen auf das Himmelreich! Unterstützt durch die Hilfe von
oben, handle nach dem Willen Gottes! Nimm dir, solange du auf Erden
weilst, die Engel zum Vorbild! Labe dich an der Kraft unsterblichen
Wesens und kämpfe voll Zuversicht gegen die feindlichen Versuchungen
zum Schütze eines gottgefälligen Lebens! Und hast du als Streiter im
himmlischen Heere deinen Fahneneid gehalten, so brauchst du nicht daran
zu zweifeln, daß dir für deinen Sieg im Triumphlager des ewigen Königs
die Krone zufallen muß. Wird dich doch die Auferstehung, die den
Frommen winkt, zur Teilnahme am Himmelreiche emporführen.
6. Da ihr also, Geliebteste, so reichen Lohn voll Zuversicht erwartet,
so bleibet standhaft in dem Glauben, "in dem ihr festgegründet seid"
(vgl. Kol.1,23), damit euch nicht eben jener Versucher, dessen
Herrschaft Christus bereits von euch abgewandt hat, aufs neue durch
irgendwelche Ränke verführe, damit er nicht gerade die Freude des
heutigen Tages durch seine trügerische Verschlagenheit zum Schlimmen
wende! Berückt er doch einfältigere Seelen durch die verderbliche
Einflüsterung gewisser Leute, denen dieser Tag unserer Festfeier nicht
so sehr wegen der Geburt Christi verehrungswürdig erscheinen will, als
vielmehr - wie sie sagen - wegen des "Aufgangs der neuerstandenen
Sonne". Die Herzen dieser sind von dichter Finsternis umhüllt und von
aller Aufnahme wahren Lichtes weit entfernt. Stehen sie doch immer noch
unter dem Einfluß der albernsten Irrtümerdes Heidentums. Und da sie
ihren Scharfsinn nicht über das zu erheben vermögen, was sie mit
leiblichem Auge erblicken, erweisen sie göttliche Verehrung den
Gestirnen, die der Welt als Leuchten dienen. Fern bleibe der Seele des
Christen gottloser Aberglaube und wahnwitziger Trug! Unermeßlich groß
ist der Unterschied zwischen Ewigem und Zeitlichem, zwischen
Körperlosem und Körperlichem, zwischen dem Gebieter und dem, was ihm
Untertan ist. Mag auch alles dies staunenerregende Schönheit besitzen,
so fehlt ihn doch göttliches Wesen, dem man allein Anbetung schuldet.
Verehrung gebührt als jener Macht, jener Weisheit, jener Majestät, die
das ganze Weltall aus dem Nichts hervorbrachte, die in ihrer Allmacht
die Erde und den Himmel schuf und diesen, ganz wie sie es wollte, Form
und Ausdehnung gab. Sonne, Mond und Sterne mögen für die Menschen, die
sich ihrer bedienen, von Nutzen sein, sie mögen auch jenen, die zu
ihnen aufblicken, außerordentlich schön erscheinen, aber jedenfalls mit
der Einschränkung, daß man ihrem Urheber dafür dankt und an G O T T
sich im Gebete wendet, der sie erschaffen hat, nicht an ein Geschöpf,
das den ihm zugewiesenen Dienst verrichtet. Lobpreiset also,
Geliebteste, den Herren in all seinen Werken und Entscheiden! Es wohne
in euch der keinem Zweifel unterworfene Glaube, daß eine Jungfrau gebar
und makellos blieb! Weihet fromme und aufrichtige Verehrung dem
heiligen und göttlichen Geheimnisse der menschlichen Erlösung! Liebet
voll Inbrunst Christus, der in unserem Fleische zur Welt kommt, auf daß
ihr würdig werdet, ihn auch als Gott der Glorie in der Majestät seiner
Herrschaft zu schauen, ihn, der mit dem Vater und dem Heiligen Geiste
als einiger Gott lebt in Ewigkeit! Amen!
ROSENKRANZGEBET AM 5,12. 1985 UM 18 UHR:
BETEN WIR FÜR ALL DIEJENIGEN, DIE AN KEIHNACHTEN VERLASSEN UND EINSAM
UND DIESES FEST OHNE SAKRAMENTENEMPFANG VERBRINGEN MÜSSEN; BETEN WIR
AUCH FÜR DAS SCHICKSAL UNSERER KLNDER. |