ST. PETRUS CANISIUS
DER ZWEITE APOSTEL DEUTSCHLANDS (1521-1597)
von
Eugen Golla
Es ist wohl kein Zweifel, sondern vielmehr ein Beispiel von Gottes
wunderbaren Fügungen, daß Er wenige Tage nach der erfolglosen Anhörung
Luthers auf dem Reichstag zu Worms der Kirche den hl. Petrus Canisius
schenkte.
Frühzeitig wurde der Patriziersohn aus Nimwegen mit dem Land vertraut,
das seine wichtigste Wirkungsstätte werden sollte: den Fünfzehnjährigen
schickte sein Vater auf die Universität Köln. Vier Jahre später schloß
er sich - inzwischen Magister der Philosophie geworden - den Kölner
Karthäusern an, die von der Devotio Moderna geprägt waren, jener
kirchlichen Erneuerungsbewegung, welcher die "Nadfolge Christi"
entstammt. Seine Zweifel, ob er zum Priester berufen sei, waren
behoben, nachdem er unter der Leitung von Petrus Faber, dem ersten
Jesuiten, der nach Deutschland kam, die geistlichen Übungen des hl.
Ignatius mitgemacht hatte; an seinem 22. Geburtstag entschloß er sich
dann, in die erst drei Jahre vorher gegründete Gesellschaft
einzutreten. Dem jungen Priester bot sich bald Gelegenheit, Zeuge der
Glaubenskämpfe aus nächster Nähe zu sein, ja bald in sie eingreifen zu
können: der Kurfürst-Erzbischof von Köln, Herman v. Wied, mehr
weltlicher Herrscher denn Priester, wollte sein Land und Bistum der
Reformation zuführen. In dieser verzweifelten Lage wurde Canisius vom
Klerus und dem Magistrat Kölns zu Kaiser Karl V. gesandt, um von ihm
Maßregeln gegen den apostatischen Kirchenfürsten durchzusetzen. Die
anschließenden zwei Jahre verbrachte er in Italien. Kardinal Otto
Truchseß von Waldburg, Fürstbischof von Augsburg, delegierte ihn als
Theologen auf das Konzil von Trient, das damals nach Bologna verlegt
worden war. Hier nahm er an den Beratungen, die sich mit der Erörterung
der Sakramente beschäftigten, teil, wurde aber bald darauf vom hl.
Ignatius nach Rom in den Ordensverband berufen. Mittels harter Übungen
der Askese -"außer der Gebetszeit trug ihm der hl. Ignatius zum Nutzen
seiner Seele auf, Töpfe und Pfannen zu scheuern, die Gänge zu kehren,
dem Koch zu helfen und überhaupt sich wie ein Dienstbote nützlich zu
machen" (Brodrick I, S.15o) - sollte unser Canisius in die
"Wissenschaft der Heiligen" eingeführt werden. Im Anschluß daran
übernahm er für ein Jahr die Professur für Rhetorik am neugegründeten
Kolleg zu Messina, legte danach in Rom den feierlichen Prfeß ab und
erhielt Deutschland als sein zukünftiges Arbeitsfeld angewiesen. Damals
schrieb er: "Ich empfand ein heißes Verlangen, Ströme von Glauben,
Hoffnung und Liebe möchten von Dir, Gott, in mich überfließen... so daß
mir kein Zweifel blieb, ich würde die Sendung, die ich in Deinem Namen
übernommen, auch ausführen können" (Lortz, S.146).
Sein zweiter Lebensabschnitt, der den Höhepunkt seines Wirkens umfaßt
und der ihm den Namen eines zweiten Apostels Deutschlands einbrachte,
ndm seinen Anfang. Ein dornenreicher, steiniger Boden war es, den er zu
bearbeiten hatte: die einst so glanzvolle mächtige deutsche Kirche, die
800 Jahre vorher der hl. Bonifatius gegründet hatte, war in höchster
Gefahr und lag zum Teil bereits in Trümmern. Auch das erste Land seines
Apostolates, Bayern, bot ein trauriges Bild dar. Besonders infolge der
Begünstigung des Protestantismus durch den Adel hatte der neue Glaube
auch dort große Erfolge zu verzeichnen, so auch in der
Universitätsstadt Ingolstadt, wo Canisius nacheinander das Amt eines
Professors, Rektors und Vizekanzlers bekleidete, nebenbei predigte,
Kranke und Gefangene besuchte und diskutierte, um das in Lethargie
versunkene katholische Leben wieder zu erwecken.
Inzwischen hatte König Ferdinand in Wien ein Jesuitenkollegium
errichten lassen und setzte es infolgedessen durch, daß unser Heiliger
an die dortige Universität berufen wurde. Aber wieder blieb das Lehramt
nicht seine einzige Aufgabe: nebenher war er Prediger, nicht nur in den
Kirchen, sondern auch beim König,und maßgebend beteiligte er sich an
der Gründung des Prager Jesuitenkollegs. Der Ruf des 33-jährigen war
schon so bedeutend, daß man ihn drängte, das vakant gewordene Bistum
Wien zu übernehmen. Unterstützt vom hl. Ignatius, der die bischöfliche
Würde mit dem Gelübde der Gesellschaft Jesu für unvereinbar ansah,
weigerte er sich zwar mit Erfolg, unterzog sich aber dennoch
vorübergehend den Mühen der apostolischen Administratur des Bistums.
In Wien kam auch auf Initiative König Ferdinands, der die verschiedenen
in Österreich benützten, meist im protestantischen Geiste verfaßten
Katechismen durch einen in klarer katholischer Theologie verfaßten
Katechimus ersetzt haben wollte, der erste Katechismus des Canisius
heraus. Den knapp 213 Fragen stehen oft mehrere Seiten füllende, mit
Zitaten aus Bibel und Kirchenvätern reich versehene Antworten
gegenüber, was beweist, daß er nicht als ein Buch zum mechanischen
Auswendiglernen gedacht war. Auffallend ist, daß Luther nicht einmal
erwähnt wird. Diesem Werk, das vor allem für Studenten mit
Lateinkenntnissen bestimmt war, folgten im Laufe der nächsten Jahre
kleinere Ausgaben, die bald ins Deutsche und andere Sprachen übertragen
wurden. Man kann ohne Übertreibung behaupten, daß bis in das vorige
Jahrhundert eine Katechese ohne den "Canisi" nicht denkbar war.
1556 kehrte Canisius nach Bayern zurück, um das Amt eines Provinzials
zu übernehmen. Das folgende Jahr trat er auf dem Religionsgespräch zu
Worms als einer der sechs katholischen Sprecher auf. Als der
berühmteste Vertreter des Protestantismus stand ihm Melanchton
gegenüber. Obwohl dieser den Ruf hatte, milde und kompromißbereit zu
sein - das von ihm verfaßte Augsburger Bekenntnis von 153o gilt seit
einigen Jahren wieder als ein Modell für eine Wiedervereinigung -
zeigte er sich ganz von der unversöhnlichen Seite. So fielen z.B. von
ihm auf der 5. Sitzung Worte wie: "daß er nie ohne Schauder an den
Greuel denken könne, deren Zeuge er in seiner Jugend gewesen".
(Brodrick I, S.569) In der 6. Sitzung hielt Canisius seine bedeutende
Rede über das Ungenügen der hl. Schrift als letztverbindlicher Norm in
Glaubenssachen. Sie gipfelte in den Worten: "In Deutschland wird der
Streit um die erhabensten Gegenstände des Glaubens, ein Kampf
entgegengesetzter Anschauungen, so lange fortdauern, als gelehrt wird,
daß jeder einzelne Mensch ein Recht habe, zu urteilen und zu
entscheiden; solange die Hl. Schrift allein, nach persönlichem
Dafürhalten ausgelegt, der oberste Berufungsgerichtshof bleibt... Das
göttliche Gesetz darf nicht gelesen oder gelehrt werden, wie irgend ein
einzelner Mensch es versteht... Den Sinn des Textes muß man von denen
lernen, die ihn bewahrt haben, wie er ihnen von den Vorfahren getreu
überliefert worden ist..." (Brodrick I, S.574 f.)
Von manchen protestantischen Historikern wird ihm vorgeworfen, das
Scheitern des Wormser Gesprächs verursacht zu haben; ja, es wurde sogar
behauptet, er sei zu diesem Zweck dorthin gesandt worden. In
Wirklichkeit verursachte außer der Hartnäckigkeit der Protestanten die
unter ihnen bestehende Spaltung das vorzeitige Ende dieses Kolloquiums.
Doch war diese Uneinigkeit unter den Gegnern des Katholizismus für ihn
auch von gewissem Vorteil: So konnte Canisius daher an König Ferdinand
schreiben: "Sire, das Gespräch ist zu Ende, und nach der Meinung
vortrefflicher Richter, nicht ohne Frucht gezeitigt zu haben. Gepriesen
sei Unser Herr, durch die Spaltung und Verwirrung der Sektierer ist die
Einheit Seiner Kirche bekräftigt." (Brodrick I, S.593) Die folgenden
Jahre brachten zusätzlich eine Fülle weiterer Aufgaben: Domprediger auf
den Reichstagen, Dienstreisen nach Rom und - in Begleitung des Nuntius
- eine sich auf mehrere Monate erstreckende Reise nach Polen, wo sich
die Kirche gleichfalls in großer Not befand.
1562 wurde nach einer Unterbrechung von mehr als lo Jahren das Konzil
von Trient wieder eröffnet. Diesmal war dem hl. Canisius als Theologen
des Fürstbischofs von Augsburg eine bedeutende Rolle, besonders in der
Kelchfrage zugedacht. Vor allem in Bayern, Österreich und Böhmen gab es
viele Priester und Laien, die von der Notwendigkeit, den Laien den
Kelch zu gewähren, überzeugt waren, zumal sie darin das wirksame Mittel
zur Rückkehr vieler zur Kirche sahen. Wahrscheinlich war Canisius
einige Zeit ein bedingungsloser Gegner des Laienkelches. Zu Trient
sprach er sich dahingehend aus, "daß dieses Vorrecht niemals erklärten
Häretikern verliehen werden dürfe, daß es aber Katholiken, die mitten
unter Häretikern leben, nicht verweigert werden solle, falls es kein
anderes Mittel gebe, sie innerhalb der Kirche zu halten." (Brodrick II,
S.1 12) Das Konzil erklärte dann nach vielen Für und Wider die
Gewährung des Laienkelches als nicht erforderlich. Mit großer
Bestürzung mußte daher Canisius etwas später zur Kenntnis nehmen, daß
auf Druck das Kaisers Ferdinand und seines Sohnes, des späteren Kaisers
Maximilians, Papst Pius IV. Bayern, Österreich und Böhmen den
Laienkelch zugestand, d.h. die Bischöfe wurden ermächtigt, ihn zu
gestatten. Aber bereits sein Nachfolger, der hl. Pius V. hob diese
Sondergenehmigung auf, da sie natürlich nicht das hielt, was man sich
von ihr versprochen hatte.
Von diesem Papst wurde der Heilige auch zur Widerlegung der Magdeburger
Zenturien des Matthias Flacius Illyricus, eines radikalen
Lutherschülers, dessen Anhänger sich auf dem Wormser Gespräch mit
Melanchton zerstritten hatten, ausersehen. Dieses für die
protestantische Darstellung der Kirchengeschichte bedeutende Werk hat
den Zweck, nachzuweisen, daß sich die Kirche im Laufe der Zeit immer
mehr von ihrer apostolischen Einfachheit und Reinheit entfernte und so
unter die Herrschaft des Antichristen geriet. Seit dem allmählichen
Erscheinen dieser Bände zählte Canisius nicht zu denen, welche meinten,
das beste Verhalten gegenüber einer solchen Tendenzschrift sei, sie zu
ignorieren. So schrieb er: "Es ist eine große Schande und ein großes
Verbrechen, daß die Kirchengeschichte von den Sektierern in so
vielfältiger Weise entstellt wird. In Rom gibt es zahlreiche Gelehrte,
die in der Geschichtsforschung bewandert sind, und es wäre ein großer
Segen, wenn einer von ihnen ausersehen würde, das Leben der Päpste zu
beschreiben. Gegenwärtig erdichten die Sektierer, was sie wollen, indes
wir männiglich schlafen." (Brodrick II, S.381)
1569 konnte er die Leitung der Ordensprovinz abgeben und zog sich nach
Dillingen zurück, um an der ihm aufgetragenen Widerlegungsschrift zu
arbeiten. Auf den ersten Blick ist der 1. Band eine Monographie des hl.
Johannes des Täufers; in Wirklichkeit handelt es sich aber um ein
dogmatisches Werk zur Verteidigung der Lehre von der Buße und der
Rechtfertigung. Das 2. Buch, das "Opus Marianum", ist eine bedeutende
Mariologie. Etwa 4ooo Zitate aus der hl. Schrift und rund 2ooo Stellen
aus den Kirchenvätern beweisen den Fleiß und die Gelehrsamkeit des
Verfassers. Von seiner Demut und Liebe zur Gottesmutter legen die
folgenden, an den Schluß gesetzten Worte Zeugnis ab: "Allerhabenste
Königin und treueste Mutter Maria, die niemand vergebens anruft, ich
bitte Dich ehrfürchtig von ganzem Herzen, Du, der die ganze Menschheit
zu ewigem Dank verpflichtet ist, mögest Dich würdigen, diesen
armseligen Beweis meiner Liebe zu Dir anzunehmen und gutheißen und
huldvoll dessen Kleinheit nach dem guten Willen bemessen, dem er
entstammt. (...) Ich werde mich nicht kümmern, was die Menschen davon
halten, wenn meine Arbeit nur in Deinem gütigen Urteil, ich will nicht
sagen gelobt, sondern wenigstens entschuldigt wird. (...) Ich bin kein
Ephraim, der sich erkühnen konnte zu sprechen: 'Würdige mich, Dich zu
loben, heiligste Jungfrau...' Mir ist es Belohnung genug, wenn Du es
duldest, daß mein Name der Reihe, nicht etwa Deiner Söhne und Verehrer,
sondern wenigstens Deiner kleinen Schützlinge und Diener beigezählt
werde". (Brodrick II, S.478 f.) In diesem Zusammenhang sei auch noch
erwähnt, daß vom hl. Canisius auch die erste gedruckte Lauretanische
Litanei stammt.
Pater Paul Hoffaus, sein Nachfolger als Provinzial, machte ihm
oft das Leben schwer. Eine der vielen Ursachen hierfür bot auch
das Zinsproblem. Seit dem Ende des Mittelalters, besonders infolge der
Entdeckung Amerikas, entwickelten sich schnell die frühkapitalistischen
Formen von Wirtschaft und Handel, insbesondere erhielten Geld und
Geldgeschäfte eine immer größere Bedeutung. Canisius stand vollständig
auf dem Boden der damaligen Lehre der Kirche, gemäß welcher
grundsätzlich für das Ausleihen von Geld keine Zinsen gefordert werden
durften. Zweifellos spielte aber auch sein Mitleid mit den Armen eine
Rolle, wenn er in einer Predigt ausrief: "Was ist Wucher? Alles, was
man als Entgelt für das Leihen über das bloße Darlehen hinaus nimmt. Du
leihst zum Beispiel deinem Nachbarn 2o Gulden unter der Bedingung, daß
er dir im kommenden Jahr 21 Gulden zurückzahle. Dieser überschüssige
Gulden ist Wucher und du bist verpflichtet, ihn zurückzugeben."
(Brodrick II, S.256) In seinen Kontroversen mit Hoffäus standen
besonders zwei damals beliebt gewordene Formen der Kapitalanlage, der
"Contractus Germanicus" (Teilhaberschaft in Handelsgeschäften) und der
"Census" (Hingabe von Geld gegen eine Leibrente) zur Debatte. Die Sache
wurde schließlich Rom zur Entscheidung vorgelegt, das aber kein
definitives Urteil fällte, d.h. solche Geschäfte blieben weiterhin als
wucherisch verboten, aber sollten auch nicht öffentlich verurteilt
werden. Natürlich verharrte Canisius darauf bei seiner Mißbilligung,
aber er enthielt sich einer kämpferischen Haltung.
158o endete sein Wirken im Deutschen Reiche. Ob er nach Freiburg in der
Schweiz berufen wurde, weil er in der Zinsfrage anderer Meinung als
sein Provinzial war, oder ob seine Haltung zu Kaiser und Reich Rom
mißfiel: beide Annahmen sind zweifelhaft. Wahrscheinlich trifft man das
Richtige mit der Behauptung, daß der inzwischen fast 6o Jahre alte
unermüdliche Prediger, Beichtvater, Visitator, Lehrer und
Schriftsteller, der Gründer sovieler Jesuitenkollegien im Raum zwischen
Köln und Wien nunmehr an einem kleineren Wirkungskreis benötigt wurde.
Das von neugläubigen Gebieten umgebene Freiburg benötigte Hilfe, und im
Gehorsam übernahm Canisius diese neue Aufgabe, gründete daselbst das
Michaelskolleg, predigte und schrieb, ohne sich Ruhe zu gönnen, so
lange es ihm seine langsam schwindenden Kräfte erlaubten. Verehrt von
Geistlichkeit, Magistrat und Volk konnte er es noch erleben, wie sein
Kolleg durch Gewährung von Grund und Boden sowie Geld aufblühte.
Er verschied am 21. Dezember 1597, am Feste des hl. Apostels Thomas mit
der Genugtuung, daß wenigstens die Stoßkraft des Protestantismus
gebrochen war. Schon etwa 3o Jahre nach seinem Ableben wurde die
Seligsprechung eingeleitet. Der Prozeß zog sich aber hauptsächlich
infolge der immer mehr zunehmenden Abneigung gegenüber der Gesellschaft
Jesu mehr als 2oo Jahre hin, so daß die Beatifikation erst durch Pius
IX. 1864 erfolgte. Leo XIII. verlieh ihm den Beinamen "Zweiter Apostel
der Deutschen" und Pius XI. reihte ihn schließlich 1925 unter die
Heiligen ein, wobei er ihn auch zum Kirchenlehrer erklärte.
Werfen wir noch kurz einen Blick auf den Charakter des hl. Canisius.
Vergleichen wir ihn mit Luther, müssen wir feststellen, daß ihm der
derbe Volkswitz des Reformators und seine leidenschaftliche Rhetorik
fehlten. Dafür zeichnete er sich aber durch große Kenntnis der
Theologie, hinreißende Beredsamkeit, würdige polemische
Schlagfertigkeit, Entschiedenheit und milde Frömmigkeit aus. "Der
Jesuit hat die gegen ihn gerichteten Anwürfe von außen sehr oft ohne
Erwiderung gelassen, hat sie oft nur in sich selbst verarbeitet, im
Geiste der Liebe. Auch Luther antwortet auf unzählige Anwürfe nicht.
Aber er unterläßt die Antwort durchweg aus dem stolzen Bewußtsein des
Triumphes; er verachtet den Gegner". (Lort, S.148) Auch ein Heiliger
ist ein Kind seiner Zeit. Und dieses, von religiösen Kämpfen geprägte
16. Jahrhundert war rauh und nahm, wenn es um Fragen des Glaubens ging,
kein Blatt vor den Mund. Man nannte folglich einen Häretiker 'lieblos'
Häretiker und nicht etwa einen Christen, der noch nicht im Besitz der
vollen Wahrheit ist. Es wäre daher einseitig, in Canisius nicht auch
den Kämpfer zu sehen, der unerbittlich strenge Forderungen vertritt und
vor scharfen Worten nicht zurückschreckt. So verteidigte er auch das
Eingreifen der weltlichen Macht zugunsten der Katholiken und
befürwortete gelegentlich sogar die Inquisition, die selbst in den
Augen des hl. Ignatius für Deutschland nicht das geeignete Mittel zur
Bekehrung war. Aber immer wieder treten der Geist der Milde und sein
missionarisches Verständnis, die seinem innersten Wesen entsprechen,
hervor. So schreibt er, von Rom eine mildere Behandlung verlangend:
"Damit wir nicht den glimmenden Docht auslöschen"; denn "durch die
scharfen Kuren ohne Liebe, wie die meisten antiprotestantischen
Schriftsteller sie versuchen, reizen wir die Deutschen mehr, als wir
sie heilen". (Lortz, S.148)
Auch gegenüber seinen geistlichen Oberen hielt er mit berechtigter
Kritik nicht zurück. So tadelt er das allzustrenge Bücherverbot Pauls
IV., das den größten Teil der Bibel- und Väterausgaben auf den Index
setzte, was ihn aber nicht davon abhielt, sich nach dem Indexgesetz
während der Dauer seiner Gültigkeit genauestens zu richten. Ebensowenig
verschwieg er die Schwächen der deutschen Bischöfe. So schrieb er an
Nuntius Commendone von den deutschen Bischöfen, daß sie schliefen,
statt für das Wohl ihrer Herde zu wachen: "Selten visitierten die
Bischöfe ihre Diözesen, noch seltener erreicht eine Visitation einen
Nutzen. Dies kommt vor allem daher, daß sie nicht wissen, was zu
verbessern, und was anzuordnen ist, oder weil ihnen der nötige Eifer
und die geistige Schwungkraft zur Erreichung des Notwendigen fehlt".
(May S.674) Noch in Freiburg vertrat er die Ansicht, daß viele
Mitglieder des deutschen Episkopats furchtsam seien.
Er gehört auch nicht zu den Ordensmännern, die blind gegenüber den
Fehlern ihres eigenen Ordens sind; er hielt daher auch mit bitterem
Tadel gegen das Einmischen der Jesuiten in die Politik nicht zurück.
Vielleicht eine Vorahnung der etwa 2oo Jahre später über sie
hereinbrechenden Katastrophe? Wir dürfen im hl. Canisius kein
schöpferisches Genie sehen. "Wer das Eigenpersönliche für allein
wertvoll hält, kann diesem Mann nicht gerecht werden. Petrus Canisius
war ungeheuer begabt, von jener umfassenden Leichtigkeit des
Begreifens, die ihn, weil ein ebenso großer Eifer ihn auszeichnete, für
jede Arbeit geeignet machte. Geeignet in der Auswertung eines nicht von
ihm aufgestellten Programms und zum guten Teil mit übernommenen
Kräften... er ist ganz Funktion der Kirche" (Lortz, S.145 f.) Dieses
auf die Praxis ausgerichtete Leben und Streben zeigte sich auch in
seinem Verhältnis zur Kunst. Weder war St. Gereon, seine Stammkirche in
Köln, für ihn mehr als eine Stätte des Gebetes, noch vermochte ihn das
Rom der Renaissance und des Früh-Barock zu begeistern. Er gleicht darin
seinem Landsmann Hadrian VI., dem letzten nicht-italienischen Papst,
der zum Entsetzen und Gespött der feingebildeten Prälaten die
Laokoon-Gruppe ein altes Götzenbild nannte.
Diese Einfachheit, ja Nüchternheit, prägte auch sein Gebetsleben. "Nie
in seinem Leben geriet er in Verzückung, und die Quellen schweigen über
irgendwelche tiefe mystische Erfahrungen. Sie melden uns vielmehr, daß
er anspruchslose Andachten, wie den Rosenkranz und die kleinen
Tagzeiten der seligsten Jungfrau, liebte". "Sein Gebet wies keine
wahrnehmbaren Zeichen höherer Beschauung auf. Doch war des Heiligen
Begriff vom Beten außerordentlich weit. Ihm wurde in der Tat alles ganz
von selbst zum Gebet, selbst so gewöhnliche Dinge wie das Essen. Bruder
Strang bemerkte, daß er seine eigene kleine Liturgie von Lob und Dank
nicht nur einmal für die ganze Mahlzeit flüsterte, sondern jedesmal,
wenn er seine Gabel erhob, was zufällig nicht sehr oft war, da er nie
mehr aß als den vierten Teil dessen, was den gewöhnlichen Bedarf eines
Mannes ausmacht." (Brodrick II, S.586)
Der zweite Apostel Deutschlands wirkte in schwer vom Protestantismus
bedrohten Zeiten. Aber hinter ihm stand das rechtgläubige Rom, seine
rechtmäßige Gesellschaft und ein vom Hl. Geist gelenktes Konzil. Unter
den Bischöfen, mit denen er zusammenarbeitete, befand sich kein
Borromäus, ja viele erwiesen sich ihm im wahren Sinne des Wortes als
schwache Hirten, jedoch bewahrte der größte Teil wenigstens noch den
rechten Glauben und zeigte guten Willen, Canisius zu unterstützen. Viel
Kirchengut hatten die Neu-Gläubigen entrissen, aber immer standen in
noch ausreichender Zahl Gotteshäuser zur Verfügung. Was für eine
Situation würdänun ein dritter Apostel Deutschlands antreffen? Ob uns
Gott in Seinem Erbarmen - trotz des weltweiten Abfalls - ihn senden
wird? Am allerwenigsten kann es darauf eine Antwort geben durch
Heranziehen von Parallelen aus der Geschichte, die es gar nicht gibt.
Was auch immer Gott mit uns vorhat: wir können und sollen immer wieder
beten:
"0 Gott, Du hast Deinen hl. Bekenner
Petrus zum Schütze des katholischen Glaubens an Tugend und Wissen stark
gemacht; so gib denn gnädig, daß die Irrenden durch sein vorbildliches
Leben und sein Mahnwort wieder zur Einsicht kommen und zum Heile
zurückkehren, und daß die Gläubigen im Bekenntnis der Wahrheit
standhaft verharren. Durch unsern Herrn." (Kirchengebet am Fest des hl.
Petrus Canisius am 27. April.)
Benützte Literatur:
Brodrick, James: "Petrus Canisius" aus dem Engl. übers, von Karl Teich, Wien 1950, 2 Bde.
Lortz, Joseph: "Die Reformation in Deutschland" Freiburg 194o, 2. Band.
May, Georg: "Die deutschen Bischöfe angesichts der Glaubensspaltung des 16. Jahrhunderts" Wien 1983.
Pastor, Ludwig v.: "Geschichte der Päpste" Bd. 7 u. 8, Freiburg 1921 u. 1923.
Koch, Ludwig: "Jesuitenlexikon" Löwen 1932.
Realenzyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 3.Bd., Leipzig 1897.
Theologische Realenzyklopädie, 3.Bd., Berlin 1981.
Wetzers und Weites: "Kirchenlexikon" 2.Bd., Freiburg 1883. |